Weltentstehung, Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube in der Schule
Eine Orientierungshilfe des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, EKD-Texte 94, 2008
2. Naturwissenschaftliche Theorien und Schöpfungsglaube
2.1 Charakter der biblischen Schöpfungserzählungen
Die beiden Schöpfungserzählungen des Buches Genesis (1. Mose) lenken den Blick auf die Entstehung von Himmel und Erde, den Beginn des Lebens und den Ursprung des Menschseins. Sie sehen hinter allem, was auf dieser Welt geschieht, Gottes schöpferisches Wirken.
Der berühmte Satz "Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde" (Gen 1,1) muss als Überschrift über das ganze Schöpfungsgeschehen, dem sich der Kosmos, die Biosphäre, das organische Leben und schließlich der Mensch verdanken, gelesen werden. Obwohl der dann folgende erste Schöpfungsbericht (Gen 1,1-2,4a) nicht über unser heutiges kosmologisches Wissen verfügen konnte, bietet er ein subtiles Weltordnungsdenken. In den großen Zeiteinheiten der "Tage Gottes" (vgl. Ps 90,4: "Tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist, und wie eine Nachtwache") werden kosmische, biologische, anthropologische, kulturelle und religiöse Grundelemente der Schöpfung hervorgerufen und miteinander verbunden. Dabei wird den Geschöpfen betont an der göttlichen Kreativität Anteil gegeben. Die Himmel scheiden, die Erde bringt hervor, die Gestirne regieren und die Menschen erhalten den berühmten Herrschaftsauftrag. Eine Entgegensetzung von Schöpfung und Evolution wäre also bereits dem wichtigsten Klassiker unter den biblischen Zeugnissen fremd.
Anders als die Erzählungen von der Befreiung Israels aus Ägypten, der Übermittlung des Gotteswillens am Sinai oder die prophetische Botschaft von Gericht und Heil gehört das Bekenntnis zu Gott als "Schöpfer des Himmels und der Erde" (vgl. Gen 14; 19) nicht zum ältesten Traditionsbestand des Alten Testaments. Es präsentiert sich vielmehr als konsequente Weiterführung des Anspruchs, dass der Gott Israels nicht nur der Gott seines auserwählten Volkes, sondern der allein zu verehrende und einzige Gott der Welt ist. Dabei hat Israel auf Schöpfungsvorstellungen aus seiner altorientalischen Umwelt zurückgegriffen und sie im Rahmen seiner Erfahrungen mit Gott und seines Weltverständnisses völlig neu interpretiert.
Orte des Bekenntnisses zum Schöpfer sind der Lobpreis im Gottesdienst (vgl. Ps 8; 19; 104) sowie das Nachsinnen der Weisheit über die Vollkommenheit der Schöpfungsordnung. In beiden Fällen steht die Frage nach der Sicherung der Welt und dem Sinn ihrer Ordnung im Vordergrund, während die Frage nach dem Ursprung des Seins und dem Wie des Erschaffens ein dem Menschen verborgenes Geheimnis bleibt (vgl. Spr 8,22; Hi 28; 38ff.). Dem entsprechend können in den Schöpfungserzählungen der Genesis ganz unterschiedliche und auf den ersten Blick sich widersprechende Vorstellungen aufgenommen werden. So versteht der erste Schöpfungsbericht (Gen 1,1-2,4a) die Erschaffung des Himmels und der Erde aus der Verbindung von Schöpfungswort und Schöpfungstat und definiert den Menschen - und zwar jeden Menschen - als "Ebenbild Gottes", dem damit als Wahrer der göttlichen Schöpfungsordnung die höchste und unverlierbare Würde zugesprochen wird.
Der darauf folgende, auf eine noch ältere Tradition zurückgreifende zweite Schöpfungsbericht (Gen 2,4b-3,24) erzählt von der Erschaffung des Menschen aus "Erde vom Acker" und dem Gewinn gottgleicher Erkenntnis durch den Genuss der Frucht von dem verbotenen Baum und problematisiert so die Grenzen und Möglichkeiten des Menschen in der Welt. Als Gottes Ebenbild geschaffen, strebt der Mensch - und zwar jeder Mensch - danach, Gott gleich zu werden.
