Was die Kirchen von den Medien brauchen und was die Medien von den Kirchen brauchen
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
das gestellte Thema ist natürlich eine Provokation: Brauchen denn die Kirchen überhaupt die Medien? Wir vermitteln doch das Evangelium in der Gemeinde vor Ort, unser Medium ist die Bibel, die Verkündigung. Wir kommunizieren ständig, medial sein ist seit den Tagen des Apostels Paulus unser Thema.
Und brauchen die Medien die Kirche? Du liebe Zeit, da sind die Kirchen doch oft nur notwendig, um staatliche Vorgaben zu erfüllen, die kulturelle Beiträge einfordern. Und was da alles abgeht, das versteht doch ohnehin niemand, sind die Kirchen überhaupt interessant, wir leben schließlich im 21. Jahrhundert.
Nun könnte ich das Ganze wissenschaftlich angehen, den wirklich wegweisenden Beitrag des Ratsvorsitzenden zum Thema referieren, die EKD Denkschrift ,,Mandat im Markt“ von 2007 einbringen oder rekurrieren auf ,,Kirche der Freiheit“, das Impulspapier des Rates der EKD zu den Perspektiven der Evangelischen Kirche im 21. Jahrhundert. Als ich diesen Vortrag bei wunderbarem Sonnenschein in Hannover am letzten Sonntag vorbereitet habe, dachte ich aber: Das alles kennt das gebildete Auditorium sicher nahezu auswendig.
Wenn ich es recht verstehe, dient dieser Abend weniger intellektueller Bildung als interpersonaler Kommunikation. So habe ich mich entschlossen, heute einen persönlichen Vortrag zu halten. Manche in der Kirche würden sicher sagen: lass die Finger davon, erzählt bloß nichts von dir selbst. Aber ich kann der Versuchung nicht widerstehen, das ist ja auch gut biblisch. Ich werde das Thema also entfalten, indem ich Ihnen erzähle, wie ich als Bischöfin in die Medien erlebe, was gut gelingt und was nicht, was ich mir manchmal wünsche und worüber ich auch lachen kann.
Also: Was Kirche und Medien voneinander brauchen
1. Fremdheit wahrnehmen
Die Gesellschaft hat sich deutlich verändert seit der Einführung des privaten Fernsehens und Rundfunks. Altbischof Lohse erzählte mir beim letzten Empfang der Landeskirche im Kloster Loccum, als Kameras und Mikrofone um den rechten Platz kämpften, er erinnere sich noch genau, wie der erste Journalist vor vielen Jahren auftauchte und man nicht genau wusste, was man mit ihm machen sollte. Man habe den jungen Mann gefragt, was er denn wolle. Und dann habe man jemanden bestimmt, der ihm Auskunft gäbe. Und mit einem gewissen Mitleid in der Stimme sagte Altbischof Lohse: Früher hat das Amt die Person getragen, heute muss offenbar die Person vermitteln, was dieses Amt überhaupt ist.
Ich bin in den vergangenen Jahren immer wieder der medialen Öffentlichkeit als Person und auch als Amt ausgesetzt gewesen. Das ist eine durchaus gewöhnungsbedürftige Rolle. In meinem Theologiestudium kamen Medien nicht vor. Nichts und niemand hat mich darauf vorbereitet, ein Interview zu geben oder einen Text für’s Radio zu verfassen. Medien waren schlicht kein Thema.
Am 5. Juni 1999, als ich zur Bischöfin der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers gewählt wurde, war der Saal der Henriettenstiftung in Hannover brechend voll. Eigentlich sollte das Ergebnis der Bischofswahl erst um 12:30 Uhr bekannt gegeben werden. Aber der Druck wuchs derart, allen war klar, dass schon ausgezählt war, dass der Synodenpräsident das 1 2-Uhr-Läuten abwartete und dann bekannt gab, wer gewählt war. Es gab eine gewisse Schamfrist mit Dank und Gratulation und dann klickten Kameras. Wo gucke ich hin, wie gucke ich, was sage ich, wie sehe ich aus, in welches Mikrofon spreche ich, was darf ich sagen, schweige ich besser – es gab vorab keine kirchliche Fortbildung für so eine Situation!
