Entwurf eines Gesetzes zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege
Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege
Die EKD begrüßt den beschlossenen Ausbau der Tageseinrichtungen und der Tagespflege für unter 3-jährige Kinder, die Einführung des Rechtsanspruches auf Kinderbetreuung ab dem 2. Lebensjahr ab 2013 und die zunehmende Flexibilisierung von Öffnungszeiten von Kindertagesstätten. Diese Maßnahmen waren insbesondere in den alten Bundesländern seit langer Zeit überfällig. Sie sind die Voraussetzung für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, machen eine tatsächliche Wahlfreiheit erst möglich und erleichtern Eltern nach der Elternzeit den Wiedereinstieg in den Beruf. Mangelnde Möglichkeiten der Kinderbetreuung dürfen kein Grund sein, sich gegen ein Leben mit Kindern zu entscheiden.
Der Ausbau des Elementarbereichs bietet zugleich die Chance, Bildung, Betreuung und Erziehung qualitativ weiter zu entwickeln und damit auch Kindern aus bildungsfernen Schichten eine frühe Förderung zu ermöglichen, die das Elternhaus nicht bieten könnte. Dies gilt für Sprachförderung und die Entwicklung des Sozialverhaltens, aber auch für religiöse Bildung, Sport-, Musik- und andere Kulturangebote. Allerdings muss kritisch festgestellt werden, dass der Elementarbereich in Deutschland nur bedingt leisten kann, was derzeit von ihm erwartet wird. Zum Teil wird bei einem quantitativen Ausbau qualitativer Abbau betrieben, was die Fachlichkeit der Gruppenleitung, Gruppengröße und Refinanzierung angeht. Deswegen ist es zu begrüßen, dass der Ausbau der Tageseinrichtungen auch mit zusätzlichen Mitteln ausgestattet wird. Die EKD betont in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit, trotz des Ausbaubedarfs der Kinderbetreuungsmöglichkeiten auf die Qualität von Erziehung, Bildung und Betreuung - insbesondere im frühkindlichen Alter - zu achten und die Qualitätsstandards der Einrichtungen weiter zu entwickeln. Sie hält den Aspekt der Bildung im Dreiklang von Erziehung, Bildung und Betreuung für zentral und fordert die Möglichkeit einer an Werten orientierten Bildung „von Anfang an“. In seiner familienpolitischen Stellungnahme aus dem Jahre 2003 hat der Rat der EKD betont, dass „Tageseinrichtungen für Kinder nicht nur für die Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbstätigkeit wichtig sind. Sie haben auch einen eigenständigen Erziehungs- und Bildungsauftrag. Sie leisten einen entscheidenden und grundlegenden Beitrag zur Chancengleichheit bezüglich der Lebens- und Lernmöglichkeiten von Kindern und zur Integration von Kindern. Es muss gewährleistet sein, dass Tageseinrichtungen diese qualifizierte Bildungs-, Erziehungs- und Integrationsarbeit auch (weiterhin) leisten können.“[1] Dazu braucht das Personal in den Kindertageseinrichtungen, dazu brauchen auch Tagespflegepersonen eine gute Ausbildung. Die EKD hat sich deshalb dafür eingesetzt, den Beruf der Erzieherin bzw. des Erziehers in Deutschland endlich nach europäischen Maßstäben aufzuwerten.[2] Die EKD begrüßt in diesem Zusammenhang die angestrebte Entwicklung eines Berufsbildes der Tagespflegeperson. Dazu gehört allerdings auch, dass der Qualifizierung eine angemessene Entlohnung gegenübersteht.
Die Qualität von Erziehung, Bildung und Betreuung hängt jedoch nicht nur von der Qualifikation der Personen, die diese Funktionen ausüben, ab. Wesentlich für die Gewährleistung von Qualität ist auch der Betreuungsschlüssel. Insofern betrachtet die EKD die Regelungen des § 43 III SGB VIII-E mit Skepsis, weil sie den Ländern unter bestimmten Voraussetzungen ermöglicht, die Anzahl der von einer Tagespflegeperson zu betreuenden fremden Kinder auf über fünf zu erhöhen.
