Ratsbericht

Digitale 2. Tagung der 13. Synode der EKD, 7.-10. November 2021

Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der EKD

Video: Ratsbericht zur EKD-Synode 2021 in Bremen, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm

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Bericht des Rates der EKD (mündlich) zum Download
Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der EKD

Bericht des Rates der EKD (mündlich)

„Sehet, das Reich Gottes ist mitten unter euch“ (Lk 17,21)

Es gilt das gesprochene Wort

Liebe Schwestern und Brüder,

es wäre so schön gewesen! Es wäre so schön gewesen, wenn wir uns heute hier in Bremen alle miteinander hätten versammeln können, so wie wir es seit Monaten erhofft, ja ersehnt haben. Denn dass wir nun – entgegen allen Erwartungen – die Synodentagung erneut digital abhalten müssen, ist hart. Begeisterung über die tolle digitale Tagungsweise empfindet jetzt vermutlich niemand, bestenfalls vielleicht eine stille Dankbarkeit, dass die Tagung nicht komplett ausfallen muss. Aber es wäre jetzt Zeit gewesen, sich endlich physisch zusammenfinden zu können, ein Jahr nach den Wahlen, erst recht jetzt, da so wichtige personelle Zukunftsentscheidungen wie die Wahlen in den Rat der EKD stattfinden werden.

Es hilft nichts. Wir müssen die Situation jetzt so annehmen, wie sie ist und sie nach Kräften gestalten. Vielleicht ist es deswegen kein visionärer Aufbruchston, mit dem wir das Wort aus Lk 17,21 mitsprechen können, das ich über meinen letzten Bericht als Ratsvorsitzender der EKD gestellt habe. Mit einem trotzigen Hoffnungston können wir es vielleicht aber doch mitsprechen.

„Sehet, das Reich Gottes ist mitten unter euch“ dieses Wort hat mich in den letzten Wochen besonders begleitet. Zuletzt am vorletzten Wochenende als wir in der evangelischen Akademie Bad Boll Grund zum Feiern hatten. Wir feierten den 95. Geburtstag von Jürgen Moltmann, diesem großen Theologen des 20. Jahrhunderts. Die 19 Ehrendoktortitel, die er in aller Welt verliehen bekommen hat, sind nur ein äußerer Ausdruck der Bedeutung seiner Theologie, die Generationen von Theologinnen und Theologen geprägt hat. Wie kein anderer steht er für eine Theologie des Reiches Gottes, die die schon in der Gegenwart wirksame messianische Kraft Gottes ernstnimmt und durchdenkt. 

1. Kreuz und Hoffnung – das Reich Gottes unter uns

Zwei Buchtitel unter Moltmanns unzähligen Büchern, deren letztes vor wenigen Wochen erschienen ist und sich unter anderem mit der Corona-Pandemie beschäftigt, drücken aus, warum seine Theologie so hochaktuell ist. Das eine ist die 1964 erschienene „Theologie der Hoffnung“, die ihn mit einem Schlag weltberühmt gemacht hat und ihn zum weltweiten Inspirator der wenig später sich weltweit entwickelnden Befreiungstheologien gemacht hat. Und das andere ist das 1972 erschienene Buch „Der gekreuzigte Gott“.

Wer heute von Theologie der Hoffnung spricht, setzt sich zumal in Zeiten noch immer nicht überwundener Pandemie - schnell dem Verdacht aus, einen billigen Optimismus verbreiten zu wollen, den schon Dietrich Bonhoeffer kritisiert hat, der über die Abgründe menschlichen Leids hoffnungstrunken hinweggeht und die Verhältnisse damit krampfhaft beschönigt. Dass ein solch billiger Optimismus nichts zu tun hat mit der christlichen Hoffnung, wird deutlich, wenn wir den zweiten Buchtitel in den Blick nehmen: „Der gekreuzigte Gott“. Drastischer kann man die spezifisch christliche Sicht auf Hoffnung nicht zum Ausdruck bringen als durch diesen Titel. Denn er zeigt, dass es für den christlichen Glauben schlicht unmöglich ist, Hoffnung durch die Verdrängung von Leiden, Unrecht, Gewalt und Naturzerstörung zu erkaufen.

