Bericht des Rates der EKD - Mündlich (Teil A)

7. Tagung der 12. Synode der EKD, 8. und 9. November 2020

Vorsitzender des Rates der EKD, Landesbischof Heinrich Bedford Strohm

Mündlicher Ratsbericht

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Es gilt das gesprochene Wort

Liebe Schwestern und Brüder,

es geht uns mit dieser Synode, wie es so vielen in diesen Tagen in Deutschland geht: Wir müssen in ungewöhnlichen Zeiten ungewöhnliche Wege wählen. Es ist aus Gründen, die wir alle kennen, nicht möglich, wie geplant, in Berlin zusammenzukommen. Und auch wenn wir für diese Tagung das Beste daraus machen werden, geht damit doch auch ein Schmerz einher.

Es ist die letzte Tagung der Synode in dieser Synodalperiode. Zeit, um das Zusammensein bei aller harten Arbeit, die solche Tagungen immer bedeuten, noch einmal zu genießen, um dankbar zurückzublicken auf sechs Jahre intensive Arbeit und um in dieser Konstellation Abschied voneinander zu nehmen. Das können wir jetzt nur auf digitalem Wege tun. Und auch der Dank, der am Ende dieser Tagung und damit der ganzen Synodalperiode auszudrücken sein wird, kann nur in die digitale Gemeinschaft hineingesprochen werden.

Aber nicht nur die Form, in der wir tagen, markiert einen Einschnitt. Auch der Inhalt dieser Synodentagung hat weitreichende Konsequenzen. Denn gleich drei wichtige Zukunftsprozesse, die uns in den letzten Jahren intensiv beschäftigt haben, münden in diese Synodentagung.

Unter dem Motto „Kirche auf gutem Grund“ hat die EKD im Sommer 2020 11 Leitsätze zur Weiterentwicklung der evangelischen Kirche veröffentlicht. Sie sind im kontinuierlichen Austausch mit den anderen beiden Prozessen entwickelt worden - dem Prozess für eine Finanzstrategie der EKD in den nächsten zehn Jahren, aber auch mit dem dritten der drei Prozesse, der sich mit der „Kirche im digitalen Wandel“ beschäftigt hat.

Die Aufnahme der intensiven Diskussion in Kirche und Öffentlichkeit hat dazu geführt, dass aus 11 Leitsätzen 12 geworden sind, die der Synode nun zur Diskussion vorliegen. Für mich ist der theologische Kern der Leitsätze, die ich heute ja noch separat einbringen werde, das Vertrauen auf Christus. Mehr dazu in der schriftlichen Fassung meines Berichtes.

Vertrauen ist auch das, was wir in der gegenwärtigen Situation der Welt am meisten brauchen. Denn wir sind in diesen Tagen eine verwundete Gesellschaft.

Zwar haben wir in den ersten Monaten der Pandemie dem Virus gemeinsam und entschlossen getrotzt und auch eine harte Lockdown-Zeit vergleichsweise gut überstanden, doch macht sich – das nehme ich wahr - jetzt zunehmende Erschöpfung breit. Die Geduld dafür, mit all den Einschränkungen umzugehen, droht zu Ende zu gehen. Wir merken: die Normalität kehrt nicht zurück. Und so viele Formen von Gemeinschaft drohen zu erodieren – Künstler*innen sind verzweifelt, weil sie nicht mehr auftreten können und für manches Geschäft oder Restaurant droht der zweite, etwas unpassend genannte “kleine Lockdown“ zum Todesstoß zu werden. So sehr wir beim Blick um uns herum in andere Länder Europas, die noch schlimmer betroffen sind als wir, und erst recht beim Blick auf die Eine Welt, auch viel Grund zur Dankbarkeit haben, so sehr haben auch hierzulande viele zu kämpfen.

Es sind viele Worte ausgetauscht worden über Versäumnisse und über Gelungenes in der ersten Phase der Pandemie. Wir haben gelernt, wie wenig Kontrolle wir über unser Leben haben. Wie verletzlich wir als Gesellschaft sind. Es war eine Erfahrung von Ohnmacht, die uns vielleicht in unserem persönlichen Leben vertraut ist, die wir aber als Gesellschaft so noch nicht kannten.

Auch als Kirche müssen wir diese Ohnmacht aushalten. Und uns immer wieder die Frage stellen, wo wir anderen etwas schuldig geblieben sind. Am meisten und am schmerzlichsten stellt sich diese Frage bei dem Gedanken an die Menschen, die gestorben sind, ohne dass jemand bei ihnen war, obwohl sie sich das so sehr gewünscht hätten.

Wir denken heute bei dieser Synodaltagung an die einsam Gestorbenen. Und wir trauern mit den Angehörigen, die sie nicht begleiten konnten. Und mit denen, die nicht Abschied nehmen konnten, weil sie wegen der Teilnahmebeschränkungen von den Beerdigungen ausgeschlossen waren.