Die EKD begrüßt, dass im Gesetzesentwurf der Bundesregierung (im Gegensatz zum Referentenentwurf) keine Änderungen an den Regelungen zur strukturellen Förderung auf Bundesebene vorgenommen wurden. Der Vorschlag des Ministeriums, das Gemeinnützigkeitserfordernis für die Förderung von Trägern zu streichen und damit diese Form der Förderung nach § 74 SGB VIII auf Bundesebene auf privatgewerblich betriebene Träger auszuweiten, hatte die EKD mit großer Sorge erfüllt. Auch wenn im Blick auf einen schnellen Ausbau der Betreuungsplätze die Intention des Ministeriums, Anreize für Träger zu schaffen, nachvollziehbar war, rechtfertigte der gegebene Handlungsdruck und das Interesse an privater Finanzierung aus Sicht der EKD nicht, in so grundlegender Weise in die bewährte Förderstruktur des SGB VIII einzugreifen.
Durch die Änderung des § 74a SGB VIII-E steht nun allerdings zu befürchten, dass über die Verpflichtung der Länder, privatgewerbliche und gemeinnützige Träger von Kindertageseinrichtungen bei der Förderung gleich zu behandeln, ein vergleichbarer Effekt erzielt wird. Die EKD schlägt deshalb vor,
§ 74a SGB VIII in seiner bisherigen Form beizubehalten.
Im Folgenden nimmt die EKD zu einigen ausgewählten Regelungen Stellung.
1. Zu 2. § 16 Abs. 4 SGB VIII-E Betreuungsgeld
Die EKD setzt sich seit jeher für die Wahlfreiheit von Eltern ein und misst der Erziehung von Kindern in der Familie einen hohen Stellenwert bei. Je jünger die Kinder sind, desto mehr werden Bindungs- und Sozialverhalten, Sprache, Kultur und Werte, Geschlechterrollen, Gesundheitsverhalten und Haushaltskompetenz in der Familie geprägt. Das gilt in ganz besonderer Weise für die religiöse Bildung und Erziehung. Wer das Heranwachsen von Kindern fördern will, muss deshalb auch die nicht-institutionelle Erziehung im Blick behalten.
Den Vorschlag eines „Betreuungsgeldes“ lehnt die EKD jedoch ab. Das Betreuungsgeld im Sinne zusätzlicher unmittelbarer finanzieller Förderung an Eltern, die Kinder nicht in öffentlichen Einrichtungen betreuen lassen wollen, wird zwar mit dem Prinzip der Wahlfreiheit und der Verantwortung von Eltern für die Erziehung ihrer Kinder begründet. Die EKD befürchtet aber, dass Fehlanreize gerade da entstehen, wo Kinder in besonderer Weise auf Förderung außerhalb des Elternhauses angewiesen sind. Familien, die von Armut betroffen sind und/oder bildungsfernen Schichten angehören, brauchen mehr, um ihren Kindern eine Stütze sein zu können. Notwendig ist ein Netz von Familienhebammen, Tagesmütter, Elternschulen und Beratungsstellen, die dabei helfen, Erziehungskompetenz und Haushaltsführungskompetenz zu verbessern, gekoppelt mit Frühwarnsystemen, um von Seiten der Jugendhilfe rechtzeitig eingreifen zu können. Tageseinrichtungen für Kinder müssen sich dabei im Sinne eines Familienzentrums zu einem Knoten im Netzwerk sehr verschiedener, zum Teil individueller Fördermaßnahmen entwickeln. Entsprechende Angebote sollten allen Kindern zur Verfügung stehen. Diese Entwicklung sollte nicht durch die Einführung einer monatlichen Zuwendung für die Nichtinanspruchnahme einer Förderung in einer Einrichtung gefährdet werden.