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2. Das Reformationsjubiläum 2017 als zentrale Wegstation

Das Gefühl des besonderen Moments, das Feiern als Reich-Gottes-Erfahrung, aber auch die Erfahrung von Buße und Selbstbesinnung, und eine besondere Impulskraft für Zukunftsprozesse, das alles hat sich konzentriert in dem so besonderen Reformationsjubiläumsjahr 2017.

Ich will an dieser Stelle keinen nostalgischen Rückblick auf ein Jahr halten, das auf allen Ebenen unserer Kirche so viele Höhepunkte enthielt, dass es sich durchaus lohnen würde, sie nochmal in Erinnerung zu rufen. Sondern ich will zwei Aspekte noch einmal aufgreifen, auf die ich als Wirkung dieses besonderen Jahres immer wieder stoße, die sich für meine Arbeit als Ratsvorsitzender als besonders folgenreich erwiesen haben und die auch für die Zukunft unserer Kirche von besonderer Bedeutung sind: die Ökumene und die Konsequenzen für die Kirchenentwicklung.

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2.2. Impulse zur Kirchenentwicklung

Das Zweite Herausragende, was wir aus dem Reformationsjubiläum in die dann folgenden Jahre mitgenommen haben und was die Arbeit der EKD auch mit dem neuen Rat in den nächsten Jahren mitprägen wird, sind die Impulse zur Kirchenentwicklung. Die Leitsätze der EKD sind wesentlich auch Frucht der Auswertung der Erfahrungen des Reformationsjahres. Der erste Schritt, mit dem die Arbeit des von der Synode beauftragten Z-Teams begonnen hat, war eine gründliche Auswertung der Erfahrungen des Reformationsjahres vor Ort. Eine wesentliche Erkenntnis unserer Auswertung war der besondere Erfolg von Veranstaltungen, die nicht im binnenkirchlichen Bereich stattfanden, sondern mit Partnern außerhalb der Kirche wie Theater, Museen, Kommunen oder Schulen.

Da präsent zu sein, wo sich das Leben der Menschen abspielt, anstatt darauf zu warten, dass die Menschen sich in die vorgegebenen Strukturen begeben, das war eine unserer Schlussfolgerungen. Dazu ist es notwendig, zuerst einmal den Sozialraum, in dem wir uns als Kirche bewegen, wahrzunehmen, seine Vielfalt zu sehen und sich nicht damit zufriedenzugeben, dass in unseren gemeindlichen Strukturen häufig ein großer Teil dieser Vielfalt schlicht fehlt.

Im vierten Leitsatz, an den ich heute noch einmal erinnern möchte, heißt es deswegen: „…es wird immer wichtiger, nach geeigneten Partnern aus der Zivilgesellschaft Ausschau zu halten und Themenkoalitionen einzugehen. Die Liebe zu den Menschen verbindet uns mit vielen; das Zeugnis für die Liebe Gottes macht unseren Dienst besonders. Wir öffnen bestehende kirchliche Strukturen für Kooperationen. Kirchengemeinden, Regionen und diakonische Einrichtungen richten ihre Aktivitäten zunehmend gemeinwesen- und sozialraumorientiert aus. Wo eine nachhaltige Abstimmung gelingt, werden wir eigene Angebote profilieren, konzentrieren und gegebenenfalls reduzieren. Das Reformationsjubiläum hat gezeigt, wie durch Kooperationen neue Kontaktflächen und Allianzen entstehen. Sie werden lebendig in gemeinsamen Projekten, herausragenden Events und persönlichen Begegnungen. Im Zugehen auf andere wird die evangelische Kirche nicht nur ihrer eigenen Sendung gerecht. Sie findet Gehör und leistet einen wichtigen Beitrag in der Gesellschaft. Zugleich kommen Menschen in Berührung mit Glauben und christlicher Gemeinschaft.“

