Kirche im Internet
Die Multimedia Plattform Internet
Pfarrer & PC, September 1996, S. 3-5
Noch vor zwei Jahren war das Internet lediglich ein Informations- und Kommunikationsmedium einiger Wissenschaftler und Info-Eliten an den großen Universitäten. Daß es heute in aller Munde ist, erklärt sich durch die Entwicklung des "World Wide Web", einer grafischen, multimedialen Plattform, die es erlaubt, weltweit Dokumente miteinander zu verknüpfen und per Mausklick abrufbar zu machen. Längst ist das Internet kein reines Text-Medium mehr: die Integration von bewegten und unbewegten Bildern, Tönen und Animationen wird nur von den immer noch recht bescheidenen Datenübertragungsraten zum Endnutzer hin gebremst. "World Wide Wait" ist darum auch eine oft kolportierte Charakterisierung des WWW.
Wem es nach der Installation und Konfiguration der Software gelungen ist, sich zum Ortstarif mit seinem Computer über das Modem in den nächsten Einwahlknoten eines Internet Service Providers oder eines Online-Dienstes einzuwählen, der kann in diesem globalen Datennetz in einer Universitätsbibliothek nach einem Buch suchen, sich in einer "Newsgroup" mit Gleichgesinnten weltweit über "Bonsai gardening" austauschen, mit Freunden und Bekannten Briefe austauschen oder aber schnell einmal nachsehen, wann denn die Kunsthalle in seiner Stadt eigentlich geöffnet hat. Denn aktuelle Nachrichten und Informationen mit kurzem Verfallsdatum werden zunehmend über dieses Medium verbreitet, ebenso wie Zeitungs- und Zeitschriftenbeiträge, Kulturkalender, regionale und örtliche Veranstaltungshinweise.
Die ersten Gehversuche der Kirchen
Was liegt da für die Kirchen näher, als sich ebenfalls im Internet mit ihrem Informationsangebot zu präsentieren und dieses Medium auch für die interne Kommunikation zu nutzen? Nachdem im letzten Jahr die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern mit ihrem Angebot "online" ging, sind nun weitere Landeskirchen mit einem eigenen Angebot im World Wide Web vertreten: Hannover, Nordelbien, Kirchenprovinz Sachsen, Württemberg sowie die EKD. Weitere Landeskirchen werden in diesem Jahr noch folgen.
Seit Beginn des Jahres haben neben dem CVJM und anderen freien Werken und Gruppen auch an die 70 evangelische, katholische und freikirchliche Gemeinden mit einer Selbstdarstellung, aktuellen Nachrichten und Veranstaltungshinweisen den Schritt ins Internet gewagt. Fast täglich kommen neue Gemeinden hinzu. Meist sind diese Informationen auf den "Servern" (den Computern, auf denen die Informationen bereitgestellt werden) der großen Online-Dienste America Online (AOL) oder CompuServe zu finden, weil dort jeder Benutzer kostenlos ein Verzeichnis für seine Informationen erhält. In der katholischen Kirche hat der Aufbruch in die virtuelle Welt des Internet ebenfalls begonnen: Während bei der Deutschen Bischofskonferenz noch über eine Internet-Präsenz nachgedacht wird, haben einige Diözesen, katholische Informationsstellen und zahlreiche Gemeinden schon ein recht ansehnliches Angebot im World Wide Web zusammengestellt.
Neben aktuellen Informationen aus den Landeskirchen, Bistümern, Akademien, theologischen Fakultäten, Werken, Vereinen, Verbänden, Fortbildungsstätten und Gemeinden werden auch christliche Inhalte wie die Tageslosung, Predigten, Meditationen, Andachten, die Zehn Gebote, das Vaterunser, das Glaubensbekenntnis und diverse Bibelausgaben mit Suchfunktion angeboten. Verlautbarungen und Erklärungen der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz, Synodenberichte, Adressen und Kontaktmöglichkeiten zu verschiedenen kirchlichen Stellen finden sich ebenso wie interaktive Angebote zur Seelsorge, Diskussionsforen, Gästebücher und Mailinglisten. Der Evangelische Posauendienst in Deutschland hat eine Tauschbörse für Instrumente eingerichtet, die EKD einen Quiz zum Lutherjahr 1996, und der Deutsche Evangelische Kirchentag bietet Informationen rund um den Kirchentag 1997 in Leipzig an, der mit ausgesuchten Inhalten auch im Netz weltweit zu verfolgen sein wird.
Warum Kirche im Internet?
