Dr. Christiane Florin, Köln
4. Tagung der 12. Synode der EKD, 12. - 15. November 2017 in Bonn
Es gilt das gesprochene Wort
Impuls
zum Schwerpunktthema – Zukunft auf gutem Grund
„Ökumene – was soll das sein? Ein journalistischer Zwischenruf“
Dr. Christiane Florin
I. Bossa-Nova und Ballett: etwas Lob vorweg
Meine sehr fromme Tante wurde in den 1960er Jahren geschieden. Wenn sie sich jemandem vorstellte, sagte sie: Mein Name ist Christine Pahlke, ich bin unschuldig geschieden. Eine zerbrochene Ehe war damals in einem katholischen Dorf, gar nicht weit von hier, eine Schande. Mit dem Wörtchen "unschuldig" konnte sie, so glaubte sie, diese Schande mindern, auch wenn es nur ein weltliches Gericht war, das die Absolution erteilt hatte. Wenn später, in den 70ern, in unserer Familie von dieser Scheidung gesprochen wurde, seufzte meine Großmutter: Warum musste sie denn auch unbedingt einen Protestanten heiraten. Noch dazu einen Flüchtling. Schuld war nur der Bossa-Nova, behauptet ein alter Schlager. Schuld sind nur die Protestanten, hieß der katholische Standardtanz.
Am Reformationstag haben wir im Deutschlandfunk ein Interview mit der Schriftstellerin Ulla Hahn gesendet. Sie stammt auch aus einer ökumenischen Problemzone. In ihrem autobiografisch inspirierten Romanvierteiler rund um das Arbeiterkind Hilla Palm erzählt sie davon. Wie viele evangelische Kinder sie in den 50er Jahren gekannt hat, habe ich sie gefragt. Ihre Antwort: "Gar keine. Die waren auf dem Schulhof die Personen, die in den Pausen in kleinen Ecken stehen durften, während wir mit unserer katholischen Übermacht den Schulhof quasi okkupiert haben. Nein, ich habe keine gekannt." Als sie sich in einen evangelischen Jungen verliebt habe, sei die Familie in Aufruhr gewesen. Die Beziehung ging schnell in die Brüche.
Die konfessionellen Machtverhältnisse auf Schulhöfen und Heiratsmärkten waren die Tiefausläufer eines blutigen, ausdauernden Kampfes um den richtigen Gott, die richtige Rechtfertigung, die richtige Gnade. "Wir sind alle Kinder von Glaubenskriegern", sagt Tillmann Bendikowski, Autor eines populärwissenschaftlichen Buchs über die Reformation. Allein für derart demütig stimmende Erkenntnisse sind Jubiläen praktisch, erst recht, wenn sie ein halbes Jahrtausend umfassen.
Die Feier der Reformation 2017 geht gerade nahtlos über in das Gedenken an den Beginn des Dreißigjährigen Krieges 2018. Aus Konfessionskriegen wurden Raufereien, aus Raufereien theologische Tritte vors Schienbein – Sie wissen schon: "nicht Kirche im eigentlichen Sinne". Es gab Schritte vor und zurück. Mittlerweile sieht der Spitzentanz der beiden Kirchenoberen wie ein Ballett aus.
Vom Dreißigjährigen Krieg bis zu so manchem dreißigjährigen evangelisch-katholischem Ehejubiläum – das ist eine Erfolgsgeschichte. Ein Wunder. Seit dem Reformationstag von Lund sogar ein vom Vatikan anerkanntes. Es wurde möglich, weil es immer Menschen beider Konfessionen gab, die daran glaubten, obwohl Wunder doch katholischer Kinderglaube sind. Es war möglich, weil Menschen auf ihr Gewissen hörten, obwohl das Gewissen – wie mir mal ein konservativer Katholik zuraunte – eine evangelische Erfindung sein soll. Jedenfalls dann, wenn es zu einem anderen Ergebnis kommt als die Kirchenleitung. Und dieser Erfolg war möglich, weil für Gläubige die Trotzphase niemals endet. Trotz so manchem Heiligem Vater, trotz so manchem Tritt und Rückschritt wurde dieser Stand erreicht.
II. Betreute Begeisterung - journalistische Reflexe
Das muss als Lobeshymne erst einmal genügen. Journalistisch betrachtet macht Erfolg bisweilen erotisch. Für den Erfolg der Ökumene gilt das nicht.
