Der trennende Zaun ist abgebrochen
Vorwort
Er ist unser Friede
Im Brief des Apostels Paulus an die Epheser lesen wir: "Er ist unser Friede, der aus beiden eines gemacht hat und den Zaun abgebrochen hat, der dazwischen war, nämlich die Feindschaft" (Eph 2,14).
"Beide" - damit sind die damaligen Juden und Griechen in der Urgemeinde gemeint, die durch einen Zaun von Vorurteilen, Vorwürfen und sicher auch alten Verfehlungen getrennt waren. Sie hatten nicht nur eine verschiedene Sprache und Kultur, sondern unterschiedliche religiöse Wurzeln, die einen tiefen geistlichen Gegensatz aufrichteten: die einen waren Juden und lebten in der biblischen Glaubenstradition, die anderen waren nach dieser Tradition "Heiden" und ausgeschlossen vom Volk Gottes. Und doch hat Jesus Christus den Zaun eingerissen, der sie trennte. Dies bedeutet nicht, daß sie von dieser Zeit an gleich waren, so daß man sie nicht mehr hätte unterscheiden können. Aber über alle andauernde Unterschiedlichkeit hinweg wurden sie Brüder und Schwestern. In Christus sind sie ein Leib.
"Beide" - das können heute Tschechen und Deutsche sein. Unsere Wege sind in den letzten zwei Jahrhunderten auseinander gegangen, bis wir uns getrennt haben. Heute steht zwischen uns ein Zaun, der wie damals aus Vorurteilen, Vorwürfen und alter Schuld besteht. Ist nicht unser gemeinsamer christlicher Glaube, unser Wissen, daß Jesus trennende Mauern und Zäune abbricht, ein ausreichender Grund dafür, um damit etwas auszurichten? Um zu versuchen, alte Schuld abzutragen und so beim Abbrechen der Zäune zu helfen?
Auf beiden Seiten sind wir Zeugen von Vorwürfen. Auf beiden Seiten hören wir Forderungen, wofür sich die anderen erst entschuldigen und was sie zurücknehmen müssen. Doch dies ist kein Weg zur Versöhnung. Versöhnung wächst aus der eigenen Umkehr, aus dem eigenen Bekenntnis von Schuld, nicht aus Forderungen an die anderen.
Die Evangelische Kirche der Böhmischen Brüder (EKBB) hat einen solchen Schritt zur Versöhnung im Jahr 1995 versucht - mit der Erklärung ihrer Synode "Zur Problematik der Aussiedlung der Sudetendeutschen". Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat das tschechische Bekenntnis begrüßt. In der Kundgebung ihrer Synode im Jahr 1996 hat sie die Schuld bekannt, die auf der deutschen Seite liegt, und den Vorschlag einer gemeinsamen Arbeitsgruppe auf dem Weg zur Versöhnung und einem besseren gegenseitigen Verstehen aufgegriffen.
Die evangelischen Erklärungen sind keine einsamen Rufe in der Wüste. Ihnen gingen Erklärungen der römisch-katholischen Christen voraus, es begleitete sie eine erhöhte politische Aktivität, die zur deutsch-tschechischen Erklärung im Januar 1997 führte. Die beiden evangelischen Dokumente sind für uns besonders wertvoll, weil sie - nach unserer Meinung - in eine große Tiefe der schmerzlichen gegenseitigen Probleme gingen. Sie sind zur Grundlage für die Arbeit unserer gemeinsamen kirchlichen Arbeitsgruppe geworden.
Von tschechischer und deutscher Seite sind wir jeweils sieben Mitglieder in unserer Arbeitsgruppe, von unseren Kirchen zur gemeinsamen Arbeit berufen. Wir haben uns abwechselnd zu unseren Sitzungen in Deutschland und Tschechien getroffen. Wir haben unsere Aufgabe darin gesehen, daß wir uns vor allem der Zukunft zuwenden und zur Bereicherung und Vertiefung der Beziehungen zwischen Tschechen und Deutschen beitragen sollten. Wir wurden uns rasch klar, daß es zwischen unseren Kirchen, zwischen Gemeinden und einzelnen Personen bereits viele fruchtbare Kontakte gibt. Ebenso haben wir erkannt, daß es für die Zukunft unerläßlich ist, auch weiterhin miteinander über die Vergangenheit zu sprechen. Bei jeder unserer Sitzungen haben wir uns deshalb einer der Etappen der gemeinsamen schmerzhaften Geschichte zugewandt und versucht, einander zu erklären, die Tschechen den Deutschen und die Deutschen den Tschechen, was uns in der Geschichte vor allem verletzt und worin sich unser Blick in die Vergangenheit unterscheidet, aber auch was uns verbindet.
Aus unseren Gesprächen ist diese Handreichung hervorgegangen. Dem gemeinsamen Bedenken der Vergangenheit haben wir eine Auswahl an Informationen für diejenigen hinzugefügt, die in deutsch-tschechischen Begegnungen engagiert sind und miteinander für eine bessere Zukunft unserer Völker arbeiten möchten. Begegnungen sind die beste "Arznei" für die Wunden der Vergangenheit.
Aus Tschechen und Deutschen soll nicht eine Nation werden. Bleiben wir Tschechen und Deutsche - versuchen wir, bessere Tschechen und bessere Deutsche als in den unglücklichen Perioden unserer Vergangenheit zu sein - Christus will, daß wir dabei Brüder und Schwestern sind! Wir haben eine gute Grundlage für unsere gemeinsame Hoffnung - nicht nur für Tschechen und Deutsche, sondern für das ganze sich vereinigende Europa und die ganze Welt: "Er ist unser Friede, der aus beiden eines gemacht hat und den Zaun abgebrochen hat, der dazwischen war, nämlich die Feindschaft!" Die Türen vor uns stehen offen. Gott sei Dank!
Jürgen Schmude
Präses der Synode der EKD
Zdenek Susa
Synodalkurator emer. der EKBB
Vorsitzende der tschechisch-deutschen Arbeitsgruppe der EKD und der EKBB