Das Licht der Hoffnung im Dom zu Braunschweig
Friedrich Weber
Liebe Gemeinde,
in den letzten Tagen habe ich viele Briefe muslimischer Gemeinden und Verbände aus dem Braunschweiger Land und weit darüber hinaus erhalten, die uns Christen eine gesegnete und friedvolle Weihnacht wünschen. Sie erinnern an das Wort der Engel auf dem Feld bei Bethlehem, seit 2000 Jahren in unserer Welt: „Fürchtet euch nicht! Siehe ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr in der Stadt Davids.“ Darum: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen, die Gott wohlgefallen.“
Aber es ist kein Friede in der Welt. Menschen werden vergiftet, in Palästina bringen Brüder einander um. Abu Khaled ist 23, studiert, arbeitet tagsüber für die palästinensischen Sicherheitskräfte der Fatah und wird nachts zum „Heiligen Krieger“ der Hamas. Er führt ein Doppelleben und würde notfalls sogar seine Freunde töten: „So weit sind wir schon gekommen.“ Weihnachtszeit im Heiligen Land! In Rom bittet ein seit Jahren künstlich am Leben erhaltener Mann um den Tod und in unserer Mitte werden Kinder ums Leben gebracht. Es ist kein Friede! Oder: Noch ist kein Friede?!
Am Heiligen Abend empfinden wir die Dissonanzen unserer Welt stärker als sonst. Wir erinnern uns der Zeit, als wir noch unbeschwert vor der verschlossenen Tür des weihnachtlichen Zimmers warteten, dem Augenblick entgegenfieberten – und manch Kleiner hatte wirklich ein wenig Fieber –, da die Tür zum Paradies der Weihnacht aufging und wir hineintreten durften. Glückseligkeit, am Ziel angekommen – wunderbare Welt der Weihnacht. Und wir fanden wieder, was in den Wochen zuvor verschwunden war: den Pferdewagen, neu bemalt, die Puppe, in herrlicher Kleidung, den Baukasten mit den hölzernen Steinen, ergänzt und wieder vollständig und unerwartet: die ersten Teile der Eisenbahn, der Eisenbahn, die wir noch vor kurzem im Schaufenster mit an den Scheiben platt gedrückter Nase bewundert hatten. Weihnachtliche Herrlichkeit!
Die Lieder, die Geschichte von der Geburt des Kindes im Stall, Maria und Joseph … Und wer das so nicht erfahren konnte, wer an Weihnachtsabende andere Erinnerungen hat, in dem ist trotzdem eine Sehnsucht geblieben, dass es einmal so werde, wie es sein könnte.
Und es soll so werden!
Das ist die Botschaft der Heiligen Nacht: Nichts muss so bleiben wie es schon immer war, nichts ist so festgezurrt, so unwiderruflich, so unveränderlich, dass es nicht neu werden könnte.
Damals in Bethlehem, als die jungen Eltern auf ihr Kind schauten, so verwundbar, damals in Bethlehem als die Hirten um die Krippe standen, diese wundersame Geburt bestaunten und ihre Angst vergaßen, damals als die Weisen aus dem Morgenland sich vor dem armen Kind in der Krippe beugten, da wussten sie: Jetzt ist Hoffnung in der Welt.
Wenn es licht wird, wenn es hell wird, dann verliert das Dunkle sein Macht. Wir wissen es doch: das Dunkle in unserer Welt und unserem Leben ist deswegen so mächtig, weil es sich unkontrolliert, unbeobachtet wähnt. Weil es als unabänderlich gilt, unberechenbar, bedrohlich. Wo Licht ist, wird das Dunkle entlarvt, verliert es seine Gewalt, obwohl es noch ist.
Viele haben sich seitdem von diesem Licht anzünden lassen.