2. Zu 5. § 23 Abs. 2a-E Entlohnung von Tagespflegepersonen
Laut Begründung des KiFöG-Entwurfes[3]sollen 30 % der zu schaffenden Betreuungsplätze im Bereich der Tagespflege entstehen. Die Bestrebungen der Bundesregierung, den Kindertagespflegebereich weiter zu entwickeln, sind deshalb zu begrüßen. Dazu gehört die in § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 erfolgte Konkretisierung der sozialen Absicherung der Kindertagespflegepersonen. Die EKD bedauert jedoch, dass die bisher geplanten Konkretisierungen der Entlohnung der Tagesmütter und -väter zum Teil entfallen sind. Der Referentenentwurf sah in § 23 Abs. 2a S. 2 2. HS vor, dass sich die Höhe der Förderleistung an der tariflichen Vergütung vergleichbarer Qualifikationen und Tätigkeiten orientieren solle. Den berechtigten Forderungen nach Qualifikation der betreuenden Person muss jedoch eine angemessene Entlohnung gegenüberstehen, um die Bedingungen für das Personal attraktiv zu gestalten. Auch das KiFöG verfolgt das Ziel, Kindertagespflege mittelfristig zu einem anerkannten und angemessenen vergüteten Berufsbild werden zu lassen.[4]Eine Entlohnung, die Leistung vorrangig quantitativ bemisst,[5]wie es der Entwurf nun vorsieht, könnte den Interessen der Kinder und der Eltern entgegenstehen. Denn um eine höhere Entlohnung zu erhalten werden Tagesmütter und -väter sich verpflichtet sehen, möglichst viele Kinder zu betreuen (siehe dazu unter 3). Aber nur wenn motivierte und engagierte Tagesmütter und -väter gewonnen werden können, werden Eltern diese Betreuungsform im angestrebten Maße wählen.
3. Zu 7. § 24 Abs. 2 SGB VIII-E Rechtsanspruch auf Inanspruchnahme von Tageseinrichtungen und Kindertagespflege
Die EKD begrüßt die Einführung des Rechtsanspruchs auf Betreuung für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahres ab 2013 ausdrücklich. Schließt sich an den Zeitraum des Elterngeldbezuges weiterhin kein Anspruch des Kindes auf Betreuung an, fehlt Eltern vielerorts eine Betreuungsmöglichkeit bei einem beruflichen Wiedereinstieg nach Ablauf der 12 bzw. 14 Monate, die der Intention der Elterngeldregelung widerspricht. Der nun geplante Ausbau der Betreuungsplätze eröffnet Eltern tatsächlich eine Wahl bezüglich der Form der Betreuung ihrer Kinder. Zu begrüßen ist darüber hinaus die Ausweitung der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme eines Betreuungsplatzes für Kinder vor Vollendung des ersten Lebensjahres auf Empfänger von Leistungen nach SGB II. Diese Ergänzung schließt eine Lücke in der Versorgung.
Die EKD möchte jedoch darauf hinweisen, dass die Formulierung, die sich in begrüßenswerter Weise am Anspruch des Kindes auf Erziehung und Bildung orientiert, missverständlich ist. Um vorzubeugen, dass Eltern sich bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen nicht verpflichtet sehen, ihr Kind schon früh durch Dritte betreuen zu lassen, sollte zumindest eine Klarstellung in Bezug auf die Wahlfreiheit der Eltern in die Begründung aufgenommen werden. Diese Klarstellung könnte auch etwaigen Obliegenheiten entgegen gehalten werden, die sich für ALG II Empfänger und Empfängerinnen aus dem Anspruch auf einen Betreuungsplatz ergeben könnten.
§ 24 Abs. 3 und 4 SGB VIII-E Ganztags- und Hortplätze
Der Ausbau der dringend benötigten Krippenplätze darf nicht zum Abbau von anderen Betreuungs- und Bildungsangeboten für Kinder (wie beispielsweise von Ganztagsplätzen in Kindertagesstätten für über 3-jährige Kinder oder von Hortangeboten für Schulkinder) führen.
4. Zu 12. § 43 Abs. 3 SGB VIII Qualität der Betreuung
§ 43 Abs. 3 SGB VIII-E legt fest, dass eine Tagesmutter oder ein -vater im Regelfall bis zu fünf fremde Kinder gleichzeitig betreuen soll. Diese Formulierung lässt eine Betreuung von mehr als fünf Kindern zu, solange sich diese nicht gleichzeitig bei der Betreuungsperson aufhalten. Im Vergleich zum Referentenentwurf präzisiert der Entwurf in der letzten Fassung, dass die Länder eine Erhöhung der Anzahl der zu betreuenden Kinder regeln können, wenn die Betreuungsperson über eine besondere Qualifikation verfügt. Eine zugewandte und fördernde Betreuung, die den eingangs formulierten Ansprüchen genügt, ist bei einem Betreuungsschlüssel von über 5:1 - trotz einer wie auch immer gearteten Qualifikation - nach Ansicht der EKD allerdings wohl kaum mehr leistbar. Das gilt insbesondere auch unter dem für die EKD unaufgebbaren Gesichtspunkt, dass eine an Werten orientierte und die Sprachförderung einschließende Bildung von Anfang an ermöglicht, jedenfalls aber nicht ausgeschlossen werden soll.
