Pressemitteilung und Statements
Statement auf der Pressekonferenz zur Vorstellung des Textes „Rechtfertigung und Freiheit“
Die Wiederentdeckung des Evangeliums für die Kirche und die Menschen ist das energetische Zentrum der Reformation im 16. Jahrhundert. Noch heute ist es faszinierend zu sehen, welche Wirkungen von dieser Entdeckung ausgingen. Kaum ein Bereich in Kirche und Gesellschaft blieb unberührt. Auch das private Leben und die Frömmigkeit der Menschen wurden davon geprägt. Die Themenjahre der Luther- bzw. Reformationsdekade seit 2008 nehmen die Wirkungen der Reformation in jeweils unterschiedlicher Perspektive in den Blick: Bekenntnis, Bildung, Freiheit, Musik, Toleranz und aktuell Politik lauten die Stichworte, die Reichtum und Weite des reformatorischen Erbes erschließen. Es zeichnet die Reformation als welthistorisches Ereignis des 16. Jahrhunderts aus, dass die Frage nach ihren Wirkungen sich nur in dieser Breite und Vielfalt beantworten lässt. Die grundsätzliche Frage: "Was feiern wir 2017, fünfhundert Jahre nach dem Thesenanschlag Luthers?", kann nur durch eine erneute Konzentration auf das Evangelium für die Kirche und die Menschen des 21. Jahrhunderts beantwortet werden. Wir wollen diese Energie der Reformation in die Gegenwart übertragen und neu entfachen. Der Grundlagentext "Rechtfertigung und Freiheit" wurde mit diesem Anliegen von einer hochkarätig besetzten ad-hoc-Kommission unter Vorsitz von Herrn Prof. Dr. Markschies im Auftrag des Rates der EKD erarbeitet.
Mir sind vier Perspektiven wichtig, mit denen wir das Jubiläum 2017 feiern:
Die erste Perspektive:
Die Rechtfertigungslehre als Auslegung des Evangeliums von Jesus Christus ist die Grundlage des reformatorischen Freiheitsverständnisses.
Zentrale Begriffe wie Buße, Rechtfertigung, Sünde und Heil sind zwar weitgehend aus dem Alltagssprachgebrauch verschwunden, sie können aber als Freiheitsdimensionen für die Gegenwart wieder verständlich gemacht werden. Unserer Kirche geht es darum, die von der Moderne verheißene "Freiheit" durch die reformatorische Erkenntnis einer von Gott geschenkten Freiheit zu interpretieren. Die Rechtfertigungslehre richtet diese Freiheit als eine neue Haltung zum Dienst an den Mitmenschen aus.
Die zweite Perspektive:
Das Reformationsjubiläum kann nur im weltweiten Horizont gefeiert werden.
Im Oktober 2013 fand in Zürich eine internationale ökumenische Konferenz zum bevorstehenden Reformationsjubiläum statt. Hier war eindrucksvoll spürbar: Den unterschiedlichen regionalen Ausprägungen der Reformation entspricht heute auf evangelischer Seite eine länderübergreifende konfessionelle Vielfalt. Es geht 2017 darum, gemeinsam zu sagen, was "evangelisch" bedeutet, ohne die Bekenntnisvielfalt der reformatorischen Kirchen einzuebnen.
Die dritte Perspektive:
Die Reformation hat einen konstruktiven Veränderungsprozess in der römisch-katholischen Kirche angestoßen.
Der katholische Verfassungsrechtler und Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats der Reformationsdekade, Prof. Udo Di Fabio, hat jüngst in der FAZ ausgeführt: Die Reformation ist nicht nur als Ausgangspunkt eines schmerzvollen Kampfes der Konfessionen gegeneinander zu begreifen. Sie ist auch konstruktiver Anstoß einer Reform innerhalb der römisch-katholischen Kirche. In dieser Perspektive freut sich die Evangelische Kirche, wenn das Reformationsjubiläum gemeinsam mit den römisch-katholischen Geschwistern als Christusfest gefeiert werden kann. Das reformatorische Erbe soll im Horizont einer Ökumene der Gaben als Beitrag für die gesamte Christenheit entfaltet werden.
Die vierte Perspektive:
Die reformatorische Freiheitsbotschaft hat einen substantiellen Beitrag zur Entstehung des modernen säkularen Rechtsstaats geleistet.
Die Reformationsdekade und das Jubiläum 2017 werden von der Evangelischen Kirche gemeinsam mit dem Staat vorbereitet. Dieses Miteinander ist keineswegs selbstverständlich. Es hat aber seinen guten Grund: Bahnbrechend für die Entstehung eines modernen säkularen Rechtsstaates wurde Luthers Unterscheidung zweier Sphären oder Reiche, des weltlichen und des geistlichen Bereichs. Diese Bereiche sind zu trennen, aber sie bleiben aufeinander bezogen. Auch bei der Zuordnung von Staat und Kirche geht es um die Bewahrung der jeweiligen Freiheit. Also keine klerikale Bevormundung des Staates und keine staatlichen Übergriffe auf die Kirche.
Wie die Grundlagentexte zu Abendmahl, Taufe und Gottesdienst, die vom Rat der EKD in den vergangenen Jahren herausgegeben wurden, geht es der heute vorgestellten Schrift um eine Rückbesinnung auf geistliche Grundlagen der Kirche Jesu Christi.
Ich wünsche mir, dass "Rechtfertigung und Freiheit" orientierend und inspirierend wirkt für alle, die sich in den kommenden Jahren mit dem Reformationsjubiläum 2017 beschäftigen.