Internetseelsorge als Element einer pastoralen Konzeption

Rheinisches Pfarrblatt, 1 - 1997, S. 11-15.

A. Hinführung zum Thema - Begriffsfeld Seelsorge

Bei einer Annäherung an das Thema "Seelsorge im Internet" sollte eine begriffliche Engführung auf das Thema "Seelsorge" von vornherein vermieden werden. Der Begriff "Seelsorge" suggeriert, daß es sich bei den Kontakten über E-Mail um Menschen mit schwerwiegenden seelischen Nöten handelt. Das ist sicher bei den Kontakten in den Datennetzen auch ab und zu der Fall. Was jedoch weitaus häufiger vorkommen dürfte, sind allgemeine Anfragen zu Glauben und Kirche nach dem Motto: "Warum glaubt ihr eigentlich noch?" und "Mein Nachbar der Pfarrer benutzt den gelben Sack nicht. Soll ich ihn darauf ansprechen oder ist das seine Privatangelegenheit?". Der Banalität sind da keine Grenzen gesetzt. Oder es geht um Fragen der Lebensberatung, der Beziehungsberatung, um ethische Konflikte und oder um anspruchsvolle Diskussionswünsche über "Gott und die Welt". Wer sich mit einem dezidiert kirchlichen Seelsorgeangebot in die elektronischen Datennetze begibt, muß damit rechnen, daß die Menschen, die über dieses Angebot stolpern oder es bewußt ansteuern, mit ganz unterschiedlichen Vorstellungen diese Adresse anwählen. Wer eine "Internet-Seelsorge" anbietet, muß sich darauf gefaßt machen, auch um Glaubensgespräche und Beratung für die verschiedensten Lebenssituationen angefragt zu werden.


B. Internetseelsorge als Element einer pastoralen Konzeption

1. Seelsorge als Bestandteil christlichen Handelns

Seit den Zeiten der sogenannten Urgemeinde gehören Hilfsangebote von Christen zum festen Bestandteil christlichen Handelns und christlicher Nächstenliebe. Christsein in der Nachfolge Jesu schließt die tätige Liebe zu den Mitmenschen ein, und so ist der Dienst am Menschen zum essentiellen Bestandteil kirchlicher Arbeit geworden. Über viele Jahrhunderte haben sich die Felder kirchlicher Arbeit herausgebildet, verwandelt und erweitert. Neben den verschiedenen konkreten diakonischen Aufgaben, die in der Geschichte von den verschiedensten Menschen und Gruppen innerhalb der Kirche wahrgenommen wurden, haben sich vor allem die Priester, Pastoren und Pfarrer auch immer um die seelischen Nöte der Mitmenschen gekümmert, waren geduldige Zuhörer für die Sorgen ihrer Mitmenschen und oft weise Berater für ausweglose Situationen. Trost zu spenden, zu helfen, wo Hilfe nötig ist, gehört darum nicht nur zum christlichen Selbstverständnis, sondern auch explizit zum Berufsverständnis von Pfarrern, Priestern und Pastoren.

2. Die Erweiterung seelsorgerischer Angebote als Folge der Ausdifferenzierung der modernen Gesellschaft

Neben der Seelsorge in den Gemeinden kamen mit der Ausdifferenzierung der modernen Gesellschaft auch immer neue spezielle Seelsorgeaufgaben dazu, für die dann eigens Spezialisten geschult und eingesetzt werden: Krankenhausseelsorge, Militärseelsorge, Gefängnisseelsorge, Sportlerseelsorge, Urlauberseelsorge, Binnenschifferseelsorge, Schaustellerseelsorge und wahrscheinlich noch einige Seelsorgefelder mehr. Der Gedanke, der zu dieser Ausdifferenzierung geführt hat, dürfte immer der gleiche gewesen sein: Die Kirche will diese Menschen nicht alleine lassen. Wer 200 km von seinem Heimatort im Krankenhaus liegt und todkrank ist, kann nicht so einfach mit seinem Ortspfarrer reden. Wer beim Bund in der Grundausbildung ist und keine Erlaubnis hat, am Wochenende nach Hause zu fahren, kann dort nicht zur Kirche gehen und auch keinen Seelsorger konsultieren. Die Gründe dafür liegen auch für die anderen Seelsorgegebiete auf der Hand.

