Kirche und Jugend. Lebenslagen, Begegnungsfelder, Perspektiven

Eine Handreichung des Rates der EKD, 2010, Hrsg. Gütersloher Verlagshaus, ISBN 978-3-579-05961-7

2. Jugendliche Lebenslagen und das Evangelium als Kristallisationspunkt des Handelns der Kirche

Auch das Verhältnis von Kirche und Jugend muss durch die Botschaft des Evangeliums geprägt sein. Diese Grundlage für die kirchliche Arbeit mit Jugendlichen soll in Erinnerung gerufen und angesichts der heutigen Situation von Jugendlichen entfaltet werden. Nur daraus kann sich ein Profil kirchlichen Handelns mit und gegenüber Jugendlichen ergeben.

Kirchliches Handeln geschieht in der Hoffnung, dass das Evangelium in der Welt sichtbar und erfahrbar wird. Glauben entsteht nach evangelischer Überzeugung durch den Geist Gottes und ist damit Geschenk. Diese reformatorische Grundlegung wirkt sich bis in die Gegenwart auf die Bestimmung des Verhältnisses von Kirche und Jugendlichen aus. Die Weitergabe des Glaubens ist darauf angewiesen, dass Menschen für sich entdecken und erleben, wie im Ritus, in der Gruppengemeinschaft, in den Veranstaltungen einer Jugendkirche oder in der lebensalltäglichen Unterstützung einer diakonischen Einrichtung das Evangelium lebendig wird. Dabei lässt sich kirchliches Handeln im Verhältnis zur Jugend nicht über die Interpretation des Wortes Gottes durch Erwachsene bestimmen. Vielmehr sind es die Jugendlichen selbst, die in der Kirche durch die Auseinandersetzung mit dem Evangelium, mit anderen Jugendlichen und mit Erwachsenen das Wort Gottes in ihrer Lebenswelt lebendig werden lassen. Daraus erwachsen für die Kirche Aufgaben einer "Kommunikation des Evangeliums" als ein "Zusammensprechen von Verheißung und Wirklichkeit" (Ernst Lange). In dieser Kommunikation werden Tradition und Situation aufeinander bezogen und in einem dynamischen Prozess die Botschaft des Evangeliums mit der Lebenswelt von Jugendlichen als Subjekten dialektisch verschränkt (vgl. 1.3).

Diese Kommunikation kann auf sehr unterschiedlichen Wegen gelingen, die menschlich nicht verfügbar sind - in der Bibelarbeit ebenso wie auf der Paddelfreizeit, im Jugendgottesdienst ebenso wie in der seelsorgerlichen Begegnung, in einer Begegnung an der Theke in einem Jugendfreizeitheim ebenso wie bei einem Event einer Jugendkirche, im Religionsunterricht ebenso wie im spontanen Gebet eines Jugendlichen in der Andacht am Lagerfeuer. Das Wissen um die Unverfügbarkeit der Wirkung der Kommunikation des Evangeliums bewahrt davor, bestimmten Handlungsfeldern gegenüber anderen theologisch eine Vorzugsstellung einzuräumen, und motiviert zu einer kreativen Suche nach vielfältigen Begegnungsräumen zwischen Kirche und Jugend. Das Wissen um den Subjektbezug der Begegnung mit dem Evangelium erlaubt hin gegen nicht, sich der Frage nach den Bedingungsmöglichkeiten einer gelingenden Kommunikation des Evangeliums zu entledigen, der in diesem Kapitel nachgegangen wird.

Aus dem Bezug auf das Evangelium ergibt sich zwingend, dass das kirchliche Handeln mit Jugendlichen durch die Lebenslagen Jugendlicher selbst geprägt ist. Jugendliche sind zum einen als "Generationenlage" (Karl Mannheim) wahrnehmbar, die durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Alterskohorte über Moden, Stile und Weltsichten geprägt sind. Diese Generationenlage ist durch die Jugendforschung vielfach beschrieben worden. Zum anderen treffen Jugendliche aber auch als Individuen auf das kirchliche Angebot und können sich ggf. deutlich vom Mainstream der Jugendlichen unter scheiden, also weniger durch die Generationenlage als durch ihre eigene individuelle Lebenssituation gekennzeichnet sein. Die Generationenlage von Jugendlichen wie auch ihre je individuelle Lebenssituation stellen zentrale Orientierungsmarken kirchlichen Handelns von und mit Jugendlichen dar. Hinzu kommt die Orientierung an den verschiedenen Milieus, zu denen Jugendliche sich als zugehörig erleben. Milieus generieren Jugendkulturen und damit auch die Beziehungen zu Kirche und Glauben. Für die heutige Situation ist es charakteristisch, dass es "die Jugend" nicht mehr gibt. Vielmehr gibt es eine Vielzahl von unterschiedlichen Arten und Weisen des Lebens im Jugendalter. Wenn im Folgenden über Jugend gesprochen wird, dann ist damit eine Vielfalt und Heterogenität sehr unterschiedlicher Lebensformen gemeint.