Was aber motiviert nun Christen, insbesondere die Kirchen zu einer Präsenz in diesem neuen Medium? Zunächst eignet sich das Internet zur innerkirchlichen Information und Kommunikation: Adressen kirchlicher Stellen und die jeweiligen Ansprechpartner lassen sich über Datenbankprogramme oder Such-Maschinen viel schneller als bisher finden, und über E-Mail kann dann gleich mit den entsprechenden Personen Kontakt aufnommen werden. Ergebnisse von Synoden, Mitteilungen der Kirchenämter an die Gemeinden, Pressetexte, Fragebögen, Unterschriftenlisten, Erklärungen und Stellungnahmen zu aktuellen Themen lassen sich über dieses Medium viel schnell, komfortabler und kostengünstiger verbreiten als über die Briefpost oder Fax, weil alle Informationen auf dem Computer weiterverarbeitet oder gleich an Ort und Stelle ausgedruckt werden können. Die deutschen Auslandspfarrer in Südamerika oder Asien müssen nicht mehr bis Ostern auf die Nachrichten des Evangelischen Pressedienstes von Weihnachten warten, sondern können sie an dem Tag über E-Mail empfangen, an dem sie in der epd-Zentralredaktion in Frankfurt abgeschickt werden. Ebenso muß der EKD-Bulletin nicht mehr zu horrenden Portokosten nach Übersee verschickt werden, sondern diejenigen, die irgendwo in der Welt einen Internet-Anschluß haben, können die Nachrichten auf dem World Wide Web-Server der EKD in Deutschland abrufen und auf ihrem Computer in Lima, Rio, Washington, Johannesburg, Malmö oder Tokio abspeichern und ausdrucken. Gerade auch für die Ökumene und den Kontakt zu den Partnerkirchen in anderen Ländern ergeben sich hier interessante Perspektiven.
Die Chancen und Herausforderungen dieses neuen Mediums liegen aber auf einem anderen Gebiet: Im Unterschied zu den herkömmlichen Medien (Printmedien, Rundfunk und Fernsehen) können die interaktiven Möglichkeiten des Internet auch dazu genutzt werden, mit Menschen direkt in Kontakt zu kommen, die nicht regelmäßig kirchliche Veranstaltungen frequentieren: über E-Mail und Diskussionsforen, in denen Kirche zur Kommunikation einlädt. Der Klick mit der Maus auf einen E-Mail-Button fällt vielen Menschen leichter als der Gang zum sonntäglichen Gottesdienst oder zu einem Seelsorgegespräch mit der Pfarrerin oder dem Pastor. Beides kann das Internet nicht ersetzen, aber die Hemmschwelle zur Kontaktaufnahme ist sicher geringer. Das jedenfalls zeigen die Erfahrungen der Internet-Seelsorge. Durch ein interessantes und attraktives Angebot, durch eine ausgewogene Mischung von hochwertigen Informationen, einer offenen und direkten Kommunikation und "Edutainment"-Elementen können Menschen einen ganz neuen Zugang zum Glauben und zur Kirche gewinnen und christliche Inhalte auf neue Weise vermittelt werden.
Ob dies gelingt, wird wesentlich davon abhängen, ob die Kirchen es schaffen, sich auf dieses Medium und seine Benutzer wirklich einzustellen. Die Anfänge sind gemacht, die christlichen Angebote im Internet werden von den "Usern", meist jüngeren Menschen zwischen 15 und 35 Jahren, gut angenommen, und es entstehen täglich neue Kontakte auch zu Menschen, die eigentlich nicht so viel mit der Kirche "am Hut" haben. Die Diskussionsforen zum Thema "Religion und Glaube" in den Online-Diensten CompuServe und T-Online sind jeden Abend voll, und es wäre wünschenswert, wenn sich noch mehr Christen an diesen Gesprächen beteiligen würden. Kommunikation des Evangeliums von Jesus Christus - das ist der Auftrag der christlichen Kirche seit den Zeiten der Urgemeinde. Die Kirche würde ihrem Auftrag nicht gerecht, wenn sie in diesem virtuellen Raum mit seinen über 40 Millionen Nutzern nicht präsent wäre. Und so stellt sich eigentlich nicht mehr die Frage, ob die Kirchen sich in diesem Medium engagieren sollen, sondern wie sich sich präsentieren und was sie kommunizieren sollen. Dies ist die Frage der Zukunft, an der wir gemeinsam arbeiten müssen.
Autor: Dr. Matthias Schnell