Predigt über Offenbarung 3, 1-6 im Gottesdienst am 3. Advent 2013 in der Erlöserkirche Jerusalem anlässlich einer Ratsreise nach Israel
Nikolaus Schneider, Vorsitzender des Rates der EKD
Liebe Gemeinde!
Als christliche Gemeinde einen Adventssonntag in Jerusalem feiern – das ist schon etwas ganz Besonderes!
In diesem Land und an diesem Ort ergreift die Ankunft Jesu Christi unser Fühlen und Denken in ganz anschaulicher Weise. Die Verflechtung von Erinnerungstexten und Zukunftsverheißungen bricht manche gewohnte Denkstruktur in uns auf: Dass Erinnerungen lebendig werden und Zukunftsverheißungen die Gegenwart bestimmen können, das wird uns hier greifbar und manchmal sogar begreifbar.
In diesem Land und für diese Stadt wurde die alte und uns bis heute bewegende Verheißung des Propheten Jesaja ausgesprochen:
„Mache dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des HERRN geht auf über dir! Denn siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker; aber über dir geht auf der HERR, und seine Herrlichkeit erscheint über dir.“(Jesaja 60, 1f)
In diesem Land wurde Jesus geboren. Von diesem Land aus verbreitete sich die Engel-Botschaft:
„Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.“(Lukas 2,10f)
In dieser Stadt wurde Jesus für uns zum „Erlöser“ – der Name dieser Kirche erinnert uns daran. In dieser Stadt starb Jesus am Kreuz. Hier durchlitt und überwand er den Tod. Hier erschien der Auferstandene seinen Nachfolgerinnen und Nachfolgern. Von dieser Stadt aus verbreitete sich die Botschaft: „dass Christus gestorben ist für unsere Sünden nach der Schrift; und dass er begraben worden ist; und dass er auferstanden ist am dritten Tage nach der Schrift, und dass er gesehen worden ist…“(1.Korinther 15, 3b.4.5a)
Und eine mit dem Namen dieser Stadt verbundene Verheißung ist es, die uns zur Kraftquelle für eine oft so friedlose und leidvolle Gegenwart wird:
„Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; … Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, … Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen,…“
(Offenbarung 21, 1-4)
Liebe Gemeinde,
als Christinnen und Christen einen Adventssonntag hier in Jerusalem feiern –das ist wirklich etwas ganz Besonderes! Lassen wir uns in diesem Land und an diesem Ort von der adventlichen Verflechtung biblischer Erinnerungstexte und Zukunftsverheißungen ergreifen. Lassen wir die adventliche Botschaft vom Kommen des Erlösers für unsere Gegenwart lebendig werden – hier in Jerusalem und für alle Orte dieser Erde.
Der Predigttext für diesen dritten Sonntag im Advent steht im Buch der Offenbarung des Johannes, in den Versen 1 bis 6 des dritten Kapitels. In einer Vision erhielt Johannes vom himmlischen Christus den Auftrag: „Und dem Engel der Gemeinde in Sardes schreibe: Das sagt, der die sieben Geister Gottes hat und die sieben Sterne:
Ich kenne deine Werke: Du hast den Namen, das du lebst, und bist tot. Werde wach und stärke das andre, das sterben will, denn ich habe deine Werke nicht als vollkommen befunden vor meinem Gott. So denke nun daran, wie du empfangen und gehört hast, und halte es fest und tue Buße!
Wenn du aber nicht wachen wirst, werde ich kommen wie ein Dieb
und du wirst nicht wissen, zu welcher Stunde ich über dich kommen werde.
Aber du hast einige in Sardes, die ihre Kleider nicht besudelt haben; die werden mit mir einhergehen in weißen Kleidern, denn sie sind’s wert.
Wer überwindet, der soll mit weißen Kleidern angetan werden, und ich werde seinen Namen nicht austilgen aus dem Buch des Lebens, und ich will seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt.“
Das ist kein Predigttext, der uns in eine süßlich-kitschige Weihnachtsstimmung versetzt, liebe Gemeinde. Wohl ist dieser Text aus dem Buch der Offenbarung des Johannes ein adventlicher Text. Er will uns durchaus auf das „Kommen des Gekommenen“ vorbereiten. Aber der Predigttext redet dabei keiner vordergründigen Weihnachtsseligkeit das Wort. Er setzt uns Christenmenschen keine rosarote Brille auf die inneren und äußeren Augen, um unsere Frömmigkeit und unser Gemeindeleben weich zu zeichnen und zu beschönigen.
Der Predigttext will uns wachrütteln. „Werde wach und stärke das andre, das sterben will, denn ich habe deine Werke nicht als vollkommen befunden vor meinem Gott.“-, so schrieb der Visionär Johannes an die Gemeinde von Sardes und verwies auf ein schuldhaftes Verhalten vieler Gemeindeglieder. Auch zu urchristlichen Zeiten waren Christenmenschen und waren christliche Gemeinden also nicht vollkommen. Menschen wurden damals und Menschen werden heute dem Namen Gottes, von dem und in dem sie leben, durch ihr eigenes Tun und Lassen niemals gerecht.
„Mit Ernst, o Menschenkinder“ sollen wir deshalb ‚das Herz in uns bestellen‘ – so wie wir es einander mit dem Wochenlied zugesungen haben – damit Jesus Christus als ‚Licht und Leben‘ ganz nachhaltig in unsere Herzen und in unsere Gemeinden einziehen kann; damit die adventliche Vision des Johannes uns einen kritischen und selbstkritischen Blick auf unser Glaubens- und Gemeindeleben schenkt; damit wir uns immer wieder neu zu Buße und Umkehr bewegen lassen.
