Die Frauen der Reformation

Kein Seitenthema: die Bedeutung der Reformation für Frauen und ihr Anteil an der Bewegung

Wer verbindet mit der Reformation Wibrandis Rosenblatt, Elisabeth Bucer oder Caritas Pirckheimer? Zum FrauenFestTag rückt ein Beitrag der EKD-Reformationsbotschafterin Margot Käßmann Frauen der Reformation in den Blick und zeigt auf: Ihre Beteiligung ist kein Seitenthema der Reformation, sondern sie steht exemplarisch für ihre Inhalte. 

Schmuckschuber-Lutherbibel-Ausgabe von Margot Käßmann
Die von Margot Käßmann gestaltete Schmuckschuber-Ausgabe der Lutherbibel 2017 soll auf die Frauen der Reformation hinweisen – mit dem Bild von Katharina von Bora und Namen von weiteren Frauen, die sich für die Reformation eingesetzt haben.

Die Rolle der Frauen gilt als Randthema der Reformation. Im Mittelpunkt der Debatten stehen die Theologie Martin Luthers oder Ulrich Zwinglis, die geschichtliche Bedeutung von Friedrich dem Weisen oder Philip von Marburg. Martin Bucer, Philip Melanchthon, Thomas Müntzer, Johannes Calvin - sie sind hinlänglich bekannt. Aber wer verbindet mit der Reformation Wibrandis Rosenblatt, Elisabeth Bucer, Katharina Jonas oder Caritas Pirckheimer? Allenfalls Katharina von Bora, Luthers Ehefrau, ist einem breiteren Publikum ein Begriff. Dabei ist die Beteiligung der Frauen nicht ein Seitenthema der Reformation, sondern sie steht exemplarisch für ihre Inhalte.

Das hat zunächst vier Gründe:

Erstens die Tauftheologie Martin Luthers. Wenn jeder, der aus der Taufe gekrochen ist, Priester, Bischof und Papst ist, dann kann das auch jede getaufte Frau sein. Hier liegt der Schlüssel zum Respekt vor Frauen und in der Konsequenz die Zulassung von Frauen zu allen Ämtern der Kirche. Auch wenn die Reformatoren sich diesen Schritt gewiss nicht denken konnten, ist er in ihrer Theologie angelegt. Das Priestertum aller Getauften schließt das Priestertum der Frauen mit ein.

Zweitens wird mit dem Schritt zur Ehe das „Leben in der Welt“ aufgewertet. Die Eheschließung vormals zölibatär lebender Priester und Nonnen übersetzt die Grundüberzeugung, dass Leben in Kloster und Zölibat kein vor Gott in irgendeiner Weise „besseres“ Leben ist. Christsein bewährt sich mitten im Alltag der Welt, im Beruf, in der Familie, beim Regieren wie beim Erziehen der Kinder. Und das gilt für Männer wie für Frauen. Für Frauen aber war die Befreiung, die sich durch die Aufwertung von Ehe, Sexualität und Kindererziehung ergab umso größer, als vielerorts die Überzeugung bestand, „daß Frauen eines besonderen Zuganges zur Gnade bedürfen, den mit Gewißheit nur die reine Jungfäulichkeit eröffnen konnte.“[1] Aber auch für Männer war die Aufwertung der Sexualität ein Gewinn an Freiheit. Ute Gause schreibt: „Entgegen bisheriger Auffassung bedeutet die Haltung der Reformation zur Ehe nicht nur ihre Aufwertung, sondern eine Aufwertung männlicher Sexualität als solcher, da sie dem Beruf des Priesters/Pfarrers nicht mehr entgegensteht.“[2]

Drittens beschränkt sich der reformatorische Bildungsimpetus nicht auf Jungen und Männer, sondern schließt Mädchen und Frauen ein. Die Volksschule soll in der Tat Schule für alle sein, alle sollen lesen lernen, damit sie je einzeln ihr Gewissen an der Schrift schärfen können. All das bedeutet eine ungeheure Aufwertung von Frauen und Frauenleben. Bildungsteilhabe und Bildungsgerechtigkeit waren reformatorische Themen und schlossen explizit Frauen mit ein.