Das eigentliche Interesse der biblischen Schöpfungstexte ist kein kosmologisches oder gar metaphysisches. Hierin stimmen das Alte und das Neue Testament über-ein. Gottes Vorhaben mit der Schöpfung geht weit über die bloßen Prozesse der Natur hinaus. Der Dank für das gegenwärtige Wirken Gottes ist die in der Bibel bei weitem dominante Form des Bekenntnisses zum Schöpfer. So wie das Werk des Künstlers den Künstler lobt, loben die Werke der Schöpfung ihren himmlischen Schöpfer: "Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und die Feste verkündigt seiner Hände Werk" (Ps 19,2). "Der Himmel freue sich, und die Erde sei fröhlich, das Meer brause und was darinnen ist; das Feld sei fröhlich und alles, was darauf ist; es sollen jauchzen alle Bäume im Walde vor dem Herrn …" (Ps 96,11f.). Aber auch die Klage über die Endlichkeit, Sterblichkeit und Selbstgefährdung der Schöpfung und die Fragen nach Gottes rettendem und die Schöpfung erhebendem Wirken gehören zum Schöpfungsglauben. In der Blickrichtung des Glaubens an den Schöpfer verändert sich die Wirklichkeit, in der wir leben. Unsere Welt tritt aus ihrer vermeintlichen Autarkie heraus und wird in ihren Bezügen zu Gott entdeckt.
2.2 Schöpfungstheologie als Thema christlicher Theologie
Beispielhaft ist die Sicht Martin Luthers in seiner Auslegung des Ersten Artikels im Kleinen Katechismus. Luther denkt - ganz auf der Linie der biblischen Texte - von der Aktualität des göttlichen Schaffens her. Würde Gott nicht hier und jetzt schöpferisch wirken, so müsste die Welt vergehen, "wo er nicht anfängt, da kann nichts sein noch werden, wo er aufhört, da kann nichts bestehen". Wir können hier nicht schematisch zwischen Schöpfung und Erhaltung unterscheiden, die Erhaltung der Welt durch Gott realisiert sich als aktuelles Schaffen in einem nicht einfach als abgeschlossen zu betrachtenden Prozess (creatio continua). Ähnlich hat Johannes Calvin den Hauptton auf das heutige Handeln Gottes und sein Wirken in der Gegenwart gelegt, wenn er das Geschaffensein der Welt durchdachte.
Dass ich Gottes Geschöpf bin, erfahre ich nicht in Spekulationen über die erste Sekunde des Universums, sondern darin, dass ich mir des Geschenkcharakters meiner eigenen Existenz bewusst werde. Nach reformatorischer Auffassung besteht der Kern des Schöpfungsglaubens darin, dass Menschen es lernen, dass sie Gottes Geschöpfe sind, und Ja sagen können zur Begründung und zugleich zur Begrenzung ihres Lebens durch Gottes schöpferisches Geheimnis. Damit ist die Wahrnehmung der Geschöpflichkeit von Mitwelt und Mitkreatur keineswegs beiseite gestellt, wohl aber der alles entscheidende Punkt bezeichnet, den wir nicht überspringen dürfen. Man kann - so verdeutlichte Luther - von Universität zu Universität ziehen und sich alle Weisheit über das Werk der Schöpfung aneignen. Den Glauben, der im Schöpfercredo enthalten ist, findet man dadurch nicht. Ich selber muss mich als Geschöpf Gottes glauben, das alles von ihm empfängt und ihm danken kann.
