Predigt im Abschlussgottesdienst der EKD-Synode 2019
Bischof Markus Dröge (Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz) in der Unterkirche der Frauenkirche Dresden
„Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen“, Mt 5,9
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.
I.
Zweimal habe ich, liebe Schwestern und Brüder, den Kanon „Dona nobis pacem“ in den letzten Wochen in Berlin gesungen.
Am 9. Oktober in der Gethsemanekirche. Dort haben wir des 9. Oktober 1989 gedacht, uns an den denkwürdigen Abend erinnert, als in Leipzig der Ring um die Innenstadt mit friedlich demonstrierenden Menschen geschlossen wurde. Und kein Schuss fiel. Das Kontakttelefon brachte die Nachricht an die Betenden in der Berliner Gethsemanekirche, die daraufhin nach draußen gingen, mit brennenden Kerzen. Sie waren dem Aufruf „Wachet und betet“ gefolgt, hatten der Inhaftierten in den Stasigefängnissen gedacht, und immer wieder gesungen: „Dona nobis pacem“. Die Kraft dieses Liedes war auch vor vier Wochen, an diesem Abend spürbar, an dem wir in der Gethsemanekirche die Inhaftierten unserer Tage in unser Gebet eingeschlossen haben.
Dann beim Festgottesdienst zum Reformationstag 2019: „Dona nobis pacem“, in der Zionskirche. Auch diese Kirche ein Ort der Opposition. Vor 30 Jahren war dort die Umweltbibliothek beheimatet. Wache Menschen haben Material gesammelt und Informationen über Umweltverschmutzungen in der DDR verbreitet. Ich hatte am Reformationstag Bruder Martin-Michael Passauer gebeten, die Liturgie zu leiten. 1989 war er Pfarrer an der benachbarten Sophiengemeinde und Persönlicher Referent von Bischof Gottfried Forck, später Generalsuperintendent des vereinten Berlin. Am Ende unseres Gottesdienstes, bat er die versammelte Festgemeinde beherzt, sich an den Händen zu fassen, damit wir, wie er sagte, die Kraft von damals spüren, wenn wir singen: Gib uns Frieden. „Dona nobis pacem“.
Heute sind wir hier in der Frauenkirche in Dresden. Vor 30 Jahren lag sie noch in Schutt und Asche. Ein Trümmerberg mitten in der Stadt. Der Altar eingemauert. Die Trümmer bepflanzt. Und vor diesem Trümmerberg Martin Luther als einsamer Mahner. Seit Beginn der 80er Jahre versammelten sich hier immer am 13. Februar, dem Jahrestag der Zerstörung Dresdens, junge Menschen mit Kerzen und zogen mit den Kerzen in die Kreuzkirche zur Friedensandacht mit dem Kreuzchor. Aus den Wunden des Krieges wurde ein Friedenssymbol. Ein Ort der Friedensbewegung in der DDR. Heute zeugen nur noch die dunklen Steine in der Wand und in der Kuppel von dem einstigen Trümmerberg. Heute weist das Nagelkreuz auf die Verbindung der Versöhnungszentren hin, hier in Dresden und weltweit. „Dona nobis pacem“.
II.
„Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen“ – Ja, es war eine friedliche Revolution, vor 30 Jahren, ein Geschenk Gottes. Aber zuvor war in der Kirche der DDR intensiv und nachhaltig für diesen Frieden gelernt, gearbeitet, gebetet worden.
„Eine Hoffnung lernt gehen“ – unter diesem Motto wurden in den Jahren 1988 und 1989 in der DDR ökumenische Versammlungen von 19 Kirchen einberufen. Es wurde beraten, wie Gerechtigkeit, Frieden und Schöpfungsbewahrung konkret in der DDR umgesetzt werden könnten. Globale Fragen wurden konkret.
Am 26. April 1989 wurde nicht weit von hier in der katholischen Hofkirche die dritte Versammlung eröffnet. Die Predigt hielt damals der Jenaer Professor für Praktische Theologie Klaus-Peter Hertzsch. Sein Lied vom Vertrauen in die neuen Wege, auf die der Herr uns führt, ist untrennbar mit dem Jahr 1989 verbunden.
