Weihnachtspredigt

Jochen Bohl

Dresdner Frauenkirche, Jes. 9, 1-6

„Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude. Vor dir wird man sich freuen, wie man sich freut in der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt. Denn du hast ihr drückendes Joch, die Jochstange auf ihrer Schulter und den Stecken ihres Treibers zerbrochen wie am Tage Midians. Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt. Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er's stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des Herrn Zebaoth.“
Jesaja 9, 1-6

Liebe Gemeinde,

„Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht“ – eine wunderbare Verheißung. Sie ist dem Volk Israel gegeben; das in so ungewöhnlicher Weise herausgehoben ist unter allen Völkern. Seine Geschichte erzählt von Verlassenheit und Gottferne, und bezeugt doch niemals gebrochene Lebenskraft und starke Hoffnung. Die Bibel des Alten Testaments ist in diesem Sinn ein Buch der äußersten Gegensätze und Extreme; so nah liegen Licht und Dunkel in ihren Erzählungen beieinander. Die Sklaverei in Ägypten wird gefolgt von dem Einzug in das gelobte Land; der Bau des Tempels in der Stadt auf dem Berge, Jerusalem, aber auch das Exil in Babylon; die Schrecken und das unerhörte Blutopfer der Nazi – Verfolgung in der Shoah und doch die Gründung des Staates Israel. „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht“.

Mit diesen Worten ist vieles wie in einem Brennglas zusammengefasst: die mühselige Wanderschaft im Dunkel der Zeiten – aber unterwegs doch zu erkennen, und zum Greifen nah: die Helligkeit einer guten und verheißungsvollen Zukunft.

„Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht“.

Wir sind Christen und hören in den Worten des Propheten das Kommen Jesu Christi angekündigt, dessen Geburt wir an Weihnachten feiern, heute und morgen wie in jedem Jahr. Auch zu uns sprechen Jesajas Worte in großer Intensität, denn der Gegensatz von Licht und Dunkelheit ist uns in gleicher Weise vertraut, wie er den Menschen vor Augen stand, die Jesaja vor 2700 Jahren anredete. Das gestürzte Turmkreuz erinnert uns an die Zerstörung dieser Kirche und an den Hass, dem sie zum Opfer fiel. Der Altar, der von den stürzenden Trümmern begraben wurde, trägt die Wunden jener finsteren Bombennacht.

Und doch:

Wir haben ein großes Licht gesehen, als zur Weihe der Frauenkirche eine klare und kräftige Sonne aus blauem Himmel auf unsere Stadt und die festlich gestimmte Gemeinde strahlte. Der Tag erhielt seine unvergessliche Prägung aber erst durch das Leuchten der Botschaft von dem kommenden Reich Gottes, die wir in so bewegender Weise bestätigt fanden durch die Geschichte dieses Ortes von Friedenshoffnung und Wiederaufbau. Das Licht kam nicht nur vom Himmel, sondern aus einer Kraftquelle mitten unter uns, die von einer anderen Wirklichkeit zeugte: die Gottesgabe der Versöhnung, die Realitäten der Welt übersteigend und verwandelnd . Für viele Menschen, nicht nur in unserer Stadt, sondern weit über ihre Grenzen hinaus bezeichnete jener Tag einen Einschnitt; das endgültige Ende des Krieges und die wirkliche Möglichkeit, in versöhntem Frieden zu leben. Wir durften Hoffnungen bestätigt sehen und erkennen, wie der Glaube helfen kann. Solche Tage stärken uns an Leib und Seele. Sie stützen die Hoffnung, die uns trägt in den Nöten, in die das Leben uns stürzt. Sie stärken unseren Glauben, dass Gott uns nah ist, eine Wirklichkeit, auf die Verlass ist. Es war ein Tag strahlenden Lichts.

 „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht“

Liebe Gemeinde,

im Hören auf das Wort des Propheten Jesaja  und die Not der Verschleppten in Babylon dürfen wir uns zuerst dankbar vergewissern: wir wandeln nicht in Finsternis. Unser Leben ist reich mit guten Gaben beschenkt; es herrscht Frieden, und Freiheit von Unterdrückung,  und immerhin bezeichnet das Mühen um Gerechtigkeit die Wirklichkeit dieser Tage.

Aber auch wir leben nicht ohne Dunkel oder Nöte.
Wir erschrecken vor den Untaten eines blutigen Terrorismus und dem Wahn, der ihn treibt.
Wir haben in unserem Land allzu viele von einer guten Entwicklung der Gesellschaft ausgeschlossen; nach zahllosen Enttäuschungen sind sie ohne Zuversicht, eine Arbeit zu finden. An diesen Weihnachtstagen fürchten sich Tausende vor dem drohenden Verlust ihres Arbeitsplatzes, und hören zugleich von großen Gewinnen, zu denen auch sie mit ihrer Arbeitskraft beigetragen haben. Das Ziel jeden Wirtschaftens ist aber nicht die maßlose Steigerung des Einkommens weniger, sondern dass alle Menschen ihren Lebensunterhalt erarbeiten können und mit ihren Kräften, Gaben und Fähigkeiten etwas beitragen können für eine Zukunft in Gerechtigkeit.
Wir machen es den Jungen viel zu schwer, ihren Platz zu finden im Leben der Gesellschaft und drängen die Älteren unsinnig früh an den Rand.