Schließlich können und sollten jugendliche Beteiligungsformen in der Kirche auch ausdrücklich als "Kirche" verstanden werden. Kirche sind nicht nur Erwachsene, Kirche zeigt sich nicht nur in der Präsenz kirchlicher Strukturen und dem Handeln kirchlicher Akteure mit Jugendlichen, sondern es sind die Jugendlichen selbst, die durch ihre Beteiligung Kirche gestalten. Die Botschaft des Evangeliums fordert Jugendliche heraus, indem ein Zuspruch und Anspruch formuliert wird. Die doppelte Verschränkung zwischen jugendlichen Lebenswelten und dem kirchlichen Auftrag wird im Folgenden als das verbindende Profil der unterschiedlichen Arbeitsfelder kirchlichen Handelns von, mit und gegenüber Jugendlichen herausgearbeitet. Dabei wird die Frage nach der Relevanz des Evangeliums für das Leben von Jugendlichen zum entscheidenden Prüfstein.

2.1 Die Individualität von Jugendlichen und die Subjektorientierung evangelischer Angebote

Jugendliche wachsen heute in pluralen Lebenssituationen auf, die das Ausbilden von Individualität fordern. Angesichts der Vielfalt der Lebensoptionen müssen Jugendliche einen eigenen Modus der Teilhabe an der Gesellschaft finden und einen Lebensentwurf entwickeln: Die Multioptionsgesellschaft verlangt unablässig nach Entscheidungen und Ausdrucksformen. Die Jugendzeit ist ein Lebensabschnitt, in welchem junge Menschen mit vor allem zwei Herausforderungen der Lebensbewältigung konfrontiert werden. Zum einen sind sie mit der Bearbeitung entwicklungsbedingter Aufgaben konfrontiert (wie die Identitätsbildung, Kompetenzentwicklung, Ablösung von der Herkunftsfamilie, der Umgang mit eigener Sexualität). Zum anderen haben Jugendliche als "Quasi"-Erwachsene Probleme alltäglicher Lebensbewältigung zu lösen, wie zum Beispiel die Orientierung auf dem Qualifikations- und Arbeitsmarkt. Sie müssen riskante Entscheidungen der Berufswahl oder des schwieriger gewordenen Übergangs in den Beruf bewältigen. Jugendliche müssen sich vor diesem Hintergrund selbstständig und entscheidungsfähig in der Gesellschaft bewegen. Manche Jugendliche finden für sich pragmatische und kreative Wege, mit den faktischen Ambivalenzen von sozialer Bestimmtheit und individueller Selbstbestimmung sowie den "Flexibilitätszumutungen" (Sennett 1998) vergleichsweise konstruktiv umzugehen, während bei einem anderen Teil nur geringe Kompetenzen des Umgangs mit diesen Ambivalenzen gegeben sind.

