Mit großer Aufmerksamkeit und gespannter Erwartung begleitet die Evangelische Kirche in Deutschland, also die Gemeinschaft ihrer lutherischen, reformierten und unierten Gliedkirchen, das Studienprojekt, das am Montag in Tübingen öffentlich vorgestellt wurde und heute hier in Rom präsentiert wird. Ich überbringe die Grüße und guten Wünsche des Rates, namentlich seines Vorsitzenden, Bischof Wolfgang Huber.
Das Ursprungsland der Reformation ist wie kaum ein zweites Land von der Trennung der Christenheit in einen römisch-katholischen und einen reformatorischen Zweig betroffen – bis hinein in das geistliche Leben zahlreicher Familien. Um so lebhafter nehmen die Kirchen auf beiden Seiten Anteil an einem Vorhaben, das nicht nur – wie in der ersten, jetzt abgeschlossenen Phase – auf einer fundamentaltheologischen Ebene, sondern – in einer zweiten, schon begonnenen Phase – im Blick auch auf zentrale ekklesiologische Einzelthemen einem vertieften wechselseitigen Verständnis dienen will. Es wäre nicht angemessen, die erste und die zweite Phase nach ihrer theologischen Bedeutung abzustufen. Aber es wäre durchaus begreiflich, wenn bei vielen nach der Lektüre der jetzt vorgelegten über 600 Seiten die Spannung wächst, ob die zweite Phase in der Tat die in Aussicht gestellten "reichen Früchte tragen wird" (S. XVI). Es ist der Forschungsgruppe – und damit den Kirchen und den Christen auf beiden Seiten – inständig zu wünschen. "Ohne in irgendeinen falschen Irenismus zu verfallen", brauchen wir gerade bei den "ekklesiologischen Einzelthemen 'Sakramente', 'kirchliches Amt', 'Autorität', 'Kirchenrecht', 'Kultus und Kultur' sowie 'Sendung der Kirche'" (S. XVI) ein vertieftes wechselseitiges Verständnis. Denn es führt aus der Sache heraus zu der Frage weiter, "welche Konsequenzen sich ... für die Ordnung des praktischen Zusammenlebens der beiden Seiten in Liturgie und Leben ergeben." Diese weitergehende Frage bildet, wie dem Vorwort zu entnehmen ist, durchaus "den Horizont" des Studienprojekts. Sie sei jedoch nicht sein "direkter Gegenstand" (S. XIV). Eigentlich schade – möchte man da unbescheiden anmerken. Denn die Christen auf beiden Seiten sehnen sich nach spürbaren Verbesserungen im praktischen Zusammenleben, damit die Schmerzen der Spaltung wenigstens gelindert werden können.
Römisch-katholische Theologie auf der einen und reformatorische Theologie auf der anderen Seite lassen sich als unterschiedliche Kulturen verstehen. Die Begegnung unterschiedlicher Kulturen und der Dialog zwischen ihnen kann nur gelingen, wenn man nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig will. In der Methodik der Gespräche zwischen der römisch-katholischen und der reformatorischen Seite hat sich das darin niedergeschlagen, dass schlichte Konsens- oder Konvergenzmodelle aufgegeben wurden. Ohne die sorgfältige Wahrnehmung des bleibend Unterschiedlichen und ohne die Bereitschaft zu einer Ökumene des wechselseitigen Respekts kann ein differenzierter Konsens nicht gefunden werden. Die reformatorische Seite ist in der Methodendebatte tendenziell dem Pathos des satis est gefolgt und hat die Anforderungen für die kirchliche Einheit auf einige wenige, elementare Sachverhalte konzentriert. Die römisch-katholische Seite hat demgegenüber die "wirkliche Einheit" gefordert und darauf beharrt, ihr eine weitergehende institutionelle und lehrmäßige Bestimmtheit zu geben.
Über diesen Gegensatz ist der ökumenische Dialog bisher nicht hinweggekommen. Vielleicht kann das Studienprojekt, das uns heute vorgestellt wird, in dieser Hinsicht sein größtes Innovationspotential entfalten. Es ist im Grundsatz differenzorientiert und "zielt auf eine vertiefte Erfassung der Konstruktionsprinzipien der beteiligten Lehrtraditionen in ihrer Eigenart und Unterschiedlichkeit". Dieses Ziel wird jedoch – und das ist das methodisch Neue – "gemeinsam angestrebt ... Evangelische Köpfe versuchen einmal, nicht nur konsequent evangelisch, sondern auch konsequent römisch-katholisch zu denken" und umgekehrt. "Beide Seiten vertiefen sich nicht nur in die eigene Tradition, sondern versuchen – in einem Akt 'methodischer Empathie' – auch die Position der Partner von innen heraus nachzuvollziehen" (S. XV).
Das ist ein ambitioniertes Vorhaben. Denn wenn es stimmt, dass römisch-katholische und reformatorische Theologie unterschiedliche Kulturen darstellen, dann drängt sich die Frage auf: In welchem Maße wird die Voraussetzung überhaupt erfüllt werden können, "dass römisch-katholische Theologen die Fähigkeit erworben haben, konsequent lutherisch, und lutherische Theologen die Fähigkeit, konsequent römisch-katholisch zu denken" (S. XIV Anm. 2)? Wäre die Beheimatung in der römisch-katholischen Kirche respective den reformatorischen Kirchen nur oder vorrangig eine Sache des Intellekts, dann stellte sich diese Frage nicht mit der gleichen Dringlichkeit. Aber Beheimatung oder kulturelle Prägung reichen weiter als theologische Denkansätze. Wir sind "in der Wolle gefärbt" römisch-katholische oder reformatorische Theologen – dabei bleibe dahingestellt, ob und, wenn ja, mit welcher Trennschärfe innerhalb der reformatorischen Theologie noch einmal zwischen einem lutherischen, reformierten oder gar unierten Typus unterschieden werden muss. Man braucht nur einen Blick auf die Entstehung und die Rezeption der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre zu werfen, um sich zu vergegenwärtigen, welche Faktoren über ein konsequentes römisch-katholisches bzw. reformatorisches Denken hinaus das ökumenische Gespräch beeinflussen.
Es lohnt sich, diesem Aspekt besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Denn hier entscheidet sich, wie ertragreich die methodische Innovation des Studienprojekts ist und sein kann. Im Interesse der Überwindung eines unverkennbaren Stillstands im ökumenischen Dialog kann man nur von Herzen wünschen, dass das Studienprojekt – in seiner ersten wie in seiner zweiten Phase – die Leistungsfähigkeit seiner methodischen Innovation praktisch unter Beweis stellen kann.