Kähler: Die „Sterbenden mit wirklicher Hilfe begleiten“
„Keine Lizenz zum Töten“
Vor einer Zulassung der Tötung auf Verlangen und der organisierten Beihilfe zur Selbsttötung hat der stellvertretende Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Christoph Kähler, gewarnt. Im Blick auf den am Dienstag beginnenden 66. Deutschen Juristentag in Stuttgart, der sich unter anderem mit dem Spannungsverhältnis von Patientenautonomie und Strafrecht bei der Sterbebegleitung beschäftigen wird, sagte Kähler: „Wir dürfen keine Lizenz zum Töten erteilen.“
Die Kirchen werden sich auch in Zukunft dafür einsetzen, so der Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen, dass an den bestehenden gesetzlichen Regelungen zur "Tötung auf Verlangen" festgehalten wird und keine Lockerung in Richtung aktive Sterbehilfe erfolgt, selbst wenn europäische Nachbarländer hier einen anderen Weg gehen. „Wer das Leben wie das Sterben aus Gottes Hand annimmt, sollte sich nicht zum Richter über das Leben machen. Auch die meisten Atheisten sehen im Leben ein Geschenk.“
Ganz entschieden sei auch der neuerdings erhobenen Forderung nach einer ärztlichen Mitwirkung bei der Selbsttötung entgegenzutreten, betonte Kähler. In jüngster Zeit beginnen sich in Deutschland Organisationen zu etablieren, deren Anliegen es ist, Menschen eine zügige und effiziente Möglichkeit für einen Suizid zu verschaffen. Im Vordergrund des Handelns solcher Organisationen stehe nicht ein Beratungsangebot mit lebensbejahenden Perspektiven, sondern allein die rasche und sichere Abwicklung des gefassten Selbsttötungsentschlusses, so der stellvertretende Ratsvorsitzende. „Es ist doch wirklich zynisch, dass sich diese Organisationen noch das Mäntelchen der Menschenfreundlichkeit umhängen.“
Es sei zu befürchten, dass das Angebot einer geschäftsmäßigen Vermittlung der Möglichkeit zur Selbsttötung zu einer nicht unerheblichen Zunahme tatsächlicher Selbsttötungen führt. “Vor allem schwerkranke und alte Menschen können sich unter Druck gesetzt fühlen, diesen Weg zu wählen, wenn er denn angeboten wird.“ Problematisch sei außerdem, dass diese Organisationen auch Menschen ohne hoffnungslose oder unheilbare Krankheiten oder psychisch Kranken ohne körperliches Leiden, auch altersdementen oder depressiven Menschen eine Selbsttötungsmöglichkeit anbieten. Es bestehe daneben die Gefahr einer Kommerzialisierung von Selbsttötungen, zumal sich diese Organisationen über ihre Mitgliedsbeiträge hinaus auch noch ihre jeweiligen Einzelleistungen honorieren lassen.
Die EKD lehne sowohl die aktive Sterbehilfe als auch die Beihilfe zum assistierten Suizid eindeutig ab. Sie trete vielmehr dafür ein, dass alles Menschenmögliche getan wird, um die Sterbenden mit wirklicher Hilfe zu begleiten. „Dazu ist es insgesamt nötig, Palliativ- und Schmerzmedizin zu fördern, die Sterbebegleitung im Sinne der Hospizbewegung zu gestalten und das Instrument der Patientenverfügungen zu stärken. In dieser Hinsicht ist heute vieles möglich,“ so Landesbischof Kähler.
Aus Sicht der EKD sei es an der Zeit, dem Recht des Patienten, über den Einsatz von lebensverlängernden Maßnahmen am Lebensende selbst zu bestimmen, zur rechtlichen Durchsetzung zu verhelfen. Nach christlichem Verständnis liegen Leben und Sterben der Menschen in Gottes Hand. Deshalb sei das Abwarten des Todes die angemessene Haltung im Blick auf das – eigene und fremde – Sterben. „Das heißt nicht, dass Menschen im Blick auf den Tod nicht handeln dürften,“ erklärt Kähler. „Es zeichnet den Menschen aus, dass er auch dazu bestimmt ist, sein Sterben zu bedenken und zu gestalten.“ Dazu könne die Erkenntnis gehören, dass auch dem Sterben seine Zeit gesetzt ist und es darauf ankommt, den Tod zuzulassen und seinem Kommen nichts mehr entgegen zu setzen. Diese Erkenntnis könne niemand stellvertretend für einen anderen haben. „Jede und jeder muss sie für sich selbst gewinnen und vor Gott verantworten.“
Die christlichen Kirchen sehen seit vielen Jahren in Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten eine Hilfe, am Lebensende gewährleistet zu wissen, dass der eigene und kein fremder Wille ausschlaggebend für die medizinische Behandlung ist. Deswegen haben der Rat der EKD und die Deutsche Bischofskonferenz in Verbindung mit den übrigen Mitglieds- und Gastkirchen der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland bereits 1999 eine Patientenverfügung unter dem Titel „Christliche Patientenverfügung“ herausgegeben, die seit 2004 in 2. überarbeiteter Auflage vorliegt und bereits 2,5 Millionen mal abgerufen wurde.
Hannover / Eisenach, 18. September 2006
Pressestelle der EKD
Silke Fauzi
Pressestelle der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen
Ralf-Uwe Beck