Kein Mensch ist illegal – Der Auftrag der Kirchen gegenüber Menschen ohne Aufenthaltsstatus
Wolfgang Huber
Freie Universität Berlin
Der Diskussion zur Stellung von Ausländerinnen und Ausländern in Deutschland sind durch den am vergangenen Mittwoch veröffentlichen Bericht der Unabhängigen Kommission „Zuwanderung“ – der sogenannten Süssmuth-Kommission – neue Möglichkeiten eröffnet worden. Ich sehe in diesem Bericht ein bedeutendes Dokument, das den gesellschaftlichen Konsens fördern kann und das nach Kräften politisch umgesetzt werden sollte. Bemerkenswert ist zunächst, dass eine Kommission innerhalb von neun Monaten eine so umfangreiche und anspruchsvolle Arbeit zum Abschluss bringt; jeder, der mit vergleichbaren Aufgaben zu tun hat, kann das nur mit großem Respekt zur Kenntnis nehmen. Wichtiger aber ist natürlich das inhaltliche Ergebnis dieser Arbeit.
Der Bericht der Süssmuth-Kommission, der die anstehenden Diskussionen in diesem Feld nun maßgeblich mitbestimmen wird, ist inhaltlich vor allem dadurch ausgezeichnet, dass er die Themen Zuwanderung, Asyl und Integration miteinander verbindet. Er plädiert dafür, der Integration von Ausländerinnen und Ausländern mehr praktische Aufmerksamkeit zu widmen als bisher. Er tritt dafür ein, das subjektive Recht auf Asyl gemäß Art. 16a des Grundgesetzes beizubehalten. Darüber muss heute auch derjenige froh sein, der seinerzeit den Asylkompromiss von 1993 nicht begrüßt, sondern als Abschwächung des Grundrechts auf Asyl kritisiert hat. Und er verhilft der Einsicht zum Durchbruch, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Die wichtigste Folgerung besteht darin, dass diese Einwanderung gestaltet und nicht nur hingenommen werden muss.
Das in dem Bericht der Süssmuth-Kommission ausgesprochene Ja zur Zuwanderung hilft dabei, dass Arbeitsmigranten nicht mehr länger als Wirtschaftsflüchtlinge bezeichnet – oder auch diskriminiert – werden müssen. Vielmehr wird ihr Interesse daran, in Deutschland Arbeit zu finden, grundsätzlich anerkannt; nur auf dieser Basis kann geprüft werden, ob ihre Arbeitskraft in Deutschland benötigt wird und sinnvoll eingesetzt werden kann. Auch unter ethischen Gesichtspunkten halte ich diese Überlegung für richtig. Es ist nicht unethisch, Arbeitsmigration unter wirtschaftlichen und sozialen Gesichtspunkten zu betrachten. Wenn sie der wirtschaftlichen und sozialen Stabilität zugute kommt, hat das auch insofern positive ethische Auswirkungen, als nur wirtschaftliche
und soziale Stabilität uns dazu befähigen, auf humanitäre Herausforderungen – insbesondere durch Bürgerkriegssituationen oder durch politische Verfolgung – zu reagieren.
Freilich bedeutet ein positives Urteil über den Bericht der Süssmuth-Kommission nicht, dass man automatisch über die politische Umsetzung positiv denken könne. Hier ist vor allem der Widerstand der CDU/CSU sehr bemerkenswert. Sie kritisieren den Bericht dort am schärfsten, wo er Forderungen der Kirchen aufnimmt – zum Beispiel darin, dass Zuwanderung nicht nur zu begrenzen, sondern zuallererst zu gestalten sei, oder im Eintreten für ein Asylrecht ohne zusätzliche Einschränkungen.
Zugleich bedeutet eine solche positive Würdigung auch nicht, dass hiermit alle konzeptionellen Fragen einer menschenrechtlich orientierten Ausländerpolitik bereits abschließend positiv bearbeitet oder behandelt wären. Vielmehr bleiben mancherlei Wünsche offen. Das betrifft den Umgang mit ausländerrechtlichen Härtefällen; es betrifft die Uneinigkeit der Süssmuth-Kommission im Blick auf den wachsenden Bereich nichtstaatlicher Verfolgung – darunter insbesondere auch der Verfolgung aus geschlechtsspezifischen Gründen. Und es betrifft schließlich den Umgang mit illegalen Flüchtlingen. Die Vorschläge, die von den Kirchen im Blick auf diese Personengruppe gemacht worden sind, werden – im Unterschied zu anderen kirchlichen Vorschlägen – nur in engen Grenzen aufgegriffen. Der Bedeutung des Themas wird das nicht gerecht. Darin spiegelt sich eher eine Einschätzung der kurzfristigen politischen Möglichkeiten als ein angemessenes Urteil über die Bedeutung des Themas.
Genau aus diesem Grund aber freue ich mich darüber, heute zu Ihnen über Menschen ohne Aufenthaltsstatus und die kirchliche Verantwortung ihnen gegenüber sprechen zu können.
Es muss in Erinnerung gerufen werden: Die Gründe, aus denen Menschen ihre Heimat verlassen, sind vielfältig. Menschenrechtsverletzungen, Verfolgung oder Krieg, wirtschaftliche und ökologische Notlagen, die Globalisierung der Wirtschaft und nicht zuletzt der vermutete Bedarf an Arbeitskräften in den erhofften Aufnahmeländern prägen die weltweiten Wanderungs- und Fluchtbewegungen.
Ein Teil dieser Migration erfolgt illegal, weil die Migranten befürchten, mit einem Antrag auf die Genehmigung des geplanten Aufenthalts keinen Erfolg zu haben. Aus dieser Erfahrung nährt sich der Verdacht, dass die wohlhabenden Staaten sich gegen ungewollte Migration abzuschotten versuchen. Zwar kann man das Recht zu solcher Abwehr nicht bestreiten – es sei denn, zwingende Gründe in der allgemeinen Lage oder in der besonderen Situation des entsprechenden Bewerbers verpflichten zur Aufnahme. Und es ist richtig, dass in bestimmten Fällen die illegale Einwanderung sich mit kriminellen Handlungen – sei es durch Schlepper, sei es durch die Immigranten selber – verbindet. Aber es besteht die große Gefahr, dass die Abwehr der illegalen Einwanderung auch die legitime Suche nach Schutz und menschenwürdiger Existenz in die Nähe der Kriminalität rückt.
