P.S.
minderheitlich werden – eine Denkfigur zur Kirchenentwicklung
Wenn die Gemeinden langsam kleiner werden, die Kirchen innerhalb eines Gemeindebezirkes zahlreicher, wenn es weniger ordinierte Pfarrerinnen und Pfarrer gibt … was geschieht dann?
Es wird andere Verwaltungs- und Finanzierungsformen geben. Lebensformen werden sich verändern. Pfarrerinnen und Pfarrer werden vielleicht z.T. in anderen Berufen ihren Lebensunterhalt verdienen und auf Erfahrungen zurückgreifen wie die der Arbeiterpriester. Es wird andere Formen der Gemeinschaft geben, die sich etwa von den Kleinen Schwestern Jesu inspirieren lassen. Kirchengebäude werden (auch) anders und vielfältiger genutzt oder besser: bewohnt werden.
Das soziale und politischen Engagement der Kirchen wird andere Organisations- und Ausdrucksformen finden. Manche bewährte Struktur wird vielleicht auch so bleiben, wie wir sie kennen. Sie wird lediglich ihren repräsentativen Charakter verlieren. Vieles wird provisorischer werden.
Was aber könnten Christen den Menschen, die nicht glauben, unter denen sie leben, geben? Und zwar (eben nicht interessengeleitet etwa im Sinne von gemeinsamen Aktionen [das sicher auch], sondern) im Sinne von Gnade. Was könnten sie den Menschen, unter denen sie leben, also schenken?
In einem Porträt über das alte Kloster Sucevita in der Bukowina im Norden Rumäniens sagt ein orthodoxer Priester folgendes: „Wenn es keine Liturgie, keine Erinnerung an den Tod mehr gibt, endet die Welt. Das ist eine über Jahrhunderte weitergeführte Tradition. Die Kirche ist nicht nur für die Lebenden, sondern auch für diejenigen da, die eingeschlafen sind, diejenigen, die gestorben sind. Der Hauptunterschied zwischen den Christen im Orient und Okzident ist, dass die westlichen Religionen diesen Bund mit den verstorbenen Ahnen verloren haben. Aber bei uns im Orient bleibt die Verbindung zwischen den Lebenden und denen die eingeschlafen sind, erhalten. Wir sind ein Ganzes. Eins in Christus.“
Man muss diesem Priester nicht in jeder Nuance zustimmen. Aber wäre das nicht Etwas, wenn man über die Christen sagen würde:
Sie weisen niemanden ab. Sie vereinnahmen niemanden. Jede Tote und jeden Toten begraben sie mit heiterer Würde aus Respekt vor dem gelebten Leben. Sie verschenken dies an die Menschen, unter denen sie leben, auf eine Art und Weise, die es jeder und jedem, die das möchte, ermöglicht, ein solches Geschenk auch anzunehmen.
Dietrich Sagert