Viertens hat all dies zur aktuellen Konsequenz, dass die Beteiligung von Frauen geradezu zum Kennzeichen der reformatorischen Kirche geworden ist. Die jüngst veröffentlichte fünfte Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung zeigt: „Mit der ‚evangelischen Kirche‘ verbinden nicht wenige Befragte, dass diese Kirche nicht katholisch ist (7 Prozent) – etwa weil hier auch Frauen Pfarrerinnen sein können…“[3].

Luthers Wertschätzung von Frauen hat sich bereits früh entwickelt, lange etwa vor der Heirat mit Katharina von Bora oder der Begegnung mit Argula von Grumbach. 1520/21 schreibt er in seiner Auslegung des Magnifikat (Lukas 1, 46ff.) voller Hochachtung über Maria: „Oh das ist eine große Kühnheit und ein großer Raub von solchem jungen, kleinen Mägdlein. Getraut sich, mit einem Wort alle Mächtigen schwach, alle Großtuenden kraftlos, alle Weisen zu Narren, alle Berühmten zuschanden zu machen und allein dem einzigen Gott alle Macht, Tat, Weisheit und Ruhm zuzueignen.“[4]

Damit, so Gerta Scharffenorth, zeigt sich „die Einheit in der Vielfalt schöpferischer Wirkungen. Da Gott sich den Menschen zuwandte, indem eine Frau schwanger wurde und Gottes Sohn gebar, ist durch die Menschwerdung Christi die Frage nach Wert und Würde, Gleichheit oder Ungleichheit von Mann und Frau endgültig beantwortet.“[5]

Dagegen höre ich bereits drei Einwände:

Zum einen jene Invokavitpredigt von 1526, in der Luther Exodus 22,17 auslegt und zu dem Schluss kommt: „Die Zauberinnen sollst du nicht am Leben lassen.“ Hier lässt sich Luther hinreißen vom Hexenwahn und der Hexenverfolgung seiner Zeit. Gewiss, der Zeitgeist kann nicht im Nachhinein kleinreden, was er sagte.

Zum anderen werden einige fragen: Ist das nicht Schönfärberei? Stammt nicht mancher abfällige Satz über Frauen von Luther? Gewiss, aber gerade in den Tischreden findet sich Vielfältiges, wie denn die Reden bei Tische so sind. Da sagt Luther ebenso: „Es ist kein Rock, der einer Frau oder Jungfrau so übel ansteht, als wenn sie klug sein will“[6] wie: „Wenn das weibliche Geschlecht anfängt, die christliche Lehre aufzunehmen, dann ist es viel eifriger in Glaubensdingen als Männer. Das erweist sich bei der Auferstehung (Joh 20,1ff.), Magdalena war viel beherzter als Petrus.“[7]

Und schließlich: Haben die Reformatoren nicht insgesamt an einer Unterordnung der Frau unter den Mann festgehalten?

Oja, kontextuell waren Rollenfestlegungen vorgegeben. Und dennoch übt Luther Kritik daran, dass die Alltagspflichten schlicht den Frauen überlassen werden. Und er führt für seine Zeit mit Katharina von Bora durchaus eine Ehe auf Augenhöhe. Gerät Scharffenorth deutet das theologisch: „Da Mann und Frau an dem Wirken des Schöpfers beteiligt sind, muß sich ihr mitmenschliches Verhalten an der hingebenden Liebe Gottes ausrichten. Mit anderen Worten: An der Art, wie beide im Vollzug täglicher Aufgaben miteinander umgehen, zeigt sich, ob sie glauben, was sie bekennen.“[8]

Kommen wir damit zu den Frauen der Reformationszeit selbst. Viele Namen sind bekannt, auch wenn es insgesamt nur wenige authentische Zeugnisse gibt und recht begrenzt Literatur zum Thema[9]. Exemplarisch drei Kategorien nennen.

Zum einen sind da die Pfarrfrauen. Für sie war die Heirat mit einem Pfarrer, in der Regel also mit einem ehemaligen Mönch kein leichter Schritt. Sie wurden von den Altgläubigen verachtet. Es hieß, Kinder, die von einem ehemaligen Mönch und einer ehemaligen Nonne gezeugt wurden, werden mit Fehlbildungen zur Welt kommen. Mutige Frauen waren es also, die inhaltlich hinter ihren Männern stehen mussten, um den Anfeindungen ihrer Umwelt gegenüber Haltung zu bewahren.

