Predigt im Eröffnungsgottesdienst der Synode der EKD in der Martin-Luther- Kirche in Ulm
Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl
Es gilt das gesprochene Wort
„Wir schweigen nicht!“ So steht es auf diesem Flugblatt der Weisen Rose.
1942, als es verfasst wurde, hatte Deutschland ganz Europa mit Krieg überzogen. Schreckliche Verbrechen wurden begangen. Da wäre es gefährlich,
ja lebensgefährlich gewesen, ein Flugblatt so in der Hand zu halten. Es zu besitzen. Es zu lesen ... Es laut vorzulesen ... – In Deutschland herrschte ohrenbetäubendes Schweigen.
Und dennoch gab es Menschen ... Jugendliche! ... Die reden mussten ... Hier in dieser Kirche ... Hans und Susanne Hirzel, die Kinder des damaligen Pfarrers der Martin-Luther-Kirche, gingen hier ein und aus. Hans spielte bei Gottesdiensten die Orgel.
Aber der eigentliche Grund war ein anderer:
Hans und Susanne Hirzel, waren eng mit den Geschwistern Scholl befreundet. Familie Scholl lebte unmittelbar neben dem Ulmer Münster.
Im Januar 1943 hatte Hans Scholl ein Flugblatt verfasst und in München gedruckt. Seine Schwester Sophie Scholl packte 2000 Stück ein und brachte sie nach Ulm. Hans Hirzel sollte sie am Bahnhof übernehmen. Aber er war nicht da. Erst nachts im Pfarrgarten gelang die Übergabe – heimlich, denn sein Vater sollte nichts davon wissen. Versteckt wurden die Flug-blätter dort oben, in einer kleinen Kammer hinter der Orgel. Hier steckten die Freunde die Flugblätter in Umschläge. Hans brachte sie nach Stuttgart. Susanne Hirzel sorgte dafür, dass man sie am nächsten Tag in vielen Briefkästen fand.
All das geschah unter Lebensgefahr.
Doch die Freunde waren überzeugt: Die Deutschen müssen die Wahrheit lesen. Der Krieg ist eine große Sünde. Die Verbrechen werden auf sie zurückfallen. „Wir schweigen nicht“.
Hätten wir – hätte ich damals den Mut gehabt?
In allen Zeiten brauchen Menschen Mut, sich zu bekennen und nicht zu schweigen. Einer von ihnen war Paulus.
Manche von uns denken vielleicht: Paulus hatte es leicht. Immerhin hat Christus selbst zu ihm gesprochen. Dann zu glauben, ist eigentlich keine große Kunst.
Paulus aber weiß sehr wohl, was es bedeutet, sich öffentlich zu Christus zu bekennen: Oft wird er ausgelacht. Ja regelrecht angefeindet. Früher ein Christenverfolger. Jetzt die Seite gewechselt.
Paulus verdient weiter sein Geld als Zeltmacher. Er will, dass möglichst viele seine Erfahrung teilen und ihre Heimat im christlichen Glauben finden.
Deshalb gründet Paulus Gemeinden. Schreibt Briefe und macht viele Besuche – bald auch schlichtet er Streit. Denn wo Menschen zusammenkommen, bricht nicht automatisch Frieden aus. Auch wir Christinnen und Christen streiten.
So war es früher. So ist es heute.
Paulus hält mit seinen Überzeugungen nicht hinter dem Berg. All das zehrt an ihm. Vor allem die persönlichen Anfeindungen setzen ihm zu. Ständig unter Druck. Ein falsches Wort – schon kommt der Shitstorm. Das nagt an einem. Manche macht das krank. Auch in der Kirche.
Und trotzdem: Paulus macht weiter. Warum? Weil er erlebt: Gegen alles, was mich zu Boden zwingt und verzweifeln lässt, gibt es eine Gegenkraft. Christus lässt mich nicht allein! - Wo ich bin, da ist er auch. Ich frage: Wie soll das alles weitergehen? Mit ihm geht’s weiter.
„Ich glaube, deshalb rede ich.“ – sagt Paulus.
Welch ein Vertrauen! Kann ich, können wir das heute auch so glauben?
Ich hoffe schon.
Fest steht aber: wer das nachsprechen, ja nachleben will, braucht Mut. Und großen Mut, wenn die Verhältnisse nicht danach sind.