Die nicht erlaubte Einreise in einen fremden Staat wird von den Vereinten Nationen und von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) als „irreguläre Migration“ bezeichnet. Der Ökumenische Rat der Kirchen spricht von „Entwurzelten“ (uprooted people). Andere Begriffe sind „Menschen ohne Aufenthaltsstatus“, „sans papier“, „undocumented people“, „de-facto Flüchtlinge“, „clandestinos“ etc. Begriffe dieser Art weisen vor allem auf das Dilemma des Aufenthaltsstatus hin, ohne damit zugleich die entsprechenden Migranten zu kriminalisieren.
Der Friedensnobelpreisträger und ehemalige Ausschwitz-Häftling Elie Wiesel hat dies in seiner häufig zitierten Rede vor Menschen ohne Aufenthaltsstatus folgendermaßen ausgedrückt: „Ihr, die ihr sogenannte illegale Fremde seid, müsst wissen, dass kein menschliches Wesen „illegal“ ist. Dies ist ein Widerspruch in sich. Menschen können schön oder weniger schön sein, sie können gerecht oder ungerecht sein, aber illegal? Wie kann ein menschliches Wesen illegal sein?“ (1) Menschen können sich illegal verhalten, aber ihre Existenz kann nicht illegal sein.
Nach dem jüdischen und christlichen Glauben ist der Mensch ein Ebenbild Gottes. Trotz aller Unterschiede kommt daher allen Menschen die gleiche Würde zu. Auch das Grundgesetz teilt dieses Menschenbild: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“, heißt es in Artikel 1 Absatz 1. Die Würde des Menschen kann allerdings schnell verletzt werden, wenn dieser Mensch für den Staat nicht existiert. Für die staatliche Ordnung existieren Menschen in der Regel nur dann, wenn sie über die notwendigen Dokumente verfügen.
Ein Beispiel: Eine vietnamesische Frau bringt im Krankenhaus einer brandenburgischen Kleinstadt ein Kind zur Welt. Diese Frau ist ohne das nötige Visum, also illegal, zu ihrem Ehemann und dem Vater des Kindes nach Deutschland eingereist. Der Vater ist ebenfalls vietnamesischer Herkunft und besaß zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes eine Aufenthaltsberechtigung als ehemaliger Kontingentflüchtling. Inzwischen besitzt er die deutsche Staatsbürgerschaft. Trotz seiner Geburt in einem deutschen Krankenhaus, trotz seines aufenthaltsberechtigten und inzwischen sogar deutschen Vaters konnte dieses real existierende Kind weder eine Geburtsurkunde noch sonst eine amtliche Bestätigung seiner Existenz durch deutsche Behörden erhalten - mit allen negativen Konsequenzen für die Familie. In amtlichen Bescheiden wurde diesem Kind, das im Bauch seiner schwangeren Mutter in die Bundesrepublik kam, die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung sogar mit der Begründung verweigert, es sei illegal eingereist. Nachdem der zuständige Landrat die bereits eingeleitete Abschiebung zunächst gestoppt hatte, konnte inzwischen mit Unterstützung der EKiBB eine Lösung für die Familie gefunden werden.
Doch der Fall illustriert, was eine Erfahrung nahezu aller Flüchtlinge und vieler Migranten ist und was Bertolt Brecht folgendermaßen genannt hat: „Der Paß ist der edelste Teil des Menschen.“ Ohne seine Papiere ist der Mensch rechtlos und vogelfrei. Dies gilt durchaus nicht nur im übertragenen, sondern auch im existentiellen Sinn: Staaten entscheiden mit der Verleihung oder Verweigerung eines Papiers, mit der Einreiseerlaubnis oder Verweigerung über die Lebensumstände, u.U. sogar über Leben und Tod von Migranten. Und wie das Beispiel zeigt, stehen staatliche Institutionen in der Gefahr, Statusfragen höher zu bewerten als die menschliche Existenz.
Wo das geschieht, überhöht der Staat sich selbst. Der Satz „Kein Mensch ist illegal“ weist auf diese Grundbestimmung des Verhältnisses von Individuum und Staat hin: Der Aufenthalt von Menschen in einem Staatsgebiet kann illegal sein. Der Staat kann gegen illegalen Aufenthalt vorgehen. Dies befreit ihn jedoch nicht von seiner Verpflichtung, auch in diesem Fall die menschliche Existenz über die Statusfrage zu stellen, die Menschenwürde der Statuslosen zu achten und grundlegende Rechte zu gewährleisten.
Nach ihren eigenen Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus und der ihr aufgezwungenen Flucht hat Hannah Arendt als das grundlegende Recht des Menschen das Recht bezeichnet, überhaupt Rechte zu haben. Einen Menschen rechtlos zu machen, sah sie als die fundamentale Attacke auf die Menschlichkeit überhaut an. Nicht dieses oder jenes Menschenrecht interessierte sie deshalb, sondern schlechthin das „Recht, Rechte zu haben“. Dieses Recht aber muss sich in Papieren niederschlagen. Die „sans papier“ leben ohne dieses Recht. Ihr Kampf geht nicht um dieses oder jenes Recht, sondern um den Status als Rechtsperson schlechthin.
Das allgemeine Problem ist oft behandelt worden. Es hat zuletzt in einer Ausarbeitung der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, aber auch in einem Bericht der Freudenberg-Stiftung und an anderen Stellen eine ausführliche Behandlung gefunden. Sie will ich nicht wiederholen. Ich will mich vielmehr in einem nächsten Schritt der Frage zuwenden, wie die Evangelische Kirche in den vergangenen Jahren auf die Situation von Menschen ohne Aufenthaltsstatus reagiert hat.