Quer zu den faktischen Lebenslagen sind unterschiedliche kompensatorische Reaktionen Jugendlicher auf die konkreten Beschleunigungs- und Leistungszwänge und die Anforderungen an die eigene Identitätsprofilierung festzustellen. Dies zeigt sich bei denjenigen Jugendlichen, die diesen Anforderungen zu genügen wissen, in einer klaren Bejahung und Anpassung an die Leistungsanforderungen einerseits bei gleichzeitigem genussvollem Freizeitverhalten, gesundheitlichem Risikoverhalten und zunehmendem Suchtverhalten andererseits. Bei denjenigen Jugendlichen, die mit geringen materiellen wie sozialen Ressourcen in das Leben starten müssen und deshalb kaum Chancen haben, diesen Anforderungen zu genügen, zeigt sich dies häufig aber auch in einer resignativen Verweigerung, dem Einrichten in problematischen Gruppen zusammenhängen und entsprechend aggressiven oder autoaggressiven Verhaltens weisen. Allgemein verstärkt sich bei Jugendlichen die Bedeutsamkeit des Nahkontextes von Familie und Bezugsgruppe, auch wenn die eigenen familiären Verhältnisse oftmals mehrfach umgebaut und neu geordnet werden. Jugendliche erhoffen sich für sich und ihr Umfeld verlässliche Verhältnisse, was sich etwa im weiter zunehmenden Wunsch nach eigenen stabilen Partnerschaften, gelingen der Familiengründung und Elternrolle sowie vertrauensvollen Freundschaften manifestiert. Die Zugehörigkeit zu einer verlässlichen Bezugsgruppe erscheint als existenziell bedeutsamer Faktor für die Stabilisierung, Überprüfung und Weiterentwicklung der jeweiligen Eigenweltkonstruktion. In diesem Zusammenhang stellen sich Generationenkonflikte gegenwärtig weniger scharf dar als noch vor einigen Jahr zehnten. Die Beziehung zwischen Jugendlichen und ihren Eltern wird von Seiten der Jugendlichen neben der Beziehung zur eigenen Gruppe aufrechterhalten und nach Möglichkeit gepflegt.

Die Antwort des kirchlichen Angebots auf diese Lebenssituation Jugendlicher liegt im Subjektbezug, der sich aus einem evangelischen Bildungsverständnis ergibt. Bildung meint in diesem Sinne den sinnstiftenden Anspruch an den Menschen, seiner Bestimmung als Geschöpf Gottes in Aspekten und Bezügen jenseits gesellschaftlicher Normierungen und kurzfristiger Verzweckung zu entsprechen. Reformatorisch werden die Eigenständigkeit und Unvertretbarkeit des einzelnen Menschen vor Gott betont. Damit wird dem Menschen ein eigenständiges Urteil auch in theologischen Fragen zugetraut und zugemutet. Im Mittel punkt von Bildung steht der Mensch selbst und nicht sein Funktionieren in Gesellschaft, Kirche oder Wirtschaft. Im Mittelpunkt evangelischer Angebote für Jugendliche stehen deshalb die Jugendlichen mit den ihrer individuellen und generationellen Lage entsprechenden Bedürfnissen. Die Jugendfreizeit, die Gruppenstunde, das Schulprojekt und der Streetworker leiten ihre Berechtigung aus diesem Subjektbezug ab. Der Subjektbezug ist nicht zu verwechseln mit sogenannter Fun-Orientierung, bei der auf die Zumutung der Unterstellung, Forderung und Unterstützung von Mündigkeit verzichtet wird. Ein evangelisches Profil zeigt sich dort, wo es Jugendlichen potenziell ermöglicht wird, den Zuspruch und den Anspruch des Evangeliums zu erfahren und die Bedeutung der Freiheit eines Christenmenschen für ihr eigenes Leben auszuloten. Dieser Anspruch kann für Jugendliche Freiräume bei gleich zeitiger Bindung erlebbar und ausprobierbar werden lassen. So zeigen empirische Studien, dass Jugendliche sich dann zum Beispiel ehrenamtlich engagieren, wenn dieses Engagement eine Antwort auf die Frage "Bin ich hier wichtig und unverwechselbar?" eröffnet, damit Anerkennungserfahrungen ermöglicht und zum Erproben von Lebens entwürfen beiträgt.

Die Subjektorientierung von Angeboten für Jugendliche bedarf der Förderung und braucht spezifische Angebote, Gelegenheiten und Unterstützungssysteme. Als Grundlage müssen basale Ressourcen, die Offenheit für Orientierungs- und Bewältigungsfragen sowie die Vermittlung bzw. Eröffnung von Zugängen zu sozialen Räumen gegeben sein. Es bedarf der Freiräume, in denen Jugendliche eigenständig agieren können.