Das gilt zuallererst für Katharina von Bora (1599-1552). Sie war gebildet, hat Luther Briefe geschrieben, die leider nicht erhalten sind. Aus seinen Briefen, in denen er auf sie eingeht, lassen sich allerdings Rückschlüsse ziehen. Selbst ehemalige Nonnen war sie gebildet in Lesen und Schreiben, wertgeschätzt als Gesprächspartnerin, Mutter, Geschäftsfrau, ja unentbehrlich, um das Leben im Schwarzen Kloster in Gang zu halten.

Ebenfalls in Wittenberg spielt Katharina Melanchthon (1497-1557) eine große Rolle. Sie kam nicht aus dem Kloster, sondern war Tochter des Wittenberger Bürgermeister. Luther selbst hatte 1520 die Trauung mit Philipp Melanchthon vollzogen.

Auch die beiden großen oberdeutschen Reformatoren waren verheiratet. Anna Zwingli (um 1484-1538) war eine adlige Witwe mit drei Kindern, als sie Ulrich Zwingli 1522 heiratete.

Idelette Calvin (1509-1549) stammte aus dem Kreis der französischen Flüchtlinge in Genf.

Zu dieser Gruppe der Pfarrfrauen gehören auch die oben genannten: Wibrandis Rosenblatt, Elisabeth Bucer, Katharina Jonas. Vieles ist nicht bekannt über diese Frauen, keine Details, keine großen Biografien. Meist lassen sich lediglich über das Leben ihrer Ehemänner und deren Äußerungen Rückschlüsse auf ihr Leben ziehen. Zu nennen ist auch Caritas Pirckheimer (1467-1532). Sie wandte sich dem reformatorischen Glauben zu. Als sie aber ihr Kloster auflösen sollte, blieb sie gewandt, alles tat, um als Äbtissin die Rechte von Konvent und Kloster einzufordern.

Eine andere Kategorie sind die wenigen Frauen, die eigene schriftliche Zeugnisse hinterlassen haben. Herausragend unter ihnen ist Argula von Grumbach (1492-1568). Sie wandte sich an den Rektor der Ingolstädter Fakultät, als dieser reformatorisches Schrifttum verbieten wollte, schrieb Flugschriften und diskutierte mit Luther selbst, als er anlässlich des Reichstages zu Worms Zeit auf der Feste Coburg verbrachte.[10]

 Von Elisabeth von Rochlitz wurden erst in jüngerer Zeit rund 2000 Briefe auf Schloß Rochlitz gefunden. Die Schwiegertochter von Georg dem Bärtigen hat sich energisch gegen den Willen des altgläubigen Schwiegervaters für die Reformation eingesetzt. Durch ihre Briefe an ihren Bruder, Philip von Hessen, hat sie eine gewichtige Rolle im Schmalkaldischen Kriege gespielt.

Auch Katharina Zell (um 1497-1562) hat Schriftliches hinterlassen. Aus einem Straßburger Patrizierhaus stammend wurde sie von Martin Bucer 1523 mit dem Priester Matthäus Zell vermählt. Nach Kritik an der Eheschließung schrieb sie einen Verteidigungsbrief an den Bischof ebenso wie ein Flugblatt an die Bürger von Straßburg. Auch ein kleines Liederbuch gab sie heraus.

Elisabeth Cruciger (um 1504-1535), in Witttenberg mit dem Theologen Caspar Cruciger verheiratet, dichtete Kirchenlieder, eines ist bis heute im Evangelischen Gesangbuch erhalten: „Herr Christ, der einig Gotts Sohn“ (EG 67).