Lasst uns Zeit für eine Minute Stille nehmen, um all das vor Gott zu bringen.

 (Schweigeminute)

Unsere verwundete Gesellschaft sehnt sich nach Heilung. Aber woher kommt Heilung in einer Situation, die von der schmerzlichen Erfahrung geprägt ist, dass wir eben nicht alles beeinflussen können, dass wir nicht über alles die Kontrolle haben? Wo liegen die Kraftquellen, um angesichts der schwierigen Situation ausreichend widerstandsfähig zu sein?

Für mich sind dabei die drei berühmten Worte aus dem 1. Korintherbrief „Glaube, Liebe, Hoffnung“ gerade jetzt von ganz zentraler Bedeutung.

Nach acht Monaten Pandemie brauchen wir als Gesellschaft in der öffentlichen Kommunikation neben dem richtigen Handeln auch stärkende Worte. Worte des Trostes, Worte, die der Seele wieder aufhelfen. Religiöse Ressourcen, der Glaube spielen eine wichtige Rolle für das, worauf es gerade jetzt ankommt und was die Wissenschaft „Resilienz“ nennt. Sie neu zu entdecken, dazu möchte ich heute Mut machen.

Ob wir mit Situationen umgehen können, die außerhalb unserer Kontrolle liegen, hängt auch davon ab, ob sie ein Gefühl der Willkür und des Ausgeliefertseins nach sich ziehen, oder ob wir sie in einen Sinnhorizont einordnen können, der uns dennoch aus dem Vertrauen leben lässt. Mit Psalm 23, wahrscheinlich dem bekanntesten aller Psalmen, sagen wir: Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln… Ob ich schon wanderte im finstern Tal, so fürchte ich kein Unglück, denn bist du bei mir. Dein Stecken und Stab trösten mich“. Und wir sagen damit: Gott behütet und begleitet uns. Und das gilt auch jetzt, wo wir nichts mehr kontrollieren können.

Neben dem Glauben ist die Liebe die zweite zentrale Dimension unseres christlichen Glaubens. Der christliche Glaube und das daraus erwachsende gelebte Zeugnis der Liebe der Christ*innen ist gerade jetzt in der Zeit der Pandemie von so unschätzbarer Bedeutung. Wir sind gefragt, unseren Glauben gerade jetzt mit unserem Leben zu bezeugen. Denn unser Land braucht beides: zum einen die Resilienz, um mit Dingen umzugehen, die nur bedingt zu ändern sind, sowie die Geduld, das auch über längere Zeit durchzuhalten. Und zum anderen die soziale Energie, die solche Widerstandskraft nicht auf den Raum des persönlichen Durchhaltens beschränkt, sondern daraus die Kraft gewinnt, einander beizustehen und Solidarität zu üben, besonders mit den Schwachen und Verletzlichen, und damit in schwierigen Zeiten den sozialen Zusammenhalt zu stärken.

Dass aus dem Glauben und der Liebe dann auch die dritte Dimension, die Hoffnung, erwächst, das ergibt sich fast von selbst. Denn die Hoffnung hat eine Quelle, auf die auch in den dunklen Zeiten fester Verlass ist: den Gott, der sein Volk durch gute und durch schwere Zeiten führt und selbst in den dunkelsten Stunden die Tür in die Zukunft öffnet.  Die biblische Tradition ist ein großer Narrativ der Hoffnung.

Ich habe die biblische Arche-Noah-Geschichte in diesem Jahr noch einmal ganz neu entdeckt. Sie ist nämlich eine Quarantäne-Geschichte mit gutem Ausgang.  Gott setzt nach der Sintflut einen Regenbogen in den Himmel und schließt einen ewigen Bund mit den Menschen: Nie wieder soll die Erde vernichtet werden. Es sollen nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht (Gen 8,22).

Für uns Christen findet dieser große Narrativ der Hoffnung seinen Höhepunkt und sein Zentrum in Kreuz und Auferstehung Jesu Christi. Es ist ein kühner Bogen, der im Matthäusevangelium so dicht beschrieben wird, vom Schrei Jesu am Kreuz „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“ hin zu jenem Wort am Ende des Evangeliums, das souverän zum Ausdruck bringt, dass Leid und Tod nicht das letzte Wort hat: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“ (Mt 28,18-20).

Die Botschaft von Glaube, Liebe und Hoffnung ist genau das Wort, was eine verwundete Gesellschaft heute braucht, um Heilung zu erfahren, Zuversicht zu behalten und gemeinsam zu handeln.

