Predigten anlässlich des Ökumenischen Gottesdienstes zum Gedenken an die Hinterbliebenen und Verstorbenen der Corona-Pandemie, 18. April 2021, 10.15 Uhr, Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, Berlin

Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, Landesbischof Dr. Heinrich Bedford-Strohm und Bischof Dr. Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz

Es gilt das gesprochenen Wort.

Lukas 24,13-27


Liebe Angehörige, liebe Gemeinde,

der Tod verändert alles. Es muss eine unendliche Trauer gewesen sein, die den beiden Jüngern auf dem Weg von Jerusalem nach Emmaus damals das Herz schwergemacht hat. Jesus war für sie zur wichtigsten Person im Leben geworden. Die tägliche Gemeinschaft mit ihm hatte ihnen Kraft gegeben. Jesus war ihr Leben! Und dann war alles ganz schnell gegangen. Verhaftung, Verhör, Hinrichtung am Kreuz. Tod. - Und eine tiefe Dunkelheit. Eine abgründige Leere. Eine lähmende Verzweiflung. Fragen: Hätten sie etwas tun können, um seinen Tod zu verhindern? Wie soll es weitergehen ohne ihn? Sie machen sich auf den Weg raus aus der Stadt, auf den Weg nach Emmaus. Um einfach erstmal weg zu sein, von dem, was passiert ist. Auch weg vom normalen Leben der anderen, das einfach weiter geht.

Heute gehen wir diesen Weg mit den Jüngern. Unter uns sind auch viele, die wie die beiden Jünger einen Menschen verloren haben, der zu den Liebsten gehörte, der vielleicht überhaupt der Liebste war. Die ihn so sehr vermissen. Sie teilen mit den Jüngern dieses Gefühl: Er könnte jetzt um die Ecke kommen und da sein. Aber er oder sie ist nicht da.

Menschen, die sich wie die beiden Jünger fragen: Hätte ich etwas tun können, um es zu verhindern? Habe ich die Pandemie nicht ernst genug genommen? Hätte ich den Menschen, der mir im Leben so nah war, auch im Sterben nicht noch besser begleiten müssen? Anstatt ohnmächtig diese Kontaktbeschränkungen hinzunehmen. Mir die letzte Umarmung zu verbieten. Oder bei der Beerdigung nur mit so wenigen Abschied zu nehmen. Vielleicht sogar ganz davon ausgeschlossen zu sein. Zu wissen: Es war zwar nicht meine Schuld, dass mir der Zutritt verwehrt wurde, und doch zu merken, wie falsch es sich anfühlt. Es fühlt sich an wie Schuld, mein Herz fühlt es so, auch wenn ich es vom Kopf her besser weiß. Und in dieses Gefühl mischt sich der Zorn, dem allem so ausgeliefert zu sein.

Es tut gut, jetzt nicht allein zu sein. Die Jünger gehen miteinander - immerhin zu zweit! Wir kennen das. Nur eine weitere Kontaktperson. Die sinnliche Erfahrung des Getragenseins in einer großen Gemeinschaft fehlt zwar jetzt, aber sie gehen  doch miteinander. Immerhin zu zweit. Nicht allein. Und sie reden. Sie teilen ihre Not. Sie geben so dem Schmerz Raum, fassen Trauer in Worte, teilen ihre Ohnmacht. So wie wir jetzt.

Wie ein Trauma legt sich die Krisenerfahrung der Pandemiezeit auf unsere Seele und schreit nach Heilung. Für die Verarbeitung  werden wir viel Zeit brauchen, erst recht unsere Kinder, unsere Heranwachsenden, für die diese Krise die Ausdehnung einer gefühlten Ewigkeit hat.

Die beiden aus Emmaus machen das richtig, sie reden miteinander und bearbeiten ihre traumatischen Erfahrungen, und plötzlich sind sie zu dritt. Ein Zuhörer zunächst nur. Dass er mehr sein könnte, als nur eine zufällige Begegnung, kommt ihnen für den Moment nicht in den Sinn. Denn ihre Augen sind gehalten, so heißt es. Sie sind noch nicht sehfähig für etwas, das über diesen Moment hinausgeht. Jesus lässt das zu, er lässt sie einfach erzählen. Er gibt ihnen Raum. Und hört zu. Die Jünger spüren seine Präsenz, seine Liebe, die Kraft, die von ihm ausgeht. Aber Jesus gibt sich nicht zu erkennen. Der Trost, die Hoffnung kommt langsam und in kleinen Dosen.

Es ist eine Kraft da in der Gemeinschaft der Trauernden, nur ganz tief drinnen in der Seele spüren sie es. Können dem noch keinen Namen geben. Aber sie ist da, als Nähe, Trost, als Hoffnung.

Können wir diese Kraft der Gemeinschaft spüren? Dass wir nicht alleine gehen? Dass Christus mit uns geht? Dass Gott an unserer Seite ist?

Predigt von Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, Vorsitzender des Rates der EKD, anlässlich des ökumenischen Gottesdienstes zum Gedenken an die Hinterbliebenen und Verstorbenen der Corona-Pandemie.