Medien und Kirche begegnen sich oft wie zwei völlig fremde Welten. Die eine Seite weiß nicht, wie die andere „tickt“. Das beginnt schon damit, dass sich ein leitender Geistlicher beim epd beschwert, weil nicht positiv über eine Veranstaltung berichtet wurde. Dass der epd eine Nachrichtenagentur ist (wenn auch eine evangelische), dass er Meldungen macht und nicht Hofberichterstattung, verstehen viele nicht. Dass eine Zeitung einen klaren knappen Satz braucht, dass ein Radiosender kurz berichtet, entspricht oft nicht kirchlichen Sprechgewohnheiten. Eine Predigt dauert mindestens 15 Minuten und die Entfaltung eines theologischen Gedankens in einem Vortrag mindestens 45. Solche Längen sind jedenfalls in Tagespresse, Radio und Fernsehen nicht gängig, und so lästern manche in den Medien über die von der Kirche.
Es wird bei uns in der Kirche aber durchaus auch gern über die Medien gelästert – auch wenn Luthers Auslegung zum 8. Gebot im Kleinen Katechismus definitiv dagegen steht. Da würde nicht mehr wirklich recherchiert, alles stehe unter Sensationsgier. Und überhaupt,1 ’30, das sei doch kein seriöses Format und so käme doch sowieso und überhaupt gar nichts inhaltlich oder gar seriös rüber. Da halte ich gern dagegen, dass die meisten Gleichnisse Jesu wahrscheinlich in 1 ’30 gelesen werden könnten.
Um Medien zu verstehen, müssen wir als Kirchenleute mit Medienleuten reden. Auch, um den Druck zu verstehen, unter dem produziert wird. Eine Journalistin sagte mir vor ein paar Wochen, wenn ihr Chef sage: Ich will die Story, dann sei sie unter wahnsinnigem Druck, sie müsse etwas bringen, egal, ob da eine Story überhaupt sei oder nicht.
Letztes Frühjahr rief in meiner Kanzlei eine Zeitung an, ob ich noch schnell was zu Ostern schreiben könnte, ,,aber bitte nichts mit Jesus und so“. Die Redakteurin hatte keinen blassen Schimmer von Kirche, Bibel, Christentum. Auch begegne ich ständig dem Bild: Leere Kirchen, leere Kassen, wer ist denn ,,noch“ in der Kirche? Dass zwei Drittel der deutschen Bevölkerung Kirchenmitglied sind, ist vielen Journalistinnen und Journalisten schlicht nicht bewusst. Dass jedes Wochenende in Deutschland 5 Millionen Menschen einen Gottesdienst besuchen, aber nur 700 000 ein Bundesligaspiel, nehmen manche offenbar gar nicht wahr. So, wie es Defizite in der theologischen Ausbildung gibt, scheint das Thema Kirche bzw. Glaube in der journalistischen Aus- und Weiterbildung anscheinend auch keine Priorität zu genießen. ,,Wir haben einen deutschen Papst“, sagt eine fröhliche Redakteurin. ,,Sind Sie katholisch?“, frage ich. ,,Nein. Wieso?“ Ich staune, wie rätselhaft die Kirche für manche Medienmenschen offenbar ist. Dabei gehört eine gewisse Bibelkenntnis auch für Nichtchristen in unserem Land zur Bildung, finde ich. Geschichte, Literatur, Architektur in Deutschland sind doch gar nicht zu versehen, wenn ich nichts über Glauben und Kirche weiß.
Kurzum: Ich denke, was Medien und Kirchen voneinander brauchen ist zuallererst mehr Wissen übereinander, ein Überwinden der Fremdheit. Das Wissen voneinander ist oft durch Bilder übereinander bestimmt.
2. Vertrauen statt Angst
1983 wurde ich überraschend in den Zentralausschuss des Ökumenischen Rates der Kirchen gewählt. Prompt kam es zum ersten kurzen Fernsehinterview meines Lebens. Zu sehen ist eine etwas verschreckte junge Frau im grün-weißgestreiften Kleid, die ein paar unzusammenhängende Sätze stammelt.
Die knapp zwanzig Jahre (von 1983 bis 2002) in Zentral- und Exekutivausschuss des ÖRK waren mit Blick auf Medien ungeheuer lehrreich für mich. Bei meiner ersten Tagung des Zentralausschusses in Genf 1984 waren viele deutsche Journalisten anwesend. Damals war der ÖRK noch so interessant, dass die großen deutschen Tageszeitungen, Nachrichtenredaktionen und Sender Journalisten schickten. Abends wollten die deutschen Journalisten ausgehen und nahmen sich der jungen Vikarin an, die von den etablierten Bischöfen und Funktionären eher als unregelmäßiges Verb verstanden wurde, ja die durchaus einsam war zwischen all den so wichtigen Kirchenvertretern. Bei Weißwein und Käsefondue kamen wir uns näher, und ich habe von den Journalisten ungeheuer viel gelernt. Ja, ich habe begriffen, dass die Journalisten manches Mal mehr von der Materie verstehen als die Delegierten, weil sie seit vielen Jahren beruflich mit dem Gegenstand ihrer Berichterstattung befasst sind und durchaus inhaltliche Leidenschaft für die Sache haben.
