Predigt zum Buß- und Bettag 2018
am 22.11.2018 in Berlin
Lukas 12, 16-20
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus…
Liebe Schwestern und Brüder,
was in aller Welt hat der reiche Kornbauer eigentlich falsch gemacht, dass es ein so böses Ende mit ihm nimmt? Warum nur enden sein Leben und die Geschichte über ihn so abrupt und vor allem so tragisch? Schauen wir uns das Gleichnis vom reichen Kornbauern noch einmal genau an.
„Es war ein reicher Mensch, dessen Land hatte gut getragen.“ Schön für ihn. Wer wünscht sich nicht, dass seine Arbeit Früchte trägt? Wer strebt nicht an, dass getätigte Investitionen sich auszahlen? Also: Herzlichen Glückwunsch, reicher Mann! Du bist beneidenswert!
Aber was heißt hier „beneidenswert“? Gewiss, unsere Felder haben wegen der Hitze und der Trockenheit im letzten Sommer nicht so gut getragen wie in früheren Jahren. Aber auch in diesem Jahr muss hier niemand hungern und es fehlt uns an nichts. In Deutschland wächst zudem nicht nur das Getreide sondern die ganze Wirtschaft. Das sichert Arbeitsplätze. Die Steuermehreinnahmen versetzen den Staat in eine sehr komfortable Lage. Er konnte zusätzliche Aufgaben übernehmen und schreibt immer noch seine „schwarze Null“. Auch den Kirchen geht es dank hoher Kirchensteuereinnahmen gut…
„Und er dachte bei sich selbst und sprach: Was soll ich tun? Ich habe nichts, wohin ich meine Früchte sammle.“ Der reiche Kornbauer erweist sich nicht nur als glücklicher sondern auch als realistischer und tatkräftiger Zeitgenosse. Glasklar erkennt er, dass er auf den plötzlichen Erntesegen nicht vorbereitet ist. Aber er lässt das nicht auf sich beruhen. Er weiß, dass er handeln muss: „Was soll ich tun?“
Wenn das nicht vorbildlich ist! Der reiche Mann wartet nicht ab, wie die Dinge sich vielleicht entwickeln. Er zaudert nicht und laviert nicht herum. Er weiß, dass er handeln muss – nicht irgendwann später einmal sondern jetzt. Viele könnten sich ein Beispiel an ihm nehmen: In unserer Kirche etwa. In den vergangenen Jahren haben wir viele Mitglieder verloren. Zu viele, als dass sich nichts verändern müsste. Gut, dass die EKD-Synode sich in der vergangenen Woche intensiv mit dem Glauben junger Menschen beschäftigt hat. Auch dem Staat und der Gesellschaft könnte der Kornbauer ein Vorbild sein. Allein durch die Bevölkerungsentwicklung stehen Deutschland dramatische Veränderungen bevor. Hinzu kommen die schon eingetretenen und noch zu erwartenden Umbrüche durch die Globalisierung und die Digitalisierung. Abwarten hilft da nicht und auch nicht die bange Frage: „Was soll nur werden?“ Was hilft, ist einzig die Frage: „Was soll ich tun?“
„Und er sprach: Das will ich tun: Ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen und will darin sammeln all mein Korn und meine Güter.“ Der reiche Kornbauer ist nicht nur ein glücklicher, auch nicht nur ein realistischer und tatkräftiger, sondern zu alledem ein mutiger und vernünftiger Mensch. Mutig ist er, weil er sich von dem, was ihm lange Sicherheit bedeutete, trennt: Er reißt die alten Scheunen ab. Nur indem er Altes hinter sich lässt und zu neuen Ufern aufbricht, kann er den aktuellen Herausforderungen begegnen. Was er nun tun will, ist zudem absolut vernünftig: Nur durch den Bau größerer Scheunen wird er verhindern, dass die reiche Ernte verdirbt. Auch mit seinem Mut und mit seiner Vernunft zeigt der reiche Mann, wie auf große Herausforderungen angemessen reagiert werden kann.