Das Wort klingt so wie früher, in der Schule, wenn im Winter die Lehrerin in die Hände klatschte, das Fenster aufriss und "Endlich frische Luft!" ausrief. Dabei war das Gros der Klasse ganz zufrieden. "Los, los, Ökumene!" – das hat etwas Gouvernantenhaftes, etwas per se Gutes, etwas von betreuter Begeisterung.
"Wenn ich mich nach dir sehne, ist das dann auch Ökumene?", hat mein dichtender Christ&-Welt-Kollege und Biermann-Freund Andreas Öhler gern gespottet. Als wir es druckten, gab es böse Leserbriefe, so dürfe man nicht darüber reden. Das Wort Sehnsucht fiel beim Besuch der EKD in Rom im Februar 2017. Wenn die Sehnsucht nach Gemeinsamkeit größer gewesen wäre als die Sehnsucht, Recht zu behalten und wenn das Leiden an der Trennung größer wäre als das Leiden an Deutungshoheitsverlusten, dann wäre sicher mehr erreicht.
In Redaktionskonferenzen – wenn es nicht gerade eine Fachredaktion ist - löst das Wort Ökumene eine ähnliche Euphorie aus wie "Ehe-Katechese". Die besser Informierten sagen: Ökumene – das ist doch diese Sache mit dem gemeinsamen Abendmahl, das nicht zustande kommt. Die Älteren erinnern sich: Da gab es doch mal Ärger mit einem Herrn Hasenbergerl oder so ähnlich. Sich nicht an einen Tisch zu setzen – das ist ein einprägsames Negativ-Bild, ganz gleich, wie gut begründet die Angst ums theologische Tafelsilber der Tischordnungsverwalter sein mag. Mein journalistischer Impuls ist: Solange kein Termin feststeht, einfach eine öffentliche Abendmahls-Ankündigungs-Fasten-Aktion einlegen. Erst wieder davon reden, wenn die Einladung verschickt werden kann. Ansonsten verschleißt sich der Cliffhanger Abendmahl genauso wie die dramatische Schlussmusik bei der 1648. Folge der "Lindenstraße".
An manchen in der Redaktionsrunde ist auch der mediale Abendmahlskelch vorübergegangen. Sie fragen: Ökumene – gibt es dafür auch ein deutsches Wort?
Gute Frage, die ich gern an Fachkräfte weiterreiche. Auch sie haben keine griffige Antwort. Experten beschreiben Ökumene vor allem als das, was sie nicht ist. Eine Einheitskirche sei nicht erstrebenswert, sagt Margot Käßmann. Bloß keine Einheitsbibel, sagen alle, die sich in der neuen Ausgabe von Luther-Bibel und Einheitsübersetzung an protestantischen Propria und katholischen Kommata ergötzen. Ökumene heißt nicht: Die evangelischen Christen begeben sich reuig in die Obhut der Una Sancta und ordnen sich dem Papst unter, auch wenn Kölns Erzbischof Rainer Maria Woelki kurz vor dem Höhepunkt des Reformationsjubiläums an all die Unterschiede in der Moraltheologie und im Amtsverständnis erinnerte, und dabei das "unschuldig geschieden" meiner Tante mit. An mir liegt’s nicht, die Protestanten sind schuld.
Das Gegenmodell zur Reue-Rückkehr-Ökumene ist die Konvergenz in die andere Richtung. Das dürfte das unter Journalisten favorisierte Modell sein, wenn sie nicht gerade Feuilletonkatholiken sind: Der Papst erlaubt die Priesterinnenweihe, lässt Pfarrerinnen und Pfarrer heiraten, das Volk macht weniger Wirbel um Maria und die Theologen stellen sich nicht so an bei der Frage, ob Christus nun leibhaftig anwesend ist in Brot und Wein.
III. Wenn alle so wären wie ich…: Ökumene politisch betrachtet
Ökumene heißt weder das eine noch das andere. Was bedeutet es aber dann?
Ökumene ist weniger ein klar definiertes Ziel als eine Lebenshaltung. Das Wort beschreibt meiner Ansicht nach eher einen kulturellen als einen theologischen Prozess. Derzeit werden Identitätsfragen stark ideologisiert: das Geschlecht, die Religion, die Nation, das Wir, das Andere, das Eigene, das Fremde. Ängste bestimmen die Politik stärker als Verheißungen; Erfolge feiert, wer den Ängstlichen einen Schuldigen anbietet: "die" Flüchtlinge, "die" Merkel, "den" Staatsfunk. Just in dieser Zeit ent-ideologisieren Katholiken und Protestanten ihre Differenz, sie bemühen sich um – Luther hätte über das Wort gespottet – wertschätzende Kommunikation. Wobei angesichts der Geschichte Wertschätzung schon darin bestehen kann, Abwertung zu vermeiden.