In diese Richtung wollen wir weitergehen. Und - ich bin ungeheuer dankbar dafür, dass wir dabei endlich auch so viele junge Leute an Bord haben. Und zwar nicht nur als Matrosinnen und Matrosen, sondern – v.a. mit Anna Heinrich – auch auf der Brücke. Diese Präsenz junger Menschen gehört zu den Entwicklungen der letzten Jahre, für die ich am meisten dankbar bin. Und sie gehört zu den stärksten Aktivposten für eine ausstrahlungsstarke Kirche der Zukunft. Schon die entscheidenden Impulse, die junge Leute uns für die Weiterentwicklung der digitalen Präsenz unserer Kirche gegeben haben, haben das gezeigt. Ohne sie wäre die blitzschnelle Schaffung digitaler Gottesdienst-Formate und die massive Weiterentwicklung unserer digitalen Kommunikationskanäle zu Beginn der Lockdowns nicht möglich gewesen. Als Rat der EKD haben wir zum Abschied ein Büchlein gewidmet bekommen haben, das auch Sie als Synodale erhalten werden, in dem lauter unter 30-Jährige geschrieben haben und das folgenden Titel trägt: „Glauben, Leben, Zukunft. Wie die Generation Y Kirche 2030 denkt.“ Das war, das schönste Geschenk, das Ihr uns machen konntet. Danke dafür! Einfach toll!

Zur Kirchenentwicklung der nächsten Jahre gehört auch, dass wir als Landeskirchen in der EKD und als EKD-Leitungsebene bei den anstehenden Aufgaben weiterhin an einem Strang ziehen. Endlich an einem Strang ziehen. Dass das Verbindungsmodell zwischen EKD, VELKD und UEK nun zu einer echten Verbindung geworden ist, gehört zu den großen Fortschritten der vergangenen Ratsperiode, über die man angesichts der historisch gewachsenen Hindernisse gar nicht dankbar genug sein kann. Darin zeigt sich, dass mit viel guter Kommunikation und wechselseitiger Hörbereitschaft, aber auch dem Ernstnehmen des Auftrags zum Einssein, den Jesus Christus uns gegeben hat, tatsächlich Veränderung möglich ist. Genau das brauchen wir. In den Landeskirchen finden überall große Umbauprozesse statt. Die EKD-Ebene kann koordinieren, Erfahrungsaustausch organisieren und hilfreiche Impulse geben. Voran kommen wir nur gemeinsam.

Und die Veränderungen verdanken sich eben nicht allein der Notwendigkeit, mit weniger Geld auszukommen. Sie haben vor allem inhaltliche theologische Gründe. Wir wollen Kirche für und mit anderen sein. Wir wollen ernstnehmen, dass Gott in Christus die Welt mit sich versöhnt hat, nicht nur die Kirche. Denn er ist „mitten unter uns“ keineswegs nur in unseren eigenen Reihen, sondern überall dort, wo Menschen die Liebe Gottes erfahren und erfahrbar machen.

3. Sexualisierte Gewalt

Umso schlimmer ist es, wenn im Raum der Kirche selbst von Liebe nicht nur nichts zu spüren ist, sondern sie in unfassbarer Weise mit Füßen getreten wird, indem Seelen tief verletzt und Leben zuweilen unheilbar beschädigt oder gar zerstört werden.

Ein Thema, das uns als EKD weiter intensiv beschäftigen muss und wird, ist das Thema der sexualisierten Gewalt, das auch bei dieser Synodentagung großes Gewicht hat.

Verheiratet mit einer Frau die als Psychotherapeutin seit Jahrzehnten mit von Missbrauch Betroffenen arbeitet, begleitet mich das Thema persönlich seit langem. Und es kann mich nicht zufrieden sein lassen, wenn ich merke, wie schwer es uns trotz aller Bemühungen fällt, Menschen gerecht zu werden, denen im Raum der evangelischen Kirche und Diakonie tiefe Verletzungen mit manchmal lebenslangen Folgen zugefügt wurden.
Und so hat das Thema mich und den gesamten Rat durch unsere Amtszeit begleitet.

Wir sind manchen Schritt vorangekommen, aber dennoch muss ich an dieser Stelle auch selbstkritisch sagen: Wir sind noch nicht so weit gekommen, wie wir wollten.

Umso mehr gilt: Als evangelische Kirche dürfen wir nicht nachlassen in dem Bemühen, erschüttertes Vertrauen zurückzugewinnen.