Zu guter Letzt erweist sich der reiche Kornbauer auch noch als lebensfroh: „ … und will sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat für viele Jahre; habe nun Ruhe, iss und trink und habe guten Mut!“ Was für eine wunderbare Einstellung begegnet uns in diesem Menschen! Was für eine Lebensfreude strahlt der Mann aus! Wir Christen - und erst recht wir Protestanten mit unserem Pflichtbewusstsein - können uns daran ein Beispiel nehmen. Wir müssen dabei übrigens nicht befürchten, dass Gott eine solche Haltung missbilligen könnte. Im Buch des Predigers Salomo heißt es: „Darum pries ich die Freude, dass der Mensch nichts Besseres hat unter der Sonne, als zu essen und zu trinken und fröhlich zu sein. Das bleibt ihm bei seinem Mühen sein Leben lang, das Gott ihm gibt unter der Sonne.“ (Pred. 8,15) Und von Jesus wissen wir, dass er das beherzigte. So sehr, dass manche Leute ihn einen „Fresser und Weinsäufer“ nannten…
An dieser Stelle halten wir kurz inne und stellen fest: Der reiche Kornbauer weiß, wie das Leben geht. Alles fängt mit einem Glücksfall an. Aber dann handelt der Mann – realistisch und tatkräftig, mutig und vernünftig – und wirkt dabei nicht verbissen, nicht nur auf die Mehrung seines Reichtums fixiert, sondern lebensfroh. Man denkt, dass es von dieser Sorte viel mehr Menschen geben müsste…
Doch nun nimmt die Geschichte unvermittelt eine dramatische Wendung: „Aber Gott sprach zu ihm: Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wem wird dann gehören, was du bereitet hast?“ Mit diesem vernichtenden Urteil Gottes endet die Geschichte: „Du Narr! Du Idiot!“ Und auf die Frage „Wem wird dann gehören, was du angehäuft hast?“ kann der zuvor so lebenskluge Kornbauer nur kleinlaut antworten: „Ich weiß es nicht.“
In der biblischen Geschichte bleibt offen, worin der Fehler des Kornbauern, offenbar der Fehler seines Lebens, bestand. Er findet es nicht mehr heraus. Nur wenige Stunden nach diesem Urteil Gottes wird er aus dem Leben abberufen. Aber wir, wir können noch darüber nachdenken. Wir haben noch Zeit. Mindestens hier und jetzt im Gottesdienst am Buß- und Bettag. Deshalb fragen wir: Was hat der realistische, tatkräftige, mutige, vernünftige und lebensfrohe Kornbauer falsch gemacht, dass er so ein abruptes und vor allem so ein tragisches Ende findet?
Diese Frage hat offenbar schon den Evangelisten Lukas umgetrieben. Die meisten Bibelausleger vermuten, dass Lukas die Jesusgeschichten, die er vom Hörensagen kannte, nicht nur aufschrieb, sondern sie auch kommentierte und deutete. Die Geschichte vom reichen Kornbauern muss ihn derart herausgefordert haben, dass er gleich zwei Erklärungen für das tragische Ende des Kornbauern versuchte.
Die eine Erklärung stellt er der Geschichte voran: „Seht zu und hütet euch vor aller Habgier; denn niemand lebt davon, dass er viele Güter hat.“ Ehrlich gesagt überzeugt mich das nicht. Die Warnung vor Habgier ist zwar richtig und muss uns Menschen auch immer wieder eingeschärft werden. Beispiele von Habgier, zum Teil in gigantischem Ausmaß, gibt es leider zuhauf. Ein Beispiel dafür ist das Verhalten mehrerer Automobilkonzerne. Durch Manipulationen bei der Messung des Schadstoffausstoßes ihrer Fahrzeuge haben sie ihren Kunden materiellen und den Menschen in den Großstädten gesundheitlichen Schaden zugefügt. Habgier ist jedoch nicht nur einer Berufsgruppe vorbehalten. Wie könnte es sonst sein, dass Schwarzarbeit und Steuertricksereien zu einer Art Volkssport geworden sind? Aber: Darum geht es hier nicht. Ist der reiche Kornbauer habgierig? Ich meine: Nein. Dass seine Felder gut getragen haben, ist nicht Folge seiner Habgier. Und dass er die Früchte erhalten möchte, ist nicht verwerflich.