Der EKD-Ratsvorsitzende und der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz haken einander demonstrativ unter. Sie wirken in diesem Jahr so unzertrennlich, dass ich schon dachte, es gebe zusätzlich zum Playmobil-Reformator auch die beiden zusammengeschweißt als Plastik-Doppelfigur.
Hätte eine Frau an der Spitze der EKD gestanden, wäre vermutlich weiter von versöhnter Verschiedenheit die Rede gewesen. Aber jetzt hat Ökumene die allerhöchste Weihe einer Männerfreundschaft. Katholischen Frauen bleibt die Weihe weiterhin erspart. Das erklärte Papst Franziskus in einem Flugzeuginterview, just nachdem er in Lund eine lutherische Erzbischöfin geherzt hatte.
In diesem ökumenischen Lebensgefühl gibt keiner Kompetenzen und Deutungshoheit ab, keiner mischt sich in die inneren Angelegenheiten des anderen, keiner mutet dem anderen etwas zu. Das sieht zunächst nach oberflächlicher Party-Stimmung aus, aber es geht doch tiefer. Diese Haltung steht quer zu einem populistischen Zeitgeist, der dem Gedanken huldigt: Wenn alle so wären wie wir, dann ...
Ökumene 2017 heißt: Die Mitte und die Spitzen der Kirchen glauben nicht mehr daran, dass die Welt besser wäre, wenn entweder alle katholisch oder evangelisch wären. Es ist nicht immer der jeweils andere schuld.
Ökumene 2017 lässt den anderen anders sein. Das ist ein starkes Zeichen.
Oder – je nach Perspektive – ein starkes Stück. Rechtskatholiken und Evangelikale sehen in der gerade beschriebenen Ökumene einen Identitätsverlust. Die Ränder beider Kirchen berühren sich im Kampf gegen den Islam und gegen das, was sie für Gender halten. Sie docken an populistische Bewegungen an, um die Kräfte für einen Kulturkampf zu bündeln. Der Jesuit und Papstvertraute Antonio Spadaro hat diese Allianzen treffend eine "Ökumene des Hasses" genannt. Populisten sind geradezu süchtig danach, die vermeintlich Schuldigen – Muslime, Linke, Liberale -– ans Volk auszuliefern.
Wesentlich schärfer als die Trennlinie zwischen den Konfessionen ist diese Spaltung innerhalb der Konfessionen. Die Pole der Polarisierung heißen nicht mehr katholisch und evangelisch, sondern autoritär oder liberal. Sehnsucht nach klarer Ansage kollidiert mit Pluralismusfähigkeit. Die Kirchen schrumpfen. Wer bleibt? Schrumpfen sie sich krank? Vielleicht sind diese Identitären, die das christliche Abendland gepachtet zu haben glauben, der Heilige Rest beider Konfessionen. Sie brennen, bekennen und bekämpfen, sie sammeln eifrig Geld und Anhänger. Ich bekenne: Ich bin eine laue Katholikin, das aber mit Leidenschaft. Schon allein deshalb, weil ich die Leidenschaft nicht den Pluralismusverächtern überlassen will.
IV. Kleine Riesen, große Zwerge: die öffentliche Ökumene
Pluralismus schätzen heißt auch: sich keine falschen Alternativen aufzwingen lassen. Die jüngeren Debatten stecken voller falscher Alternativen: Sollen sich die Kirchen politisch einmischen oder nicht? Hat die Moral den Glauben an Gott ersetzt? Dominiert Gefühligkeit über Intellekt? Ganz absurd wird es, wenn Gefühlsüberschuss und Östrogenüberschuss unter dem Schlagwort Verweiblichung kurzgeschlossen werden.
Natürlich sollen sich beide Kirchen politisch und gesellschaftlich einmischen, nicht ob ist die Frage, sondern wie. Das Jahr des Reformationsjubiläums war in dieser Hinsicht ernüchternd.