Klaus Peter Hertzsch predigte über den Friedensgruß des Auferstandenen: „Schalom alechem! – Friede sei mit euch!“ Sechs Monate, bevor die Mauer zwischen Ost und West durchbrochen wird, spricht er über den Friedensgruß Jesu als Türöffner. Ich zitiere aus dieser Predigt:
„Was uns wirklich beunruhigen sollte, sind verschlossene Türen, hinter denen sie (sc. die Christen) sitzen. Heute oft noch ebenso wie zu den Zeiten des Petrus und Johannes. Verschlossene Türen haben etwas zu tun mit der Furcht, mit der Furcht vor den Menschen, mit der Furcht vor dem Fehlschlag, mit der Furcht vor der Zukunft. Furcht also vor den Menschen und zwischen den Menschen.
‚Aus Furcht vor den Juden‘. Wer die Geschichte der Christenheit kennt, der weiß natürlich, dass an die Stelle dieser Juden sehr bald andere getreten sind, um derentwillen die Christen sich abgeschottet haben: aus Furcht vor den Römern, aus Furcht vor den Türken, vor den Muslimen, aus Furcht vor den Polizisten oder den Anarchisten, aus Furcht vor den Atheisten und Kommunisten, aus Furcht vor den Fremden, aus Furcht vor Asiaten und Afrikanern. Aus Furcht, immer aus Furcht.
Doch wer die Geschichte der Christenheit kennt, weiß zudem, dass diese Szene sehr bald mit umgekehrten Rollen erzählt werden musste. Bei Johannes heißt es noch: ‚Aus Furcht vor den Juden‘. Aber nur wenige Jahrhunderte später wird es viel öfter heißen müssen: Da war eine kleine Versammlung von Juden hinter verschlossenen Türen aus Furcht vor den Christen. Da wechseln die Rollen schnell. Die sich gestern gefürchtet hatten, verbreiten dann Furcht. Weil ihnen gestern Angst war, darum machen sie dann anderen Angst.
Wenn man noch genauer zusieht, dann geschieht das zumeist gleichzeitig: sich fürchten und Furcht verbreiten, Angst haben und darum anderen Angst machen…. Da sitzen welche drinnen und fürchten sich vor denen, die draußen sind…. Und die draußen fürchten sich vor denen, die drinnen sind…. Wir belauern einander, wir bedrohen einander aus Furcht, immer aus Furcht! In diesen Dschungel der gegenseitigen Furcht, in diesem Teufelskreis aus Angsthaben und Angstmachen, aus Schlag und Gegenschlag, aus Bedrohtsein und Drohen, spricht er (sc. Jesus) den Friedensgruß hinein: Schalom alechem! …. Friede sei mit Euch! Seinem Friedensgruß will der Herr die Tür öffnen – die verschlossenen Türen, die verschlossenen Gesichter, die verschlossenen Münder, die verschlossenen Herzen. Dieser Friedensgruß soll deutlich machen, dass ein Frieden hinter verschlossenen Türen gar nicht möglich ist. Frieden ist angewiesen auf Offenheit, auf die Offenheit derer, die sich voreinander fürchten. Dass sie offen ihre Furcht aussprechen und offen sind für die Befürchtungen der anderen.“[1]
Prophetische Worte von Klaus-Peter Hertzsch, sechs Monate vor der Friedlichen Revolution, 30 Jahre alt. Sie haben nichts von ihrer Aktualität eingebüßt.
III.
„Selig sind, die Frieden stiften.“ Wir haben in den vergangenen Tagen intensiv darüber beraten, wie wir Friedensstifter sein können, jede und jeder Einzelne und wir als Kirche insgesamt, eine „Kirche der Gerechtigkeit und des Friedens“. Ja, wir nehmen diesen Auftrag ernst. Wir vermissen ihn, den Frieden, an so vielen Stellen und spüren die Sehnsucht, die uns umgibt.
Wir haben in den vergangenen Tagen aber auch darüber sprechen müssen, wie angeschlagen unsere Glaubwürdigkeit ist. Wir wurden erinnert an das Leid, das Menschen zugefügt wurde durch Menschen im Raum der Kirche – auch durch berufene Verkündiger der Versöhnungsbotschaft, denen sie Vertrauen entgegengebracht hatten und nicht nur bitter enttäuscht, sondern auch bleibend verletzt wurden. Und wir lernen immer tiefer verstehen, wie weit der Weg ist, das Vertrauen zurückzugewinnen.