Später haben wir solche Journalistengespräche zum Programmpunkt für die deutsche Delegation gemacht. Und ich erinnere mich sehr gut, dass Klaus Wilkens als Vertreter des Kirchenamtes der EKD an einem solchen Abend 1992 die Klarheit und den Mut bekam, gegen die serbische Lobby im Jugoslawienkrieg aufzubegehren. Ich werde in diesem Jahr 50, vielleicht beginne ich deshalb, die Vergangenheit zu verklären. Aber jene Jahre und Erfahrungen mit Journalisten haben mich geprägt. Du bist gemeinsam an einer Sache, wenn auch mit sehr unterschiedlichen Aufgaben.
In unserer Kirche begegne ich immer wieder Angst vor den Medien. Als Matthias Drobinski einmal mit mir über Land – und in Niedersachsen meine ich wirklich: Land - gefahren ist für eine Reportage nach einem Jahr im Bischofsamt, habe ich das erlebt: Wo setzen wir den Herrn hin? Was dürfen wir in seiner Anwesenheit sagen? Aufpassen, bloß aufpassen...
Aber das müssen Sie als Journalistinnen und Journalisten auch zugeben: Medien haben eine ungeheure Macht, ja, wir leben in einer Mediengesellschaft. Sie können über Bild, Text und Ton eine Person und eine Sache aufbauen und genauso gut auch wieder geradezu zerstören. Das ist es, was Angst macht. Meine Erfahrung allerdings ist, dass Transparenz die beste Strategie ist. Kürzlich sagte mir der Leiter einer Einrichtung: Wir wollen doch keine offensive, sondern kontrollierte Öffentlichkeitsarbeit. Dass so eine Haltung Journalistinnen und Journalisten irritiert, kann ich verstehen. Wenn ich nichts zu verbergen habe, kann ich auch offen sagen, was los ist. Und wenn ich ein Hintergrundgespräch geführt habe, bin ich noch nie enttäuscht worden.
Aber auch bei den Journalistinnen und Journalisten gibt es Angst. Ein Journalist, den ich seit langem kenne, sagte mir, wenn sein Chef dabei sei, sollten wir uns lieber siezen. Wenn wir uns duzten, könnte der Chef vermuten, er sei nicht in der Lage, objektiv oder gar kritisch über mich zu berichten. Offenbar haben Journalisten eine Grundangst: wenn es persönlich zu vertraut wird, könnte die journalistische Distanz leiden.
Und es gibt die Angst, nicht zu verstehen, was da vor sich geht in der Kirche. Als ich in einem Gottesdienst die Synodalen unserer Landeskirche mit Eidesformel verpflichtete für das neue Amt, hieß es in einer Bildunterschrift: Bischöfin Käßmann begrüßt alle Synodalen per Handschlag. Das löst natürlich auf kirchlicher Seite Heiterkeit aus...
Kurzum: Kirche und Medien brauchen voneinander Basisinformationen, wechselseitige Klärungen, wie sich Abläufe gestalten, was Inhalte bedeuten.
3. Grenzen verabreden
Niemals, niemals darfst du Persönliches von dir geben, das ist eine Devise. Was aber machen Sie, wenn Sie ernsthaft erkranken? „Sie machte ihre Krebserkrankung öffentlich“, lese ich. Ja, was wäre denn die Alternative gewesen? Hätte ich sagen sollen: Ich bin unpässlich und das gleich zwei Monate? Natürlich wäre nachgefragt worden, Spekulationen hätte es gegeben, Fragen, in welcher Klinik ist die Bischöfin. Warum nicht sofort und klar auf den Tisch?
Wirklich getroffen hat mich, als einer Ihrer Kollegen mir sagte, im Zusammenhang mit meiner Scheidung hätten die Journalisten ja gemeint, ich hätte einen Deal mit einer großen Boulevardzeitung gemacht und diese direkt von der Kanzlei aus bedient. Auf die Idee wäre ich noch nicht einmal gekommen, Deals zu machen. Was ich aber in den Jahren gelernt habe, ist, dass es Journalisten gibt, die ich im Hintergrund informieren kann, denen ich vertrauen kann, die ich auch vorab informieren würde und sollte. Da ist dann allerdings eine persönliche Beziehung gewachsen.
