Rede anlässlich der 70-jährigen Jubiläumsfeier des ÖRK am 23. August in Amsterdam
Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland
Liebe Schwestern und Brüder,
es ist wunderbar, hier zu sein – zusammen mit Christen aus den Niederlanden und aus allen Teilen der Welt – und froh zu sagen: Herzlichen Glückwunsch, ÖRK!! Es ist wunderbar, hier zu sein und zu spüren, was den ÖRK ausmacht. Die Bruder- und Schwesternschaft um Christus zu spüren, die uns jenseits unserer vielfältigen kulturellen und konfessionellen Hintergründe eng miteinander verbindet.
Ich danke Gott an diesem Tag für die Segnungen, die 70 Jahre ÖRK für die Kirche und für die Welt bedeutet haben. Der ÖRK ist lebendige Antwort gewesen auf die entscheidende Frage, die der Apostel Paulus der christlichen Gemeinde in Korinth gestellt hat: »Ist Christus etwa zerteilt?« (1 Kor 1,13). Wir alle kennen die Antwort: Es gibt keinen katholischen Christus, keinen orthodoxen Christus und keinen protestantischen Christus! Es gibt nur den einen Jesus Christus, der uns alle vereint. Wenn wir uns abfinden mit der Spaltung der Kirchen, verraten wir unseren Herrn Jesus Christus! Darum war ich so glücklich, dass wir das Reformationsjubiläum 2017 zum ersten Mal in der Geschichte der letzten 500 Jahre nicht feierten, um protestantische Identität durch die Herabwürdigung anderer zu beweisen, sondern als einen ökumenischen Ruf, Christus wiederzuentdecken, so wie Martin Luther selbst danach strebte, Christus wiederzuentdecken. Ich danke einer und einem Jeden in der weltweiten ökumenischen Bewegung, die diesen ökumenischen Geist verkörpert und gefördert haben und ein klares Zeugnis davon abgelegt, dass konfessionelle Traditionen niemals etwas anderes sein können als ein Fingerzeig auf unseren Herrn Jesus Christus.
Mit unserem Zeugnis der Einheit in Christus geben wir auch der Welt ein Zeugnis der Einheit – ein Zeugnis, das unsere Welt so verzweifelt braucht. In vielen Teilen der Welt sehen wir, wie politische Bewegungen zunehmen, die in ihren Programmen Spaltung, Intoleranz und die Verherrlichung ihrer eigenen Nation propagieren. Jahrzehnte eines stabilen gesellschaftlichen Konsenses haben ihre Macht verloren. Nationalismus, Rassismus und Ausgrenzung von Gruppen von Menschen scheinen plötzlich legitime Werkzeuge im politischen Wettbewerb zu sein – sogar im Zentrum der sogenannten freien Welt. Der ÖRK wurde vor 70 Jahren gegründet, um genau solche Spaltungen zu überwinden, die zu einem schrecklichen Weltkrieg mit vielen Millionen Opfern geführt hatten. Es ist daher Teil der DNA des ÖRK, die Sünde des aggressiven Nationalismus zu überwinden und für eine Welt zu kämpfen, in welcher jedes zum Bilde Gottes erschaffene menschliche Wesen in Würde leben kann.
Brüder und Schwestern, 70 Jahre später erneuern wir diese Verpflichtung. Wir verpflichten uns, Diener Christi zu sein und also gleichzeitig Diener einer Welt in Frieden und Gerechtigkeit. Wie die Weltmissionskonferenz in Arusha gerade betont hat: Der Dienst an Christus ist untrennbar verbunden mit dem Dienst an der Welt.
Lassen Sie mich Dietrich Bonhoeffer zitieren, der die theologische Begründung hierfür mit einer Klarheit benannt hat, die aus seinem Widerstand gegen Hitlers verbrecherisches Regime herrührte: »In Christus begegnet uns das Angebot, an der Gotteswirklichkeit und an der Weltwirklichkeit zugleich teilzunehmen, eines nicht ohne das andere. Die Wirklichkeit Gottes erschließt sich nicht anders, als indem sie mich ganz in die Weltwirklichkeit hineinstellt …«[i]
Daher ist Frömmigkeit eine mächtige Kraft, um politisch zu werden. Wenn wir vom Leiden der Welt und unserer geringsten Brüder und Schwestern wirklich bewegt werden, müssen wir uns einmischen, um dieses Leiden zu überwinden – und wenn die Gründe für dieses Leiden politisch sind, müssen wir zu einer öffentlichen Kirche werden, die Position bezieht, wenn es in öffentlichen Debatten zu Fragen geistlicher und ethischer Führung kommt.
Viele dieser Fragen können nur auf globaler Ebene verhandelt werden. Darum müsste der ÖRK jetzt dringend erfunden werden, wenn es ihn nicht schon gäbe. Die Kirchen sind in einem weltweiten Netzwerk wunderbar verbunden. Sie sind in lokalen Gemeinschaften auf der ganzen Welt begründet und leben gleichzeitig mit dem globalen Horizont eines neuen Himmels und einer neuen Erde. Von diesem Horizont der Hoffnung beflügelt sind die Kirchen gerufen, mächtige Mittler einer globalen Zivilgesellschaft zu sein. Meine Hoffnung für die Zukunft ist es, dass diese globale Dimension der Kirche in der Zukunft viel mehr Teil des täglichen Glaubens sein wird, wie er in unseren Kirchengemeinden lebendig ist, als er es heute ist, und dass wir alle dazu beitragen, den ÖRK in der globalen Öffentlichkeit viel sichtbarer werden zu lassen, als er es jetzt ist.
Brüder und Schwestern, freuen wir uns am Geschenk des ÖRK, das Gott uns gegeben hat, um Zeugen Christi in der Welt zu sein! Erneuern wir unsere Verpflichtung auf dieses Zeugnis! Öffnen wir unsere Herzen der Kraft des Heiligen Geistes, und lassen wir uns bewegen – bewegen, als die eine Kirche Jesu Christi vereint zu sein. Bewegen, sich in die Welt einzumischen. Bewegen, Botschafter der Hoffnung zu sein in einer Haltung, die Dietrich Bonhoeffer wunderbar ausgedrückt hat: »Mag sein, daß der Jüngste Tag morgen anbricht, dann wollen wir gern die Arbeit für eine bessere Zukunft aus der Hand legen, vorher aber nicht.«[ii]
Ich danke Ihnen allen, und Gott segne Sie!
[i] D. Bonhoeffer, Ethik, München 1958, 4. Auflage, 60.
[ii] D. Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, München 1970, 26.
Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland