EKD-Symposion "Potentiale des Alters"
Ehrenamtliches Engagement füllt gesellschaftliche Freiräume
In wenigen Jahrzehnten wird die ältere Generation in der Gesellschaft in der Mehrzahl sein. Über Potentiale, Produktivität und Leistungsbereitschaft älterer Menschen wurde am vergangenen Montag, 15. März, auf dem Symposion "Potentiale des Alters. Chance für Kirche und Gesellschaft" der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Altenarbeit (EAfA) diskutiert. Im Mittelpunkt der Referate und Gesprächsrunden standen Überlegungen zu Möglichkeiten und Chancen, diese Stärken in die Gesellschaft einzubeziehen.
"Verantwortung kennt keinen Ruhestand", auf diesen Aspekt fokussierte Monika Bauer, die Vorsitzende der EAfA, ihren Vortrag zu den Potentialen des Alters. Auch die Bibel kenne keine Entpflichtung im Alter - alle Menschen seien verpflichtet, die Erde zu bebauen und zu bewahren. Ein neuer Blick auf das Alter sei erforderlich, die altbekannten Leitbilder Aktivität und selbstbestimmte Freiheit seien nicht ausreichend. Strukturelle Neuorganisationen in Kirche und Gesellschaft müssten der Verantwortung und den Potentialen des Alters Raum geben. Die Potentiale des Alters seien keine Privatangelegenheit, sondern Chance und Aufgabe für die Öffentlichkeit.
Wie sich sein Wirtschaftsunternehmen die Erfahrungspotentiale und den Verantwortungswillen älterer Menschen zunutze macht, darüber berichtete Otmar Fahrion, Leiter des Unternehmens Fahrion Engineering. Nach seiner Erfahrung erfüllen gerade ältere Arbeitnehmer die Idealkriterien seines Planungsunternehmens für Fabriken. Die meisten der bei ihm eingestellten Ingenieure seien im Alter zwischen 45 bis 65 Jahren. Seine Erfahrung: "Ältere Arbeitnehmer sind wie Edelsteine." Sie zeigten im Vergleich zu ihren jüngeren Kollegen mehr Kompetenz, Stehvermögen, Flexibilität, Loyalität, Motivation und Einsatzbereitschaft. Unverständlicherweise würden trotzdem rund 60 Prozent der deutschen Unternehmen keine Arbeitnehmer einstellen, die älter als 50 Jahre alt seien.
Erich Noventa, Kirchenrat der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, stellte ein neues Projekt seiner Landeskirche vor, das sich an kirchliche Beschäftigte nach ihrer Verrentung richtet. Natürlich würden Betroffene zunächst ihre verdiente Freiheit auskosten wollen, räumte Noventa ein, doch nach rund einem Jahr würde häufig Interesse an neuem Engagement signalisiert. Ziel der Projekts sei es, den notwendigen Rollenwechsel der Beteiligten bewusst zu machen, ohne den ein beidseitiger Gewinn nicht möglich sei. Mögliche Aufgabenfelder könnten punktuelle Beratungen ebenso sein wie die Übernahme einer Mentorenrolle für jüngere Beschäftigte. Darüber hinaus solle möglichst eine Art "Denkwerkstatt" entstehen, die Kreativität und Innovation Raum gebe.
Neu überdacht werden müsse die "Versicherungsmentalität", die in Deutschland vorherrsche. Davon zeigte sich Konrad Hummel, Sozialreferent der Stadt Augsburg, überzeugt. Stattdessen müsse eine Vision des gesellschaftlichen Lebens entwickelt werden, an deren Gestaltung Alle beteiligt seien. Engagierte Bürgerinnen und Bürger in den öffentlichen Sektor des Handelns einzubringen, "birgt die Chance, Freiräume zu füllen, die die Gesellschaft in Zukunft immer mehr haben wird." Ehrenamtliches Engagement folge im übrigen weniger den Erfordernissen der sichtbaren Not, als vielmehr dem Lebensstil, der individuell gewünscht sei. "Die Frage, wo sich Jemand im Alter engagiert, ist ein Ausdruck seiner Identität im Alter." Die Kooperation von engagierten Bürgern und fachlicher Notwendigkeit sei daher oft schwierig.
Von den Erfahrungen aus der Projektwerkstatt für innovative Seniorenarbeit beim Evangelischen Erwachsenenbildungswerk Nordrhein berichtete die Diplompädagogin Karin Nell. Das betreffende "Netzwerk-Projekt" wolle als ehrenamtliches Dienstleistungsunternehmen neue Formen des bürgerschaftlichen Engagements erschließen. 29 Anlaufstellen zur Bündelung von Angeboten und Nachfragen in Bereichen wie Freizeitgestaltung, soziale Unterstützung und handwerkliche Dienstleistungen gebe es mittlerweile in Düsseldorf. Untergebracht seien sie zum großen Teil bei Kirchengemeinden und in Altenpflegeheimen. Für viele Interessierte bedeute ihr Engagement auch einen "Wiederkontakt" mit der Kirche, zeigt die Erfahrung von Karin Nell. In Zusammenarbeit mit städtischen Kultureinrichtungen gebe es außerdem ein Fortbildungsprogramm, das die Selbstorganisation von Kulturprogrammen von Älteren für ältere Menschen fördere und somit die Heranführung an ehrenamtliches Engagement zum Ziel habe.
Jahrzehntelang seien die Sozialleistungen erweitert und verbessert worden, resümierte Jürgen Schmude, früherer Bundesminister und ehemaliger Präses der Synode der EKD, in seinem Referat "Leben im Alter ohne Rollenklischee - Herausforderungen für die Kirche." Nun sei es die Aufgabe der Kirche, in Gesellschaft und Politik, Solidarität zwar weiter einzufordern, dabei aber auch auf die kommenden Pflichten für Jüngere und Ältere zu verweisen. Die Bibel fordere die Achtung und Ehrung der Alten. Eine Unterwerfung der Jüngeren fordere sie jedoch nicht. Die Kirche habe die Chance, den Austausch der unterschiedlichen Interessen der Generationen zu vermitteln. Grundsätzlich sei sie dazu verpflichtet, Belange und Interessen älterer Menschen in Gesellschaft und Politik zu vertreten. Mindestens genauso wichtig sei es aber, ältere Menschen dazu zu ermutigen, aus ihren Möglichkeiten das Beste für sich und andere zu machen. Auf den Prüfstand gehören seiner Meinung nach starre Altersgrenzen. Dies gelte für den Berufsausstieg ebenso wie für ehrenamtliches Engagement in der Kirche.
Hannover, 16. März 2004
Pressestelle der EKD
Anita Hartmann
Hinweis: Eine Dokumentation der Veranstaltung wird im Frühsommer 2004 erscheinen.