Predigt von Bischof Dr. Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz

anlässlich des ökumenischen Gottesdienstes zum Gedenken an die Hinterbliebenen und Verstorbenen der Corona-Pandemie
am 18. April 2021 in Berlin


Predigttext: Lukas 24,28–35


Ostergeschichten sind keine Märchen, die Weisheiten des Volkes in Szene setzen. Sie sind auch keine Mythen neben der Wirklichkeit, in die man flüchten kann, wenn es hier unerträglich wird. Ostergeschichten stehen mitten im Leben, so wie es ist – und wie es uns zugemutet ist.

Es ist gut, dass der Bundespräsident uns heute dazu einlädt, innezuhalten und der vielen Toten zu gedenken. Denn Krankheit, Sterben und Tod lassen sich in diesem langen Jahr nicht wegdrücken, sie schneiden tief ein in das Leben vieler Menschen. Ihr Bild hat sich auch verändert. Tod und Sterben sind uns näher gerückt als zuvor: Ich schaue beispielsweise jeden Tag einmal bewusst auf die Zahl der Verstorbenen und gedenke der Menschen in einem stillen Augenblick. Und gleichzeitig sind sie weiter weg, unsichtbarer, unberührbar. Von jetzt auf gleich müssen Patienten ins Krankenhaus, Abschiede sind holprig und überstürzt. Dann oft kein Besuch, kein Sich-Aussprechen, kein Trösten in der Angst, kein vergewissernder Blick in die Augen, keine vertraute Hand. Und auch nach dem Versterben ist alles anders als gewohnt: Wie wichtig wäre es, als Angehörige noch mit den Verstorbenen verweilen zu können; die Stille und den Frieden aufzunehmen, die einkehren; gegen den Schrecken letzte Worte zu sagen, die Liebe ausdrücken und Schmerz und Trauer und Verzeihen. Sterben an einer ansteckenden Krankheit lässt das alles nicht zu – nicht einmal ein Begräbnis, an dem viele teilnehmen, diesen Menschen würdigen und den Angehörigen beistehen. Es fehlt so viel. Verpasste Augenblicke sind verpasste Chancen – sie sind einmalig, da gibt es kein zweites Mal.

Ich habe es in meinem persönlichen Umfeld erlebt. Was hier alles fehlt, was einem an Nähe und Zuneigung geraubt wird durch die Pandemie, das verwundet die Seele. Ein junger Mann kennt sich selbst nicht wieder. Der Tod des Großvaters lässt ihn nicht los. Es arbeitet in ihm, Träume, Unruhe, Schlaflosigkeit, Kloß im Magen. „Traurigsein ist wohl etwas Natürliches“, hat jemand gesagt, „es ist ein Atemholen zur Freude“. Auch das ist jetzt ganz anders. Der anderen Weise des Sterbens in dieser Zeit entspricht oft eine andere Art der Trauer. Sie vergeht nicht einfach. Sie bleibt irgendwie stecken – und Menschen in ihr.

Ostergeschichten stehen mitten im Leben. Die beiden Freunde Jesu unterwegs nach Emmaus mussten Ähnliches erleben. Ihr Meister wurde einfach weggerissen. Unfassbar. Sie hatten auf diese eine Karte ihr ganzes Leben gesetzt. Und jetzt? Ostergeschichten sind Wegerfahrungen. Mit dem auferstandenen Christus unterwegs zu sein, das berührt und verändert. Das Schwere und Unbewältigte darf nicht einfach zur Seite geschoben, ins Unterbewusste gedrückt werden. Miteinander gehen hilft. Den Unerkannten dazu lassen. Erzählen ordnet und befreit. Deuten macht Sinn. Sich hinsetzen, miteinander essen und trinken – und siehe da: Das brennende Herz der Hoffnung ist wieder da.

Biblisch übersetzt bedeutet Hoffnung „gespannt sein“. Als Mensch ausgespannt sein zwischen Erfahrungen, die Halt geben und Fundament, und einer Verheißung im Glauben, die vorwärtsdrängt. Hoffnung wendet Müdigkeit, Erschlaffung und Depression. Hoffnung schenkt Mut und Widerstandskraft. Hoffnung motiviert zum Handeln.

Der Priesterpoet Andreas Knapp beschreibt sie so:

ausweglos
in der sackgasse
und doch steht in der mauer
dir eine türe offen

aussichtslos
in jeder beziehung
und doch spürst du
einen wärmenden blick

ausgebrannt
der innere mensch
und doch wartet glimmende glut
auf einen windstoß

ausgelaugt
in schlaflosen nächten
und doch staunen über das sternenlicht
das in die schwarzen pupillen fällt

ausgesetzt
in der sterbestunde
und doch im letzten atemzug noch
und doch

(Andreas Knapp, Tiefer als das Meer. Gedichte zum Glauben, Würzburg 2005, 71).

Die Ostergeschichte von Emmaus macht mir Mut. Unsere Toten finden ihren Weg ins Leben an der Hand des auferstandenen Jesus. Und auch die Trauernden werden gut begleitet ihren Weg zu neuer Lebensfreude finden. Und wir – miteinander und in Verantwortung füreinander – finden heraus aus dieser Pandemie. Denn Gott geht mit uns. Wir dürfen gespannt sein.

Predigt von Bischof Dr. Georg BätzingVorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, anlässlich des ökumenischen Gottesdienstes zum Gedenken an die Hinterbliebenen und Verstorbenen der Corona-Pandemie.