"mischen '08"

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Evangelische Jugendsozialarbeit e.V. (BAG EJSA) wagte sich unter dem Motto "mischen '08: EINmischen AUFmischen MITmischen" daran, in ihrer eigenen Arbeit den betroffenen Jugendlichen deutlichere Möglichkeiten zur Partizipation einzuräumen. Dabei brachten Jugendliche zwischen 12 und 27 Jahren zur Sprache, was sie in den Einrichtungen der evangelischen Jugendsozialarbeit beschäftigt und was sie verändern möchten. Sie gestalteten einen Fachtag mit Verantwortlichen und Politikern, der von ihnen in den Einrichtungen und mit Hilfe des Austauschs über eine moderierte Plattform im Internet geplant und vorbereitet worden war. Die Ergebnisse flossen in die weitere Arbeit ein; zudem starteten die Jugendlichen, bestärkt durch die Resonanz, weitere Vorhaben (z. B. Besuche bei Bürgermeistern zur Diskussion regionaler Verbesserungsideen).

2.2 Die Sehnsucht nach religiöser Orientierung und das Angebot der christlichen Gemeinde

Viele Jugendliche verspüren eine Sehnsucht nach sinngebender Orientierung und damit auch nach religiösen Angeboten. Sie machen in ihrem Leben Kontingenzerfahrungen, die gedeutet werden wollen. Sie erfahren Brüche in ihrem Lebensalltag, die Orientierung notwendig machen. Nicht zuletzt führt die Situation des Aufwachsens zu einer Sehnsucht nach Transzendenz und Spiritualität, zu dem, was das Leben übersteigt.

Diese Sehnsucht wird nur sehr bedingt durch die religiöse Sozialisation in der Familie oder in der Gleichaltrigengruppe aufgefangen bzw. gestillt. Es stellt sich die Frage, mit welchen religiösen Formen auf diese Sehnsucht Antwort gegeben werden kann, zumal die Antworten nicht vorrangig bei den großen christlichen Kirchen gesucht werden. Die Kirchen rangieren in der Popularität etwa bei den in den Shell-Jugendstudien befragten Jugendlichen auf den hinteren Rängen, nur knapp vor den politischen Parteien. Daher sind die etablierten Institutionen wie die Kirchen für viele zunächst nicht die erste Adresse, wenn nach einer Unterstützung in Sinnfragen gesucht wird. Gleichwohl macht beispielsweise der Religionsmonitor 2008 (Bertelsmann Stiftung) deutlich, dass jugendliche Religiosität keineswegs verschwunden ist. Selbsttraditionelle Glaubensinhalte etwa im Blick auf das Gottesbild, den Auferstehungs- oder den Schöpfungsglauben verlieren im Altersvergleich wenig an Bedeutung. Allerdings verliert offenbar der Glaube an einen persönlichen Gott an Attraktivität.

Mit ihren Fragen, Sehnsüchten und Bedürfnissen bewegen Jugendliche sich in einer Gesellschaft, in der Sinnangebote überall gegeben sind und ungefragt auf Jugendliche zukommen. Jugendliche müssen sich zu dieser Vielfalt ins Verhältnis setzen. In den letzten Jahrzehnten hat sich ein Markt an Angeboten der Deutung entwickelt. Vor allem ist das kommerzielle Angebot an quasi-religiösen Ausdrucksformen stark gewachsen. Filme und Romane bieten einen Steinbruch an kirchengeschichtlichen und pseudo-kirchengeschichtlichen Identifikationsfiguren. Live-Rollenspiele bieten Identifikationsmöglichkeiten mit Feen, Hexen oder Mönchen. Computerrollenspiele eröffnen die Möglichkeit, sich selbst mit göttlichen Attributen zu versehen und in virtuellen Lebenswelten zu bestehen.

Quasi-religiöse Angebote in Computer-Rollenspielen

"Massive Multiplayer Online Role-Playing Games" (MMORPG), die von kommerziellen Anbietern betrieben wer den, ermöglichen das gemeinsame Spielen in virtuellen Welten. So spielen beispielsweise im Spiel "World of Warcraft" je nach Tageszeit Hunderte von Jugendlichen miteinander, die sich in unterschiedlichen Aufgaben im Kampf gegen Monster bewähren müssen. Jeder Mitspieler wählt sich eine Rolle; die Hälfte der Rollenangebote verfügt über magische oder religiöse Fähigkeiten, zum Beispiel als Priester, Schamane oder Hexe. Diese virtuelle Welt bietet Jugendlichen eine Vielzahl religiöser und magischer Vorstellungen an und lädt zu spielerischer Interaktion ein, ohne allerdings eine religiöse Perspektive zu eröffnen, die auch nur annähernd eine angemessene Antwort auf die Komplexität der heutigen Welt geben könnte.

