Vortrag zum Schwerpunktthema „Auf dem Weg zu einer Kirche der Gerechtigkeit und des Friedens“
Dr. Kira Vinke
- Unredigierte Fassung -
Es gilt das gesprochene Wort
Sie alle haben es in den Medien vielleicht beobachtet: die Klimaproteste von „Fridays for Future“, Extinction Rebellion, große Proteste in Berlin, aber auch in anderen Städten, viele Schüler auf der Straße. Manch einer mag sich fragen: Viel Lärm um nichts? Oder haben die Schüler doch einen Grund, ihre Zeit darauf zu verwenden, auf die Straße zu gehen und zu protestieren, uns anzuhalten, mehr im Klimaschutz zu tun?
Bevor wir wieder in der Gegenwart ankommen, möchte ich Sie auf eine Reise ungefähr 10.000 Jahre zurück nehmen. Sie sehen hier die Entwicklung der CO2-Konzentration in der Atmosphäre. Sie sehen einen sehr, sehr starken Anstieg. Leider ist das aber die Grafik des IPCC aus dem Jahr 2007. Wir müssen feststellen, dass die CO2-Konzentration in der Atmosphäre seitdem weiter gestiegen ist, und zwar im Mai 2019 auf 414 ppm.
Was bedeutet das? Das bedeutet auch einen starken Anstieg in der globalen Mitteltemperatur. Hier sehen Sie ungefähr den gleichen Zeitraum. Der an der rechten Seite nach oben schnellende Strich in Rot ist die Entwicklung der Temperatur. Das können wir auch in einem kürzeren Zeitraum beobachten, seit 1880. Sie sehen hier: 2019 war der heißeste Juli, der jemals gemessen worden ist. Das heißt, wir verändern das Erdsystem mit einer sehr, sehr hohen Geschwindigkeit.
Die Veränderungen, die sich in der globalen Mitteltemperatur vollziehen, bedeuten große Veränderungen, Klimafolgen auf allen Kontinenten und in den Meeren. Das heißt, überall können wir bereits heute die Klimafolgen beobachten. Der Klimawandel ist also nicht etwas, was in ferner Zukunft liegt; wir sind schon mittendrin.
Hier sehen Sie einen Überblick aus dem Report, den wir für die Asiatische Entwicklungsbank gemacht haben. Sie sehen auf der rechten Seite verschiedene Klimafolgen als Bildchen dargestellt: extreme Hitze, Meeresspiegelanstieg, tropische Stürme, Versalzung usw. Dann sehen Sie verschiedene asiatische Länder und Regionen, die bereits Migration erfahren oder in denen es aufgrund dieser sich verändernden Lebensgrundlagen zukünftig vielleicht zu verstärkter Migration kommt, zumeist entlang bestehender Migrationsrouten. Wenn beispielsweise Subsistenzbauern ihren Lebensunterhalt nicht mehr erwirtschaften können, stehen sie vor der Frage, zu migrieren oder Hunger leiden zu müssen. Viele migrieren dann.
Die Weltbank hat letztes Jahr einen Bericht herausgebracht, wie sich die interne Migration beispielsweise bis 2050 in Sub-Sahara-Afrika, Lateinamerika und Südasien verändern würde. In diesen drei Gebieten allein könnten nach Feststellung der Weltbank bis zu 140 Millionen Menschen zur Migration gezwungen sein, allerdings nur Binnenmigration. Wenn wir weiter in die Emissionen gehen, wenn sich die Entwicklung zwischen Arm und Reich weiter aufspaltet, dann würden also vielleicht bis zu 140 Millionen Menschen innerhalb dieser Länder wandern. Aber die Frage ist, ob es in diesem sehr pessimistischen Szenario dann nicht auch zu kaskadischen Bewegungen in andere Länder, also transnationalen Bewegungen, kommen würde.
Warum könnten Menschen zukünftig wandern? Es gibt wahrscheinlich Gebiete, die möglicherweise unbewohnbar werden. Was sind eigentlich die Grenzen der Bewohnbarkeit? Das ist ein noch nicht sehr weit gediehenes Forschungsgebiet. Aber eines wissen wir beispielsweise; das sind die thermoregulatorischen Grenzen. Es wird zu heiß, als dass man sich als Mensch über einen längeren Zeitraum draußen aufhalten kann, weil man dann nicht mehr durch Schwitzen seine Körpertemperatur regulieren kann. Sie sehen hier die Anzahl der Tage in Rot dargestellt. Das würde beispielsweise bedeuten, dass 350 Tage, also fast alle Tage im Jahr, so heiß wären, dass man sich draußen nicht mehr aufhalten könnte.