Mit der Ausdifferenzierung der Seelsorgeangebote reagierte die Kirche auf die jeweils veränderte gesellschaftliche Situation, um auch weiterhin den Menschen, die seelsorgerische Hilfe brauchen, helfen zu können.

Immer mehr Menschen bekommen heute über ihren Arbeitsplatz oder privat einen Zugang zu dem internationalen Datennetz Internet. Auch wenn es in Deutschland vorerst nur 7-10% der Gesamtbevölkerung sind, die über einen Zugang verfügen, so ergibt dies doch eine Zahl von ca. 8 Millionen Nutzern. Doch kein anderes Medium in der Geschichte der modernen Technik wächst an Benutzerzahlen so schnell wie das Internet. Wenn die Kirchen schon in der Vergangenheit auf die veränderte gesellschaftliche Situation mit neuen seelsorgerischen Angeboten reagiert hat, um die Menschen zu erreichen, so liegt es heute Nahe, die Seelsorgearbeit auch auf das Gebiet der elektronischen Datennetze auszuweiten. Es geht nicht darum, die herkömmlichen Seelsorgeangebote zu ersetzen oder zu verwandeln, sondern es geht darum, die pastoralen Aktivitäten auszudehnen und die spezifischen Möglichkeiten dieses Medium als Dienst an den Menschen zu nutzen.

3. Mediale Veränderungen der Seelsorge

Die klassischen, theologischen Seelsorgekonzeptionen vom Ende des letzten und des beginnenden 20. Jahrhunderts gehen alle von einer direkten Gesprächssituation zwischen Menschen, die sich in einem Raum befinden, aus. Eine Telefonseelsorge hätten sich auch in den zwanziger Jahren wohl die wenigsten Menschen vorstellen können. Wie denn auch, war es doch diese Generation, die beim Start des Berliner Telefonnetzes im Jahr 1912 das "Ende aller menschlichen Kommunikation" hatte kommen sehen. Heute gehen wir alle wie selbstverständlich mit dem Telephon um, weil sich unser Verhältnis zu dieser Art medialer Kommunikation verändert hat. Für die Seelsorge und die Seelsorger bedeutet die Seelsorge über das Medium Telefon allerdings eine grundlegende Neuorientierung in der Ausbildung und Praxis ihrer Arbeit. Weil die visuelle Kommunikation nicht gegeben ist, stellt die Telefonseelsorge viel höhere Anforderungen an die auditiven Fähigkeiten. Natürlich bedeutet die Kommunikation über das Medium Telefon immer eine Reduzierung von Kommunikation, ganz abgesehen davon, daß man jemanden nicht mal eben in den Arm nehmen oder ihm ein Taschentuch reichen kann. Doch diese Art der Seelsorge bietet auch Chancen, nämlich eine gewisse Anonymität des Anrufers, der sich nicht erst Gedanken darüber machen muß, wie er aussieht oder angezogen ist und der nicht Angst haben muß, gesehen oder erkannt zu werden. Die Hemmschwelle gegenüber der persönlichen Kommunikation von Mensch zu Mensch ist wesentlich herabgesetzt. Der Griff zum Telefonhörer fällt viel leichter als der Gang ins Pfarrhaus.