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4. Umgang mit der Pandemie

In meinen letzten beiden Berichten habe ich ausführlich über die Pandemie, ihre theologische Interpretation und die Kraftquellen im Umgang damit gesprochen. Im Herbst 2021 gibt es Anlass, eines der schon früher behandelten Themen noch einmal aufzugreifen. Zu den größten Defiziten im Umgang mit der Pandemie weltweit gehört der extrem ungerechte Umgang mit der Verteilung des Impfstoffs. Während wir hierzulande fast verzweifelt dafür werben, dass mehr Menschen sich impfen lassen, weil das die einzig wirklich wirksame Möglichkeit ist, die Pandemie zu bekämpfen, hat ein großer Teil der Menschheit noch immer gar nicht die Möglichkeit dazu. Die Impfrate in Afrika liegt noch immer erst knapp über 5 %. Natürlich sind die Gründe vielfältig. Skepsis gegenüber dem Impfstoff aus dem Norden und Fehlinformation über seine Wirksamkeit gehören ebenso dazu wie schlechte Regierungsführung und mangelnde Verteilungskapazitäten. Der wichtigste Grund bleibt aber der Mangel an Impfstoff.

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5. Reife der Demokratie in Pandemiezeiten

Die Diskussionen um das Impfen und den Umgang mit der Pandemie fallen in eine Zeit des politischen Umbruchs in Deutschland. Nach der Bundestagswahl laufen nun die Koalitionsverhandlungen zur Bildung einer neuen Regierung. Unabhängig davon, wie man den Wahlausgang im Einzelnen beurteilt, kann man doch sagen, dass sich darin etwas gezeigt hat, was alles andere als selbstverständlich ist.

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6. Klimawandel

Wieviel empathische Energie bringen wir für die Menschen auf, die in 50 oder 80 Jahren leben werden? Die meisten von ihnen sind heute schon geboren! Und wir haben in der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen schmerzlich vor Augen geführt bekommen, welches Leid angerichtet wird, wieviele Menschenleben verloren gehen, wenn jetzt nicht grundlegend umgesteuert wird. „Alles, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen das tut ihnen auch.“ Die Goldene Regel Jesu aus der Bergpredigt (Mt 7,12) gilt ganz sicher gegenüber Menschen, die heute in anderen Teilen der Welt leben und durch Wetterextreme ihre Existenz verlieren. Aber sie gilt auch für die Menschen, die hier oder anderswo auf der Welt in Zukunft leben werden. Wer die wissenschaftliche Faktenlage nicht völlig ignoriert kann aus dem Liebesgebot und der Goldene Regel nur entschiedene Maßnahmen ableiten, die sicherstellen, dass auch unsere Kinder und Enkelkinder, die jetzt schon leben und die wir lieben, mindestens genauso gut leben können wie wir selbst.

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7. „Ich bin ein Fremdling gewesen…“

In meinem Bericht bei der konstituierenden Sitzung dieser Synode und insbesondere in der ihm folgenden Diskussion hat das Thema Seenotrettung eine besondere Rolle gespielt. Obwohl es in meinem Zeitbudget als Ratsvorsitzender und Landesbischof über all die Jahre gegenüber anderen Themen wie Glaubensverkündigung und Kirchenreform eine klar nachgeordnete Rolle spielte, hat es öffentlich überdurchschnittlich viel Beachtung gefunden. Und das ist für mich auch nachvollziehbar.

Denn es steht für etwas Grundsätzliches, bei dem man, ob man religiös musikalisch ist oder nicht, von der Kirche etwas erwartet. Es geht um Humanität. Es geht darum, ob wir das selbst ernstnehmen und auch gegen Gegenwind verteidigen, was die Basis unseres christlichen Menschenbildes ist: jeder Mensch ist geschaffen zum Bilde Gottes. Säkular formuliert: Die Menschenwürde gilt für jeden Menschen, egal, woher er kommt und egal was er glaubt und denkt.

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8. Reich Gottes und Welt

Liebe Schwestern und Brüder,

immer wieder machen wir die Erfahrung: was auf den ersten Blick nur als politische Diskussion erscheint, ist in Wirklichkeit ein Ringen um gelebten Glauben, um gelebte Liebe, um gelebte Hoffnung. Für uns Christinnen und Christen geht es darum die Zeichen des Reiches Gottes im Hier und Jetzt zu sehen. Das können wir aber nur, wenn wir wirklich aus der Kraft des Reiches Gottes leben. Deswegen hängt Frommsein und Politischsein so eng zusammen. Es geht darum, im Blick auf die Welt den gekreuzigten Gott zu sehen. Und beim Blick darauf zugleich den Horizont der Auferstehung Jesu Christi zu sehen.

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Deckblatt Ratsbericht Synode 2021 Bremen

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Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der EKD