Evangelisches Profil heißt für mich neben allem Vertrauen und auch oft einer persönlichen Beziehung immer die Freiheit, auch die Freiheit zur Kritik. Der evangelische Theologe Paul Tillich hat das Verhältnis der Protestanten zur Welt einmal als eines von Kritik und Gestaltung beschrieben. Das denke ich ist auch für die Medien zutreffend. Wir wollen als Kirche ein kritisches Verhältnis haben, das kritein, das Unterscheiden kennt. Aber auch eines von Gestaltung, ja Einmischung, Einbringen.
Zweimal im vergangenen Jahr habe ich einen groben Fehler begangen. Nach persönlicher Erschöpfung durch die Nachwirkungen der Bekanntgabe meiner Scheidung, hatte ich beschlossen, nichts mehr zu diesem Thema zu sagen. Interviews habe ich drei Monate lang abgelehnt. Zwei Journalisten, die ich länger kenne, haben ihre Interviews nach dieser Zeit dann aber doch mit Fragen zu diesem persönlichen Thema begonnen. Ich habe dem Druck nicht standgehalten und stattgegeben, ein paar Sätze gesagt, die ich bis dahin vermieden hatte. Als ich das schriftlich zur Autorisierung vorgelegt sah, wusste ich, das geht nicht. Solche Sätze lassen die ganze Debatte noch einmal losgehen und verärgern auch diejenigen, bei denen ich auf Schweigen beharrt hatte. So habe ich erstmals darum gebeten, das Interview zurück zu ziehen. Beide haben das, wenn auch sehr ungern, getan.
Mir war das unangenehm. Aber es hat auch meine Zuversicht gestärkt, mit Journalistinnen und Journalisten persönlich sprechen zu können, von Mensch zu Mensch. Und es hat mir deutlich gemacht: dass die Person derart im Vordergrund steht, ist neu für unsere Kirche. Die Personalisierung, das Interesse am Persönlichen ist schwer auszubalancieren. An meinem Leben wäre ja wohl kaum eine Öffentlichkeit interessiert, wäre ich nicht Bischöfin. Bischöfin aber bin ich als Person. Also kann ich beides nicht trennen. Meine Kirche freut sich einerseits, wenn ihre Bischöfin öffentlich wahrgenommen wird und dafür sorgen die Medien. Andererseits soll die Bischöfin aber auch eine Person sein, die das geistliche Amt würdig vertritt. Sie darf sich nicht den Stars und Sternchen angleichen. Ein Balanceakt, bei dem Grenzen auf beiden Seiten gelernt sein wollen.
Kurzum: Medien und Kirche brauchen eine klare Verabredung von Grenzen und gegenseitige Freiheit, auch Freiheit zur Kritik. Und manchmal hilft auch einfach menschliches Vertrauen.
4. Respekt statt Häme
2006 wurde in Berlin das „Bündnis für Erziehung“ gegründet. Ich war gebeten, als Mitglied des Rates der EKD an einer Veranstaltung in Berlin teilzunehmen. Beim Ankommen sagte mit der Pressesprecher der EKD, Christof Vetter: „Du, das fängt mit einer PK in der Bundespressekonferenz an, wusste ich vorher auch nicht.“
Viel Ehr, viel Feind kann ich nur sagen. Ich hatte überhaupt keine Vorstellung, in was ich da geraten war. Die Bundesfamilienministerin stellte das Projekt vor, Kardinal Sterzinsky und ich sagten, dass wir das wunderbar fänden. Die Journalisten kochten. Was wollten die Kirchen da, was sei mit anderen? Juden, Muslime, Atheisten, haben die denn keine Werte? Welch eine Exklusivität! Ein Journalist fragte mich, was ich denn meinte, an Werten in der Erziehung mitzugeben. Ich sagte, Gottvertrauen und die 10 Gebote seien nach meiner Erfahrung das schlechteste Geländer nicht für Kinder. Da kam Heiterkeit auf.
Mich hat das Gelächter verletzt. Zum einen, weil ich dachte: vor jeder anderen Religion gibt es in den Medien mehr Respekt als vor dem Christentum. Was wird für ein Bohai gemacht bei Buddhisten, welche Vorsicht gibt es bei Juden und welche Angst bei Muslimen. Aber über Kirche und christlichen Glauben lächelt der aufgeklärte Medienvertreter offenbar gern in Deutschland.