Vom Glauben reden, ist also kein Marketingkonzept für die Kirche. Ob die Menschen zustimmen oder den Kopf schütteln, kann nicht Maßstab sein. Natürlich muss die Kirche mit der Zeit gehen. Und natürlich müssen existentielle Fragen immer wieder neue beantwortet werden.
Aber die Kirche verkauft kein Produkt. Sie passt sich nicht dem Zeitgeist an. Das Wort Gottes zählt!
Letztlich muss jeder und jede für sich selbst entschieden, was das für den eigenen, den persönlichen Glauben bedeutet. Wer aber eine Antwort gefunden hat, soll dazu stehen. Vieles, was wir als Christinnen und Christen glauben, ist unbequem für andere. In der Gesellschaft erfahren manche Überzeugungen längst schon deutlichen Widerspruch.
Heute z. B. öffentlich für den Schutz des ungeborenen Lebens einzutreten, ist die Aufgabe der Kirchen. Davon bin ich überzeugt. Ich glaube, dass menschliches Leben von seinem ersten Beginn an bis zum letzten Atemzug Gottes Gabe ist und damit unantastbar bleibt. Das wollen viele nicht hören.
Aber wie kann dieser Schutz auch in Zukunft aufrechterhalten werden, ohne das Recht der Selbstbestimmung der Frau abzuschwächen? Mich treibt diese Frage um. Und trotzdem: Ich darf mich nicht verstecken. Ich muss sagen, was ich glaube – nicht besserwisserisch, nicht von oben herab. Aber ich glaube: Gott ist ein Freund des Lebens!
Vom Glauben reden. Ich bin der Überzeugung: Wir können uns vom Glauben anderer – liebe Elaheh, liebe Frau Rossburger – anstecken lassen.
Paulus schreibt von der Kraft, die der Glaube hat. Aber nicht in dem Sinne, dass man halt nur hart an sich arbeiten muss, um diesen Glauben zu haben.
Nein, der Glaube kommt nicht aus mir. Dazu ist meine Kraft viel zu klein.
Der Glaube und die Kraft, die er gibt, sind ein Geschenk. Ein Geschenk von Gott. Paulus schreibt:
„Wir tragen diesen Schatz in zerbrechlichen Gefäßen. So soll deutlich werden, dass unsere übergroße Kraft von Gott kommt und nicht aus uns selbst“.
Mich entlasten diese Worte. Sie tun mir gut. Sie sind nüchtern und zuversichtlich. Ich muss mich nicht verstellen. Als Menschen sind wir zerbrechliche Gefäße. Es braucht nicht viel und wir fallen auseinander. Wir zerbrechen an Erwartungen. Bequemlichkeit und Mutlosigkeit sind Grenzen, an die wir immer wieder stoßen.
Nein zu Antisemitismus. Da sind wir uns in der Kirche einig. Hoffentlich auch in der ganzen Gesellschaft. Aber öffentlich gegen Antisemitismus einstehen, so wie es jetzt gefragt ist, das ist unbequem.
Wir schauen auf das Land, indem unser Glaube seinen Ursprung hat. Nach Israel. Wir sehen: Den Terror und all seine schrecklichen Folgen. – Dort im Land, in der Region. Natürlich! Aber auch bei uns: Wir lesen davon, dass sich Jüdinnen und Juden in Deutschland nicht mehr sicher fühlen – ein schrecklicher Gedanke. Gerade hier in dieser Kirche, wo junge Menschen ihr Leben riskiert haben, um den Verfolgten beizustehen.
Es braucht nicht viel und wir fallen auseinander. Als Individuen – aber auch als Gesellschaft. Und Gott weiß das! Aber er lässt uns damit nicht allein.
Er gibt uns die Kraft. Sie kann Berge versetzen!
Oft spüre ich diese Kraft nicht.
Aber manchmal eben doch.
Sie ist einfach da.
Gott schenkt sie mir.
Spürst du die Kraft?
Mit dieser Kraft im Rücken schweigen wir nicht.
Wir können nicht anders als zu reden.
Lasst uns also reden!
Von unserem Glauben.
Von Gerechtigkeit.
Von Frieden.
Von Versöhnung, in einer Welt, des Unfriedens und des Terrors.
Schweige nicht!
Rede!
Um Gottes Willen.
Amen
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