Morgenandacht

Domprediger Joachim Hempel

Liebe Schwestern und Brüder, die Glocken hören auf zu läuten. Einen guten Morgen. Wir beginnen unsere Andacht: Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

(Lied 454, Strophen 1 – 6)

„Gottes Güte, Gottes Treu sind an jedem Morgen neu.“ Was haben wir da für einen „cantus firmus“ am Haushaltsberatungsmorgen gesungen. Was für ein gläubiger Gegensatz zu jener nicht verstummen wollenden Melodie des Lebens, die uns vor Jahren mit dem Song „Guten Morgen, liebe Sorgen, seid ihr auch schon alle da?“ entgegendudelte, Pendler pauschaliert im Autoradio oder den ersten Bissen am häuslichen Frühstückstisch begleitend.

Gottes Güte und Gottes Treue - unbegründbar, nicht logisch ableitbar, einfach da, jeden Morgen meines Lebens. Und diese Güte und Treue des großen Gottes, der auch mich kennt und sieht, hilft selbst die nach durchwachter oder durchgemachter Nacht noch schwachen Kräfte sammeln zum Gebet. Wer hingegen morgens kräftemäßig schon gut beieinander ist, betet um so inbrünstiger.

Wir beten gemeinsam Luthers Morgensegen, Nr. 815 im Gesangbuch. (Gemeinsames Gebet)

Liebe Schwestern und Brüder, dies ist eine klimaneutrale Synode. Erstmalig wird eine Tagung der Synode der EKD nach verursachten C02-Emissionen berechnet und diese durch Investitionen in anerkannten Klimaschutzprojekten kompensiert. ‚Wir haben es gelesen und gehört, süffisant oder hoffentlich eher zustimmend kommentiert. Solche Ideen würden mancher Klimakonferenz gut anstehen, weil das „mit dem Finger auf andere zeigen“, die endlich was tun sollen, dadurch nicht ganz so verlogen daherkämen. Und in der Tat steht es auch einer Synode gut an, sich und andere daran zu erinnern, dass viele Menschen auch an diesem Morgen heilfroh wären, wenn ihnen das zur Verfügung stünde: sauberes Wasser, saubere Luft, tägliches Brot.

Klima allerdings hat bekanntlich auch mit unserem seelischen Wohlergehen zu tun. Wer in schlechtem „Betriebsklima“ zu arbeiten hat, der meint nicht schlechte Luft in den Räumen, sondern dicke Luft im Miteinander. Und diese dicke Luft ist ein gesellschaftliches Megaphänomen, das keine Beziehung ausspart. Es soll gelegentlich sich sogar in synodalem Geschehen verdicken. Menschen, die unter dieser Luft leiden, machen sich nicht selten Luft, die dann durch Vorwürfe, Unterstellungen, Verdächtigungen und laute Worte auch nicht immer zur Klärung und Klarheit führt.

Diese „zwischenmenschliche Umweltverschmutzung“ ist nicht so leicht zu kompensieren - zumal sich durch D. Martinus’ Thesen wider den Ablasshandel eine virtuell durchaus durchspielbare EKD-Initiative zum Handel mit zwischenmenschlichen Emissionen jenseits von CO2 verbietet.

Aber nachgedacht, liebe Schwestern und Brüder, habe ich schon darüber, als ich kürzlich bei einer der täglichen 5-Minuten-Andachten im Braunschweiger Dom mal wieder die „Zehn Gebote“ durchbuchstabiert habe. Das wär’s doch: Ein Gebot, das ich stets brav erfülle, „du sollst nicht töten“ zum Beispiel, biete ich im „Sünden-Schulden-Emissionstausch“ an, - vielleicht im Seniorenkreis, wo doch das mit dem Ehren der Eltern oder mit dem Ehebrechen nicht mehr so stark nachgefragt ist.

„EKD bietet medienwirksam klimaneutrales Programm für zwischenmenschlichen Dicke-Luft-Ausstoß!“

Doch dieser Handel findet nicht statt, und Luther hat uns hinter die Ohren geschrieben und an die Tür geklopft, was es um den Handel mit dem ist, was wir Menschen so zwischenmenschlich und unserem Schöpfer gegenüber ausstoßen, jenseits von CO2.
Wer mag: www.ekd.de Reformationstag, These 37 bis 95 etwa.