4. Charakteristika der Seelsorge in elektronischen Datennetzen

Ähnlich wie mit Medium Telefon verhält es sich mit dem Medium Computernetz, nur daß hier auch noch - zumindest zur Zeit noch - die Sprache wegfällt und sich die Kommunikation auf Buchstaben beschränkt. Wie sich das in Zukunft entwickeln wird und ob nicht z. B. "Videoconferencing" in eine paar Jahren die vorherrschende Kommunikationsform in Internet sein wird, bleibt abzuwarten. Anders auch als bei der Briefseelsorge, bei der immerhin noch die Schrift des Absenders ein Anhaltspunkt für den Menschen hinter dem Brief sein kann, werden die elektronischen Mitteilungen nur von den Zeichen auf dem Computer des Empfängers generiert. Zweifelsohne handelt es sich bei den derzeitigen Möglichkeiten des Internet um eine sehr reduzierte Form der Kommunikation. Doch auch hier ergeben sich ganz bestimmte, durch das Medium bedingte Vorteile:

  • Die Hemmschwelle der Kontaktaufnahme ist so gering wie bei keinem anderen Medium: Der bloße Klick mit der Maus auf eine Adresse öffnet in der Software ein Formular, in der Ratsuchende nur noch seine Botschaft hineinschreiben muß.

  • Die Anonymität des Absenders ist auf jeden Fall möglich, wenn dieser es wünscht. Will er nicht mit seiner regulären E-Mail Adresse erscheinen, kann er einen sogenannten "Remailer" benutzen, der seine richtige E-Mail tarnt. E-Mails lassen sich so nicht bis zum Absender zurückverfolgen.

  • Im Gegensatz zur direkten Kommunikation in einem Gespräch, können sich sowohl der Ratsuchende wie der Beantwortende bei der Formulierung sehr viel Zeit lassen und die Antwort genauer überlegen als das in einem Gespräch möglich ist. Das ist vor allem ein Vorteil für Menschen, denen bewußt ist, daß sie etwas bedrückt, aber das noch nicht richtig formulieren oder aussprechen können. Im Prozeß des Schreibens wird vielen Menschen vielleicht einiges schon deutlicher, oder anders formuliert: Das Schreiben an und für sich ist schon der erste Schritt zur Problemlösung oder Therapie.

  • Weil die Kommunikation über E-Mail in der Regel nicht direkt von einem Menschen zum anderen läuft, sondern von Postfach zu Postfach, spielen Tag- und Nacht-Zeiten kaum eine Rolle. Jemand kann auch noch um 4.00 Uhr eine Mail schreiben, die der andere dann morgens findet, wenn er seinen PC startet und die Post aus seinem Postfach holt.

Diesen Vorteilen korrespondieren natürlich auch entscheidende Nachteile: Weil E-Mails normalerweise in einem Postfach lagern, müssen Sie erst abgeholt und dann beantwortet werden. Das heißt: Derjenige der anfragt, bekommt nicht unmittelbar eine Antwort sondern zeitversetzt. Darum eignet sich E-Mail im Moment kaum für akute Notfälle. Wer sich in einer akuten Selbstmordsituation befindet, wird sich wohl kaum an einen PC setzen und langsam und gemütlich eine E-Mail schreiben.

5. Chancen und Grenzen der Internet-Seelsorge

Die Seelsorge über Internet bietet neue Chancen hat aber auch durch das Medium bedingte Grenzen.

Neue Chancen bietet die Seelsorge über Internet vor allem da, wo Menschen mit ihren Problemen unabhängig von Raum und Zeit einen anderen Menschen um Rat fragen. Stellen Sie sich einen Arzt, eine Krankenschwester oder eine Apothekerin vor, die während der Nachtschicht im Krankenhaus oder der Praxis viel Zeit zum Nachdenken haben und diese Zeit nutzen, um in aller Ruhe z. B. über Ihre Beziehungsprobleme, ihre Schwierigkeiten mit den Kindern, das ethische für und wider der Sterbehilfe oder einfach den Sinn des Lebens nachzudenken. Die würden vielleicht nicht den Krankenhausseelsorger anfragen, weil tagsüber immer keine Zeit dafür bleibt und auch nicht bei der Telefonseelsorge anrufen, weil ihr Problem dann so dringend nun auch wieder nicht ist. Sie finden aber durchaus die Zeit, sich nachts eine Stunde hinzusetzen und das, was sie bewegt, in einen Computer zu tippen und abzuschicken. Innerhalb von 24 Stunden, bis zur nächsten Nachtschicht haben sie dann eine Antwort.