Beide Kirchen fielen 2017 nicht – wie ihnen gern vorgeworfen wird – dadurch auf, dass sie sich zu viel in Politik und Gesellschaft einmischen, sondern dadurch, dass sie es sich auf der großen Bühne zu leicht machen: zu wenig ringend, zu wenig ernsthaft, zu wenig geistesgegenwärtig. Prominenz ersetzt Relevanz. Zur Schau gestellt wurde oft eine Ökumene der Belanglosigkeit, eine Mischung aus Scheinriesentum und Selbstverzwergung. Toleranz, miteinander reden, irgendwas gegen die AfD und für das Grundgesetz. Das passt immer. Das ist so anschlussfähig wie ein Playmobil-Luther, der mit ein paar Kunstgriffen in einen Astronauten, einen Lokführer oder eine Krankenschwester verwandelt werden kann.
Der Cordon Sanitaire gegen Hass auf die Schwächsten ist wichtig, aber wenn man ihn so dürftig begründet, wird er nicht halten. Zu viele Texte entstehen, weil es eine Kommission gibt, die Texte entstehen lassen soll. Der Wunsch siegt meistens über die Wirklichkeit, das Reden übers Zuhören, das Appellieren übers Fragen. In großen Ansprachen und in kleinen Morgenandachten im Radio illustriert der sogenannte lebensweltliche Einstieg nur das, was man ohnehin sagen wollte.
Die Kirchen brauchen, wenn ihre Vertreter öffentlich sprechen, einen wachen Blick auf die Gesellschaft. Das Vokabular klingt allerdings schon schläfrig. Ökumenische Schriften zur Wirtschaftsethik werden lange abgestimmt, um dann "Der Mensch im Mittelpunkt" oder so ähnlich zu heißen. In Wirklichkeit gerät der Mensch unter Druck, weil er nicht so perfekt ist wie eine Maschine. Die Digitalisierung ist kein rein technischer Prozess, sie ist ähnlich umwälzend wie die Industrialisierung. Sie verändert jedes Leben. Wenn ich mein Gesicht ins iPhone X halte, macht das vielleicht auch etwas mit der Gottesebenbildlichkeit des Menschen.
Auch hier geht es nicht um falsche Alternative zwischen Verherrlichen und Verdammen des Neuen, sondern um das genaue Betrachten, die besondere Perspektive.
Die Kirchen binden noch immer mehr Menschen als Sportvereine und Parteien, und Millionen tun ganz praktisch etwas für den Zusammenhalt. Aber dass es ein Übermaß an inspirierenden Wortmeldungen zu gesellschaftlichen Großthemen gibt, die sich aus der Auseinandersetzung mit Gott und dem Evangelium speisen, würde ich nicht behaupten. Dass Theologen gefragte Intellektuelle sind, auch nicht.
Christentum ist Nächstenliebe, der Glaube spendet Trost in schweren Stunden – und sonst? Es gibt in beiden Kirchen wenig Orte, an denen über die viel beschworene Botschaft gesprochen wird. Was ich wirklich glaube – und nicht, was ich glauben soll – ist selten ein Thema, das überlässt man gern den ganz Frommen. Wenn aber die Kirchen eine besondere Perspektive jenseits der Gott-ist-die-Liebe-Floskelei beisteuern wollen, dann muss man darüber reden: über Gott, das Existenzielle, das Individuelle, das Vertraute und das Befremdende dieser Religion namens Christentum.
Eine Denkkonkurrenz um die beste Perspektive, eine kluge, heilsame Auseinandersetzung mit allen Facetten der Modernisierung – das wäre eine belangvolle Ökumene.
V. Verzweifelt gut gelaunt – die Ökumene der Probleme
"Hört auf, verliebt zu sein in die Krise!", mahnte Heinrich-Bedford Strohm in seiner Predigt am Reformationstag. Das erinnert an Motivationscoaches, die einem beibringen, von "Herausforderungen" statt von "Problemen" zu sprechen. Nur: Die Demokratien stecken in der Krise und die Kirchen auch. Es gibt eine Ökumene der Probleme. Ich glaube nicht, dass Luther den Ablass eine Herausforderung genannt hat. Jetzt lächeln Bischöfe kritische Fragen ihrer eigenen Basis als Kulturpessimismus weg.
Ein verzweifelter Gute-Laune-Ton macht sich breit. Bisher lässt sich über vieles noch leicht hinwegsehen: Die Kirchen haben Geld, die Spitzenpolitiker sind da, die öffentlich-rechtlichen Sender berichten. Die Reste der Volkskirche tun sich mit den Resten der Volksparteien zusammen, das macht immer noch etwas her.