Außerdem wurde mir auch an diesem Punkt wieder etwas klar, was ich vorher schon einmal angesprochen habe: den Anwesenden ist gar nicht bewusst, dass allein in den rund 9 000 Einrichtungen der evangelischen Kirche jeden Tag 62 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr als 540 000 Kinder betreuen. Das ist mehr als ein Viertel aller Kinder, die in Deutschland eine Kindertageseinrichtung besuchen. Kirche ist eine gewichtiger Faktor des öffentlichen Lebens in Deutschland, unter anderem sind die beiden großen Kirchen mit Diakonie und Caritas die zweitgrößte Arbeitgeberin im Land.
Ich erwarte einen gewissen Respekt von den Medien gegenüber der Kirche, dem christlichen Glauben. Berechtigte Kritik werde ich ernst nehmen. Humor statt Griesgrämigkeit hätte ich gern als Kennzeichen meiner Religionsgemeinschaft. Das Christentum muss sich der Kritik stellen. Und auch Karikaturen kann es geben. Manches Mal hat eine Karikatur entlarvt, was ein Irrweg war, ich erinnere an den Christus mit der Gasmaske im ersten Weltkrieg. Aber Respekt vor der Leistung der Kirchen und Respekt vor der Glaubenshaltung Einzelner darf erwartet werden.
Respekt dürfen aber auch die Medien erwarten. Ich denke, manche reden heute über Medienleute wie über den verantwortungslosen, nur auf die Schlagzeile fixierten Geier. Als gäbe es die gut protestantische Verantwortung des Einzelgewissens nicht auch im Bereich der Medien. Dass es auch heute Journalistinnen und Journalisten gibt, die recherchieren wollen, die am Hintergrund interessiert sind und ein eigenes Ethos haben, muss bewusst bleiben.
Kurzum: Medien und Kirchen brauchen Respekt voreinander, statt Feindbilder aufzubauen.
5. Verantwortung wahrnehmen
Ich hatte beschlossen, Kinder zum zentralen Thema des Jahres 2008 zu machen. Am 2. Januar rief mich mein Pressesprecher an, ein totes Kind war zwei Schritt vor unserem Babykörbchen gefunden worden.
Es begann ein Kampf um die Interpretationshoheit. Sofort die Vermutung: die Klappe war defekt. Das Bild vor Augen, auch vor meinen übrigens: eine verzweifelte Mutter will ihr Kind in Obhut geben und scheitert an der Mechanik. Schnell stellte sich heraus, dass beim Test der Alarm und die Klappe funktionierten, als die Polizei sie ausprobierte... aber das war für die Medien nicht schnell genug. ,,Defekt“ war die Meldung des nächsten Tages. Ich habe der Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft, die wahrhaftig den ersten Tag im Amt war, diesen Tag schwer gemacht. Weil ich zornig war: Woher kommt diese Behauptung? Der Oberstaatsanwalt hatte eine Nachrichtensperre verhängt. Das Gutachten und das Zweitgutachten sind bis heute nicht öffentlich. Und dennoch hat sich festgesetzt: die Klappe war defekt. Dagegen können sie anrennen, anschreiben, anschreien, das sitzt fest in den Köpfen.
Wir haben keine Gegenstrategie gehabt. Aber mich hat etwas ganz anderes berührt. Ich habe gelernt, dass so ein totes Baby ein ,,herrenloser Leichnam“ ist. Wir haben Anrecht auf den Leichnam reklamiert, das Kind aus der Obduktion holen lassen. Wir haben einen Sarg ausgesucht, das Kind aufgebahrt und ausgesegnet und bestattet. ,,Ohne Presse“ war der Rat allerorten. ,,Das kann mit Medien nicht würdig werden.“ In einer spontanen Reaktion habe ich trotzdem entschieden: öffentlich.
Meine Referentin war frühzeitig vor Ort. Und sie war berührt, wie sorgsam die Medien mit der Situation umgingen. Da war eine Befangenheit vor dem kleinen Sarg, eine Würde, die sich von selbst ausgebreitet hat. Kameras haben nicht gestört, Journalisten haben den Ernst der Situation wahrgenommen und geradezu anrührend berichtet.
Für mich war das ein äußerst positives Beispiel nicht dafür, was wir voneinander brauchen, sondern wie wir einander brauchen, um unserer je eigenen öffentlichen Verantwortung gerecht zu werden. Als Bischöfin wollte ich ein Signal setzen: Wir bestatten unsere Toten, das ist Christenpflicht seit Joseph von Arimathäa Jesus ein würdiges Grab zugedacht hat. Und die Journalistinnen und Journalisten hatten die Aufgabe, diesen traurigen Kindstod zu dokumentieren. Wir sind gemeinsam der Situation und dem Kind und der Öffentlichkeit, ja der Gesellschaft gerecht geworden, denke ich.