5. Zu 15. §74a SGB VIII-E Förderung
Nach den bisherigen Regelungen im SGB VIII steht die Entscheidung, ob privatgewerbliche Träger von der strukturellen Förderung profitieren sollen, den Ländern zu. Einige Länder haben bereits von der Möglichkeit, privatgewerbliche Träger zu begünstigen, Gebrauch gemacht. Wenn die Regelung den Ausbau der Betreuungsmöglichkeiten bewirken soll, ist den regionalen Besonderheiten Rechnung zu tragen.
Die EKD befürchtet darüber hinaus Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Gruppen in den Kindertagesstätten und das gemeinsame Lernen von Kindern aus unterschiedlichen sozialen Milieus. Die kostspieligen Angebote privat-gewerblicher Träger, die auf Gewinnerzielung ausgerichtet sind, werden nicht alle Eltern bezahlen können. Betreuungsplätze könnten deshalb vorrangig in Regionen geschaffen werden, in denen ein Klientel ansässig ist, das sich diese Form der Betreuung leisten kann. Dies befördert die sich vollziehende kulturelle und räumliche Trennung der Milieus, wie sie eindrucksvoll in der Studie „Eltern unter Druck“ im Auftrag der Konrad Adenauer Stiftung beschrieben ist.[6] Dort heißt es: „Deutschland scheint auf dem Weg in eine neue Art von Klassengesellschaft zu sein, wobei sich die Trennungslinie eben nicht nur über Einkommen und Vermögen, sondern auch über kulturelle Dimensionen wie etwa Bildungskapital und Bildungsaspirationen (…) verläuft.“[7] Nach Ansicht der EKD ist einer solchen Entwicklung entschieden entgegenzuwirken. Dazu braucht es Betreuungsangebote, die integrativ ausgerichtet sind, um Benachteiligung auszugleichen. In seiner Erklärung zum Auftrag evangelischer Kindertagesstätten hat der Rat 2004 formuliert: „Gerade vor dem Hintergrund eines christlichen Bildungsverständnisses und der diakonischen Verantwortung der Kirche wird es zukünftig für evangelische Kindertagesstätten verstärkt darauf ankommen, ihre spezifischen Bildungsaufgaben wahrzunehmen und durch Förderung und Ausgleich herkunftsbedingter Unterschiede für jedes Kind eine ihm entsprechende Bildung der Persönlichkeit zu ermöglichen.“[8] Zu diesem Auftrag gehört insbesondere die Sprachförderung, die sich vor allem an Benachteiligte, beispielsweise Kinder aus Migrantenfamilien, richtet.[9] Bei einer strukturellen Förderung privat-gewerblicher Träger steht zu befürchten, dass gerade das Angebot an Einrichtungen ausgebaut wird, das ausschließlich auf ein besserverdienendes Milieu zugeschnitten ist und benachteiligte Kinder außen vor lässt.
Die EKD regt deshalb an, § 74a S. 2 SGB VIII-E zu streichen.
[1] EKD Text 73, Was Familien brauchen, 2003, S.13
[2] So der Ratsvorsitzende Bischof Huber in seinem Vortrag beim BELTZ-Forum zum Thema "Welche Rolle spielt die Familie beim Gelingen von Schule und Lernen" vom 12. April 2008
[3] Vgl. Begründung S. 24
[4] Vgl. Begründung S. 16
[5] § 23 Abs. 2 a SGB VIII-E zieht neben der Anzahl der zu betreuenden Kinder und dem zeitlichen Umfang der Betreuung noch das Kriterium des Förderbedarfs für die Bestimmung der Leistungsgerechtigkeit heran.
[6] Vgl. die sozialwissenschaftliche Untersuchung von Sinus Sociovision GmbH im Auftrag der Konrad Adenauer Stiftung: „Eltern unter Druck“ Selbstverständnisse, Befindlichkeiten und Bedürfnisse von Eltern in verschiedenen Lebenswelten, Stuttgart 2008, S. 8f.
[7] ebenda
[8] Erklärung des Rates der EKD: “Wo Glauben wächst und Leben sich entfaltet, der Auftrag evangelischer Kindertageseinrichtungen“, Gütersloh 2004, S. 18
[9] a.a.O., S. 41