Wenn’s also so nicht geht, wenn diese Klimaneutralität auch für Synodale wie für andere normale Gläubige nicht zur Verfügung steht, wie denn dann? Wohin mit all dieser dicken Luft zwischen Eheleuten, Kindern und Eltern, Einheimischen und Zugereisten, Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen, Befürwortern und Gegnern, denen die mir auf die Nerven gehen, und denen, denen ich am liebsten mal. Na, was denn? Wohin damit?

„Wenn Du, Herr, unsere Sünden anrechnest, wer kann vor Dir bestehen? Ich rufe aus der Tiefe zu Dir: Herr, höre meine Stimme!“ (Psalm 130)

Was sich da so ansammelt im Laufe eines einzigen menschlichen Lebens an dicker Luft, an Dreck am zwischenmenschlichen Stecken und an dem, was wir so wider besseren Wissen tun – hier, vor Gott, ist es offenbar.

Der Psalmbeter des 130. Psalms, dem der Wochenspruch dieser synodalen Woche entnommen ist, sagt: „Ich hoffe, dass Du kommst, Herr. Meine Seele hofft auf Dein Urteil.“ – Meine Seele hofft auf Gottes Urteil? Hofft, - hofft auf Gottes Urteil, sagt der Psalmbeter. Das kann doch wirklich nur einer hoffen, der glaubt, das gilt, was Wilhelm Heyn in seinem schönen Lied von den Sternlein so beschreibt: „Gott im Himmel hat an allen seine Lust, sein Wohlgefallen, kennt auch dich und hat dich lieb.“

Donnerwetter, sagt der Protestant, hat Lust und Wohlgefallen. Gott hat Lust an Ihnen und an mir, Lust und Wohlgefallen. Er, der Allmächtige, hat Lust und Wohlgefallen und lässt seine Liebeserklärung kund tun auch da, wo uns schon länger keine mehr über die Lippen gekommen ist.

Kennt auch dich, kennt auch dich und mich, kennt mich. Meine Güte, denke ich, er kennt mich wirklich. Eigentlich kenne ich mich doch nur mit all dem, was dazugehört. Kennt auch mich und hat mich lieb; „haut mich nicht in die Pfanne“, „jagt mich nicht zum Teufel“, hat mich lieb!

Psalm 130: „Von Gott kommen Freundlichkeit und Licht; Er macht uns frei; Er bindet sein Volk los von allen Fesseln und von aller seiner Schuld.“
Durch Gottes Segen können wir anderen zu einem Segen werden. Das ist evangelische Perspektive. Was wir Menschen einander noch so alles sein können, davon ist die Welt voll. Aber einem anderen zum Segen werden, etwas sagen oder tun, was zum Segen gereicht, das hat mit zwischenmenschlichem Klimaschutz zu tun. Wo das gelingt, liebe Schwestern und Brüder, bleibt für die Herstellung der anderen Klimaneutralität wahrlich noch genug zu tun. Aber die Bewahrung der Schöpfung schließt ja den sechsten Schöpfungstag ein, wo ja der Mensch nach Gottes Willen wurde. Gott will, dass wir ein Segen für diese Erde sind. Auch darum ist bei ihm Vergebung. Ihm sei Ehre und Anbetung in Ewigkeit. Amen. (Psalm 130)

Wir wollen miteinander das Lied 511 singen. Da ich heute Morgen von den Bläsern schon gefragt worden bin, warum ein Abendlied am frühen Morgen, möchte ich Sie fröhlich darauf aufmerksam machen, dass das nicht wirklich ein Abendlied ist. Deswegen beginnen wir bitte mit der Strophe 3 und singen dann die Strophen 1 bis 3 als Strophen 2 bis 4.

(Lied 511, 3, 1-3 – gemeinsam gesprochenes Vaterunser)

Es segne und behüte Euch alle der allmächtige und barmherzige Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. Amen.

 Alsdann mit Freuden an Dein Werk gegangen!


06. November 2007