Eröffnung der Basler credo-Kampagne "Christliche Feste gemeinsam feiern"
Margot Käßmann
Liebe Gemeinde,
was ist Ihr Lieblingsfest im Jahreskreislauf? Die Weihnachtsfeier? Ihr Geburtstag? Ostern? Fastnacht hier in Basel? Hoffentlich sagt niemand: Halloween!
Und wie feiern Sie gern? Eher leise, zurückgezogen? Oder mit vielen, groß, mit Buffet und Musik?
Wie auch immer: Feste tun gut. Sie lassen uns auftanken für den Alltag. Lange bereiten wir sie vor, freuen uns darauf. Ich denke an die Hochzeit meiner Tochter im September dieses Jahr. Wie liebevoll haben alle geplant. Das Brautpaar hat überlegt, wer eingeladen wird. Die Gäste haben sich abgesprochen, welche Geschenke und welche Überraschungen sie gestalten können. Es war ein wunderbares großes und heiteres Familienfest, an das wir uns alle gern erinnern werden. Einer meiner Freunde aber, so ein richtiger Altachtundsechziger sagte: „So ein Tamtam, wir haben uns damals einfach den Wisch beim Standesamt abgeholt.“
Ach, da sind die Jungen wohl wieder klüger, denke ich. Denn so ein Fest ist ja nicht nur Inszenierung eines Paares, sondern im besten Sinne des Wortes Feier. Da treffen sich Familien und Freunde, alle kleiden sich besonders, und so kommen Gemeinschaft und Wertschätzung zum Ausdruck. Ja, das war in den 70er und 80er Jahren anders. Es wurde sich besonders lässig gekleidet: Jeans und Sweatshirt statt Anzug und Krawatte. Eine Abiturfeier gab es zu meiner Zeit nicht, das Zeugnis wurde schnöde per Post zugeschickt. Aber als meinen Töchtern Jahre später in festlichem Rahmen ihre Abiturzeugnisse überreicht wurden und es gar einen „Abiball“ gab, hat mich das sehr berührt.
Die Bibel weiß, dass der Mensch einen Rhythmus braucht, ja selbst Gott braucht eine Balance zwischen Schaffen und Ruhen. Tiefe Lebensweisheit können wir hier finden. So haben wir es eben aus dem dritten Buch Mose im 23. Kapitel gehört: „Und der HERR redete mit Mose und sprach: Sage den Israeliten und sprich zu ihnen: Dies sind die Feste des HERRN, die ihr ausrufen sollt als heilige Versammlungen; dies sind meine Feste: Sechs Tage sollst du arbeiten; der siebente Tag aber ist ein feierlicher Sabbat, heilige Versammlung. Keine Arbeit sollt ihr an ihm tun; denn es ist ein Sabbat für den HERRN, überall, wo ihr wohnt.“
Nach diesem Sabbatgebot folgen die Gebote für weitere Festtage: Passah, das Fest der ungesäuerten Brote, das Erntefest, das Opferfest. Das Leben des Volkes Israel sollte sich gliedern nach diesen Festen, die Erinnerung an Vergangenes und Innehalten in der Gegenwart bedeuten.
Lassen Sie uns dem Thema „Fest“ aus Anlass der Eröffnung Ihrer Credo-Kampagne „Christliche Feste gemeinsam feiern“ in drei Punkten ein wenig nachgehen:
1. Wir brauchen Feste
Oh ja, den Evangelischen wird nachgesagt, dass sie nicht richtig feiern können. Karnevalsmuffel seien sie und überhaupt haben sie es nicht so sehr mit der Sinnlichkeit. Und da sind die Schweizer Reformatoren Calvin und Zwingli noch stärker gemeint als der Deutsche Martin Luther. Allein schon die Porträts des 16. Jahrhunderts zeigen, dass Luther weit weniger Asket war als Calvin…
Aber das Urteil einer fehlenden Sinnlichkeit ist eine völlige Fehleinschätzung, wenn wir auf die Reformatoren insgesamt zurückblicken! Ein Beispiel: Zölibatäres Leben galt als vor Gott angesehener, gerader Weg zum Himmel sozusagen. Viele Reformatoren gaben mit ihrem Schritt hin zur Ehe ein Beispiel dafür, dass auch Leben in einer Familie, mit Sexualität und Kindern von Gott gesegnetes Leben ist. Die öffentliche Heirat von bisher zölibatär lebenden Priestern, Mönchen und Nonnen war ein theologisches Signal. Die Reformationshistorikerin Ute Gause erklärt, dies sei eine Zeichenhandlung gewesen, die „etwas für die Reformation Elementares deutlich machen wollte: die Weltzuwendung und demonstrative Sinnlichkeit des neuen Glaubens.“[1] Nun wird ja den Evangelischen im Land eher unterstellt, dass sie weniger sinnlich seien als die römischen Katholiken oder die Orthodoxie. Die Reformatoren aber wollten gerade deutlich machen: Weltliches Leben ist nicht weniger wert als priesterliches oder klösterliches. Es geht darum, im Glauben zu leben im Alltag der Welt.
