Weihnachtliche Vesper vor der Frauenkirche
Jochen Bohl
Es gilt das gesprochene Wort
Liebe Gemeinde,
es gibt keine andere Zeit im Jahr, die in den Kindergärten unseres Landes so intensiv vorbereitet wird wie die Weihnachtszeit.
Im Advent möchten die Erzieherinnen den Kindern etwas von dem Zauber des Festes der Liebe vermitteln, ihre Vorfreude anregen und sie einstimmen auf die so besondere Prägung der Festtage, die sie von allen anderen im Jahr unterscheidet. Die Räume werden liebevoll geschmückt, es werden die vertrauten Geschichten erzählt, die Lieder gesungen, die Türen am Adventskalender geöffnet, der Nikolaustag in gespannter Aufmerksamkeit begangen. Die Geschichte von dem Kind in der Krippe, den Engeln am Himmel und ihrer Friedensbotschaft rührt die Kinder in ganz besonderer Weise an und ihre unverstellte, direkte Freude ist für uns Erwachsene schön anzusehen; indem wir das Fest für sie gestalten, erfreuen wir uns selbst. Den Heiligen Abend, an dem in den meisten Familien die Geschenke beschert werden, erwarten die Kleinsten mit größter Spannung – es ist für sie ein ganz besonderer Tag im Jahr, herausgehoben unter allen anderen, heute haben sie gesungen: einmal werden wir noch wach…
Der Heilige Abend ist wie kein anderer. Heilig, das bedeutet ja: nicht alltäglich, sondern anders als all das, was zu unserem Leben gehört, unterschieden von dem was üblich und zu erwarten ist. Heilig, das bedeutet auch: nicht beliebig, wie wir es denn nun damit machen oder halten, sondern von einer besonderen Bedeutung, die ausstrahlt auf unser Leben und es verändert, bereichert. Das Heilige macht einen Unterschied – was uns gleichgültig lässt, wird unterschieden von dem, was gut und uns unbedingt wichtig ist. Solche Unterscheidung hilft uns, dem Leben eine Gestalt und die Formen zu geben, die es erst lebenswert machen. Vieles tun wir Tag für Tag, weil es getan werden muss – aber was wäre es für ein Leben, wenn es nicht das ganz andere, das Besondere für uns bereit halten würde: Menschen, mit denen wir in herzlicher Gemeinschaft verbunden sind; Liebe, die wir empfangen und geben dürfen; Tage, an denen alles leicht, wie verzaubert ist und Worte, die unsere Herzen erreichen. Es gibt den Unterschied, zu unserem Glück; und heilig nennen wir, ob wir gläubig sind, zweifelnd oder ungläubig, was unser Leben reich macht, was es strahlen lässt. Dann sagen wir „das ist mir heilig“. Wir freuen uns auf den Heiligen Abend.
In dem Jahr, das nun zu Ende geht, habe ich manchmal gedacht, dass wir in der Gefahr sind, das Heilige klein zu machen und das Alltägliche zu groß werden zu lassen, die Unterschiede zu verwischen. Wir leben ja in einer Zeit, in der viele Lebensbereiche dem Diktat der Wirtschaftlichkeit unterworfen werden. Darunter sind auch solche, die in früheren Zeiten nicht einmal entfernt etwas mit der Sphäre des Nutzendenkens zu tun hatten. Immer schon haben wir uns zu Weihnachten beschenkt, und das hatte seine Bedeutung für die Unternehmen und den Handel; aber das war etwas Beiläufiges, keiner besonderen Betrachtung wert, alltäglich. Jetzt aber informieren die Medien nach jedem Adventssonntag, ob das Weihnachtsgeschäft gut oder sehr gut war; und um des geschäftlichen Erfolgs willen werden die Geschäfte am Sonntag geöffnet. Die Vorfreude auf Weihnachten, der besondere Reiz der Adventszeit werden benutzt, um wirtschaftliche Erfolge zu erzielen.
Die Folge allerdings – zuerst unmerklich, aber unaufhaltsam – wird sein, dass der Festtag zum Alltag wird, denn das Einkaufen ist und bleibt ja etwas alltägliches. So sind wir im Begriff, gerade das zu beschädigen, was uns doch das Besondere ist.
Es ist falsch, den Advent und die Weihnachtsfreude zu etwas alltäglichem zu machen, zu Tagen, wie alle anderen es sind, sie dem Nutzendenken unterzuordnen und das Heilige dem Alltäglichen zu opfern. Weihnachten ist doch nicht zuerst ein Wirtschaftsfaktor, sondern ein Fest der Herzen und für die Sinne, das Fest der Liebe, der Kinder und der Familien; es ist der Festtag Gottes, der uns Menschen nahe kommt! Es soll doch so sein, dass das Heilige auf den Alltag ausstrahlt!
Liebe Gemeinde,
Weihnachten ist kein Fest der Wirtschaft, sondern des Glaubens. Am Heiligen Abend sehen wir auf das Kind, das geboren ist, in ärmlicher Umgebung, vor langer Zeit. Wir Christen sehen darin nichts alltägliches, sondern das Besondere, das jeden von uns angeht; es ist von größter Bedeutung, heilig für jeden Menschen: Gott ist in diese Welt gekommen, er bringt uns den Frieden, den wir uns nicht selbst geben, sondern nur schenken lassen können. Über Bethlehem stand ein Stern und die Menschen hörten die Worte: „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden!“ Es soll die Welt nicht so bleiben wie sie ist, so tief gespalten durch den Abstand von verschwenderischem Reichtum und bitterer Armut, durch den Hass, der zur Gewalttat führt, durch die Gier, die den Mitmenschen verletzt, durch den Geiz, der nur und immer auf den eigenen Nutzen aus ist. Zu Weihnachten ist der Wille Gottes für jeden Menschen zu erkennen – dass wir ihm die Ehre geben und zu Friedensstiftern werden. Nichts hat die Welt nötiger als die Hoffnung, die mit Weihnachten in die Welt gekommen ist, die Bereitschaft und den Willen in Frieden miteinander zu leben. Am Heiligen Abend hören wir, dass unsere Sehnsucht nach Frieden eine Möglichkeit ist, die wir ergreifen können, dass Gott heil machen will, was in dieser Welt zerbrochen ist – und darum nennen wir diesen Abend heilig. Damit wir diese Botschaft aufnehmen können, bereiten wir uns vor, schmücken unsere Wohnungen und Städte; damit es leicht wird, unsere Herzen und Sinne zu öffnen und zur Besinnung zu kommen – darum gestalten wir den Advent mit Kerzen und Liedern und Zweigen. Darum hören wir am Heiligen Abend die Weihnachtsgeschichte und beschenken uns, zum Zeichen, dass Gott uns beschenkt hat, in Jesus Christus, dem Friedensfürst. Es ist gut, wenn schon die Kinder eingestimmt werden, denn die Erinnerung wird ihnen bleiben, was auch kommt.
Daran wollen wir festhalten und das Fest feiern, in der Hoffnung, dass es ausstrahlt in unseren Alltag hinein.