Kurzum: Kirche und Medien haben öffentliche Verantwortung, die sie gemeinsam wahrnehmen können ohne die notwendige kritische Distanz gegeneinander in Frage zu stellen.
6. Akzeptanz des je eigenen öffentlichen Auftrags
Ich bin überzeugt, dass die Kirchen eine öffentliche Aufgabe haben. Wir wollen den Glauben nicht in geheimen Nischen weiter geben. Christinnen und Christen nehmen Verantwortung wahr in der Gesellschaft und bringen sich ein in die Auseinandersetzung um die großen ethischen Fragen.
Es ist gut, dass dies in einer freien Gesellschaft möglich ist. Christen sind heute weltweit gesehen die am stärksten verfolgte Religionsgemeinschaft. Jedes Jahr werden mehr als 55.000 Christen wegen ihres Glaubens getötet. Besonders betroffen sind Christen in Indien, Indonesien und Pakistan,. Wer einmal Gemeinden in solchen Ländern besucht hat, kann aber auch das erleben: hoffnungsfroher Glaube mitten in Angst. Ich bewundere den Mut dieser Christen zutiefst.
Was ein Leben ohne Freiheit auch für Medien bedeutet, können wir an Diktaturen erfahren. Nordkorea ist vielleicht der skurrilste, aber auch dramatischste Fall. Wie wichtig ist es, auch kritische Stimmen wahr zu nehmen! Im Interview hat der polnische Regisseur Andrzej Wajda letzen Sonntag erzählt, dass er kürzlich eine zensierte Szene als späte Rache nach dem Ende der sozialistischen Diktatur wieder verwendet hat. Unfreiheit schadet Kirche wie Medien.
Das Evangelium drängt geradezu in die Öffentlichkeit. Allzu schnell wird das mit Moralisieren gleichgesetzt. Aber in Fragen von ethischen Grenzen ist es wichtig, dass die Kirchen Anfragen und vor allem Standpunkte in die Gesellschaft einbringen. Was ist mit embryonalen Stammzellen? Soll die „Tötung auf Verlangen“ gesetzlich erlaubt werden?
Unsere Kirche IST Öffentlichkeit und die Medien SIND Öffentlichkeit. Da gibt es eine gemeinsame Verantwortung. Die Kirche reflektiert politisches und staatliches Handeln vor der Folie ihrer christlicher Grundwerte und mischt sich ein. Der Sozialstaat bräche ohne die Kirche zusammen (Kindergärten, Altenheime, Schuldnerberatung, Behinderteneinrichtungen).
Auch die Medien haben einen klaren Öffentlichkeitsauftrag. Und auch er orientiert sich an ethischen Standards. Die weitestreichende medienethische Richtschnur für den deutschen Journalismus ist der Pressekodex des Deutschen Presserates . Die Regelungen für die elektronischen Medien sind in den Rundfunkstaatsverträgen geregelt.
Insgesamt verbringt jeder Deutsche zwischen 14 und 49 Jahren jeden Tag etwa 7,5 Stunden mit der Nutzung von Medien (1999 waren es noch 6,5 Stunden). Davon entfällt der Löwenanteil auf Fernsehen (153 Minuten) und das Begleitmedium Radio (169 Minuten). Danach folgen Bücher (32 Minuten) und das Internet (30 Minuten). Für Zeitungen wendet der Durchschnittsbürger 24 Minuten auf, für Zeitschriften 15 Minuten. Die größten Zuwachsraten bei der Nutzung hat das Internet, das 1999 im Schnitt nur neun Minuten pro Tag genutzt wurde und damit um 21 Minuten zulegt hat. TV und Radio verzeichnen leichte Nutzungszuwächse, während die Nutzung der Printmedien stabil bleibt.
Unsere Gesellschaft kommuniziert in den Medien und durch die Medien von der Politik-Berichterstattung bis zu Talkshows. Und inzwischen melden sich die Mediennutzerinnen und – nutzer selbst zu Wort: ,,User generated content“ wie zum Beispiel Blogs oder die Leserfotos der Bildzeitung. In der Folge erzeugt ein selbstreferentielles System Inhalte. Mediennutzung erzeugt Medieninhalte, indem etwa Blattmacher gucken, welche Themen in ihrer Internet-Ausgabe die meisten Klicks bekommen und danach die Zeitungsausgabe für den kommenden Tag gestalten.