Luther konnte dabei übrigens ungeheuer modern sein. Es geht darum, ob gestandene Mannsbilder sich lächerlich machen, wenn sie Windeln waschen. Hören wir also mal kurz original Martin Luther:
„Wenn ein Mann herginge und wüsche die Windeln oder täte sonst an Kindern ein verachtet Werk, und jedermann spottete seiner und hielte ihn für einen Maulaffen und Frauenmann, obwohl ers doch in …. Christliche[m] Glauben täte; Lieber, sage, wer spottet hier des anderen am feinsten? Gott lacht mit allen Engeln und Kreaturen, nicht, weil er die Windeln wäscht, sondern weil ers im Glauben tut. Jener Spötter aber, die nur das Werk sehen und den Glauben nicht sehen, spottet Gott mit aller Kreatur als der größten Narren auf Erden; ja sie spotten nur ihrer selbst und sind des Teufels Maulaffen mit ihrer Klugheit.“[2]
Das heißt: Es kommt nicht auf das Geschwätz der Leute an. Es kommt darauf an, dass ich mein Leben vor Gott und in Gottvertrauen lebe und damit Rechenschaft gebe von der Hoffnung, die in mir ist. Und: Die Aufgabe, Kinder groß zu ziehen, ist Teil der Schöpfung Gottes, sie ist Teil der Existenz von Mann und Frau. Das Leben im Alltag der Welt mit seinen Herausforderungen und seinen Festen ist Teil des Glaubenslebens, darum ging es allen Reformatoren. Also, feiern wir!
2. Wir brauchen Rhythmen
Wir brauchen Feste und Feiertage! Sie gliedern unser Leben. Burnout, das heute als Krankheitsmuster in der westlichen Welt um sich greift, hat als Ursache, dass Menschen keinen Rhythmus von Schaffen und Ruhen mehr finden. Und das ist ja inzwischen kein individuelles Problem mehr, sondern unsere ganze Gesellschaft droht, einem kollektiven Burnout zu unterliegen. Alles wird beschleunigt, alles muss immer gleich sein. Shoppen rund um die Uhr, erreichbar sein sowieso, das Smartphone liegt auf dem Tisch beim Arbeiten, beim Essen, ja selbst neben dem Bett. Manchmal frage ich mich, wie wir in den Tagen meiner Kindheit überlebt haben, als die Geschäfte samstags um 12 Uhr geschlossen und erst montags um 8 wieder geöffnet haben! Aber wir haben überlebt, in der Tat! Davon müssen wir offenbar wieder erzählen heute. Ich finde bis heute wunderbar, wenn auf einmal der Verkehr leise wird, alles etwas retardiert, weil eben Feiertag ist. In Basel mag das noch anders sein, aber in einer Stadt wie Berlin ist das nur äußerst selten zu erleben…
Wir sollten die Vergangenheit nicht nostalgisch verklären, doch wir können von ihr lernen im Guten wie im Schlechten. Wenn die Glocke um zwölf Uhr mittags läutete, hielten die Menschen inne für ein kurzes Gebet. Sie hatten keine Armbanduhr, es war die Mahnung, an das eigene Leben, auch an die Endlichkeit des Lebens zu denken.
Heute müssen wir solches Innehalten neu schaffen. Etwa, indem wir ein Morgen- oder Abendgebet in den Tag einbauen. Oder mittags kurz innehalten vor der Mahlzeit. Um eine Zeit der heilsamen Unterbrechung, der Stille geht es, sei sie noch so kurz. Wenn wir die Kostbarkeit der Lebenszeit bedenken, fallen manche Entscheidungen gewiss anders aus. Feste lassen sich feiern, machen aber auch nachdenklich. Der Auszug aus der Knechtschaft, der in Israel gefeiert wird bis heute. Was ist denn Freiheit für uns heute? Nur Libertinismus, jeder mache doch, was er will? Oder Freiheit für andere, ein Aufbruch in die Solidarität. Ein Fest gibt Anlass, in dich zu gehen. Nicht als Drohung, sondern als Ermutigung! Es ist ja gerade nicht der drohende Donnergott, vor dem wir Angst haben sollen, der unser Leben bestimmt, sondern der Gott, dem wir uns anvertrauen dürfen. Das ist die Erkenntnis der Reformation. Wir müssen nicht ständig unsere Sünden bekennen vor Gott aus Angst vor Fegefeuer und Hölle, sondern Gott ermutigt uns zum Leben, sagt uns Lebenssinn zu.
