Zwischen Erschöpfung und Improvisation
Wie die Corona-Krise die Arbeit von Pastorinnen und Pastoren verändert
Seit mehr als einem Jahr versuchen Pastoren, das Leben ihrer Gemeinden aufrechtzuerhalten. Beziehungen leiden durch die Corona-Beschränkungen, viele Kontakte brechen ab. Doch die Krise macht viele auch kreativ.
Von Urs Mundt (epd)
Hannover (epd). Bis Ostern wird sich die erhoffte Normalität auch in der Markusgemeinde in Lehrte bei Hannover noch nicht wieder einstellen. Die Pastorin der Gemeinde, Sophie Anca, plant deshalb einen Freiluftgottesdienst für Ostersonntag auf dem Kirchplatz. Nach einem Jahr Ausnahmezustand werden sich die Besucher kaum noch darüber wundern, wenn Anca niemandem die Hand gibt. Stattdessen soll jeder eine Osterkerze bekommen. Am Nachmittag will Anca außerdem 300 Narzissen an Menschen aus ihrer Kirchengemeinde verteilen, während Kinder im Gemeindegarten nach Eiern suchen. Außerdem will die Markusgemeinde die Auferstehung Jesu per Zoom feiern. "So ist es seit einem Jahr: Für alles müssen neue Lösungen her. Und vieles planen wir unter Vorbehalt, weil unklar ist, wie sich die Pandemie entwickelt. Der Arbeitsaufwand ist enorm gestiegen", sagt Anca.
Die 48-jährige ist eine von rund 1.700 Pastorinnen und Pastoren in den Kirchengemeinden der evangelischen Landeskirchen in Niedersachsen und Bremen. Die Pandemie macht es ihnen schwer, das Gemeindeleben aufrechtzuerhalten und den Kontakt zu den Menschen vor Ort nicht zu verlieren. Doch die Not macht Anca und ihre Kollegen erfinderisch. Die digitalen Treffen mit den Konfirmanden etwa hat ihr Kollege einmal mit einer Ralley verbunden, um der Zoom-Müdigkeit zu begegnen. Viele der sonst ehrenamtlich engagierten Jugendlichen sehe sie jedoch gar nicht mehr, erzählt die Pastorin. Auf Nachfrage gestand ihr eine Mutter, wie angespannt das Miteinander zu Hause ist. Der Sohn liege niedergedrückt im Bett und sei kaum zum Aufstehen zu bewegen.
Oft ist es ein Drahtseilakt, präsent zu sein und dennoch Abstand zu halten. Der Pastor und Personalberater Tilman Kingreen nennt ein Beispiel: "Was machen Sie, wenn Sie wegen eines Trauerfalls ins Wohnzimmer der Angehörigen kommen und alle dort weinend ohne Maske sitzen? Setzen Sie dann zuerst Ihr Hygienekonzept durch?" Kingreen berät Pastoren auf ihrem beruflichen Weg. Aus seiner Sicht ist es typabhängig, wie der Einzelne durch die Krise kommt. Für manche bricht eine Welt zusammen, weil alltägliche Routinen und Begegnungen fehlen. Andere wiederum haben Lust am Improvisieren und Spaß an digitalen Formaten, etwa indem sie ihren Instagram-Kanal pflegen.
Als Seelsorger sind sie dennoch unter Druck. "Pastoren nehmen viel stilles Leid war", sagt Uwe Teichmann, der Propst von Salzgitter-Lebenstedt. In seiner Propstei musste eine Kita drei Monate lang schließen - eine Katastrophe für die Kinder und ihre Familien. Viele Senioren, sagt er, seien jetzt noch einsamer als ohnehin schon. "Durch den Lockdown geht gerade viel seelisch kaputt, in unserer Gesellschaft, aber auch in der Pastorenschaft." Nach seiner Erfahrung haben sich stabile Kontakte zu Kollegen und Gemeindemitgliedern während der Krise zwar vielfach intensiviert. Lockere Beziehungen lassen sich aber nur schwer pflegen oder aufbauen, wenn Geburtstagsbesuche und beiläufige Begegnungen etwa an der Kirchentür wegfallen.
Die Landeskirchen Braunschweigs und Hannovers lassen den Gemeinden zwar die Freiheit, über ihren Coronakurs weitgehend selbst zu entscheiden, in Abhängigkeit vom Infektionsgeschehen vor Ort und den personellen, räumlichen und technischen Möglichkeiten. Das aber erzeugt neuen Rechtfertigungsdruck. "Dem müssen Sie als Pastor standhalten, egal ob Sie eher zu den Ängstlicheren gehören, oder zu denen, die so viele Präsenztreffen wie möglich wollen", sagt Teichmann. So kommt es vor, dass die eine Kirchengemeinde für den Sonntagmorgen in die Kirche einlädt, die Nachbargemeinde aber den Gottesdienst per Video und Zoom in die Häuser verlegt.
Trost zusprechen, die Gemeinschaft fördern, für Menschen in der Not da sein: Es liegt in der Natur dieser Aufgaben, dass sie nie ganz erledigt sind. Pastoren müssen sich dabei auch manchmal vor überzogenen Erwartungen schützen, nicht erst seit Corona. Aus Sicht des Hildesheimer Superintendenten Mirko Peisert haben Erschöpfung und Gefühle der Ohnmacht in der Pastorenschaft durch die Krise zugenommen. Für ihn ist eine Kraftquelle der Gottesdienst in der Andreaskirche. "Auf der Kanzel merke ich, wie viel von den Menschen zurückkommt. Sie sind unheimlich dankbar für die Gemeinschaft. Wenn Sie in die Kamera predigen, fehlt Ihnen das."
Eine Bilanz, wie die Krise das Pfarramt und die Kirche verändert, wäre verfrüht. Personalberater Kingreen und Pastorin Anca nehmen ein neues Bewusstsein für die Begrenztheit und die Endlichkeit des Lebens war. Mehr Menschen hörten zu, wenn der Pastor über existenzielle Fragen spreche. Tatsächlich wurden im Sommer mehr Gottesdienstbesucher in der Hildesheimer Andreaskirche und in der Lehrter Markuskirche gezählt als im Vorjahr. Dennoch wird die Pandemie der Kirche insgesamt wohl kaum neuen Zulauf bescheren. Die Kirchenleitungen wollen die Krise immerhin in puncto Digitalisierung als Chance verstehen.
Superintendent Peisert, dem die persönliche Begegnung viel bedeutet, ist skeptisch. Er warnt vor Berufsoptimismus: "Wir neigen manchmal dazu, vorschnell über Dinge hinwegzutrösten. Wir sollten das Leid als das benennen, was es ist, und der Klage Raum geben." Gleichzeitig gelte es, Geduld zu haben und zu hoffen, auf Ostern, und auf das Ende der Krise.