Im 21. Jahrhundert sieht sich die Schöpfungstheologie vor allem durch zwei Problemzusammenhänge herausgefordert: Zum einen durch die mehrschichtige Konfliktsituation mit einem Weltbild, das die Wirklichkeit wahrnimmt, als ob es keinen Gott gäbe, zum anderen durch die ethischen Probleme, die aus einem schonungslosen Umgang mit der Natur und aus den neuen Möglichkeiten zur Einflussnahme auf die genetischen Bausteine des Lebens erwachsen. Deshalb muss sich heute jeder schöpfungstheologische Entwurf detailliert um die Hermeneutik der biblischen Schöpfungstexte und um das Gespräch mit der Physik, der Biologie sowie der Kosmologie und der Anthropologie bemühen. Darüber hinaus hat die ökologische Krise, die sich inzwischen zu einer Krise des Weltklimas auszuweiten scheint, zu einer Neubelebung der Theologie der Natur und zur Frage nach einem Ethos des schonenden Umgangs mit ihr geführt.
2.3 Der Unterschied zur naturwissenschaftlichen Perspektive
Der Glaube an den Schöpfer nimmt den Kosmos und die Biosphäre anders wahr als die experimentell gestützten Wissenschaften. Er bewegt sich in Dimensionen, die auf einer anderen Ebene liegen als die Gegenstände der modernen Naturwissenschaften. Diesen bleiben die Dimensionen des Wirklichen, die im Glauben an den Schöpfer benannt und erkannt werden, verschlossen. Das entspricht den von ihnen gewählten Methoden. So orientieren sich Physik und Biologie so exakt wie nur möglich an der Welt des Messbaren und Kalkulierbaren. Ihr Erfolg basiert entscheidend auf der Fähigkeit, die Natur in quantifizierbare Ausschnitte zerlegen zu können und zu Objekten der menschlichen Erkenntnis zu formalisieren. Mit Gott kann man freilich so nicht umgehen. Er kann nicht wie eine Messgröße oder wie ein Objekt behandelt werden. Aus theologischer Sicht wäre ein solcher Umgang mit Gott völlig unangemessen, ja man würde sich gerade um die Möglichkeit der Gotteserkenntnis bringen, wenn man Gott auf eine Ebene mit physikalischen Erkenntnisobjekten zwingen wollte.
Der Unterschied zur Weltsicht der Naturwissenschaften trat in dem Maße hervor, wie diese ihre Erkenntnisse nicht mehr auf weisheitliche Beobachtungen, sondern auf mathematisierbare Erfahrungszusammenhänge zu stützen lernten. So entwickelte sich mit Kopernikus, Kepler und Newton ein Weltmodell, das aufgrund der ihm innewohnenden Gesetzmäßigkeiten ohne die Vorstellung eines direkten göttlichen Eingreifens funktionierte. Im 19. Jahrhundert avancierte die Evolutionstheorie zum dominanten Erklärungsmuster für die Entstehung und Entwicklung der Artenvielfalt. Naturwissenschaftler und Theologen mussten sich darauf einstellen, dass die Naturwahrnehmungen des Glaubens und das Naturbild der experimentellen Physik auseinander traten und dass die Biologie zu Entwicklungsmodellen gelangte, die sich von den überlieferten Auffassungen über die Entstehung des Lebens markant unterscheiden.
Evolution prägt auch die naturwissenschaftlich geschulte Sichtweise selbst: Das menschliche Wissen von der Natur entwickelt sich ständig weiter; bisherige Erkenntnisse veralten in immer schnelleren Intervallen. Der jeweils erreichte Stand des Naturwissens kann nicht dogmatisiert werden; wer es doch tut, wird sich dann gegen Entdeckungen, die nicht zu seinem Naturverständnis passen, zur Wehr setzen. Die Auseinandersetzungen der römischen Kirche mit Galileo Galilei lassen sich so interpretieren. Ein markantes Beispiel sind aber auch die Attacken auf Darwins Entwicklungslehre. Es handelt sich hier freilich um ein Extrem. Denn die meisten Naturwissenschaftler blieben religiös - und das aus tiefer Überzeugung. Und die Theologen lernten es durchaus, mit den neuen Erkenntnissen zu leben und dennoch die Überzeugung vom Schöpferwirken Gottes festzuhalten. Nicht zufällig waren und sind gerade auch Theologen als Naturforscher und Entdecker tätig. Zum Beispiel gibt es heute in England eine Society of Ordained Scientists. In vielen Teilen der Welt werden regelmäßig Dialoge zwischen Theologie und Naturwissenschaften geführt, Tagungen zu dieser Thematik abgehalten und Bücher darüber veröffentlicht.