Die Grenzen liegen klar da, wo es sich um Menschen mit massiven, gravierenden Seelischen Störungen handelt. Diese können sicher nicht sinnvoll über diese reduzierte Form der Kommunikation behandelt werden. Die Seelsorge über Internet kann da nur den Erstkontakt herstellen, Ansprechadresse für Menschen sein, die Hilfe brauchen, aber nicht wissen wohin sie sich wenden sollen. Über das Internet muß dann die Vermittlung zu kompetenten Seelsorgern, Psychotherapeuten oder Beratungstellen am Wohnort des betreffenden geschehen.

Grenzen zeigen sich auch da, wo schnelle und sofortige Hilfe erforderlich ist. Selbst wenn es möglich sein sollte, über eine direkte Verbindung von Computer zu Computer in Echtzeit zu kommunizieren oder sogar eine Videokonferenz abzuhalten, so ist doch dieses Medium kaum geeignet, in Notsituationen wirksam zu helfen. Ausnahmen werden auch hier die Regel bestätigen, doch eine Konzeption der Internet-Seelsorge sollte darauf ausgerichtet sein, in solchen Fällen, schnelle Hilfe Vorort weitervermitteln zu können.


C. Anforderungen an eine Internet-Seelsorge

Aus dem Gesagten ergeben sich bestimmte Anforderungen an die Konzeption einer Internet-Seelsorge. Um die Menschen nicht zu enttäuschen und mehr zu versprechen als man halten kann, sollte ein Seelsorge-Engagement im Internet gut überlegt sein.

1. Die Notwendigkeit eines Teams

Es macht keinen Sinn, Internet-Seelsorge als Einzelperson zu betreiben. Ein gutes Team ist aus mehreren Gründen unabdingbar: Wer eine Internet-Seelsorge anbietet, muß dafür Sorgen, daß Krankheit oder Urlaubstage der Seelsorger nicht dazu führen, daß die E-Mails ungelesen im Briefkasten liegen bleiben. Wer ein solches Angebot macht, muß dafür Sorge tragen, daß alle Anfragen innerhalb einer angemessenen Zeit (ca. 24 Stunden) auch beantwortet werden können. Ist das aufgrund der personellen Lage nicht gegeben, sollte man besser von einem solchen Angebot Abstand nehmen.

Ein einzelner Mensch kann kein Spezialist für alle Fragen des Lebens sein. In einem Team kann man dagegen die Anfragen weitergeben und sich gegebenenfalls auch gegenseitig bei schwierigen Fällen weiterhelfen. Weil Seelsorge auch in den meisten Fällen mit einer seelischen Belastung der Seelsorger verbunden ist, sollte ebenfalls eine Supervision der Seelsorger mit in die Konzeption eingeplant werden. Für die Internet-Seelsorge gelten in dieser Hinsicht die gleichen Standards wie für Seelsorge- oder Beratungsteams sonst auch.

Die Seelsorgeteams sollten nach Möglichkeit auch ökumenisch zusammengesetzt sein, weil die Menschen in unserer Kultur immer weniger zwischen den Konfessionen unterscheiden. Die Menschen, die Hilfe brauchen, schauen wohl zunächst kaum danach, ob es sich um eine katholische oder evangelische Seelsorgestelle handelt. Kommen dann aber spezifisch religiöse Probleme im Laufe der Gespräche zu Tage, wäre es sicher für den Seelsorger hilfreich, einen Kollegen oder eine Kollegin der anderen Konfession konsultieren zu können oder für manche Nutzer besser, mit einem Menschen der gleichen Konfession zu sprechen.