Wie hat die Evangelische Kirche in den vergangenen Jahren auf die Situation von Menschen ohne Aufenthaltsstatus reagiert?
In den 1980er Jahren wurden die Probleme von Menschen ohne Aufenthaltsstatus vor allem im Hinblick auf die sogenannten de-facto Flüchtlinge diskutiert. Nach einer Statistik des Bundesinnenministeriums lebten 1986 neben den 68.000 anerkannten Flüchtlingen rund 270.000 de-facto Flüchtlinge in der Bundesrepublik Deutschland. Mit der seit Mitte der siebziger Jahre zunehmend restriktiver gewordenen Asylpraxis nahm die Zahl der Flüchtlinge zu, die nicht mehr als politisch Verfolgte anerkannt wurden. Flüchtlinge, die noch vor wenigen Jahren anerkannt worden wären, wurden plötzlich abgelehnt. Wie groß die zahlenmäßige Bedeutung dieses Problems war, ergibt sich aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der SPD aus dem Jahre 1985 (2) . Darin teilt die Bundesregierung mit, dass 1984 bei 66,8% der Asylsuchenden eine Abschiebung auch bei einer Ablehnung des Asylgesuchs nicht in Betracht kam. In 8 der 10 Hauptherkunftsländer der Flüchtlinge werde derzeit nicht abgeschoben.
Diese de-facto Flüchtlinge besaßen damals keinen legalen Aufenthalt. Über viele Jahre lebten sie ohne Aufenthaltserlaubnis lediglich mit einer Duldung oder Meldebescheinigung. Sie unterlagen einem Arbeits- und Ausbildungsverbot und hatten keine Möglichkeit, sich in das gesellschaftliche Leben zu integrieren und ihr Leben und das ihrer Kinder eigenverantwortlich zu gestalten. Aus dem lediglich geduldeten Aufenthalt wurde häufig ein Daueraufenthalt. Dieser problematische Zustand hält bis in die Gegenwart an. Seit den 1980er Jahren fordern daher die Kirchen – bislang ohne Erfolg - die Erweiterung der Definition des „politischen Flüchtlings“ bzw. die Einbeziehung von de-facto Flüchtlingen in den Schutzbereich des Grundgesetzes oder der Genfer Flüchtlingskonvention.(3)
Trotz der teilweisen Duldung von de-facto Flüchtlingen wurden seit Beginn der achtziger Jahre mit zunehmender Häufigkeit Abschiebungsandrohungen und Abschiebungen auch bei solchen Flüchtlingen verfügt, die durchaus begründete Furcht vor Gefahr für Freiheit, Leib oder Leben hatten. Im Bereich der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg (Berlin-West) kam es daher 1983 zu der ersten Aufnahme von zwei Flüchtlingsfamilien aus dem Libanon in der Kirchengemeinde Zum Heiligen Kreuz. In einer öffentlichen Veranstaltung zum Thema „Asyl in der Kirche“ im März 1984 vertraten damals die beiden Vertreter des Evangelischen Konsistoriums die Auffassung, die Kirche müsse notfalls in Kauf nehmen, mit der Aufnahme solcher Flüchtlinge ohne Aufenthaltsstatus gegen geltende Gesetze zu verstoßen, wenn nur durch solche Regelverletzungen offenkundiges Unrecht verhindert werden könne. (4)
Kirchengemeinden, die in Berlin Beistand im Rahmen von „Asyl in der Kirche“ gewähren, haben sich Mitte der achtziger Jahre zu einer ökumenischen Vereinigung „Asyl in der Kirche“ zusammengeschlossen. Auf Bundesebene wird die Arbeit durch eine gleichnamige Bundesarbeitsgemeinschaft koordiniert und unterstützt. Die Berliner Vereinigung betreibt eine Flüchtlingsberatungsstelle, eine Fluchtwohnung, um Menschen ohne Aufenthaltsstatus vorübergehend unterbringen zu können und eine Lösung für sie vorzubereiten, sowie in Kooperation mit dem südost Zentrum Berlin das Projekt NADA, ein Projekt für Flüchtlinge aus Bosnien und Herzegowina, die über keinen sicheren Aufenthaltsstatus verfügen.
Die EKiBB hat sich nicht nur in Einzelfällen, sondern auch bei größeren Flüchtlingsgruppen immer wieder für die Legalisierung von Menschen ohne Aufenthaltsstatus eingesetzt. Eine der ersten Initiativen, an denen die EKiBB mitwirkte, setzte sich für die Legalisierung der Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Libanon ein. 1987 beschloss der Berliner Senat die sogenannte „Berliner Regelung für abgelehnte Asylbewerber“, durch die ein großer Teil der de-facto Flüchtlinge nach vielen Jahren illegalen Aufenthalts erstmalig eine Aufenthaltserlaubnis erhielt. Doch auch diese Regelung wies Lücken auf. Deshalb koordinierte die EKiBB - mit Erfolg - gemeinsame Bemühungen von Beratungsstellen, Flüchtlingsinitiativen, Rechtsanwälten etc., die dazu führten, dass auch denjenigen de-facto Flüchtlingen ein Aufenthaltsstatus vermittelt werden konnte, die nicht alle Kriterien der „Altfallregelung“ erfüllten.