Man kann nicht sagen, dass die moderne Wissenschaftsentwicklung maßgeblich den modernen Atheismus vorangetrieben oder gar hervorgebracht habe. Dieser speist sich aus anderen Wurzeln, vor allem aus der Absolutsetzung der innerweltlichen Rationalität und aus dem Aufbegehren gegen alles Religiöse. Der Vorstoß in die Unermesslichkeit des Alls, der unseren Vorfahren noch unvorstellbar war, löst eher ein religiöses Interesse aus, als dass er Menschen zur Gottesleugnung veranlasst. Gleiches gilt für die Erforschung der Bedingungen, die zur Entstehung des Lebens führten, und für die Einsichtnahme in die verschwenderische Variationsfülle des Evolutionsprozesses. Prominente Verfechter der Evolutionstheorie haben sich aus guten Gründen zum christlichen Glauben bekannt. "Je genauer wir verstehen, desto größer ist unser Staunen": der Satz des Pianisten Alfred Brendel zum Abenteuer der Interpretation eines musikalischen Werks gilt auch für die Erkenntnis der Natur.
Obwohl die naturwissenschaftlichen, theologischen und spirituellen Perspektiven auf die Welt bei allen Unterschieden auch viele Gemeinsamkeiten haben, bilden Glaube und Naturwissenschaften nicht zwei Pole auf einer Ebene und können auch nicht als vergleichbare Strategien des Zugangs zur Wirklichkeit, die zwangsweise alternieren müssten, betrachtet werden. Der Glaube an den dreieinigen Gott hat es immer mit der Grundausrichtung des ganzen Menschen zu tun und umfasst - recht verstanden - alle seine Daseinsäußerungen. Physik und Biologie können wie jede andere Wissenschaft als eine dieser Daseinsäußerungen begriffen werden. Wo eine solche wissenschaftliche Daseinsäußerung zur einzig denkbaren erklärt wird und ihre Einsichten allein die menschliche Orientierung bestimmen oder bestimmen sollen, sprechen wir von Szientismus. Die Verengung der Wahrnehmung durch einen ideologischen Szientismus tangiert nicht nur die Theologie, sondern stellt auch eine eminente Herausforderung für das Denken überhaupt dar.
2.4 Die kosmologische und anthropologische Reichweite des Glaubens an den Schöpfer
Vor allem unter dem Einfluss von Immanuel Kants "Kritik der reinen Vernunft" (1781) setzten sich zunehmend Betrachtungsweisen durch, die zwischen den naturwissenschaftlichen, philosophischen und theologischen Denkhorizonten und den damit jeweils verbundenen Kompetenzen unterschieden. Es wurde deutlich, was die Naturwissenschaften exakt erkennen können, wo die philosophische Reflexion ihren Ort hat, wo die Spekulation anfängt und was Gegenstand des Glaubens ist. Das Realitätsfeld der Naturwissenschaften ist so aufgebaut, dass sich hier die Gottesfrage weder wissenschaftlich stellen noch wissenschaftlich beantworten lässt. Das eröffnete der Theologie die Möglichkeit, die freie Entwicklung der Naturwissenschaften und die damit verbundenen Erkenntnisfortschritte bewusst zu bejahen.
Dieses Modell der Kompetenzunterscheidung hat sich vielfach bewährt. Aber gerade deshalb müssen auch seine Schwachstellen beachtet werden. Sie bestehen in einer latenten Tendenz zur Beziehungslosigkeit der jeweiligen Denkhorizonte. Physik, Biologie, Philosophie oder Theologie werden dann nebeneinander praktiziert und haben sich nichts mehr zu sagen. Die sie verbindende Frage nach Wahrheit löst sich in der Pluralität von Erkenntnisebenen auf. Es wird undeutlich, dass sich in der Frage nach einer angemessenen Deutung der Wirklichkeit die Erkenntnisperspektiven der verschiedenen Wissenschaften und Wissensgebiete treffen und überschneiden, auch wenn es angesichts der Bruchstückhaftigkeit menschlicher Erkenntnis keine angemessenen Formeln für solche Überschneidungen gibt.