Jugendliche reagieren auf diese Marktsituation, indem sie vielfach religiöse Versatz stücke aus dem religiösen und esoterischen Markt auf die eigenen Bedürfnisse zuschneiden und zu einer Individualreligion (Bastel- oder Patchworkreligion) zusammenstellen. Sie testen Verschiedenes auf die Tauglichkeit für ihr Leben und ihre Sozialisation. Dabei sind sie darauf bedacht, sich nicht festzulegen oder festlegen zu lassen, sondern offen und flexibel zu bleiben und institutionelle Verpflichtungen zu vermeiden; denn diese könnten ja möglicherweise in einer sich immer schneller ändernden Gesellschaft zu wenig Flexibilität für nachfolgende Entscheidungen eröffnen. Die Kirche ist nur noch eine Sinnanbieterin unter vielen und kann sich auf keinen Bonus oder auf eine religiöse Sozialisation in der Kindheit mehr verlassen. Auch bei kirchennahen und gläubigen Jugendlichen finden sich Mischformen zwischen christlichen Überzeugungen und solchen, die aus anderen Traditionen stammen. Immer mehr lassen sich "religiöse Flaneure" beobachten, die sich punktuell und auf Zeit auf Religion einlassen, an ihr partizipieren bzw. in diesem Kontext interagieren, sich dann aber auch wieder zurück ziehen. Daher kann jugendliche Religiosität nicht allein an der Intensität der Bindungs- und Verpflichtungsbereitschaft zur Institution Kirche gemessen werden.

Diese komplexe religiöse Generationenlage stellt eine erhebliche analytische und praxisbezogene Herausforderung für die kirchlichen Angebote an Jugendliche dar. Mit der populären Jugendkultur werden Sehnsüchte ausgedrückt, die auch als Hoffnungen und Erwartungen an die Religion gelesen werden können. Die Kommunikation des Evangeliums kann sich da ereignen, wo Jugendliche in ihrer Suche nach Sinn in einem Programm aufgefangen sind, das Sinngebung, zum Beispiel durch pädagogisch und theologisch verantwortete Gruppenaktivitäten, ermöglicht, auch wenn dieses sich auf den ersten Blick nicht als religiöses Programm darstellt. Eine so verstandene Jugendarbeit ermöglicht potenziell den Zugang zu Interpretationsmustern sinn stiftender Weltdeutungen und Lebensbewältigung angesichts von Komplexität und brüchigen Entwicklungsverläufen. Eine Kommunikation des Evangeliums kann sich auch dort ereignen, wo die Kirche sich in die Marktsegmente hineinbegibt, die für Jugendliche eine hohe Attraktivität haben, zum Beispiel in den neuen Medien oder im Bereich jugendgemäßer Ästhetik (vgl. 2.5). Auch die sich hier zeigenden Formen religiöser Inszenierung können Glaube erfahrbar werden lassen. Für solche Formen der Kommunikation sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nötig, denen es gelingt, das Angebot des Evangeliums für die Bewältigung heutiger Lebensaufgaben sichtbar zu machen bzw. auf den Markt zu bringen. Solche Angebotsstrukturen werden darüber hinaus durch ein Verständnis von Gemeinde gestützt, das über die örtliche Parochie hinausgeht und neue Formen, wie zum Beispiel Jugendkirchen, in bestehende Gruppen integriert. Kommunikation des Evangeliums zielt insbesondere auf die Stärkung religiöser Urteilskraft. Sie ist mehr denn je als Grundkompetenz auf dem religiösen Markt erforderlich.

Das Profil des Verhältnisses von Kirche und Jugend zeigt sich aber auch dort, wo von kirchlicher Seite Kriterien für einen kritischen und reflektierten Umgang mit populärer Jugendkultur entwickelt und populäre Kultur und Kirche miteinander in einen Dialog gebracht werden. Dies geschieht bisher allerdings eher punktuell, mit kaum koordinier ten und aufeinander abgestimmten Maßnahmen. Die Empfehlungen der Zeitschrift epd-film oder medienpädagogische Informationen und Fortbildungen evangelischer Medienzentralen unterstützen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beispielsweise darin, sich in einen Dialog mit den Angeboten populärer Jugendkultur zu begeben. Auch die Beteiligung der evangelischen Kirche an der Entwicklung und Umsetzung von Bestimmungen des Jugendmedienschutzes trägt bei zu einem kriteriengeleiteten Qualitätsdiskurs und zur Urteilsbildung über Film, Fernsehen oder Internet. Kirchliche Medienprodukte für Jugendliche - wie etwa die Internetplattform youngspiriX - verkörpern einen Versuch, mit evangelischem Profil nicht nur Teil populärer Jugendkultur zu sein, sondern diese gestaltend mitzuprägen.