Zur Party kamen die, die ohnehin da oder wenigstens nah sind. Die Katholiken übrigens gleich mit. Das ist nicht selbstverständlich, das ist auch nicht wenig. Dennoch erstaunt die Selbstgenügsamkeit. Früher wurde zu viel Schuld zugewiesen, jetzt aber wird auffallend ungern nach Verantwortung gefragt. Schuld ist immer die Säkularisierung.
Ob das institutionelle Gefüge noch passt, ob für die Sinnsucher, von denen in den Zielgruppenanalysen immer die Rede ist, tatsächlich ein Plätzchen frei ist oder ob sie den Betriebsablauf stören – wer diese Frage stellt, bekommt zu hören: Institutionenkritik haben wir hinter uns gelassen. Es geht doch nicht um Gremien und Ämter, es geht um Begeisterung. Die jungen Leute interessieren sich nicht für institutionelle Debatten.
Ich erwarte nicht, dass sich Pfarrerinnen und Pfarrer ständig in Trauerarbeit wälzen, aber eine Sprachregelung wie "gelassen kleiner werden" erscheint mir doch wie schlecht getarnte Resignation.
Die Probleme seien ausreichend beschrieben, es fehle an kreativen und zugkräftigen Konzepten, sagt der Ratsvorsitzende im Interview mit Christ&Welt diese Woche. Die Lösung habe ich nicht, es wird sie auch nicht geben. Viel wird von der kircheninneren Ökumene abhängen: ob es gelingt, die in Alternativen-Milieus – fromm versus politisch, konservativ versus liberal, modern versus postmodern, autoritär versus plural – in einem produktiven Streit zu halten. Die Kirchen sind ein Mikrokosmos der großen kulturellen Konflikte.
VI. Kondensmilch und der liebe Gott
Im tiefsten Innern glaube ich das, was Kirchenleitungen gern dementieren: dass der Tag nicht fern ist, an dem die Unterscheidung in evangelisch und katholisch wie ein Luxushobby aussieht. Manchmal löst Auflösung auch ein paar Probleme. Konfessionelle Milieus, konfessionelle Stereotype und auch konfessionelles Wissen lösen sich gerade auf. Das Wort Transsubstantiation konnten bisher nur wenige korrekt verwenden kann. Es werden noch weniger. Die Zahl derer, die darüber lachen können, dass Protestanten angeblich keinen Humor haben und rheinische Katholiken das Land flächendeckend mit Karneval überziehen wollen, wird geringer. Positiv gewendet macht die Unwissenheit Platz für eine Ökumene der Unbedarftheit. Irgendwas Christliches. Scharfe konfessionelle Profile sind etwas für Experten oder für alte Leute. Jüngere, und das sind in den Kirchen schon alle unter 60, bewegt nicht die Frage: Ist das katholisch oder evangelisch. Da gilt: Interessiert mich das oder interessiert es mich nicht? Geht es mich etwas an oder geht mich nichts an? Kann ich es für mein Leben brauchen oder das ist bloß etwas für die anderen?
Ein evangelischer Pfarrer aus Köln sagte kürzlich bei uns im Interview: Ob jemand bleibt, kann sich daran entscheiden, ob beim Gemeindefest Kaffeesahne auf dem Tisch steht oder geschäumte Milch. Sahne oder Schaum, Maschinengebräu oder handgebrühter Filterkaffee mit Bohnen aus der kleine Rösterei neben dem Baby-Yoga-Studio, das ist das neue katholisch oder evangelisch. Ästhetik ist eine Konfession, Kultur ist eine Konfession, Heimatgefühl ist eine Konfession. Ökumene heißt nicht: Alles wird eins, alles sieht gleich aus, sondern eher: Christlich ist das, was zu mir passt. Anständig leben, anständig lieben, anständig sterben.
Auch da tut sich wieder so eine falsche Alternative auf: Glaube oder Moral, Nettigkeit oder Frömmigkeit, Bastelchristentum oder Feste Burg.
Und ich höre schon die Frage: Wo bleibt Gott im Milchschaum, wo ist das Harte, das Radikale, das Schmerzliche?
Bei Gott ist Journalismus am Ende, da beginnt das Bekenntnis. Aber wenn Sie genau hingehört haben, war er da.
Dr. Christiane Florin, Köln