Schließlich sind die Fürstinnen zu nennen, die die Reformation entscheidend, auch politisch unterstützten. Besonders nennen möchte ich an dieser Stelle Elisabeth von Calenberg. Durch ihre Mutter war sie mit dem reformatorischen Glauben in Berührung gekommen und führte nach dem Tod ihres Mannes die Reformation in Südniedersachsen ein. Dabei hielt sie eine schützende Hand über die Frauenklöster und Damenstifte und ließ ihr Vermögen sichern. Das hat Auswirkungen bis heute, denn in der hannoverschen Landeskirche gibt es auch aktuell 13 Frauenklöster und Damenstifte, deren Vermögen in der staatlich geführten Klosterkammer unabhängig gesichert ist.

„Das Priestertum aller Getauften zeigt sich gerade auch in der Beteiligung von Frauen.“

Margot Käßmann
Margot Käßmann Botschafterin des Rates der EKD für das Reformationsjubiläum 2017

Dies alles kann nur anreißen, wie weit das Thema ist, wie viele Frauen die Reformation geprägt haben. Nur wenige sind namentlich bekannt. Von noch weniger wissen wir viel und von ganz wenigen sind schriftliche Zeugnisse überliefert. Unübersehbar aber ist ihre Bedeutung für die Reformation als Personen und als inhaltliches, theologische Signal: das Priestertum aller Getauften zeigt sich gerade auch in der Beteiligung von Frauen – das ist zum Kennzeichen reformatorischer Kirchen geworden.

Deshalb ist es gut, dass sich in den letzten Jahren vielerorts „Frauenmahle“ etabliert haben. Da kommen Frauen zu einem gemeinsamen Essen in einer Kirche oder einem Gemeinderaum zusammen und bereichern sich gegenseitig durch kurze Tischreden. Von Berlin bis Marburg, von Wittenberg bis Witzenhausen, von Hannover bis Osnabrück hat sich zum Reformationsjubiläum eine interessante neue Form der Begegnung etabliert, zu der auch Frauen aus dem nichtkirchlichen Umfeld eingeladen sind und gern teilnehmen.

Margot Käßmann


[1] Schaffenorth, Freunde in Christus. Die Beziehung von Mann und Frau bei Luther im Rahmen seines Kirchenverständnisses, in: „Freunde in Christus werden…“, hg.v. Gerta Schaffenorth und Klaus Thraede, Gelnhausen 1977, S. 183ff.; S. 198.
[2] Ute Gause, Durchsetzung neuer Männlichkeit= Ehe und Reformation, in: EvTheol 5-2013, S. 326ff.; S. 337.
[3] Engagement und Differenz. Kirchenmitgliedschaft als soziale Praxis, EKD Hannover, 2014, S. 34.
[4] Martin Luther, Das Magnifikat , verdeutscht und ausgelegt, in: Maria.Evangelisch, hg.v. Thoas. A. Seidel und Ulrich Schacht, Leipzig 2011, S. 185ff.;. S. 216.
[5] Gerta Scharffenorth, aaO., S. 203.
[6] TR 786 (Aland IX, S. 279).
[7] TR 791 (Aland IX, S. 280).
[8] Scharffenorth, aaO.,S. 220.
[9] Z.B. Sonja Domröse, Frauen der Reformationszeit, Göttingen 2010; Lisbeth Haase, Mutig und Glaubensstarb. Frauen und die Reformation, Leipzig 2011 zudem kleinere Beiträge zu den einzelnen Biografien.
[10] Vgl. Argula von Grumbach, Schriften, bearbeitet und herausgegeben von Peter Matheson, Göttingen 2010.


Am 12. August findet auf der Weltausstellung Reformation ein FrauenFestTag statt, an dem auch Margot Käßmann teilnehmen wird. Es wird ein Frauenfestmahl geben und eine Fotoaktion „500+“, bei der 500 Frauen im Talar fotografiert werden. Um das Programm besuchen zu können, empfehlen die Veranstalterinnen außerdem Eintrittskarten für die Weltausstellung Reformation zu erwerben: https://r2017.org/shop/ Weitere Informationen zum Programm gibt es auf den Internetseiten der Evangelischen Frauen in Mitteldeutschland.

Einen Einblick in die vielfältigen Aktivitäten der Initiative Frauenmahl bietet die Broschüre „essen.reden.reformieren“. Sie ist zum Preis von 5 Euro beim Studienzentrum für Genderfragen der EKD bestellbar: info@sfg.ekd.de