2. Die Notwendigkeit einer besonderen Schulung

Da es sich bei der Kommunikation über Computer und Datennetz über eine spezielle, vielen Menschen noch unvertraute Form der Kommunikation handelt, scheint eine spezielle Schulung der Seelsorger notwendig.

Zum einen geht es darum, sich in den technischen Möglichkeiten der Computerkommunikation und den Softwareprogrammen gut auszukennen sowie die Gepflogenheiten der Kommunikation im Netz zu kennen. Jeder der bei einer Internet-Seelsorge mitmachen will, sollte vorher einige Monate intensiv die Möglichkeiten der Kommunikation im Netz erkunden.

Zum anderen ist dann aber auch sicher eine weitergehende Schulung notwendig, um auf die Menschen, von denen man nur vom Computer erzeugte Zeichen vor sich hat, adäquat eingehen zu können. Besondere Schulungsanforderungen und Curricula müssen dafür aber erst noch entwickelt und definiert werden.

3. Weitervermittlung an lokale Seelsorger und Beratungsstellen

Eine Internet-Seelsorge kann nur dann wirklich kompetent helfen, wenn die Möglichkeit einer Vermittlung zu lokalen Seelsorgern und Beratungstellen mit bedacht wird. Das heißt: In den Fällen, wo eine weitergehende Beratung, Betreuung oder Therapie notwendig erscheint und der Kontakt über E-Mail nicht mehr weiterhelfen kann, muß die Seelsorgestelle in der Lage sein, lokale Ansprechpartner weiterzuvermitteln.

Anders als die Telefonseelsorge, die immer lokal arbeitet, ist das Internet ein Medium, in dem Orte und Regionen zunächst keine Rolle spielen. Es gibt keine Orts- und Ländergrenzen mehr, nur noch Sprachräume. Wer also irgendwo im deutschsprachigen Raum eine Internet-Seelsorge anbietet, muß damit rechnen, aus dem gesamten deutschsprachigen Raum Anfragen zu bekommen. Von daher sind die Anforderung an eine Internet-Seelsorge höher als an andere Formen der Seelsorge: Wer nur lokal arbeitet, kann sich schnell einen Überblick über mögliche Hilfsangebote verschaffen, wer im Internet arbeitet, müßte eigentlich einen kompletten Index oder eine Datenbank aller möglichen Beratungsstellen im gesamten deutschsprachigen Raum zur Hand haben, um kompetent weiterhelfen zu können.

4. Die Notwendigkeit der Vernetzung

Da es für eine einzelne Seelsorgestelle im Internet kaum möglich sein wird, alle lokalen Angebote im deutschsprachigen Raum zu kennen, geschweige denn diese nach deren Qualität oder spezifischen Hilfsangeboten beurteilen zu können, ist eine Vernetzung der verschiedenen Seelsorgeangebote ein notwendiger Schritt für alle Anbieter, um den Nutzern des Internet kompetent weiterhelfen zu können.

Die einfachste Variante wäre, daß sich die verschiedenen Seelsorge-Anbieter gegenseitig weiterhelfen und einzelne Menschen zu regionalen oder lokalen Seelsorgern weiterleiten, wo dies erforderlich sein sollte. Die schwierigere aber auch vielversprechendere Variante wäre, daß man sich im deutschsprachigen Raum auf eine gemeinsame Internet-Adresse und eine gemeinsame Seelsorgekonzeption einigt, eine Zentralstelle einrichtet die alle Anfragen sichtet und die Anfragen dann regional und/oder nach Schwerpunktgebieten weiterverteilt. Der Aufwand dafür wäre sicher höher, aber für den Nutzer hätte das sicher den Vorteil, gleich zu kompetenten Seelsorgern geleitet zu werden, statt über viele Umwege dann schließlich und endlich bei einem Seelsorger vorort zu landen.