Vieles aber in der Berichterstattung wirkt zunehmend hohl und oberflächlich. Die Medien brauchen die Themen der Kirche, wenn sie nicht wichtige Bereiche der Wirklichkeit ausblenden wollen. Die Medien brauchen die Kirche mit ihrer Expertise zu Fragen von Glauben, Religion und den ,,letzten Dingen“. Die Medien brauchen die Kirche als Bündnispartner, wenn es darum geht, Missstände und Ungerechtigkeiten zu recherchieren und aufzuzeigen (Beispiel Kirchenasyl, Abschiebungen z. B. der spektakuläre Fall Zarah Kameli).
Und unsere Kirche, sie braucht nicht nur die Medien, um zu kommunizieren, Sie nimmt ihren Öffentlichkeitsauftrag auch wahr, indem sie selbst Medien schafft. Geblogt habe ich erstmals aus Sibiu von der Dritten Europäischen Ökumenischen Versammlung – eine interessante Erfahrung! Maßstäbe für Qualitätsjournalismus setzen unsere Printorgane. Chrismon und Zeitzeichen. ekn bestückt private Hörfunksender in Niedersachsen mit gewichtigen Beiträgen und hat dafür bereits etliche Preise eingeheimst. Zudem beteiligt sich die evangelische Kirche sich an der Medienaufsicht (Gremien), der Selbstkontrolle (FSK) und dem kritischen Diskurs (epd medien, epd Film). Sie liefert Premium-Inhalte für die Medienproduktion (Agentur epd) und bildet Journalistinnen und Journalisten aus und fort. Hier sind Medienakademie und Evangelische Journalistenschule besonders zu nennen. Sie bieten eine Plattform des Dialogs, die in ihrer Existenz nicht in Frage gestellt werden sollte. Aber ich bin überzeugt, es lassen sich Wege finden zwischen den unumgänglichen Sparmaßnahmen und dem notwendigen Erhalt der Sache an sich.
Und es gibt sehr viele mediale Erzeugnisse, die direkt von kirchlicher Seite aus produziert werden: Gemeindebriefe; Homepages von Kirchengemeinden, -kreisen, Landeskirchen etc. Angefangen damit, dass Martin Luther das Medium Flugblätter intensiv nutzte (um den Papst zu karikieren) bis hin zu Bibel-TV nutzen die Kirchen intensiv die jeweils vorhandenen Medien (und zwar abseits von ARD, SAT1, FAZ und Spiegel). In diesen Bereich gehört die Nutzung der Medien zur Verkündigung! Die Form der Verkündigung zum Beispiel im "Wort zum Sonntag" ist wohl eine mediale Form, die nur(!) von den Kirchen selbst kommen kann. Kirche will verkündigen - die Medien tun gut daran, in einem vom jüdisch-christlichen Glauben geprägten Land die Kirchen in den Medien vorkommen zu lassen.
Nur streifen kann ich dabei heute Abend das Medium Internet. Das Neue hier ist: abseits von Tageszeitungen, Magazinen, Rundfunk und Fernsehen hat Kirche hier die Möglichkeit, absolut selbst bestimmt (unabhängig von Rundfunk-Staatsverträgen und den Etats der Funkhäuser) in den Medien vorzukommen! Die Unabhängigkeit von den traditionellen Medienstrukturen und Machtverhältnissen wird immer größer. Dabei gibt es natürlich auch große Gefährdungen in diesem Bereich mit Blick auf die Menschenwürde – hier ziehen seriöse Medien und Kirchen sicher an einem Strang.
Nun ist klar: Kirche und Medien wollen nicht immer dasselbe. Gibt es beispielsweise eine Fall von sexuellem Missbrauch, werde ich keinerlei Interesse haben, dass die Öffentlichkeit allzu groß wird. Da geht es nicht nur um den Imageschaden, sondern auch um den Schutz der Personen. Die Medien werden versuchen, alles im Detail zu berichten. Bei solchen Interessenkonflikten hilft wohl nur ein klares Aussprechen der jeweiligen Ausgangslagen.
Kurzum: Auch in Konflikten sollte es möglich sein, die jeweiligen Interessen wahrzunehmen. Medien und Kirche haben je einzeln aber durchaus auch gemeinsam öffentliche Verantwortung in der Gesellschaft wahrzunehmen.
