Religionsunterricht an öffentlichen Schulen ist eine Angelegenheit der Freiheit und niemals des Zwanges. Er dient der Religionsfreiheit der Schülerinnen und Schüler ebenso wie einem freiheitlichen Umgang mit Pluralität. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene werden in die Lage versetzt, sich frei und selbstständig religiös zu orientieren. In diesem Zusammenhang ist der Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach ein unerlässliches Angebot religiöser Bildung. Er gehört zum Auftrag der Schule.
Die Regelungen des Art. 7 Abs. 3 des Grundgesetzes und der Gebrauch, der in Deutschland von ihnen gemacht wird, haben sich bewährt; sie haben sich zugleich in hohem Maße als zukunftsoffen und pluralismusfähig erwiesen. Auf ihrer Grundlage lässt sich der Religions- und Ethikunterricht auf dem Hintergrund der jeweiligen pädagogischen und religiös-weltanschaulichen Voraussetzungen in den verschiedenen Teilen Deutschlands in einer Weise gestalten, in der positive und negative Religionsfreiheit in der Schule optimal zum Ausgleich kommen. Das gilt auch für die Regionen in Deutschland, in denen die Schülerinnen und Schüler derzeit in ihrer Mehrheit keiner Konfession oder Religion angehören.
Der konfessionelle Religionsunterricht ist also weder eine großzügige Geste des Staates noch ein Privileg der Kirchen oder Religionsgemeinschaften. Er befähigt Schülerinnen und Schüler vielmehr zur Wahrnehmung eines wichtigen Grundrechts, nämlich des Grundrechts auf Religionsfreiheit. Der Religionsunterricht wird als ordentliches Lehrfach nicht staatlich normiert, sondern „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften“ erteilt. Dadurch bleibt er ein demokratisch-freiheitliches Angebot, in dessen rechtlicher Konstruktion sich eine bürger- oder zivilgesellschaftliche Mitverantwortung für Schule realisieren kann.
In fast allen Bundesländern ist der Religionsunterricht ein anerkannter Bestandteil des schulischen Fächerkanons. Den Schülerinnen und Schülern ist er wichtig, er ist ein lebendiges Fach, wie das Erzbischof Zollitsch bereits ausgeführt hat. In den westlichen Bundesländern werden der Evangelische und der Katholische Religionsunterricht in der Regel gut besucht. Die Abmeldungen vom Religionsunterricht sind insgesamt gering; sie liegen bundesweit unter 5 %. Etwa 5 - 15% der Schülerinnen und Schüler, die den Religionsunterricht besuchen, sind keine Mitglieder einer Religionsgemeinschaft oder Angehörige einer anderen Konfession bzw. Religion (meist Muslime).
Auch in den östlichen Bundesländern hat der Religionsunterricht trotz erheblicher Vorbehalte am Beginn seiner (Wieder-)Einführung inzwischen eine konsolidierte und akzeptierte Stellung gewonnen. Oft nehmen viel mehr Kinder am Evangelischen oder Katholischen Religionsunterricht teil, als es dem prozentualen Bevölkerungsanteil entspricht. In manchen Unterrichtsgruppen finden sich 50 % oder mehr konfessionslose Schülerinnen und Schüler, die sich aus eigenem Antrieb am Religionsunterricht beteiligen. Diese Entwicklung ist bemerkenswert.
Ein staatlicher Pflichtunterricht in weltanschaulich-religiösen Fragen dagegen, wie ihn das Bundesland Berlin eingeführt hat, verfehlt die freiheitlich-demokratischen Prinzipien und reduziert die Bildungsaufgabe der Schule in unverantwortlicher Weise. In keinem anderen Bundesland werden junge Menschen gezwungen, an einem staatlichen Ethikunterricht teilzunehmen, ohne alternativ einen konfessionell geprägten Religionsunterricht der Kirchen oder anderer Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften wählen zu können.
Die von manchen geäußerte Sorge, dass unterschiedliche Fächer der religiösen und ethischen Bildung in der Schule eine gemeinsame Sinn- und Werteorientierung der Schülerinnen und Schüler erschweren, ist unbegründet. Religions- und Ethikunterricht sind bei allen Unterschieden Dialogpartner. In einem Wahlpflichtbereich Religion/Ethik, wie ihn der Gesetzentwurf zum Volksbegehren an den Schulen des Landes Berlin vorsieht und wie ihn auch die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz mehrfach vorgeschlagen hat, kooperieren gleichberechtigte Lehrfächer in verbindlicher Weise. Auch bundesweit stellen die Kirchen ihre Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit im Blick auf den Religionsunterricht immer wieder unter Beweis. Ein Dialog, der in Schule und Gesellschaft Verstehen und Toleranz fördert, kann allerdings nur gelingen, wenn kein Partner – wie im jetzigen Berliner Schulgesetz der Religionsunterricht – benachteiligt wird. Deshalb unterstützen der Rat der EKD und die Deutsche Bischofskonferenz das Ziel des Volksbegehrens, die Gleichberechtigung des Religionsunterrichts mit dem Ethikunterricht herbeizuführen.
Wir werden heute Nachmittag einen Vortrag über „Religion im Kanon der Fächer“ hören. Der Religionsunterricht hat in der Tat auch für andere Fächer eine wichtige Bedeutung. Dass die bildende Kunst, die Musik und die politische Kultur Europas ohne Kenntnis des Christentums nicht zu verstehen sind, ist bekannt. Für mich ist aber auch mit Händen zu greifen, welche Rolle übergreifende Wert- und Lebensorientierungen für die „Kultur des Lesens“ spielen. Eine solche Kultur lässt sich eben nicht durch eine spritzige Didaktik allein herbeizaubern. Denn es kommt auf das Verstehen von Sinnzusammenhängen an. Auch die gesellschaftliche Integration von Migrantinnen und Migranten kann durch Sprachkurse allein nicht herbeigeführt werden. Was wir brauchen, ist ein Bildungsverständnis, das mehr umfasst als Wissen und technische Intelligenz. Es muss die kulturellen und religiösen Fundamente von schulischem Lernen, vor allem aber auch von gesellschaftlicher Orientierung einbeziehen. Dazu leistet der Religionsunterricht einen wichtigen Beitrag; er bleibt auch in Zukunft unverzichtbar. Er hilft Schülerinnen und Schülern, Klarheit über die eigene religiöse Identität zu gewinnen. Er befähigt sie dadurch zur Toleranz. Gerade eine religiös plurale Gesellschaft braucht einen guten und ordentlichen Religionsunterricht. Übrigens auch in Berlin.