5. Institutionen müssen klar benannt werden

Ob die persönliche Identität der Seelsorger im Internet bekannt gemacht werden sollte oder nicht, läßt sich so pauschal nicht entscheiden. Anonymität der Seelsorger und explizite Nennung der Seelsorger mit Photo und Personenbeschreibung haben beide ihre Vor- und Nachteile. Es gibt Menschen, die sich lieber an konkrete Personen wenden, von denen sie sich ein Bild machen können. Andere bevorzugen vielleicht den völlig anonymen Kontakt; ihnen ist egal, wer am anderen Ende der Leitung am PC sitzt und die Anfragen beantwortet. Es bedarf noch einer weitergehenden Untersuchung, welche der beiden Möglichkeiten sich für das Internet langfristig als die bessere erweist.

Sicher ist aber, das die Institution, die die Internet-Seelsorge betreibt, klar benannt sein muß und auch überprüfbar sein muß. Im Internet kann jeder zunächst jeder alles behaupten und sich für jemanden ausgeben, der er gar nicht ist. Mit einem Logo der Diakonie oder Misereor könnte jemand zunächst einen Server mit der Adresse http://www.diakonie.de/ betreiben und dort z. B. zu Spenden auf ein bestimmtes Konto aufrufen. Bevor die Nutzer (oder die Organisation selbst) dahinter kommen, daß es sich gar nicht um ein offizielles Angebot dieser Institution handelt, hat sich der Betreiber mit dem Geld schon aus dem Staub gemacht. Analog könnte z. B. Scientology unter der Tarnadresse einer Kirchengemeinde Seelsorge anbieten und die Daten dann für eine gezielte Mitgliederwerbung einsetzen oder die Menschen an Scientology-Institutionen weitervermitteln. Der Ausweis und die institutionelle Absicherung eines Seelsorgeangebotes im Internet ist unerläßlich. Es muß völlig und unzweideutig klar sein, wer sich hinter einem Seelsorgeangebot im Internet verbirgt.


D. Schlußfolgerungen

"Kirche im Internet", das kann nicht nur Information, Selbstdarstellung, Predigt und Mission sein. Das auch. Kirchliches Engagement im Internet muß aber mehr sein. Wenn sich Kirche in diesen virtuellen Raum begibt, der entgegen einer landläufigen Meinung ein sehr kommunikativer Raum ist, muß sich Kirche hier auf die Kommunikation mit den Menschen im Netz einstellen. Dies kann sie auf verschiedene Weise tun: durch E-Mail, Gesprächsforen, Live-Chats etc. Will sie ihrem Anspruch als Kirche gerecht werden, gehört dazu auch der Dienst am Menschen als Zeichen sichtbarer Nächstenliebe. Und das wiederum bedeutet in erster Linie, sich um die Seele der Menschen zu sorgen, konkrete Hilfe für Menschen in Not anzubieten.

Bisher sind die Angebote der Seelsorge im Internet überwiegend Einzelinitiativen von wachen Christen, die einfach die Notwendigkeit gesehen haben, den Menschen im Netz zu helfen, und die ihren beruflichen Auftrag darin gesehen haben, ihre kirchliche Arbeit auf dieses Feld auszudehnen. Dafür gebührt ihnen Dank von Seiten der Kirche.

Was aber für die Zukunft notwendig erscheint, ist zum einen, die kirchliche Seelsorge in den Datennetzen zu strukturieren und zu koordinieren - zum Wohle der Menschen, die Hilfe brauchen - und zum anderen die offiziellen kirchlichen Stellen von der Notwendigkeit einer Seelsorge in den elektronischen Datennetzen zu überzeugen, um die personellen und finanziellen Ressourcen, die dafür bereit gestellt werden müssen, institutionell zu verankern. Das sind die Aufgaben, die wir in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren in Angriff nehmen müssen.


Autor: Dr. Matthias Schnell