Während der 1990er Jahre wuchs die Zahl von Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus auf schätzungsweise mittlerweile 1 Million im Jahre 2000. Dieser Anstieg ist auf verschiedene Gründe zurück zu führen: Wegen der Einschränkungen des Asylrechts durch die Asylrechtsreform im Jahre 1993 haben viele Asylsuchende keine Asylanträge mehr gestellt, weil diese aussichtslos waren. Statt dessen versuchten sie von Anfang an unerkannt illegal zu leben. Auf der anderen Seite kamen viele Migranten auf der Suche nach Arbeit nach Deutschland, weil die Nachfrage nach illegal Beschäftigten trotz Arbeitslosigkeit anstieg. Hierzu erklärten die Kirchen in ihrem Gemeinsamen Wort zu den Herausforderungen durch Flucht und Migration 1997:
„Auf eindeutige politische Vorgaben aufgebaute gesetzliche Zuwanderungsregelungen könnten nach alldem nicht nur die Rechtslage für Ausländer wie für Deutsche transparenter machen, sondern auch den Anteil der in Deutschland ohne Aufenthaltsstatus lebenden Menschen verringern und damit die Bereitschaft zur Achtung und Anerkennung des Gesetzes stärken. Dabei ist jedoch wichtig anzuerkennen, daß kein wie immer geartetes akzeptables Instrument unerlaubte Zuwanderung gänzlich verhindern kann und daß es für Folgeprobleme solcher Zuwanderung keine abschließenden Lösungen gibt. Dennoch gilt: Je größer der Migrationsdruck in Zukunft sein wird, desto wichtiger werden Rechtsklarheit und –sicherheit in allen Zuwanderungsbereichen.“(5)
Die Kirchen versuchen die Arbeit mit Menschen ohne Aufenthaltsstatus als integralen Bestandteil ihrer Arbeit mit Migrantinnen und Migranten wahrzunehmen. Ziel der Initiativen ist zum einen eine Legalisierung der Statuslosen; zum anderen geht es darum, für Menschen in der Situation der Illegalität die Verbesserung eines Zugangs zu Basisrechten zu erreichen.
Doch die Aufgaben der Kirchen reichen über diese gesellschaftspolitischen Ziele hinaus: Es geht auch darum, die aus der Gesellschaft an den Rand Gedrängten in die Gemeinschaft, insbesondere auch konkret in die christlichen Gemeinden wieder hereinzuholen. Es geht darum, die befreiende Botschaft von der Liebe Gottes weiterzugeben, die Achtung vor der Würde des anderen zu erneuern und erlebbar zu machen, dass vor Gott alle Menschen gleich sind. Es geht darum, dass sich die Kirchen nicht nur „den Fremden mitten unter ihnen“ zuwenden, sondern dass sie sich öffnen und sich im Sinne eines christlichen Kirchenverständnisses als „Kirche der Fremden“ verstehen. Jede Gemeinde kann dazu beitragen. Dies kann geschehen in der Verkündigung, in öffentlicher Fürbitte, in den Gottesdiensten, durch Veranstaltungen und durch vielfältige Formen der Unterstützung. Mitmenschlichkeit zu erleben, kann Menschen retten, die ihr Leben im Verborgenen führen müssen.
Erscheinungsweisen und Hintergründe von Illegalität
Grundsätzlich können verschiedene Formen illegalen bzw. irregulären Verhaltens bei Einreise und Aufenthalt unterschieden werden: die Einreise ohne Papiere oder mit falschen Papieren und der anschließende illegale Aufenthalt sowie illegale Arbeitstätigkeit. Andererseits gibt es auch die Illegalisierung des Aufenthalts nach einer zunächst legalen Einreise bzw. einem legalen Aufenthalt aufgrund der Nichtverlängerung einer befristeten Aufenthaltsgenehmigung oder Wegfall des ursprünglich legalen Aufenthaltszwecks (z.B. bei Touristen, Geschäftsreisenden, Saisonarbeitern, Asylsuchenden, Ehegatten bei vorzeitiger Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft).
Illegale Formen der Migration gibt es bei praktisch allen Migrantengruppen im Rahmen des Familiennachzugs. Ausländische Arbeitnehmer aus Drittstaaten, aber auch Asylsuchende und Flüchtlinge, die nicht als „politische Flüchtlinge“ nach Art 16a GG anerkannt wurden, versuchen angesichts der teilweise kaum überwindbaren Schwierigkeiten bzw. langwieriger Genehmigungsverfahren ihre Familienangehörigen auf illegalem Weg nachzuholen. Bei Spätaussiedlern gibt es den illegalen Familiennachzug z.B. bei Verwandten aus bi-nationalen Ehen mit unterschiedlichem Rechtsstatus oder bei der Einreise zum Daueraufenthalt schon vor dem Erhalt des Aufnahmebescheids, wobei das Antragsverfahren über eine ausländische Scheinadresse weiterbetrieben wird, während die Familienangehörigen verdeckt bereits im Inland leben.(6)
1997 veranstaltete die Ev. Akademie Berlin (7) im Rahmen des „Ökumenischen Jahres der Solidarität der Kirchen mit vertriebenen und entwurzelten Menschen“ eine europäische Konferenz über Migranten in irregulären Situationen.(8) Auf dieser Konferenz wurde durch Vergleiche der Lage in Griechenland, Italien, Spanien, Portugal, Frankreich, Polen, Tschechien und Deutschland deutlich, dass sich die Zahl der Menschen ohne Aufenthaltsstatus überall in Europa in den letzten Jahren deutlich erhöht hat. Im Hinblick auf den Rechtsstatus und die soziale Situation gibt es z.T. jedoch deutliche Unterschiede beim Umgang der einzelnen Staaten mit diesem Problem. Während es in den süd- und mittelosteuropäischen Ländern durchschnittlich mehr Möglichkeiten gibt, Arbeitsstellen zu finden, die dann in der Regel allerdings irregulär und rechtlich nicht geschützt sind, werden in den west- und nordeuropäischen Ländern die gesetzlichen Regeln zur Unterbindung illegalen Aufenthalts und illegaler Beschäftigung strikter angewandt. Dies hat eine stärkere soziale und wirtschaftliche Ausgrenzung statusloser Migranten in diesen Ländern zur Folge.