Sehr schön zeigt das folgende Geschichte: Ein Pfarrer hat einen wunderbaren Apfelbaum. Die Kinder klauen ständig die schönsten Äpfel. Er rammt ein Schild in den Boden: „Gott sieht alles!“ – das ist der drohende, Angst erzeugende Donnergott so mancher Kindheit. Die Kinder aber haben ihre Lektion gelernt und schreiben darunter: „Aber Gott petzt nicht!“…
Das können wir heute feiern: Gott sagt Ja zu unserem Leben, selbst da, wo wir Fehler machen und scheitern.
3. Wir brauchen Erinnerung für die Zukunft
Die Feste Israels, die im dritten Buch Mose beschrieben werden, erinnern alle an die Geschichte des Volkes Israel. In dieser Erinnerung soll das Volk sich verwurzeln und eine Haltung für die Gegenwart, ja eine Perspektive für die Zukunft gewinnen. Das gilt auch für heute. Im Erinnern aus Anlass unserer Feste, entsteht nicht ein rückwärtsgewandtes Gedenken, sondern eine Ermutigung, die Lerngeschichte zu präsentieren. Tradition kommt vom lateinischen „tradere“, das bedeutet „hinüber-“ oder auch „weitergeben“. Wenn unser Predigttext an die Feste Israels erinnert, stehe ich gerade als Deutsche da mit all der Schuld, die wir auf uns geladen haben mit Blick auf Jüdinnen und Juden. Martin Luther bewundere ich sehr mit Blick auf seine theologische Erkenntnis, seine Sprachkompetenz, seinen politischen Instinkt. Aber er war Antijudaist, an dieser Erkenntnis führt kein Weg vorbei. Wenn wir 2017 Reformation feiern, meint Feiertag eben auch gedenken und lernen aus der Vergangenheit. Feste sind nicht nur Karneval, auch der Karfreitag ist ja Feiertag.
Es gab ein Versagen der Vielen in Deutschland, aber auch den Mut der Wenigen, den wir tradieren. Lassen Sie mich nur kurz die Stimme von Elisabeth Schmitz hörbar machen, einer Lehrerin, die in Berlin früh erkannte, wohin der Ungeist des Nationalsozialismus führen würde. Sie schrieb 1935 (!) in einem Memorandum noch vor der Reichspogromnacht über die Lage der Kinder: „Aber wenigstens die Kinder haben doch i.a. im ganz elementaren Empfinden der Menschen einen Anspruch auf Schutz. Und hier? In großen Städten gehen die jüdischen Kinder vielfach jetzt in jüdische Schulen. Oder die Eltern schicken sie in katholische Schulen, in denen nach allgemeiner Ansicht sie sehr viel besser geschützt sind als in evangelischen. Und die nichtarischen evangelischen Kinder? Und die jüdischen Kinder in kleinen Städten, wo es keine jüdischen Schulen gibt, und auf dem Lande? In einer kleinen Stadt werden den jüdischen Kindern von den anderen immer wieder die Hefte zerrissen, wird ihnen das Frühstücksbrot weggenommen und in den Schmutz getreten! Es sind christliche Kinder, die das tun, und christliche Eltern, Lehrer und Pfarrer, die es geschehen lassen!”[3]
Wer sehen wollte, konnte also sehen und wer wissen wollte, konnte wissen. Aber allzu viele sahen weg, gerade auch Protestanten, die sich mit der Weimarer Republik nicht hatten anfreunden können.
Manches Mal wird ja gefragt, was wir feiern können 2017. Das können wir feiern: Es gibt eine Lerngeschichte, theologisch, ökumenisch und politisch. Beispielsweise haben Reformierte und Lutheraner wieder zueinander gefunden und können 1517 gemeinsam als Symboldatum sehen. Erst die Leuenberger Konkordie von 1973 hat es uns ja ermöglicht, so wie heute hier miteinander Abendmahl zu feiern.
