Theologe, Visionär oder Kommunist?
Reformator Thomas Müntzer war eine umstrittene Person
Wir werfen einen Blick zurück auf die Reformatoren, die den Protestantismus ab dem 16. Jahrhundert mitgestaltet und geprägt haben. Auch wenn Martin Luther viel im Fokus steht – er war nicht der einzige große Kopf seiner Zeit. Dieser Teil der Reformatoren-Reihe beleuchtet das Leben von Thomas Müntzer.
Im Mai 1525 reitet Thomas Müntzer in die entscheidende Schlacht. Der Theologe und Prediger führt rund 300 Mann nach Frankenhausen im heutigen Thüringen, um das bis zu 8.000 Mann starke Bauernheer zu verstärken. Als Zeichen ihres Bundes mit Gott und als Symbol ihres Aufstandes gegen die Obrigkeit führen die bewaffneten Bauern eine weiße Fahne mit einem Regenbogen mit.
Zeitzeugen zufolge soll sich am Morgen des 15. Mai vor der Schlacht tatsächlich ein Regenbogen am Himmel gezeigt haben. Doch das gute Omen ist trügerisch: Rund 5.000 aufständische Bauern werden an diesem Tag vom Fürstenheer erschlagen. Auf der Gegenseite sollen sechs Tote gezählt worden sein. Der rund 35 Jahre alte Bauernführer Müntzer wird gefangenengenommen, zwei Tage lang gefoltert und am 27. Mai 1525 enthauptet. Die Bauern wehrten sich gegen rechtliche, politische und soziale Repressionen durch ihre Landesherren, Frankenhausen hatte sich im April 1525 zum Zentrum des Protestes entwickelt.
Eine umstrittene Person – damals und heute
Müntzer polarisiert bis heute und ist sicherlich die umstrittenste Person der Reformationsgeschichte. Als „Theologen der Revolution“, utopischen Visionär, ja frühen Kommunisten sah ihn der Philosoph Ernst Bloch. In der DDR zog man eine direkte Linie von den Bauernkriegen und Müntzer zum Arbeiter- und Bauernstaat. Sein Antlitz zierte lange die Fünf-Mark-Banknote in der DDR. 1975 erhielt Mühlhausen den offiziellen Beinamen „Thomas-Müntzer-Stadt“ – der aber 1991 wieder abgeschafft wurde. Kritiker sehen in Müntzer dagegen nur einen religiösen Fanatiker. Vor allem gilt der Protestant der ersten Stunde als der große Gegner von Martin Luther.
Vermutlich gegen Ende 1489 oder 1490 – auch von seinem Aussehen gibt es kein zeitgenössisches Bild – wird Müntzer in Stolberg im Harz als Sohn eines Handwerkers und einer Bäuerin geboren. Er durchläuft erfolgreich die klassische Bildung: 1506 schreibt er sich an der Fakultät in Leipzig ein, ab 1512 studiert er in Frankfurt an der Oder Theologie und Philosophie. Ab 1514 ist er Priester in mehreren Orten in Mitteldeutschland. Schon früh bekommt Müntzer Kontakt zu den Ideen der Reformation.
Religiöse Visionen mit Sozialkritik
1517/18, als Luther seine 95 Thesen veröffentlicht, studiert er zeitweise in Wittenberg, ab etwa 1519 gilt er als Lutheraner, 1520 wird er auf Empfehlung Luthers Prediger in Zwickau. Dort lernt Müntzer die sozialen Probleme einer damaligen Großstadt kennen und trifft auf schwärmerische Erweckungsbewegungen, die religiöse Visionen mit scharfer Sozialkritik verbinden.
Müntzer lebte sein Leben wie im Zeitraffer. Aus Zwickau wird er als Unruhestifter verjagt, er macht Station in Prag, dann wieder Wittenberg. Ab 1523 wird er Prediger in Allstedt, Sachsen-Anhalt. Dort gründet er mit der früheren Nonne Ottilie von Gersen eine Familie.
Radikaler Einsatz
Noch vor Luther reformiert er den Gottesdienst, verdeutscht die lateinische Messe und erneuert den Gemeindegesang. Das Volk soll zu seinen Predigten geströmt sein. Dieser wichtige Beitrag Müntzers für die Reformation ist Historikern zufolge bislang nicht genügend gewürdigt worden.
Müntzer, der „Knecht Gottes“, setzt sich aktiv für Arme und Ausgegrenzte ein. Doch dann radikalisiert er sich zunehmend, aus dem Schüler Luthers wird ein erbitterter Gegner, er geht in Opposition zu „den Wittenbergern“ und gehört damit zum sogenannten linken Flügel der Reformation. Luther keilt in der ihm eigenen Maßlosigkeit zurück, nennt Müntzer einen Satan. Dieses negative Müntzer-Bild wurde lange konserviert.
Ein Theologe in Zeiten des Umbruchs
Letztendlich war Müntzer aber eher Theologe als Revolutionär. Er wollte in erster Linie dem Reich Gottes den Weg bereiten – wie er auch das nahe Ende der Welt erwartete. Die Bauern hofften dagegen vor allem auf einen Ausweg aus ihren menschenunwürdigen Lebensumständen.
An Müntzer erinnert heute das Monumentalgemälde „Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“ des Leipziger Malers Werner Tübke auf dem Schlachtberg bei Bad Frankenhausen. Das Panorama wurde 1989 eröffnet, zur Zeit der politischen Wende in Deutschland – das passt zu Müntzer, der auch in einer Zeit der radikalen politischen Umbrüche lebte.
Stephan Cezanne (epd)