Die jetzt kommenden Gottesdienste des Kirchenjahres, die wir verantwortlich mit überzeugenden Hygienekonzepten feiern werden, nehmen Themen auf, die genau jetzt von hoher Relevanz sind. Sie zeugen, wie sehr das Kirchenjahr mitten hineinspricht in das Leben der Menschen. Der Volkstrauertag gibt uns die Möglichkeit einer kollektiven Trauer angesichts der Leiderfahrungen der letzten Monate, die wir – so unterschiedlich sie waren – eben auch gemeinsam gemacht haben.

Am Buß- und Bettag werden wir innehalten und darüber nachdenken, ob die Richtung in unserem Leben stimmt und wo wir Schuld auf uns geladen haben. „Wir werden uns viel zu verzeihen haben“ – hat der Bundesgesundheitsminister über die Zeit der Pandemie mit allen ihren Dilemmata-Entscheidungen gesagt – ein bemerkenswerter, treffend demütiger Satz, der hineinführt in die stärkende Kraft des Buß- und Bettages.

Auch der Ewigkeitssonntag wird in diesem Jahr eine ganz besondere Bedeutung haben. Wir werden um all die Menschen trauern und für sie beten, die in der Zeit der Pandemie gestorben sind. Ganz besonders für jene, die allein gestorben sind. Wir werden mit den Angehörigen sein, deren Seele damit fertig werden muss, dass sie in den Stunden des Sterbens ihrer Lieben nicht da sein konnten. Aber auch mit denen, die durch die Einschränkungen für Trauerfeiern nicht den Abschied nehmen konnten, den sie für ihre Seele gebraucht hätten.

Und dann werden wir Advent und Weihnachten feiern. „Fürchtet Euch nicht!“ ich hoffe, dass es uns gelingen wird, überall im Land diesen Ruf der Engel so zu verkünden, dass er die Herzen und Seelen der Menschen erreicht - in den Kirchen, digital, in Radio und Fernsehen und in Gottesdiensten draußen – dann eben mit warmer Skiunterwäsche.

Wir werden in diesem Jahr auch kraftvoll ökumenisch feiern. Und damit zum Ausdruck bringen, dass wir als Kirchen selbst praktizieren, was wir als Gesellschaft insgesamt brauchen: dass wir nämlich zusammenstehen und Spaltungen nicht vertiefen, sondern überwinden.

Gott wird Mensch, das ist der Kern der Weihnachtsbotschaft. Er wird nicht Deutscher, er wird nicht Europäer. Er wird Mensch. Und deswegen gehört es zu den tiefen christlichen Überzeugungen, dass der Horizont allen Handelns zur Überwindung der Pandemie ein weltweiter ist.

Unser kirchliches Hilfswerk Brot für die Welt steht für diesen weltweiten Horizont. Die Weihnachtsspende auf der Internetseite www.weihnachtskollekten.de ist gerade in diesem Jahr besonders wichtig.

Wofür unsere Hilfswerke stehen, muss auch eine zentrale Dimension unseres Handelns bleiben, wenn die unmittelbare Krise überwunden sein wird. Es sind theologische Gründe, es sind tief in biblisch basierter Frömmigkeitserfahrung verwurzelte Gründe, die uns in den Kirchen an die Seite derjenigen stellen, die sich heute für eine große Transformation einsetzen. Mit ihnen gemeinsam setzen wir uns ein für beherzte Schritte zur Begrenzung des Klimawandels. Wir streiten für Gerechtigkeit in den weltweiten Wirtschaftsbeziehungen. Wir treten ein für faire Löhne und ein Lieferkettengesetz, das sie garantiert. Wir engagieren uns für die Überwindung von Fluchtursachen ebenso wie für die unmittelbare Hilfe für Menschen auf der Flucht, ob in der zivilen Seenotrettung auf dem Mittelmeer oder in Asylgruppen in unseren Kirchengemeinden hier.

Neben allem Kummer gibt uns die Pandemie auch die Chance, innezuhalten und neue Wege zu beschreiten. Die Welt braucht diese Umkehr.

Die Wunden in unseren Gesellschaften hier und noch viel mehr weltweit sind tief. Weihnachten ist gerade deswegen so besonders in diesem Jahr, weil das Kind in der Krippe, dessen Geburt wir feiern, kein anderer ist als der verwundete Auferstandene. Klarer könnte die Botschaft nicht sein. Wo Verwundung ist, wird auch Heilung kommen. Wo das Alte verloren gegangen ist, wird etwas Neues kommen. In der Dunkelheit scheint ein Licht, das niemand mehr auslöschen kann.

Das immer wieder zu bezeugen, dieses Vertrauen auszustrahlen, es stellvertretend für alle Menschen im Gebet zu erbitten und im Tun umzusetzen, das ist die Aufgabe der Kirche in Zeiten der Pandemie.

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