Die Unterscheidung der Erkenntnisperspektiven darf also nicht als Scheidung missverstanden werden. Der Schöpfungsglaube birgt in sich kosmologische Implikationen, die beachtet werden müssen. Auch wenn es aus den genannten Gründen nicht gelingen kann, eine "Kosmotheologie" zu entwerfen, in welcher der Glaube an den Schöpfer und das naturwissenschaftlich gesicherte Wissen unserer Zeit zu einem in sich kohärenten Gesamtbild zusammenfinden, werden bestimmte weltanschauliche Übersteigerungen des naturwissenschaftlich geprägten Weltbilds in Frage gestellt. Wer überzeugt ist, dass die Entstehung der Welt und die Entwicklung des Lebens letztlich auf den schöpferischen Willen Gottes zurückgehen, kann den Zufall nicht auch noch über die naturwissenschaftliche Theoriebildung hinaus als einzig denkbare Deutungskategorie gelten lassen.
Der Schöpfungsglaube erhebt einen Anspruch auf die Deutung unserer Wirklichkeit. Weil der Kosmos und mit ihm die menschliche Lebenswelt zu dieser Wirklichkeit gehören, stößt der Schöpfungsglaube unvermeidlich in kosmologische Dimensionen vor - so dann auch dort, wo er einen Anfang (und ein Ende) von Raum und Zeit zu denken lehrt.
2.5 Die Irrwege des Kreationismus
"Kreationismus" ist eine Sammelbezeichnung für - von Minderheiten im Christentum vertretene - Auffassungen, die sich vehement gegen die Annahmen der Evolutionstheorie wenden. Ausgehend von der wörtlichen Inspiriertheit der biblischen Texte, verteidigt der Kreationismus die Irrtumslosigkeit der biblischen Schöpfungstexte. Ursprünglich war er ein nordamerikanisches Phänomen, insbesondere eine Erscheinung im sogenannten "Bible Belt" der Südstaaten. Allerdings lassen sich seit etwa zwanzig Jahren zunehmend auch Sympathien für den Kreationismus in Europa ausmachen - vor allem dort, wo entsprechende evangelikale Einflüsse aus den USA zur Geltung kommen.
Der Kreationismus stützt sich auf die ungeklärten Fragen der Evolutionstheorie und ist auf den Nachweis ihrer Ungereimtheiten bedacht. Dabei schreckt er auch vor Einwendungen nicht zurück, die eindeutig als unseriös bezeichnet werden müssen. Indem der Kreationismus auf die weltanschauliche Ideologisierung evolutionstheoretischer Annahmen reagiert, wie sie ein antikirchlicher "Ultradarwinismus" verfochten hat, nimmt auch er den Charakter einer Wissenschaftsideologie an.
Da der Kreationismus häufig mit christlichem Fundamentalismus identifiziert und auf diese Weise in Frage gestellt wurde, haben seine Wortführer und Sympathisanten zielgerichtet an seiner Aufwertung gearbeitet. Man suchte ihn so auszugestalten, dass er als wissenschaftsfähig erscheint und unter dem Vorzeichen eines weiterentwickelten Neo-Kreationismus in den USA bis in die schulischen und universitären Bildungs- und Lehrpläne hinein Eingang findet. Neokreationisten können die Kontroversen um die sogenannte wörtliche Auslegung der Bibel auf sich beruhen lassen und beharren auch nicht um jeden Preis auf der biblisch berechneten Terminierung des Alters der Welt. Sie greifen freilich weiterhin das vorherrschende naturwissenschaftliche Weltverständnis als Ausdruck des Atheismus an. Es gebe Phänomene, die sich nur auf übernatürliche Weise erklären ließen. Die Gesetzmäßigkeiten und Funktionszusammenhänge des Universums und des Lebens könnten nur durch eine Intelligenz als Ursache erklärt werden und nicht durch einen vom Zufall geleiteten Evolutionsprozess.