In allen genannten Ländern nutzen Wirtschaft und Privatpersonen die Dienste von Statuslosen. Dabei befindet sich Deutschland mit seinem zunehmend deregulierten Arbeitsmarkt und mit einem wachsenden informellen Sektor wie viele moderne Sozialstaaten in einem doppelten Widerspruch: Einerseits fördern die verschärften Kontrollen gegenüber illegaler Einreise und illegaler Arbeitstätigkeit die Professionalisierung krimineller Schleuser und Vermittler und erhöhen ihre Profite. (Weltweit werden die Einnahmen aus diesem Geschäft höher als die aus dem Drogenhandel eingeschätzt.) Andererseits können alle Maßnahmen zur Eindämmung von Illegalität nicht darüber hinwegtäuschen, dass der expandierende informelle Sektor vielfach auf illegale Beschäftigungsverhältnisse zurückgreift. Der 6. Familienbericht der Bundesregierung kommt hier interessanter Weise zu folgender Einschätzung:
„Eine konsequente Bekämpfung der Illegalität würde deshalb manche ‚Grenzbetriebe’ ruinieren, im Dienstleistungssektor zu folgenschweren Einbrüchen führen und in der Praxis zweifelsohne ‚mehr Staat, mehr Polizei, mehr Kontrolle, mehr Befugnisse für Polizei und Behörden, mehr Bürokratie und damit auch mehr Einengung oder sogar Unfreiheit für alle bedeuten, von der allgemeinen Vergiftung der Atmosphäre durch eine Jagd auf ‚Illegale’ ganz abgesehen“. Und weiter heißt es dort:
„Einer Legalisierung von illegalen Beschäftigungsverhältnissen durch nachträgliche Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen wiederum steht eine intensive Interessengemeinschaft von Arbeitgebern (Einsparung von Lohnnebenkosten) und Arbeitnehmern (Unsicherheit der Aufenthaltsverlängerung nach Erfassung, Steuern und Abgaben) entgegen.“(9) Die Arbeitnehmer würden zudem ihren ‚Arbeitsmarktvorteil’ in Gestalt der Selbstausbeutung als Billiglohnarbeiter verlieren.
Den Aufnahmestaaten entstehen allerdings wegen nicht abgeführter Steuern und Sozialabgaben erhebliche Einnahmeverluste in Milliardenhöhe. Kostenersparnis ist jedoch nicht das einzige Motiv für die Einstellung von Irregulären. Eine nicht unerhebliche Zahl offener Arbeitstellen kann selbst bei relativ hohen Arbeitslosenzahlen häufig nicht besetzt werden, weil die einheimischen Arbeitnehmer die ungünstigen Arbeitsbedingungen nicht akzeptieren. Außerdem können offene Arbeitsstellen in der Regel schneller als bei einer Vermittlung durch die Arbeitsämter besetzt werden.
Für Menschen in der Illegalität ergeben sich aus ihrer Situation der sozialen und rechtlichen Ausgrenzung eine Reihe von Problemen, z.B.:
- Verweigerung der Lohnzahlung: Arbeitgeber verweigern immer wieder die Zahlung des vereinbarten Lohns oder überhaupt jegliche Lohnzahlung, Kranken- oder Unfallversicherung, weil Statuslose den Schutz der Gerichte nicht in Anspruch nehmen können.
- Verweigerung der medizinischen Versorgung: Selbst in Notfällen ist eine Behandlung im Krankenhaus häufig nicht möglich: Die Kostenübernahme ist nicht sichergestellt. Teilweise melden Krankenhäuser Hilfe suchende Ausländer ohne legalen Aufenthaltsstatus der Polizei und verweigern die Behandlung.
- Verweigerung von Versicherungsleistungen im Fall von Arbeitsunfall, Invalidität oder Alter: Statuslose können, selbst wenn sie einen Rechtsanspruch auf Leistungen bei Arbeitsunfall, Invalidität oder Alter erworben haben, diesen Anspruch faktisch nicht durchsetzen.
- Verweigerung von Sozialhilfe: Teilweise werden die Sozialämter verpflichtet, statuslose Ausländer erneut vorzuladen und diesen Vorsprachetermin der Ausländerbehörde mitzuteilen. Bei der erneuten Vorsprache sollen die Ausländer dann festgenommen werden.
- Verweigerung des Rechts auf Unterkunft: Beratungsstellen und Obdachloseneinrichtungen, die letzten Glieder in der Hilfekette, erhalten für ihre Hilfen für Irreguläre keine Mittel.
- Verweigerung des Zugangs zu Schule und/oder Ausbildung: Werden Schulen und Ausbildungsstätten verpflichtet, den legalen Aufenthaltsstatus zu überprüfen und Statuslose der Polizei zu melden, ist der Zugang faktisch verwehrt.
- Verweigerung des Zugangs zum Recht: Menschen ohne legalen Aufenthalt werden in der Regel nicht als Rechtssubjekte anerkannt. Wenn sie in ihren Rechten verletzt oder Opfer von Straftaten werden, können sie nicht den Schutz der Gerichte und der Behörden in Anspruch nehmen. Vielmehr droht ihnen in diesem Fall die Festnahme und Abschiebung.
Illegalität ist teilweise funktional für Wirtschaften unter dem Einfluss der Globalisierung und der Liberalisierung der Märkte. Die Nachfrage nach billigen, rechtlosen, disponiblen, ausbeutbaren Arbeitskräften ist groß. Eine Politik, die die „Illegalen“ bekämpft und nicht die Illegalität, eine Politik, die den Irregulären jeden Zugang zu einem geregelten Aufenthalt und faktisch jeden Zugang zu Recht und Gesetz verweigert, dient in erster Linie den Interessen der ausbeutenden Arbeitgeber, der Schleuser und Menschenhändler. Eine solche Politik schafft geradezu erst die Voraussetzungen dafür, dass das große Geschäft mit der Illegalität möglich ist.
Strafdrohung
Mit dem Beistand für Statuslose bewegen sich kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einem Spannungsfeld zwischen dem christlichen Gebot der Nächstenliebe und der Beachtung von Gesetzen und Verwaltungsvorschriften. Die Beratung und Unterstützung von Menschen in Not, auch wenn sie Ausländer ohne legalen Aufenthalt sind, gehört zum christlichen Selbstverständnis. Andererseits verdienen auch die gesetzlichen Regelungen Beachtung, denn sie sollen dem Schutz des Gemeinwesens und auch des Einzelnen dienen. Im konkreten Fall ist also eine Entscheidung sowohl im Hinblick auf ihre ethische Begründung als auch auf ihre möglichen strafrechtlichen Konsequenzen sorgfältig abzuwägen.
