Merkel, Obama und das Kind hinter der Grenze

Der Auftritt Barack Obamas war der Höhepunkt im Programm des evangelischen Kirchentags in Berlin. Frenetisch wurde der Ex-US-Präsident empfangen und witzelte mit Merkel. Doch im Gespräch der beiden ging es vor allem um ernste Themen.

EKD-Ratsvorsitzender heinrich Bedford-Strohm, US-Präsident Barack Obama und Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Kirchentag in Berlin
Der US-Präsident Barack Obama und Bundeskanzlerin Angela Merkel diskutierten am Brandenburger Tor vor 70.000 begeisterten Kirchentagsbesuchern unter Moderation von EKD-Ratsvorsitzendem Heinrich Bedford-Strohm und Kirchentagspräsidentin Christina Aus der Au.

Berlin (epd). Eine Gruppe US-Amerikaner sicherte sich schon um 6.30 Uhr einen vorderen Platz am Brandenburger Tor. Die Gruppe daneben mit dem Schild „We love you, Mr. President“ hatte auch ein halbe Stunde später noch Glück mit einem Platz direkt hinter der Absperrung. Sie warten – noch sind es Stunden – auf den Auftritt des früheren US-Präsidenten Barack Obama beim evangelischen Kirchentag in Berlin. Jubel brandet immer wieder auf, wenn der Name Obama fällt.

Mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) soll er über die Gestaltung von Politik reden. Nicht-Unionspolitiker argwöhnten, das sei Wahlkampf. Die Generalsekretärin des Kirchentages, Ellen Ueberschär, verteidigte die Veranstaltung: Auch der Christ Obama, der acht Jahre US-Präsident war, sei kein Heiliger. Heilige gibt es in der evangelischen Kirche ohnehin nicht. Superstars aber schon, weiß man nicht erst seit dem bejubelten Obama-Besuch. Die Popkonzert-Atmosphäre hält dann aber doch nicht so lange an.

„First of all: Guten Tag“

Obwohl es launig anfängt: Obama kommt im typisch lässigen Gang auf die Bühne, winkt. „First of all: Guten Tag“, ruft er der Menge entgegen. Merkel – Hände zur Raute – erinnert in ihrer Begrüßung an das 500. Reformationsjubiläum, in dessen Zeichen der Kirchentag in diesem Jahr steht, und an die Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus wenige Jahrzehnte vor dem für 1517 überlieferten Thesenanschlag Martin Luthers. Das sei ja praktisch der Anfang der deutsch-amerikanischen Beziehungen, scherzt die Regierungschefin – ein gut gelaunter Start.

Aber die Moderatoren hatten angekündigt, es den Spitzenpolitikern nicht einfach machen zu wollen. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, und Kirchentagspräsidentin Christina Aus der Au stellen kritische Fragen. Es geht um Krieg, Flucht, Asyl, Abschiebung, Terroristen, Demokratiefeinde, Rüstung, zivile Opfer durch Drohnen – und die Erkenntnis bei Merkel und Obama, dass man auch in mächtigen Ämtern nie 100 Prozent von dem erreicht, was man als perfekt vor Augen hat. Man wirbt für Verständnis für den Kompromiss.

Bedford-Strohm lässt beim Thema Abschiebung nicht nach

Der bayerische Landesbischof Bedford-Strohm lässt bei Merkel vor allem beim Thema Abschiebung nicht nach. Warum es denn sein müsse, dass Menschen, die schon lange hier leben und sich integriert haben, trotzdem gehen müssen, will er von der Regierungschefin wissen. Die Antwort hat Merkel schon oft gegeben: Man müsse sich auf die konzentrieren, die Hilfe brauchen, sagt sie, und dass der Schlüssel in schnelleren Asylverfahren liege, damit die Ehrenamtlichen und die Antragsteller erst gar nicht so viel Arbeit investieren, die sich am Ende nutzlos anfühlt. Das Kirchentagspublikum buht.

Obama ist es, der ihr den Rücken stärkt. Er spricht von begrenzten Ressourcen und davon, dass man als Staatschef auch eine Verantwortung gegenüber den Bürgern innerhalb der Grenzen hat. Weil er aber nachdenklich auch sagt, dass ein Kind jenseits der Grenze in den Augen Gottes genauso viel Barmherzigkeit verdient hat wie eines auf der eigenen Seite, erntet er für ähnlichen Inhalt Applaus.

Obama: Glauben ist stark, wenn er andere Glaubensrichtungen respektieren kann

Nicht zuletzt geht es beim Kirchentag natürlich auch um das Glaubensverständnis der beiden Politiker. Die evangelische Christin Merkel erklärt, ihr Glaube gebe Demut, an die Dinge heranzugehen, weil sie wisse, „ich mache auch Fehler“. Obama spricht von einem Glauben, der dann stark ist, wenn er auch andere Glaubensrichtungen und Einstellungen respektieren kann.

Die Einladung zum Protestantentreffen nahm Obama dem Vernehmen nach nur unter der Voraussetzung an, dort mit der Kanzlerin öffentlich zu diskutieren. 70.000 Besucher kamen nach Angaben der Kirchentagsveranstalter, um dieses Gespräch zu sehen. Verglichen mit dem Andrang bei der Fanmeile an gleicher Stelle zu Europa- und Weltmeisterschaften ist das wenig, auch wenn es der vorläufige Höhepunkt des evangelischen Kirchentags, der noch bis zum 28. Mai in Berlin und Wittenberg stattfindet, gewesen sein dürfte. Ohne Zwischenfälle und weniger chaotisch als erwartet macht sich das Publikum danach auf den Weg zu weiteren Kirchentagsveranstaltungen – im Gepäck Handy-Schnappschüsse von Obama, dem Superstar – und dennoch nicht Heiligem.