Die Annahme einer solchen Intelligenz führte zur Theorie des "intelligent design". Hinter dieser Theorie lebt in gewisser Weise der sogenannte teleologische Gottesbeweis wieder auf, nach welchem die kunstvolle Anlage der Natur nach einem zwecksetzenden, zielgerichtet gestaltenden göttlichen Architekten verlangt. Die Anhänger des "intelligent design" suchen nach Anzeichen für schöpferische Aktionen Gottes in den kreatürlichen Prozessen, deren Komplexitäten und Informationskonzepte nicht auf natürliche Weise erklärt werden könnten. Trotz des beträchtlichen wissenschaftlichen Aufwands müssen die Konzepte des "intelligent design" als pseudowissenschaftlich eingeschätzt werden; vor den Prüfkriterien strenger Wissenschaft können solche Hypothesenbildungen nicht bestehen.
Wie jede ernstzunehmende wissenschaftliche Hypothese muss natürlich auch die Evolutionstheorie der Kritik zugänglich bleiben. Viele ihrer Annahmen sind auch nach den Maßstäben der Biologie weniger gesichert, als es in populärwissenschaftlichen Darstellungen zum Ausdruck kommt. Die Evolutionstheorie ist freilich nicht dadurch widerlegt, dass man ihre offenen Stellen aufzeigt. Es gibt starke Argumente, die für sie sprechen. Als wissenschaftlicher Erklärungsversuch zur Entstehung des Lebens, der Arten und der Artenvielfalt besitzt sie die höchste Wahrscheinlichkeit und Erschließungskapazität. Angesichts des heutigen Wissens über die Geschichte der Natur erzeugt das Festhalten an der naturkundlichen Vorstellungswelt der biblischen Schöpfungsberichte mehr Ungereimtheiten als die Annahme, dass die uns bekannte Natur Ausdruck eines sich über Milliarden Jahre hinziehenden Entwicklungsprozesses ist. Ein solches Festhalten wird auch der Bibel selbst nicht gerecht.
Darüber hinaus muss klar gesagt werden: Gerade aus theologischen Gründen ist der Kreationismus abzulehnen. Er setzt sich über die bibelwissenschaftlichen und systematisch-theologischen Einsichten in die Entstehung, Ausformung und Bedeutung des biblischen Schöpfungszeugnisses hinweg und missachtet die geschichtlichen Kontexte seiner Entstehung. Damit bringt er sich um die Möglichkeit einer angemessenen Erschließung des biblischen Schöpfungszeugnisses. Und er ignoriert die Unterscheidung der Erkenntnisebenen. Der entscheidende Denkfehler besteht darin, mit Hilfe naturwissenschaftlicher Methoden das Eingreifen Gottes in die Evolution von Kosmos und Biosphäre beweisbar und insofern darstellbar machen zu wollen. Auf diese Weise gerät Gott in die zweifelhafte Rolle eines Lückenbüßers. Wenn man die Lücken im Bereich der Evolution aufspürt, um an ihnen das direkte Eingreifen Gottes zu belegen, wird dem Gottesverständnis ein schlechter Dienst erwiesen. Denn man schiebt Gott gedanklich mit jeder durch neue Erkenntnis geschlossenen Lücke unweigerlich aus der Welt hinaus, in die man ihn doch gerade hineinholen wollte.
2.6 Die Irrwege der atheistischen Bekämpfung des Schöpfungsglaubens
Diesem Missverständnis und Missbrauch des christlichen Schöpfungsglaubens entspricht spiegelbildlich der Irrweg, der aus den Einsichten der modernen Naturwissenschaften zwingend eine Leugnung Gottes und die Verpflichtung auf einen kämpferischen Atheismus meint ableiten zu können. Am Beispiel des doktrinären Marxismus lässt sich darlegen, wohin es führt, wenn naturwissenschaftliche Erkenntnisse, die für sich genommen gut fundiert sein können, ideologisch übersteigert werden. So wurde im Namen eines weltanschaulichen Alleinvertretungsanspruchs des Staates in den Schulen der DDR der Glaube an den Schöpfer als wissenschaftsfeindlich diffamiert.