Immerhin kann die Hilfe für Menschen in der Illegalität nach § 92a AuslG u.U. mit „Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe“ bestraft werden, wenn „wiederholt oder zugunsten von mehreren Ausländern“ gehandelt wird. Von dieser Strafvorschrift sind damit potenziell alle bedroht, die sich, sei es nun haupt- oder ehrenamtlich, professionell oder mit längerfristigem freiwilligem Engagement für diese Menschen einsetzen. Dies gilt zumindest dann, wenn das Gericht in der Hilfeleistung eine Beihilfe zur illegalen Einreise oder zum illegalen Aufenthalt sieht. Dazu, ob der Vorwurf der Beihilfe juristisch begründbar wäre, will ich mich nicht äußern. Eine solche Beihilfe juristisch zu begründen, dürfte m.E. durchaus möglich sein. Verschiedene staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren gegen Kirchengemeinden, die Gemeindeasyl gewährt haben, zeigen, dass die Sorge vor einer derartigen strafrechtlichen Behandlung des Themas alles andere als unbegründet und keineswegs aus der Luft gegriffen ist.
Menschen ohne Recht auf Aufenthalt leben wie in einer Schattenwelt. Sie vermeiden jede Auffälligkeit und Begegnung mit Menschen, die sie nicht kennen. Selbst vor Freunden und Unterstützern verbergen sie u.U. ihre Lage. In der Öffentlichkeit bewegen sie sich in ständiger Angst davor, aufgegriffen und abgeschoben zu werden. Sie können auch in einer Beratungssituation womöglich nicht einschätzen, ob sie ihrem Gegenüber Vertrauen schenken können. Auch die Institution der Kirche vermittelt nicht automatisch ein solches Vertrauen. Kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen deshalb berücksichtigen, dass sie zumindest zu Beginn, bevor sich ein Vertrauensverhältnis entwickeln konnte, möglicherweise nicht alle notwendigen Informationen erhalten. Gleichzeitig müssen sie dem Hilfesuchenden vermitteln, dass unvollständige oder falsche Informationen ihre Bemühungen um Hilfe nachdrücklich gefährden können.
Eine Anerkennung grundlegender Rechte von Statuslosen durch den Staat hätte deshalb auch zur Konsequenz, dass Menschen, die den Statuslosen bei der Wahrnehmung solcher Rechte unterstützen, nicht unter Strafandrohung gestellt würden. Den Zugang zum Recht halte ich aber vor allem im Interesse der betroffenen Menschen für unerlässlich. Denn die Kriminalisierung gefährdet die Hilfe auch dort, wo sie möglicherweise auch vom Staat als notwendig angesehen wird.
Schließlich spricht für eine solche Öffnung aus meiner Sicht auch noch ein dritter Grund: Statuslose können umso erfolgreicher ausgebeutet werden, je stärker sie sozial ausgegrenzt und je weniger sie durch die Rechtsordnung geschützt sind. Demgegenüber kann durch einen besseren Zugang zum Recht das Risiko derjenigen erhöht und ihr Profit entsprechend begrenzt werden, die von der Ausbeutung Irregulärer und ihrer rechtlosen Position profitieren. Auf diese Weise könnte eine entscheidende Ursache für illegale Migration verringert werden.
Wie wird das Problem der Illegalität in der gegenwärtigen Zuwanderungsdebatte diskutiert?
Der Bericht der Unabhängigen Kommission „Zuwanderung“ vom 4. Juli 2001 geht unter der Überschrift „Humanitär handeln“ auf insgesamt zweieinhalb Seiten auf das Thema Illegale ein. Die Süssmuth-Kommission gibt dabei zwei Empfehlungen:
- Schulen und Lehrer sollten von der Verpflichtung befreit werden, den Behörden ausländische Schüler zu melden, die sich illegal in Deutschland aufhalten. Es sei mit dem Kindeswohl nicht vereinbar, wenn Eltern aus Sorge um die Aufdeckung ihres illegalen Aufenthalts ihre Kinder nicht in die Schule schicken.(10)
- Personen und Organisationen, die sich aus humanitären Gründen um Illegale kümmern, sollen nicht dem Vorwurf der Beihilfe zum illegalen Aufenthalt ausgesetzt und nicht mit Strafe bedroht werden.(11)
Außerdem erkennt die Süssmuth-Kommission die Notwendigkeit zu weiterer Beschäftigung mit den Problemen der Sicherstellung medizinischer Versorgung und der Durchsetzung von Lohnansprüchen an, ohne hierzu jedoch weitere Empfehlungen zu geben.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat ein Eckpunktepapier, das von einer Kommission unter der Leitung von Ludwig Stiegler erarbeitet wurde, am 6. Juli veröffentlicht. Unter der Überschrift „Eine Reform des Ausländerrechts ist notwendig“(12) geht das Eckpunktepapier in nur insgesamt 4 Zeilen auf das Thema „Illegale Migration“ ein. Die SPD betont, dass sie illegalen Aufenthalt nicht dulden und die organisierte Kriminalität der illegalen Schleusung bekämpfen werde. Allerdings wolle sie diejenigen schützen, die aus humanitären Gründen menschliche Hilfe leisten. In einer Fußnote führt sie aus, dass die Mitteilungspflichten an die Ausländerbehörden dahingehend überarbeitet werden sollen, „dass hilfsbereite Ärztinnen und Ärzten, Lehrerinnen und Lehrern, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Jugendämtern, Kirchen, Gewerkschaften, Sozialverbänden usw. die Angst genommen wird, sich strafbar machen könnten (sic), wenn sie Illegalen helfen.“(13)
Ein Positionspapier führender Politiker von Bündnis 90/Die Grünen, „Einwanderung gestalten, Asylrecht sichern, Integration fördern“, geht davon aus, dass mit einer „modernen Einwanderungspolitik“ das Problem der Illegalität zumindest gemildert, jedoch nicht vollständig beseitigt werden kann. Professionelle Schlepper und Menschenhändler müssten bestraft werden, „nicht aber Sozialarbeiter, Ärzte oder Privatpersonen, die Menschen ohne Aufenthaltsstatus bei der Bewältigung ihres Alltags unterstützen.“ (14)
Die CDU geht in einem Positionspapier, das von einer Kommission unter der Leitung des saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller erarbeitet wurde, unter der Überschrift „Regelungsbedarf bezüglich einzelner Zuwanderungstatbestände“ in insgesamt anderthalb Seiten auf das Thema „Illegale“ ein.(15) Dabei beschränkt sich die CDU ausschließlich auf Überlegungen zur Bekämpfung der illegalen Einreise, des illegalen Aufenthalts und der illegalen Beschäftigung. Die sozialen Probleme von Menschen in der Illegalität werden konsequent übersehen. Die CDU scheint eine Verantwort für diese sozialen Probleme nicht festzustellen. Insofern fehlen auch jegliche Vorschläge.
