70 Jahre „Wort zum Sonntag“
Festakt mit Bundespräsident Steinmeier am 14. November
Natürlich ist es für das „Wort zum Sonntag“ über die sieben Jahrzehnte seines Bestehens nach gerne zitierter Psalmenweisheit immer auch Mühe und Arbeit gewesen, dem eigenen Anspruch gerecht zu werden: eine Sinn-Insel zu sein im steten Fluss der Fernseheindrücke. Das war explizit das Thema der ersten Sendung am 8. Mai 1954. Jetzt, im runden Jubiläumsjahr, in dem aus dem ruhigen TV-Anfang längst ein medialer Mahlstrom geworden ist, wirkt dieses nach der ARD-„Tagesschau“ zweitälteste Ur-Werk im deutschen Fernsehen immer noch erstaunlich jung. Nicht wenige sagen: frischer denn je.
War das vorauszusagen? Eher nicht. Es fehlte im Laufe der Zeit nicht an Kassandrarufen wie altmodisch, salbungsvoll, zeitgeistig, manipulativ, verstaubt, überholt, überflüssig. Das Privileg der Kirchen, einmal wöchentlich an zentraler Stelle etwas ganz Eigenes beizutragen an Beobachtungen, Gedanken und Reflexionen zum Lauf der Welt und zur Existenz des Einzelnen, wurde mancherorts auch grundsätzlich infrage gestellt.
Das hat sich gelegt. Sicher nicht, weil sich heute der Zuschauerschnitt mit gut 1,3 Millionen beträchtlich vermindert hat, die Aufmerksamkeitsquote also niedriger liegt. Sondern eher, weil die Sendung im Auftritt wesentlich offener, einladender wirkt. Und das nach einigen Reformschritten, um mit dem früher gepflegten Vortragsstil - gleichsam eine blaugrundierte Fernsehkanzel - zu brechen.
Der Versuch, das Zeitgeschehen als lebendige Location einzubeziehen, ist schon wieder vorbei. Das Team agiert nun vor einem schwebend-abstrakten Hintergrund in zartesten Farbschattierungen, nach einem schnellen Vorspann mit kaum zu identifizierenden Schlagworten. Dies soll sicher Offenheit signalisieren.
Genau diese vermitteln auch die Sprecher in protestantisch-katholischer Parität, fünf Frauen, drei Männer − früher waren es mal 16 Köpfe. Ihre Haltung ist mit direktem Kamerablick dem Publikum zugewandt. Gesten unterstreichen die gedanklichen Linien. Die Sprache ist durchwegs alltagsnah und verständlich, dabei nie plump anbiedernd.
Keine Moralanstalt mehr
Der heutige Gesamteindruck also: modern-sympathisch, ohne jedes frühere Verkündungspathos. Ohnehin, die Themenwahl ist erkennbar ein Reflex des Gegenwärtigen, gerade auch bei Bezügen zu aktuellen, oft hochstrittigen politischen Fragen. Sie ist alltagsbezogen, aber immer mit einem Erkenntnis-, manchmal auch Bekenntnis-Plus, also ohne im engeren Alltag steckenzubleiben.
Wer sich noch an das Mittelalter dieser kirchlichen, oft zum Sprichwort kondensierten Medien-Ikone erinnert, wird leicht feststellen: Das alles ist einer stetigen Professionalisierung zu verdanken. Und der in vielen Gremien-Diskussionen gewonnenen gemeinsamen Überzeugung, dass kirchliches Denken an populärer Stelle − gleich nach den „Tagesthemen“ am Samstag − nicht als übergeordnete institutionelle Moral oder gar Weisheit vermittelt werden kann. Wichtig also auch, dass Rückmeldungen möglich sind über die Mail-Anschriften der Sprecherinnen und Sprecher, dass dank Internet nach-gesehen und darüber nach-gedacht werden kann, was thematisch aufgezeigt wurde.
Interessant deshalb, dass im Wikipedia-Eintrag zu TV-Genres kirchliche Sendungen gar nicht auftauchen. So, als ob Sinn- und Wertefragen keine Rolle spielten. Dabei fand vor zehn Jahren der damalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, eine einprägsame Generalformel für das „Wort zum Sonntag“. Es erinnere als „beständiges Format am Samstagabend“ daran, „dass der Mensch mehr ist als die Summe seiner Fähigkeiten und Fertigkeiten“.
Überholt ist diese Formel sicher nicht. Und deshalb werden die Kirchen in einem ökumenischen Festakt das 70-jährige Bestehen dieses „beständigen Formats“ feiern. Auch der Bundespräsident wird erwartet. Der dann, am 14.11. in München, bestimmt zelebrieren wird, was es noch nicht gab: ein präsidiales Wort zum Freitag.
Uwe Kammann (epd)