Der heute von Richard Dawkins und anderen Autoren propagierte "neue Atheismus" fügt sich nahtlos in dieses ideologische Schema ein; er setzt methodisch den eigenen Ansatz auf fundamentalistische Weise absolut. Seine Verfechter leugnen die Existenz Gottes auf der Basis naturwissenschaftlicher Argumente und schrecken darüber hinaus vor der Verunglimpfung von Glaubensinhalten nicht zurück. Sie restaurieren dabei "ultradarwinistisch" ein Weltbild, nach welchem Religion einem vorwissenschaftlichen Zeitalter angehört und mit dem Siegeszug des wissenschaftlichen Bewusstseins zum Verschwinden kommt. Weil sich dieses Verschwinden nicht von selbst einstellt, muss es durch einen weltanschaulichen Kampf vorangetrieben werden, für den man sich der Unterstützung durch vermeintlich wissenschaftliche Einsichten zu versichern sucht. Dem Glauben an Gott soll die Grundlage entzogen werden, indem bestritten wird, dass man auf einen Gott angewiesen ist, um die Entstehung der Welt und des Lebens zu erklären. Auch hier wird die Auseinandersetzung mit dem Gottesbegriff ganz und gar auf dem Missverständnis eines "Lückenbüßergottes" aufgebaut. Dafür sind Kreationismus und "intelligent design" willkommene Gegner, die zu den maßgeblichen Repräsentanten des Christentums, ja der Religion überhaupt, überhöht werden. Die Entwicklungen der wissenschaftlichen Theologie, die Leistungen der historisch-kritischen Exegese biblischer Texte und die ethische Kraft des Christentums hingegen werden in keiner Weise zur Kenntnis genommen. Ein aufgeklärter Gottesglaube aber braucht sich vor dem naturwissenschaftlichen Wissensstand nicht zu fürchten; er sucht im Gegenteil einen Dialog mit den Wissenschaften, in dem grundlegende Fragen ohne verbissenen Fundamentalismus behandelt werden.
2.7 Das Gespräch mit den Naturwissenschaften
In Deutschland existiert bereits seit langem eine bewährte Tradition des Gesprächs zwischen Theologie und Naturwissenschaften. In den vergangenen sechzig Jahren kam es zu beeindruckenden Dialogen und aussichtsreichen Annäherungen. Die Zündung der ersten Atombombe und das damit verbundene Erschrecken über die Folgen eines entfesselten Erfinderdrangs regten das gemeinsame Nachdenken stark an. In den 1970er und 1980er Jahren des letzten Jahrhunderts erlebten die Gespräche einen zweiten Höhepunkt, ausgelöst durch das gewachsene ökologische Problembewusstsein und die zu erwartenden Folgen einer unbeschränkten Ausbeutung unseres natürlichen Lebensraums. Es kam zu wichtigen Tagungen und Veröffentlichungen über die Theorien offener Systeme, über das Verständnis von Zeit in Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften und über die Verantwortung der Wissenschaftler. Heute werden weltweit zahlreiche interdisziplinäre Gespräche geführt, vor allem zu Fragen der Erkenntnistheorie, der Lehre vom Menschen und der Eschatologie. In England und in den USA wurden an angesehenen Universitäten Professuren für "Science and Theology" oder "Science and Religion" geschaffen.
Der interdisziplinäre Dialog über die Deutung der Wirklichkeit ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die Weltorientierung des christlichen Glaubens - und für die Sinnorientierung der modernen Wissenschaften. Der Umgang mit der Wirklichkeit kann nur gewinnen, wenn sich die verschiedenen Erkenntnisperspektiven begegnen. Dafür bedarf es freilich geeigneter Räume und Konstellationen. Die Kirche wird dies auch weiterhin als eine wichtige Aufgabe verstehen. Das fächerverbindende Nachdenken, bei dem jeder Gesprächsteilnehmer mit seiner eigenen Kompetenz und Aufgeschlossenheit präsent ist, verspricht auf jeden Fall beträchtliche Erkenntnisgewinne.