Und wir haben in den vergangenen Tagen sehr wohl bewusst wahrgenommen, in welcher Welt voller Streit, Hass und Zerwürfnis wir Friedensstifter sein sollen. Wir beklagen die Verrohung der Dialogsitten und der Gesprächskultur in unserem Land. Aber wir müssen auch erkennen, dass es Risse der Unversöhnlichkeit gibt, die durch unsere Kirchen gehen, und wie schwer uns selbst Versöhnung fällt.
IV.
Deshalb, liebe Schwestern und Brüder: Bevor wir Friedensstifter werden können, müssen wir uns vom auferstandenen Christus den Frieden zusprechen lassen! „Friede sei mit Euch! Schalom alechem!“
Die wörtliche Übersetzung der hebräischen Worte heißt: „Friede mit euch.“
Das kann ein Wunsch sein: Friede sei mit euch.
Aber auch eine Zusage: Der Friede ist mit euch.
Beides geht davon aus, dass jeder Mensch zuerst des Friedens bedürftig, aber dann auch zum Frieden fähig ist.
Frieden stiften, das ist nicht nur ein Reden über den Frieden. Frieden stiften ist ein Tun, ein Gehen durch verschlossene Türen und Mauern, ein Aufeinander-Zugehen, ein Wahrnehmen der Ängste und Bedürfnisse, ein aktives Vertrauen gegen alle Enttäuschungen und Verletzungen.
Die Ökumenische Versammlung in Dresden vor 30 Jahren hat deutlich vor Augen geführt, dass Frieden immer konkret ist. Sie formuliert in ihrem Abschlussdokument:
„Als Versöhnte sollen wir das Evangelium des Friedens bezeugen (Eph 6,15). Wir brauchen eigenes und fremdes Unrecht nicht zu verschweigen. Wir können Fehler zugeben und bemühen uns um einen Lebensstil, der Versöhnung glaubhaft macht. Das geschieht unter anderem dadurch, dass wir uns für Gewaltfreiheit einsetzen, Benachteiligten zur Seite stehen, Militarismustendenzen auf allen Ebenen entgegentreten und Feindbilder und alle Formen von Rassismus ablehnen.“[2]
Erstaunlich aktuelle Worte!
V.
Ich habe im Bischofsamt der EKBO, als Westler im Osten, in den vergangenen zehn Jahren viel gelernt. Ich habe vor allem auch gelernt, dass wir noch nicht ausreichend aufeinander gehört haben, wir, die im Westen, und wir, die im Osten unseres Landes. Es gibt Faszinierendes in den Lebensgeschichten der Menschen, die zwei Gesellschaftssysteme in einem Leben erlebt haben, und es gibt geistliche Erfahrungen in der Geschichte der Kirche der DDR, die noch nicht entdeckt und für die Zukunft fruchtbar gemacht worden sind. Im kommenden Jahr feiern wir 30 Jahre Einheit. Ein guter Anlass, neue Gelegenheiten zum Gespräch zu schaffen.
Dass die Ökumenischen Versammlungen mit ihrer konkreten theologischen Arbeit die Friedfertigkeit der Friedlichen Revolution vorbereitet hat, wer erinnert sich heute noch daran? Die Friedliche Revolution war ein Wunder, ja, und ein Geschenk Gottes. Aber zuvor war intensiv und nachhaltig für den Frieden gelernt, gearbeitet, gebetet worden.
Was mich bis heute an diesen Ökumenischen Versammlungen fasziniert, ist der Geist, der dort wehte. Der Glaube ließ sich nicht in die von Menschen gebauten Mauern einsperren. Er wurde hinter Mauern Teil eines weltweit angelegten konziliaren Prozesses, in dem Christinnen und Christen, gemeinsam mit allen an den Themen interessierten Menschen in den unterschiedlichen politischen Systemen, miteinander Konkretionen erarbeitet haben, wie den Herausforderungen der Zeit begegnet werden konnte. Keine Sachzwänge, keine Mauer, keine Vergangenheit, keine begangenen Fehler, nichts hat die Christen damals davon abgehalten, konkrete Schritte des Friedens zu formulieren und zu gehen.
Diesen Geist wünsche ich mir auch für uns, für unsere Kirche, damit uns bei allen Herausforderungen nichts davon abhält, Frieden zu stiften.
Amen.
1 Große Predigten. 2000 Jahre Gottes Wort und christlicher Protest, hg. Von Johann Hinrich Claussen und Martin Rössler, Darmstadt 2015, S. 365f.
2 Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung. Die Ergebnisse der Ökumenischen Versammlung von Dresden-Magdeburg und Basel, Leipzig 1990, S. 104