Der Visionär Johannes war fest davon überzeugt, dass Jesus der von den Propheten Israels versprochen Messias ist. Der Messias aber sollte nach den alten Weissagungen doch die Erlösung von Knechtschaft, Unrecht und Gewalt bringen. Jesu Kommen aber hatte die Welt augenscheinlich nicht verändert. Der ‚Friede auf Erden‘, von dem die Engel bei Jesu Geburt gesungen hatten, war nicht in Sicht.
Der Visionär Johannes sah das Unrecht und die Not seiner Zeit. Er sah die bedrängte Lage, in der sich viele seiner Glaubensgeschwister und viele kleinasiatische Gemeinden befanden.
Johannes deutete das Unrecht und die Not seiner Zeit in der Perspektive eines von ihm „geschauten“ Weltendes: All das Unheil, was jetzt noch geschah, gehörte für ihn zum Todeskampf der alten Welt, die vergehen muss. All die Schmerzen, die Menschen jetzt noch erleiden müssen, gehörten zu den Geburtswehen der neuen Zeit, die mit Jesus Christus schon angebrochen war. Johannes war sich gewiss, dass das Ende der alten Welt sich ankündigte. Er ging davon aus, dass die erneute Ankunft Christi als Weltenrichter zur vollständigen Erlösung der Seinen ganz nahe bevorsteht.
Jetzt, in dieser „letzten Zeit“, müssen Glaubende zwar noch leiden, aber durch das Leiden führt ihr Weg in die Herrlichkeit des Gottesreiches. Der gekommene Messias wird bald wiederkommen. Das Gottesreich wird bald siegreich und vollständig anbrechen. Für Christenmenschen und für christliche Gemeinden kommt es jetzt darauf an, trotz aller Bedrängnisse den vielfältigen Anfechtungen nicht zu erliegen; in allen Bedrängnissen durchzuhalten und treu zu bleiben bis Christus kommt.
In Zeiten des Schreckens rief Johannes seine Glaubensgeschwister dazu auf, an dem festzuhalten, was sie von Jesu Leben, Sterben und Auferstehen gehört und gelernt hatten: „Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt; und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.“(Matthäus 11,5f), daran wollte Jesus als der erwartete Messias erkannt werden. Wir haben es in der Evangeliums-Lesung dieses Gottesdienstes gehört.
„So denke nun daran, wie du empfangen und gehört hast, und halte es fest und tue Buße!“, das schrieb Johannes damals an die Gemeinde in Sardes. Und das gilt durch die Zeiten bis in unsere Gegenwart.
Denn: Wer mit seinem Glauben und mit seinem Gottvertrauen an der gegenwärtigen Wirklichkeit nicht scheitert, wer in allen Bedrängnisse und Anfechtungen daran festhält, dass Jesus der erwartete Messias war und ist und sein wird, der kann und darf sich unzerstörbaren Lebens im neuen Jerusalem gewiss sein.
„Wer überwindet, der soll mit weißen Kleidern angetan werden, und ich werde seinen Namen nicht austilgen aus dem Buch des Lebens, und ich will seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln.“- so sagte es der Visionär vor fast 2000 Jahren der Gemeinde in Sardes zu. Und darauf hoffen und setzen wir auch heute.
Denn auch wir leiden daran, dass trotz Jesu Ankunft, damals vor mehr als zwei Jahrtausenden, in unserer Welt noch immer so viele Tränen geweint werden müssen, noch immer so viel Blut gewaltsam vergossen wird, noch immer die Würde so vieler Menschen verletzt und geschändet wird.
Auch nach unserer fast zweitausendjährigen Kirchengeschichte beten und bitten wir mit den Worten aus Psalm 85, wie wir es zu Beginn dieses Gottesdienstes getan haben, „dass Güte und Treue einander begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen, dass Treue auf Erden wachse und Gerechtigkeit vom Himmel schaue“. Denn noch immer ist diese Bitte für die Lebensbedingungen so vieler Menschen nicht erfüllt. Weder hier in diesem Land noch bei uns in Europa.
Ein kritischer und selbstkritischer Blick auf uns und unsere Gemeinden zeigt doch: Auch unsere Frömmigkeit und auch unsere Gemeinden können dem Namen Gottes nicht gerecht werden. Nur zu oft „sterben“ unsere adventlichen Erwartungen den Tod eines hoffnungs-und tatenlosen Sich-Abfindens mit der vorfindlichen Wirklichkeit. Und die Bitte „Dein Reich komme, Herr“ wird uns zu einer realitätsfernen und für unseren Alltag belanglosen Floskel.
Nur zu oft „stirbt“ unser Glaube den Tod einer kritiklosen Anpassung an Mehrheitsmeinungen und an vermeintliche Sachzwänge. Und Christi Auftrag an seine Nachfolgerinnen und Nachfolger, ein „Licht der Welt“ und das „Salz der Erde“ zu sein, läuft bei uns ins Leere.
„Werde wach!“ -, der Ruf des Predigttextes gilt auch uns und unserer Kirche. Auch wir brauchen die adventliche Botschaft vom „Kommen des Gekommenen“. Auch wir brauchen ‚Ohren, die hören, was der Geist den Gemeinden heute sagt‘ – hier in Jerusalem und für alle Orte dieser Erde. Damit uns das neue Jerusalem zu einer ewigen Heimat wird, die schon heute unser Leben bestimmt und erhellt.
Amen.