Zum Schluss
Ich bin froh, in einem Land zu leben, in dem es Freiheit gibt für die christliche Kirche wie für die Medien. Als Christin möchte ich sagen können, woran ich glaube, dass ich überzeugt bin, Jesus Christus ist der Weg, die Wahrheit und das Leben, ohne dadurch in Lebensgefahr zu geraten oder Häme ausgesetzt zu sein. Glaube will ernst genommen werden.
Gleichzeitig werde ich dafür eintreten, dass diejenigen, die auch kritisch über meinen Glauben und durchaus vorhandene Irrwege meiner Kirche berichten, die Freiheit haben, das zu tun. Ich werde auch für die Freiheit der Medien eintreten. Verbote, Angst, mangelnder Respekt gerieren eine Gesellschaft der Unfreiheit. Also: in unserer Gesellschaft haben Medien und Kirche einen öffentlichen Auftrag. Sie müssen sich zueinander verhalten. Ja, sie können sich gegenseitig gut brauchen.
Lassen Sie mich zum Schluss noch eine Geschichte erzählen. Wenn ich so etwas tue, lästert meine Referentin gern: jetzt fehlt nur noch das Kaminfeuer im Hintergrund.
Also: ich widme diesen Vortrag Ralph Ludwig. Er war viele Jahre zuständig für den NDR Kirchenfunk Studio Hannover. Und er war einer jener Journalisten, die mich seit 1983 im ÖRK begleitet hatten. 1994 wurde ich von Ernst Benda als seine Kandidatin für das Amt der Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages benannt. Als Präsident des Kirchentages durfte er das und musste das Benehmen mit dem Präsidium herstellen. Ich fuhr also von Hofgeismar nach Fulda. Dort wurde ich erst einmal zwei Stunden bei einer (!!!) Tasse Kaffee wartend vor die Tür gesetzt. Nach zwei Stunden wurde ich herein geholt mit den Worten, es sei problematisch mit mir. Ich stellte mich vor und musste mich zwei Stunden kritischen Fragen stellen. Mit 35 sei ich zu jung. Mit vier Kindern könnte ich doch keinesfalls einer so anspruchsvollen Tätigkeit gerecht werden. Die Schuhe seien zu groß für mich. Und überhaupt, meine armen, armen Kinder. Ich wurde wieder vor die Tür geschickt und wartete noch einmal fast zwei Stunden. Dann holte mich mein Vorgänger und sagte, es habe fünf Gegenstimmen gegeben, an meiner Stelle würde er nicht annehmen. Puh! Ich habe angenommen. Danach liefen alle davon und es hieß, ich müsse jetzt in Gehaltsverhandlungen eintreten, da ich viel zu jung sei, könne ich ja nicht erwarten, so viel zu verdienen wie mein Vorgänger. Auch darauf hatte mich das Theologiestudium nicht vorbereitet.
Ich fuhr frustriert, nein verletzt, zurück nach Hofgeismar und habe die halbe Nacht wach gelegen. Am nächsten Tag habe ich viel telefoniert, auch mit meinem Vorgänger und kam am Samstag Abend zu der Entscheidung, die Stelle nicht anzutreten. Ohne Vertrauen und Zutrauen konnte ich mir das nicht vorstellen.
Und dann habe ich am Sonntag Morgen Kirchenfunk gehört. Im Kommentar schwärmte Ralph Ludwig geradezu (woher wusste er das überhaupt, wer war der Informant, wo lag eigentlich die undichte Stelle, die Meldung sollte doch erst Montag raus!) - die junge Frau, die da zur Generalsekretärin ernannt worden sei, wäre genau die richtige Wahl, ökumenisch erfahren, zukunftsorientiert etc. p. p-. Ich war gerührt und schwer beeindruckt. Jedenfalls war ich so bewegt, dass ich dachte: na, wenn der meint, du kannst das, dann mal los. Und so habe ich einen Medienmann gebraucht, um Mut zum neuen Amt zu finden und hoffe, ab und an finden eine Frau oder ein Mann in den Medien eine Frau oder einen Mann in der Kirche, die ihnen Mut machen...
Nein, verklären will ich nichts im Verhältnis von Medien und Kirche. Zum einen gibt es beide nicht in Reinform. Wer ist ,,die Kirche“ und wer sind ,,die Medien“? Spannungen muss und wird es geben. Unterschiedliche Interessen, Vorsicht, Misstrauen, Ärger, Missverständnisse, Fehlinterpretationen. Aber ein Bewusstsein für eine gemeinsame Verantwortung für die Freiheit, die Demokratie, die Religionsfreiheit, die Menschenwürde in diesem Land, das brauchen wir voneinander, da können wir uns gegenseitig stärken und Mut machen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.