Sie sehen hier die verschiedenen Emissionsszenarien. Unten rechts ist das „Business-as-usual-“, also „Weiter-so-wie-bisher-Szenario“. Unten links ist das Szenario des Pariser Klimaabkommens, also wenn wir jetzt anfangen, die Emissionen stark zu reduzieren.
Dann kommen natürlich noch andere Faktoren hinzu, neben den sich verändernden Klimabedingungen. Das ist beispielsweise der Smog. Sie sehen hier extreme Gesundheitsbelastungen. Es kommen verschiedene Faktoren zusammen. Wie wir bereits in Delhi in den letzten Tagen gesehen haben, führt das die Menschen schon an die Grenzen ihrer gesundheitlichen Belastbarkeit, insbesondere diejenigen, die draußen arbeiten müssen. Deswegen habe ich dieses Bild auch gewählt. Natürlich gibt es immer Menschen, die sich schützen können, beispielsweise durch Filter oder durch Klimaanlagen. Aber es gibt eben auch diejenigen, die draußen arbeiten und die unter sich verändernden Umweltbedingungen ganz besonders leiden.
Eine weitere Grenze der Bewohnbarkeit sind auch Risiken von Extremwetterereignissen, beispielsweise Superstürme. Wir hören jetzt fast jedes Jahr von einem sogenannten Supersturm. Hier sehen Sie die Folgen des Hurrikans Irma, eines Karibiksturms, der vor zwei Jahren die Insel Barbuda fast unbewohnbar gemacht hat. Jetzt im Sommer waren wir noch mal dort, und es hat sich in den zwei Jahren eigentlich nicht viel getan. Man sieht, dass die Länder, die so stark von Klimafolgen betroffen sind, in ihrer Entwicklung zurückgesetzt werden, und zwar auf längere Zeit, beispielsweise durch die dramatischen Folgen eines tropischen Zyklons.
Wie hängen denn jetzt die Klimafolgen mit dem Sicherheitsthema zusammen? Wir haben etwas über Migration gesprochen. Das kann natürlich indirekt auch Folgen für die menschliche Sicherheit haben.
Vielleicht gucken wir uns einmal den Stand der Forschung an, wie der konkrete Zusammenhang zwischen Klimawandel und Konflikten aussieht.
Im Jahr 2014 gab es ein Paper von Kelley et al., die geschrieben haben: Es gibt eine Evidenz dafür, dass die Dürre der Jahre 2007 bis 2010 zu dem Konflikt in Syrien beigetragen hat. Das war die schlimmste jemals gemessene Dürre. Sie verursachte umfangreiche Ernteausfälle und massive Migrationsbewegungen von Bauernfamilien in urbane Zentren.
Es gibt ein weiteres Paper aus unserem Haus, von PIK: In Ländern, die eine ethnische Fragmentierung aufweisen, erhöht sich das Risiko des Ausbruchs bewaffneter Konflikte. Dürren können dazu beitragen, Konflikte zu verschärfen, insbesondere für Bevölkerungsgruppen in sehr armen Ländern, die von der Landwirtschaft abhängig sind, und solchen, die politisch ausgegrenzt sind. Das deckt sich in gewisser Weise mit dem vorherigen Zitat. Eine politische Ausgrenzung geschieht oft in Ländern, in denen es eine ethnische Fraktionalisierung gibt.
Ganz neu, 2019: Experten sind sich einig, dass das Klima Auswirkungen auf gewaltsame innerstaatliche Konflikte hat. Aber andere Treiber wie niedrige sozioökonomische Entwicklungen oder niedrige staatliche Kapazitäten werden als substanziell einflussreicher gewertet. Die Wirkungsmechanismen von Klima zu Konflikt sind weiterhin von Unsicherheiten geprägt.
Ganz einfach gesagt: Wenn eine Dürre auf drei verschiedene Staaten trifft, kann es sein, dass in zwei Staaten gar nichts passiert, weil sie sehr gute landwirtschaftliche Versicherungen haben, weil es demokratische Prozesse zum Interessensausgleich gibt, Minderheitenschutz usw. Im dritten Land kann beispielsweise ein diktatorisches Regime an der Macht sein, sodass der Unmut sehr groß ist und es keine Ausgleichszahlungen und Hilfsleistungen für diejenigen gibt, die besonders betroffen sind. Das kann dort dazu führen, dass der letzte Tropfen das Fass zum Überlaufen bringt und dass ein Konflikt ausbricht. Man muss hier besonders auf die Gouvernanz hinweisen, dass es immer wieder Interventionsmomente gibt, in denen man auch durch politisches Handeln noch einen Konflikt verhindern kann.
Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen, nämlich Burkina Faso. Dieses Land hat 2018 eine schwere Dürre erfahren. Sie sehen hier auf der Karte: Das ist ein Land in der Sahelzone, das von drei klimatischen Zonen geprägt ist. 80 Prozent der dortigen Bevölkerung arbeiten noch in der Landwirtschaft. Die Berufsgruppen – das ist nicht ungewöhnlich – teilen sich zwischen Ethnien auf. Beispielsweise die Fulbe und Tuareg sind eher nomadische Viehhirten, während die Bobo und Mossi Landwirtschaft eher sesshaft betreiben.
Der Klimawandel und die Folgen bezüglich der Veränderung der Regenfallvariabilität führen nun dazu, dass die Bauern und auch die Viehhirten um sich sehr verknappende Ressourcen kämpfen und nicht nur in ihrem Einkommen, sondern auch in ihrer traditionellen Identität bedroht sind. Die Identität, die Traditionen heften sich oft auch an die Arbeit, die die Menschen ausführen. Wenn es nun einen Verlust der Arbeit, also der Existenzgrundlagen gibt, bedeutet das oft auch eine Veränderung der Identität oder sogar ihren Verlust.
Ich habe noch geschrieben: Es gab bereits interkommunale Konflikte, die zu einer großen Binnenmigration geführt haben. Das waren 20.000 Binnenvertriebene und 26.000 Geflüchtete aus Mali und anderen Konfliktsituationen heraus.
Wir waren vor anderthalb Jahren in Burkina Faso, als man noch in das Grenzgebiet zu Mali reisen konnte. Das ist inzwischen leider nicht mehr möglich. Damals sind wir auf ein Dorf gestoßen, das als landwirtschaftlich sehr erfolgreiches Dorf bekannt war. Aber aufgrund der Veränderungen beim Regenfall – eine Woche Dürre und eine Woche starker Regen – konnten die Menschen überhaupt nicht mehr ernten. 50 junge Männer aus diesem spezifischen Dorf sind gewandert, und zwar aus der Subsistenzwirtschaft heraus nach Mali oder nach Elfenbeinküste, und dann wieder zurückgekommen. Als sie wieder zurückgekommen sind, haben wir sie befragt, wie ihre Erfahrungen mit der Migration waren:
Aus welchem Grund sind Sie nach Mali migriert? – Er hat uns geantwortet: Es war Armut. – Was für eine Art von Armut? – Das Problem mit Essen. – Was, meinen Sie, sind die Faktoren, die dazu geführt haben, dass es keine Nahrung in Ihrer Region gibt? – Es ist die Regenknappheit. – Sie sehen, dass man in diesen Befragungen oft relativ lange nachfragen muss, bis man die dahinterliegenden Gründe der Armut versteht.
Uns wurde auch geschildert, dass das Leben dort, wo sie gearbeitet haben, sehr schwer war: Wir mussten um 5 Uhr morgens aufwachen und zur Arbeit gehen, bis wir um 7 Uhr abends wieder gehen durften. – Wir haben auch gehört, dass die Arbeitsbedingungen sehr schwierig waren und dass die Arbeit körperlich sehr anstrengend war.
Wir haben auch gefragt: Während Sie dort waren, haben Sie Geld an Ihre Familie hier geschickt? – Nein. – Als Sie zurückkamen, haben Sie dann Geld mitgebracht? – Nein. – Wurden Sie also nicht bezahlt, oder was haben Sie mit Ihrem Geld gemacht? – Der Boss ist mit unserem Geld weggelaufen. – Das ist kein besonderes Beispiel, sondern es zieht sich eigentlich durch alle Interviews, die wir geführt haben, dass diese Menschen betrogen und kaum bezahlt worden sind und dass Geld oft von ihren Chefs an sich gerissen worden ist.
Was ist eigentlich die Rolle der evangelischen Kirche in diesem Themengebiet? – Ich denke, das ist eine besondere Rolle, weil wir uns hier auch mit der Frage der Klimagerechtigkeit auseinandersetzen müssen. Das hier ist ein Pamphlet von Oxfam von 2014. Darin heißt es: Die 85 reichsten Menschen haben genauso viel wie die unteren 3,5 Milliarden Menschen. – Diese Zahl ist 2019 weiter gesunken. Wir haben also eine extreme Ungleichheit.
Was hat das wiederum mit dem Klimaschutz zu tun? – Auf der rechten Seite sehen Sie das Champagnerglas der Verteilung der CO2-Emissionen. Sie sehen, dass die reichsten 10 Prozent, also noch mehr als diese 26 Personen, ungefähr die Hälfte aller Emissionen verursachen und dass die Armen ein sehr CO2-neutrales Leben führen und somit kaum zu den globalen Emissionen beitragen.