Wir gehen in die Irre, wenn wir meinen, es könne eine gute Zukunft geben ohne Kinder.

Im Glauben begegnen wir Gott, und können vor ihm schonungslos offen sein; ohne zurückzuhalten, was zur Wahrheit unseres Lebens gehört. Jeder von uns hat schon dunkle Zeiten durchlebt und weiß, wie sehr sie lasten können, welche Gefahren unser Leben bedrohen. Unsere Ausweglosigkeiten und Verlegenheit, unser Innerstes, die Schuld und die verborgene Angst, von der wir zu niemandem reden mögen, bringen wir zu Gott. Vor ihm zählt die Wahrheit, wie auch immer sie sein mag. Und zur Wahrheit gehört die Erkenntnis, wie gefährdet unser Leben ist und das wir Menschen es sind, die erst die Gefahren heraufbeschwören. Nicht nur, dass Dunkelheit über uns hereinfällt, wir selbst sind es, die es immer wieder dunkel werden lassen. –

Es ist heute, wie es zu allen Zeiten war: unsere Zukunft ist offen. Wie es werden wird mit meinem oder mit deinem Leben oder mit dem Weg unseres Landes, ist nicht ausgemacht. Niemand kann wissen, was die Zukunft bringt und es ist möglich, dass es gut wird, wie wir es uns erhoffen – aber es kann auch sein, dass Dunkelheit uns umfangen wird. In diesem Sinn ist es für uns nicht anders, als es für das Volk Israel war, zu dem Jesaja sprach. Wir wandern durch die Zeit -  in Ungewissheit und doch hoffend, im Wechsel von Licht und Dunkelheit. Wir sind darauf angewiesen, Licht zu sehen, das uns auf dem Weg hält.

Liebe Gemeinde, jetzt aber feiern wir Weihnachten, unterbrechen unsere Wanderschaft und halten inne. Wir sehen auf das große Licht, den Stern über Bethlehem und hören die wunderbare Verheißung: “Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden“. Gott ist Mensch geworden. Die Geburt dieses Kindes ist ein Geschenk, das unser Leben hell erleuchtet. Das Geschenk ist Gott selbst. Er kommt zu uns in Liebe, damit wir leben können.  Weihnachten hören wir die Botschaft, dass unser  Leben, so verworren es auch ist, geheilt sein will durch die Liebe Gottes.

Sie schließt auch unsere dunklen Erfahrungen ein: unsere Ängste, die Trauer, die wir erleiden, unser Versagen, unsere Schuld und die Verluste an Lebenskraft, die unausweichlich unseren Weg durch die Zeit kennzeichnen. Gottes Liebe meint uns selbst, das ganze Leben und die ganze Person. Er sieht uns, wie wir sind – und wenn er auch um die Dunkelheiten und Abhängigkeiten weiß, die zu uns gehören, so wendet er doch seinen Blick nicht ab. Es bleibt ein liebender Blick.

Die Weihnachtsbotschaft ist ein strahlendes, helles Licht in dieser Welt. Sie leuchtet klar, und jeder Mensch versteht sie: Fürchtet euch nicht, Friede sei mit Euch, das ist die Botschaft der Engel in Bethlehem.

Zu dem Frieden, den Gott schenken will, sind wir  berufen; und wir werden zu Friedensboten, wo wir einander mit seinen Augen ansehen. Dann werden wir uns als Schwestern und Brüder erkennen, die sich zum Leben helfen und einander die Lasten des Lebens tragen. An diesem Festtag des Friedens wollen und werden wir nicht diejenigen vergessen, die in unserer Mitte von Dunkelheit umgeben sind.

Gott will, dass wir uns den Schwachen zuwenden; er selbst ist ja in äußerster Schwäche in die Welt gekommen.

Gott will, dass wir uns gegen den Hass in der Welt stellen und einander die Hand zur Versöhnung reichen. Der Tag der Geburt des Gotteskindes mahnt alle Völker, nicht auf die Stärke der Waffen oder der Machtmittel zu setzen, sondern zu vertrauen auf die Kraft, die der Bereitschaft zur Versöhnung innewohnt. An diesem Ort mit seiner Geschichte von Finsternis und strahlendem Licht hören wir die Weihnachtsbotschaft. Sie ruft zum Frieden, zur Versöhnung.

„Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht“

Versammelt in der Frauenkirche, wissen wir, was gemeint ist. Dankbar sehen wir auf die Geburt Jesu Christi, und erkennen den Willen Gottes für uns: es soll Friede sein; und wir Friedensboten!
Amen