Dies ist umso unverständlicher, als man von einer Partei, die sich dem christlichen Menschenbild verpflichtet weiß, mehr soziale Verantwortung erwarten darf und fordern muss. Es ist nicht hinreichend, wenn CDU und CSU sich in ihren Überlegungen auf restriktive Maßnahmen beschränken und im übrigen die Probleme der Menschen in der Illegalität aus der Wahrnehmung ausblenden. Medizinische und schulische Versorgung, Soziale Hilfe in Form von Obdach, Nahrung und Kleidung, effektiver Rechtsschutz müssen vom Staat wahrgenommen werden. Die CDU/CSU hat m.E. bei diesem Thema Nachbesserungsbedarf.
Im übrigen können wir feststellen, dass im Rahmen der gegenwärtigen Zuwanderungsdebatte erstmals eine Bundesregierung und die sie tragenden Parteien die Probleme von Menschen in der Illegalität offiziell zur Kenntnis nehmen. Dabei beschränken sie sich nicht lediglich, wie derzeit noch die CDU, auf den Aspekt der Bekämpfung von illegaler Einwanderung, Aufenthalt und Beschäftigung. Vielmehr deuten sie an, dass sie Illegalität generell für nicht vermeid bar halten. Deshalb werden, wenn auch noch in sehr begrenztem Rahmen, einzelne Maßnahmen zur Erleichterung der Situation von Menschen ohne Aufenthaltsstatus vorgeschlagen. Ich sehe dies durchaus als einen Fortschritt an. Weitere Schritte müssen noch folgen.
Vorschläge, was unter anderem geschehen muss
Der Schutz von Ehe und Familie muss gestärkt werden. Hierzu ist das Ausländergesetz zu ändern. Die Restriktionen, die den Familiennachzug zu Migranten und Flüchtlingen mit legalem Aufenthaltsstatus erschweren und die damit Ursache für zahlreiche Fälle von Illegalität sind, müssen beseitigt werden. Ich möchte dies am Beispiel der Flüchtlinge, die nach der Genfer Konvention aufgrund von § 51 AuslG anerkannt sind, erläutern. Bei ihnen wird - im Unterschied zu Flüchtlingen mit einer Anerkennung nach Art. 16 a GG - der Familiennachzug nur dann gestattet, wenn ausreichender Wohnraum zur Verfügung steht und der Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln gesichert ist (§ 17 AuslG). Dabei wird nicht einmal berücksichtigt, dass GFK-Flüchtlinge kein Kindergeld erhalten(16) und somit – insbesondere bei größeren Familien – kaum die Chance haben, ein ausreichendes Einkommen und eine Wohnung als Voraussetzung für die Familienzusammenführung nachzuweisen. Für eine solche Ungleichbehandlung ist ein rechtfertigender Grund nicht erkennbar. Für alle Flüchtlinge, seien sie nach Art 16a GG oder nach einer anderen Rechtsgrundlage anerkannt, gilt, dass sie auf den erhaltenen Schutz in Deutschland angewiesen sind. Sie können sich nicht ein anderes Aufnahmeland frei wählen, in dem sie als Familie zusammenleben können. Die nach dem Ausländergesetz derzeit geltenden Einschränkungen des Familiennachzugs bedeuten für diese Flüchtlinge eine Trennung der Familie auf unbestimmte Zeit oder sogar auf Dauer. Deshalb muss der Familiennachzug ohne solche Einschränkungen allen Menschen gestattet werden, deren Flüchtlingseigenschaft aus welchen Gründen auch immer anerkannt wurde und die sich aufgrund dieser Anerkennung für längere oder unbestimmte Zeit in Deutschland aufhalten.
Damit öffentliche Stellen wie Schulen, Krankenhäuser, Sozialämter, Gerichte etc. ihre eigentlichen Aufgaben auch gegenüber Menschen ohne Aufenthaltsstatus erfüllen können, muss die Verpflichtung zur Mitteilung an die Ausländerbehörden aufgrund der §§ 75 und 76 AuslG aufgehoben oder zumindest eingeschränkt werden. Sofern die Paragrafen 75 und 76 AuslG nicht gänzlich aufgehoben werden, empfiehlt sich aus meiner Sicht eine Änderung des Gesetzestextes in Anlehnung an die Regelung für die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung nach § 76 Abs. 3 AuslG. Öffentliche Stellen wären dann nur insoweit zur Mitteilung an die Ausländerbehörden verpflichtet, „soweit dadurch die Erfüllung ihrer eigenen Aufgaben nicht gefährdet wird.“
Zur Vermeidung von Obdachlosigkeit müssen Obdachloseneinrichtungen auch für Menschen ohne Aufenthaltsstatus offen stehen. Es ist nicht hinnehmbar, wenn in solchen Einrichtungen – wie dies derzeit in der Regel der Fall ist – die Betreuung von Illegalen nur unter der Hand und nur auf persönliches Risiko der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter möglich ist. Deshalb muss gewährleistet werden, dass die Kosten für die Betreuung von Obdachlosen von den Trägern der Sozialhilfe auch dann übernommen werden, wenn es sich um Menschen ohne Aufenthaltsstatus handelt.