Ich denke, die evangelische Kirche muss dafür eintreten, die Klimagerechtigkeit in den Diskurs zu bringen. Ohne Klimaschutz kein Frieden und ohne Klimaschutz keine Gerechtigkeit.
Hier noch etwas vom Guardian: 20 Firmen produzierten 30 Prozent aller CO2-Emissionen seit 1965. Wir haben also eine extrem monopolisierte Produktion von Emissionen und Energie. Natürlich sind wir alle Komplizen in diesem Geschäft, weil wir Produkte wie Erdöl, Kohle, Gas und Strom konsumieren.
Was gilt es unbedingt zu verhindern? – Wir haben jetzt schon viel über beobachtete Folgen des Klimawandels gesprochen. Ich möchte Sie hier noch einmal darauf aufmerksam machen, was uns droht, wenn wir ein sogenanntes „Business-as-usual“-Szenario verfolgen. Hierauf ist die Entwicklung der Temperatur in den letzten 20.000 Jahren aufgezeigt; das ist die untere Linie. Auch der Grenzwert des Pariser Klimaschutzabkommens, nämlich 1,5 bis 2 Grad, ist darin eingezeichnet. Der Weg, auf dem wir uns momentan befinden – die Beobachtungsdaten sind die schwarze Linie auf der rechten Seite –, ist der rote Weg, bei dem oben „RCP8.5“ steht. Das ist das „Business-as-usual“-Szenario. Es liegt völlig im Bereich des Möglichen, dass wir uns aus diesem Temperaturraum völlig hinauskatapultieren. Das grüne Szenario ist das Pariser Klimaschutzszenario, bei dem wir die Emissionen sehr schnell herunterfahren.
Darüber liegen die sogenannten Kippelemente. Das sind großskalige Teile des Erdsystems, die sich sehr schnell verändern können, und zwar nicht linear. Das sind keine schleichenden Veränderungen, und wir können uns nicht zu jedem Zeitpunkt irgendwie daran anpassen, sondern diese Elemente erscheinen erst einmal stabil, bis sie dann in ein anderes Gleichgewicht fallen und quasi kollabieren.
Auch innerhalb der Pariser Temperaturgrenze gibt es Risiken, beispielsweise das Grönländische Eisschild, das Westantarktische Eisschild, die alpinen Gletscher oder den Verlust der Korallenriffe. Aber der Großteil der Risiken wird durch das Pariser Klimaschutzabkommen, wenn es denn eingehalten wird, ausgeschlossen. Der Amazonas-Regenwald könnte sich verändern, sowohl durch Temperaturanstieg als auch durch Entwaldung, und sich in eine Art Steppe verwandeln. Ich nenne noch die thermohaline Zirkulation, das El-Niño-System, das Ostantarktische Eisschild, Permafrost usw. Wir haben hier mit dem Pariser Klimaschutzabkommen eine Risikoabwägung getroffen. Diese verschiedenen Elemente im Erdsystem sind auch miteinander verwoben – das sieht man hier – und könnten zu verschiedenen Temperaturveränderungen kippen.
Man muss dazu sagen, dieses Gebilde ist sozusagen unser Rettungsschirm. Dieses Erdsystem erhält unsere menschliche Zivilisation. Wir ziehen momentan ganz stark an diesem Gewebe. Es könnte passieren, dass es irreversible Schäden gibt, die dann auch miteinander interagieren.
Was müssen wir tun, um das aufzuhalten? Wir müssen die fossilen Energieträger im Boden lassen. Wir dürfen sie nicht weiter verbrennen. Ein sehr, sehr großer Teil der bereits bekannten Reserven, wie Sie hier sehen, muss auf jeden Fall im Boden bleiben und darf nicht durch Verbrennen in die Atmosphäre entlassen werden.
Ein anderer Teil unserer Aufgabe ist die Wiederbewaldung, also der Schutz der natürlichen CO2-Senker, beispielsweise durch Farmer Managed Natural Regeneration oder durch andere Methoden der Wiederaufforstung.
Klimaproteste: Viel Lärm um nichts? Sie alle im Raum haben die dramatischen Veränderungen im Erdsystem gehört und tragen auch einen Teil dieser Verantwortung. Die Frage ist: War es viel Lärm um nichts, oder war es vielleicht doch im Geiste unserer gestrigen Podiumsdiskussion die Schaffung gewaltfreier Veränderung? – Vielen Dank.