Ich denke in dieser Stunde an Mitri Raheb, den Pfarrer der lutherischen Gemeinde in Bethlehem. Die Christen im Heiligen Land stehen zwischen den Fronten. Verdächtig den einen, weil sie Palästinenser sind, verdächtig den anderen, weil sie keine Muslime sind. Er sagt: „Unsere Rolle als Christen besteht nicht darin, zu jammern und zu klagen, auch wenn es genug Grund dazu gibt. Unsere Rolle ist es vielmehr, die Ärmel hoch zu krempeln und uns an die Arbeit zu machen, damit die Situation besser wird.“
Die Situation wird besser, weil Christen in Bethlehem ein Kinderhospital erhalten, sie wird besser, weil in Talitha Kumi eine evangelische Schule – auch durch unsere Hilfe – arbeiten kann, in der Kinder ganz unterschiedlicher religiöser Herkunft miteinander leben und lernen, ihr Anderssein als Reichtum und nicht als Bedrohung zu erleben. Sie wird besser, weil Frauen wie Sumaya Farhat Naser nicht müde werden für die Versöhnung zwischen Juden, Muslimen und Christen zu arbeiten – unter Gefährdung des eigenen Lebens. Es ist gut, dass es solche Menschen gibt, dort – die Nachfahren der Hirten – und hier unter uns. Sie bringen Licht in diese Welt. Sie helfen uns, die Dissonanzen zu ertragen, und ihr Beispiel schärft unseren Blick für das noch immer und immer wieder Bedrohliche in unserer Welt.
Das Licht von Bethlehem – auch hier Dom leuchtet es. Herüber gebracht wurde es, weitergereicht. Und nun sind wir es, Sie und ich, die es in die Welt tragen sollen. Es klingt ganz schlicht im Lied:
1. Tragt in die Welt nun ein Licht,
sagt allen: Fürchtet euch nicht!
2. Tragt zu den Alten ein Licht,
sagt allen: Fürchtet euch nicht!
3. Tragt zu den Kranken ein Licht,
sagt allen: Fürchtet euch nicht!
4. Tragt zu den Kindern ein Licht,
sagt allen: Fürchtet euch nicht!
Gott hat euch lieb, Groß und Klein!
Seht auf des Lichtes Schein.
Es ist noch kein Friede in der Welt, aber das Licht von Bethlehem, das Licht, das vom Kind in der Krippe ausgeht, erleuchtet und erwärmt Herz und Verstand.
Die Alten, die Kranken und die Kinder – da sind wir mitten drin, in den Problem unserer Tage – hier in unserem Land.
Die Alten: Wer begegnet ihnen mit dem Respekt, der ihnen gebührt? Im 3. Buch Mose heißt es: „Vor einem grauen Haupt sollst du aufstehen und die Alten ehren und sollst dich fürchten vor deinem Gott; ich bin der HERR.“ (19,32)
Die Kranken: Wer besucht sie – auch die in der Nachbarschaft – und bleibt ein wenig, hört zu, schweigt und betet mit ihnen. Wer steht den Sterbenden bei, hört in der Bitte um aktive Sterbehilfe auch den Ruf nach menschlicher Begleitung?
Die Kinder: Fast jedes siebte Kind ist von Armut betroffen und beinahe jeder fünfte Jugendliche. Das bedeutet unter anderem, dass etwa zwei Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren in Deutschland von Leistungen auf dem Sozialhilfeniveau leben. Und wo werden unseren Kindern die Werte vermittelt, die sie befähigen ihr Leben verantwortlich zu führen?
Tragt in die Welt nun das Licht, das Licht von Bethlehem. Das Licht der Heiligen Nacht. Licht der Hoffnung.
Unsere Welt, unser Land braucht Christen, die dieses Licht nicht unter den Scheffel stellen, die es leuchten lassen. Unsere Welt, unser Land braucht Christen und Christinnen, die von diesem Licht erwärmt auf Menschen anderen Glaubens zu gehen, sie nicht übersehen. Unser Land braucht Christen, die zu Friedensstiftern werden. Auch zwischen den Religionen und Kulturen in unserem Land. Wir dürfen es nicht zulassen, dass das Fremde nur als Bedrohung gesehen wird. Vom Licht unseres Glaubens erwärmt, werden wir auch das Schöne im Glauben der anderen sehen. Das können wir aber nur, wenn uns das Eigene nicht fremd ist. Die Spannungen aushalten und an ihnen arbeiten kann nur, wer um seine eigenen Wurzeln weiß.
Heute Abend erleben wir sie, entdecken wir sie vielleicht neu: in den Liedern, den Gebeten, den biblischen Texten.
Ich wünsche uns, dass sie unser Herz erwärmen und uns zu Menschen voller Hoffnung machen.
Amen