Des weiteren müssen die Strafvorschriften in den §§ 92a und 92b AuslG dahin gehend geändert werden, dass Menschen, die in Ausübung ihres Berufes oder als Ehrenamtliche Menschen in der Illegalität betreuen, nicht mit Strafe bedroht werden. Dies muss zumindest dann gelten, wenn die helfenden Personen uneigennützig handeln. Deshalb muss der Satz in § 92a Abs. 1 Nr. 2 gestrichen werden, der Strafe auch demjenigen androht, die „wiederholt oder zugunsten von mehreren Ausländern handelt.“ Durch diese Regelung werden alle bedroht, die beruflich oder im ehrenamtlichen Engagement mehrfach Menschen in der Illegalität beraten oder unterstützen. Das könnte möglicherweise auch für Kirchengemeinden gelten, die „Asyl in der Kirche“ gewähren. Die Tatsache, dass diese Strafvorschrift bisher nur selten angewandt wird, kann nicht als Argument gegen die Notwendigkeit einer Änderung gelten. Noch weniger akzeptabel ist, dass sich der Staat auch mit Hilfe dieser Strafvorschrift wieder seiner Verantwortung entzieht. Statt diese wahrzunehmen, bedroht er sogar solche Personen mit Strafe, die mit Zivilcourage die staatliche Verantwortungslücke auszufüllen versuchen und sich dafür einsetzen, dem Verfassungsgebot des Schutzes der Menschenwürde (Art. 1 GG), das auch für Menschen in der Illegalität gilt, Geltung zu verschaffen.
Auch Menschen ohne Aufenthaltsstatus müssen Zugang zu sozialen Grundleistungen erhalten. Dabei muss der Grundsatz gelten, dass die Hilfsbedürftigkeit entscheidendes Kriterium für die Gewährung von sozialen Leistungen ist. Es ist nicht hinnehmbar, wenn ausreisepflichtigen Ausländern, die nicht abgeschoben werden können, die notwendige soziale Hilfe mit der Begründung versagt wird, um sie zur Ausreise zu zwingen.
In einigen europäischen Ländern wurden gute Erfahrungen mit Legalisierungsprogrammen gemacht. Auch in Deutschland hat es mehrere sogenannte Altfallregelungen gegeben. Häufig waren jedoch die Kriterien zu restriktiv, so dass viele potenziell Begünstigte keinen Aufenthaltsstatus erhalten konnten. Hier sollten in Zukunft die entsprechenden Regelungen großzügiger gestaltet werden.
Die Schaffung legaler Zugangswege für Asylsuche und Einwanderer und die Öffnung von Zugängen zu Beratung, Hilfe, Rechtsschutz und legalem Status für Irreguläre scheinen die entscheidende Grundvoraussetzungen dafür zu sein, dass die Ursachen der Illegalität, das Geschäft mit den Irregulären, beseitigt oder doch wenigstens eingeschränkt werden können. Deshalb setzen sich die Kirchen für solche Wege aus der Illegalität ein.
Literatur:
Alt, Jörg/Fodor, Ralf: Rechtlos? Menschen ohne Papiere. Anregungen für eine Positionsbestimmung. Karlsruhe, 2001.
Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen: Bericht über die Lage der Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin und Bonn, Febr. 2000.
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Fußnoten:
(1) Übersetzung des Zitats Vf., aus einem Flyer der „No Human Being Is Illegal“ National Campaign for the Civil and Human Rights of Salvadorans, Washington. D.C., 1988.
(2) Anfrage der SPD vom 14. Mai 1985, BT-Drs. 10/3346.
(3) Zur Entwicklung bis 1988 vgl. Manfred Karnetzki/Hanns Thomä-Venske (Hg.): Schutz für de-facto Flüchtlinge, Hamburg 1988.
(4) Vgl. Karnetzki/Thomä-Venske, a.a.O., S. 188f.
(5) Rat der EKD/Deutsche Bischofskonferenz/Mitglieds- und Gastkirchen der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen: „...und der Fremdling, der in deinen Toren ist.“ – Gemeinsames Wort der Kirchen zu den Herausforderungen durch Migration und Flucht. Bonn/Frankfurt am Main/Hannover 1997, Randnr. 181. Im folgenden zitiert als „Gemeinsames Wort“.
(6) Vgl. hierzu auch: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.): Familien ausländischer Herkunft in Deutschland, 6. Familienbericht, Berlin 2000, S. 62ff.
(7) gemeinsam mit dem Diakonischen Werk Berlin-Brandenburg und dem kirchlichen Ausländerbeauftragten der Ev. Kirche in Berlin-Brandenburg
(8) Vgl. Kein Mensch ist illegal – Migranten in irregulären Situationen, epd-Dokumentation Nr. 8/98, und Norbert Cyrus: Menschen ohne Aufenthaltsstatus in der Bundesrepublik Deutschland, epd-Dokumentation Nr. 13/98, Frankfurt 1998.
(9) Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.), a.a.O., S. 64.
(10) Unabhängige Kommission „Zuwanderung“: Zuwanderung gestalten – Integration fördern, Berlin, 4. Juli 2001, S. 197.
(11) Unabhängige Kommission ..., a.a.O, S. 198.
(12) SPD-Bundestagsfraktion: Die neue Politik der Zuwanderung – Steuerung, Integration, innerer Friede – Die Eckpunkte der SPD-Bundestagsfraktion, Berlin 6. Juli 2001, S. 16.
(13) SPD-Bundestagsfraktion: a.a.O., S. 19, Fußnote 11.
(14) Künast, Müller, Beck, Özdemir, Roth, Hanf: Einwanderung gestalten, Asylrecht sichern, Integration fördern, o. D. (8.11.2000), S. 10.
(15) Bundesausschuss der CDU: Zuwanderung steuern. Integration fördern. 7. Juni 2001, S. 16ff.
(16) GFK-Flüchtlinge nach § 51 AuslG erhalten lediglich eine Aufenthaltsbefugnis. Ausländer mit Aufenthaltsbefugnis haben keinen Anspruch auf Kindergeld.