Die Reformatoren haben uns gelehrt, aus einer Haltung des freien Gewissens heraus zu leben und uns einzubringen in aktuelle Fragen. Nur wenn wir das tun, den offenen und respektvollen Streit um den richtigen Weg wagen, sind wir zukunftsfähig und ermatten nicht in alltäglichen Belanglosigkeiten. Mich persönlich ermutigt mein Glaube, immer wieder mitzudenken, mit anderen zu diskutieren, zu lernen und auch zu streiten. Das halte ich für ein reformatorisches Erbe, das ich gern mit anderen aufgreifen und weiterführen will.
In einer Zeit, in der stetig alles neu werden soll, brauchen wir auch Erinnerung und Tradition. Nur Innovation überfordert uns. Rhythmen, Rituale und Traditionen, die wir feiern, können Halt geben in Zeiten der Irritation, des Umbruchs! Zu solchen Rhythmen gehört der Gottesdienst. Es geht nicht nur darum, ob „er mir was bringt“. Nein, das wäre schon wieder eine ökonomische Verzweckung von Gottesdienst. Natürlich sind in Basel immer so viele Menschen anwesend wie heute. Aber in Deutschland gibt es Gottesdienste, die nur sehr wenige besuchen. Da zu verrechnen, was das Gehalt von Pfarrer und Organistin, der Einsatz der Küsterin und die Kosten für die Heizung summieren im Verhältnis zu den Anwesenden wäre gewiss eine ökonomische Fehlkalkulation. Aber wir sehen es als Einstimmen in das Lob Gottes in der Welt, in das Auferstehungsfest, das die Christenheit auf Erden feiert. Das ist eine völlig andere Kategorie.
Lassen Sie uns Feste des Lebens feiern! Als ich Kind war, wurde in den lutherischen Kirchen das Abendmahl maximal drei Mal im Jahr gefeiert und das meist, nachdem sich die Mehrheit der Teilnehmenden nach dem Segen verabschiedet hatte. Die Verbleibenden waren in Schwarz gekleidet und es gab ein leicht beklommenes Gefühl: Hier waren Sünder unter sich!
Heute haben wir das Abendmahl als Fest des Lebens wieder entdeckt. Es findet mitten im Gottesdienst statt, Menschen können bunt gekleidet kommen, sie geben sich gegenseitig Brot und Wein weiter in Erinnerung an die offene Einladung, die Jesus an alle zu seinem Tisch ausgesprochen hat. Wenn wir es heute miteinander feiern, können wir evangelisch sagen: Alle Getauften sind eingeladen, weil Jesus Christus eingeladen ist. Und wir feiern auf Hoffnung, dass eines Tages trotz aller Differenzen in der Lehre von Kirche, Abendmahl und Amt wir auch mit römischen Katholiken in versöhnter Verschiedenheit werden feiern können.
Ein Fest des Lebens. Lassen Sie uns die Rituale unseres Glaubens als Geländer für unser Leben wahrnehmen.
Mit dem heutigen ersten Advent zünden wir mitten in der Finsternis dieser Welt Lichter an. Im wahrsten Sinne erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier. Ein sehr schöner Brauch. Es ist dunkel, ja! Das sehen wir angesichts der entbrannten Kriege und Bürgerkriege in der Ukraine, in Syrien, im Kongo, im Nordirak. Wir könnten verzweifeln angesichts der ertrinkenden Flüchtlinge im Mittelmeer, angesichts der Hartherzigkeit vieler in unseren reichen Ländern gegenüber den Menschen, die hier neu anfangen wollen, eine Zukunft für sich und ihre Familien suchen. Gegen all dieses Dunkel zünden wir geradezu trotzig Kerzen an.
Gebete und Kerzen können die Welt verändern. Das habe ich als Deutsche vor 25 Jahren sehr bewusst erlebt. Und so wünsche ich mir, dass unsere Feste als Christinnen und Christen heute nicht einfach eine Feier sind nach dem Motto: Just fun! Nein, wir wollen erinnern: an Schuld und Versagen, an Mut und Hoffnung. Und so können wir Feste feiern als Ermutigung zum Leben und als Kraftquelle für den Alltag der Welt.
Feiern wir also Advent – aber fröhlich bitte! Wir haben es aus dem Levitikusbuch gehört: Jubelgeschrei soll es geben und sieben Tage sollen die Menschen fröhlich sein. Wir glauben an den Auferstandenen und nicht an einen Toten. Wenn das kein Grund zum Feiern ist – in der Vorbereitung auf das Christfest, aber auch jeden Sonntag neu.
Amen.
Fußnoten:
- Ute Gause, Antrittsvorlesung, unveröffentlichtes Manuskript, S. 2.2.
- EL WA 10, 296f. (Scharffenorth. S. 219)
- Elisabeth Schmitz, Zur Lage der deutschen Nichtarier, aaO.; S. 199f.