Überzeugender ist da schon die andere Deutung durch den Evangelisten Lukas. Er hat sie unmittelbar an das brutale Ende der Geschichte angehängt: „So geht es dem, der sich Schätze sammelt und ist nicht reich bei Gott.“
Der Kardinalfehler des Kornbauern ist also, so Lukas, dass er „nicht reich bei Gott“ ist. Tatsächlich kommt Gott in dem Selbstgespräch des Mannes nicht vor. Übrigens auch kein anderer Mensch: „Was soll ich tun? Ich habe nichts, wohin ich meine Früchte sammle. (…) Das will ich tun: Ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen und will darin sammeln all mein Korn und meine Güter und will sagen zu meiner Seele…“ Wie hätte der Mann wohl geredet, wenn er nicht nur reich an Gütern sondern auch reich bei Gott gewesen wäre? Vielleicht hätte er seine Rede mit einem Dank, einem Erntedank, begonnen. Mit Worten wie denen des 104. Psalms. Da heißt es: „Lobe den Herrn, meine Seele! Herr, mein Gott, du bist sehr herrlich; du bist schön und prächtig geschmückt (…) Es warten alle auf dich, dass du ihnen Speise gebest zur rechten Zeit. Wenn du ihnen gibst, so sammeln sie; wenn du deine Hand auftust, so werden sie mit Gutem gesättigt…“ Hier gibt es kein Ich, sondern ein mehrfaches Du, denn es ist Gott, aus dessen Händen wir alles empfangen und wir haben nichts, was uns nicht von ihm gegeben wäre…
Nachdem sich in dem Psalmgebet der Blick auf Gott und seine Güte gerichtet hat, werden wie von selbst auch die anderen Menschen wahrgenommen: „Es warten alle auf dich, dass du ihnen Speise gebest zur rechten Zeit.“ Wer seinen Blick auf Gott richtet, der nimmt auch wahr, was andere Menschen brauchen: Die Mutter, die ihr Kind nicht mit auf die Klassenfahrt schicken kann, weil sie das Geld dafür nicht hat. Der wohnungslose Mann, der ärztliche Versorgung braucht – und jemanden, der sich seine Lebensgeschichte anhört. Die geflüchtete Familie, die hier in Deutschland auf freundliche und kundige Menschen angewiesen ist. Die Kohlearbeiter in der Lausitz und im Rheinland, die ihre Arbeitsplätze verlieren werden, weil die Verbrennung von Kohle dem Klima und der Gesundheit schadet…
Wer alle diese Menschen in den Blick nimmt, liebe Gemeinde, der braucht dann allerdings den Realitätssinn und die Tatkraft, den Mut und die Vernunft des reichen Kornbauern. Den Realitätssinn, der zur Kenntnis nimmt, dass die Einkommen in Deutschland sehr ungleich verteilt sind und dass es in unserem Land arme Menschen gibt. Die Tatkraft, geflüchtete Menschen zu Behörden zu begleiten, Spielzeug für die Kinder zu beschaffen und Deutschkurse zu organisieren. Den Mut und die Vernunft, für einen Ausstieg aus der Braunkohle einzutreten und zugleich die Auswirkungen auf die Betroffenen nicht aus dem Blick zu verlieren. Bei solchen Bemühungen stellt sich übrigens nicht selten Lebensfreude ein – bei den Menschen, die Hilfe brauchen und bei jenen, die sich für sie stark machen.
Der reiche Kornbauer musste sterben. Das müssen wir auch. Vielleicht sogar so plötzlich wie er. Aber wir müssen keine Narren sein wie er einer war. Deshalb lasst uns reich sein bei Gott. Lasst uns innehalten und auf die Orgel hören, um dann gemeinsam zu singen und Gott zu bitten, dass er in unsere stolze Welt komme, unser Fühlen und Denken erfülle und unser Handeln leite.
Und der Friede Gottes…