Angesichts der Sehnsucht nach religiöser Orientierung und der Vielfalt der Angebote wird für viele Jugendliche die Begleitung im persönlichen seelsorgerlichen Gespräch von immer größerer Bedeutung. Die Kirche bietet Jugendlichen Menschen, die zuhören können, seien es ehrenamtliche Jugendgruppenleiterinnen und Jugendgruppenleiter oder Mitglieder einer Kirchen-Band, Jugenddiakone, Religionslehrkräfte, Pfarrerinnen und Pfarrer oder Pädagoginnen und Pädagogen in Gemeinde und Sozialdiensten. Dieses Potenzial gilt es zu er halten und für Jugendliche weiter fruchtbar zu machen.

2.3 Die Sorge um die Zukunft und die Verantwortung der Kirche im Generationenverhältnis

Die Situation Jugendlicher ist auch gekennzeichnet durch sich verändernde Generationenverhältnisse. Angesichts der Ausdifferenzierung der Lebensbereiche und des hohen Leistungsdruckes auf Jugendliche entschärft sich der frühere Generationen prägende Generationenkonflikt. Gleichwohl bedeutet dieses nicht, dass Jugendliche den Freiraum und die Entfaltungsmöglichkeiten erhielten, die sie für ihre Persönlichkeitsentwicklung benötigen. Angesichts des beschriebenen demographischen Wandels schrumpft der Anteil der Jugendlichen an der Bevölkerung, und damit wird es für diese Gruppe potenziell schwerer, sich im öffentlichen Diskurs Gehör zu verschaffen. Hinzu kommt die Tatsache, dass sich viele Erwachsene im Hinblick auf die Mode, das Auftreten und das Verhalten immer länger zur Gruppe der Jugendlichen zählen und daher auch aus dieser Perspektive die öffentliche Artikulation von Jugendlichen nicht leichter wird. Daher ist die Situation für Jugendliche im Kontext der Generationenverhältnisse ambivalent: Auf der einen Seite schrumpft ihr Anteil und die Aufmerksamkeit der älteren Generationen bezieht sich auf immer weniger Jugendliche, auf der anderen Seite wird es schwieriger, ein eigenes Profil und eine eigene Stimme in der Abgrenzung zu vorhergehenden Generationen zu erhalten. Zudem ist zu beobachten, dass sich die Erwachsenengenerationen zunehmend selbst genügen. Intergenerationelles Lernen stellt keine Selbstverständlichkeit mehr dar. Diese geringere öffentliche Aufmerksamkeit verbindet sich mit einer größer werdenden Sorge von Jugendlichen um ihre individuelle Zukunft. Viele Jugendliche sind wenig optimistisch.

In der Bibel wird in unterschiedlichen Perspektiven auf die Verantwortung im Generationenverhältnis hingewiesen. Das vierte Gebot im Alten Testament ("Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren", Ex 20,12) macht auf die sozialen Verpflichtungen im Generationenverhältnis aufmerksam, wenn dieses mit dem "Gelobten Land", der Wegweisung von Freiheit und der Ermöglichung des Lebens in Liebe verknüpft wird. Diese Sorge um die Lebensmöglichkeiten der nachwachsenden Generation wird im Neuen Testament in der Aufforderung an Väter und Mütter, Jugendliche nicht zu "erbittern" oder "zum Zorn zu reizen" (Kol 3,21; Eph 6,4), verstärkt. Und Jesu Umgang mit Kindern ist dadurch geprägt, dass er sie in die Mitte bzw. an seine Seite stellt (Mt 18,1­5 Par.) und ihnen damit ganz besondere Aufmerksamkeit zubilligt. Solche "Wegweisung der Freiheit" zeigt sich heute dort, wo Jugendlichen in der Kirche hinreichend Platz für ihre Anliegen, ihre "Theologie" eingeräumt wird (vgl. 4.1). Ein angemessenes Generationenverhältnis zeigt sich also einerseits im individuellen Umgang der Generationen miteinander. Es zeigt sich andererseits auch darin, welche Lebensmöglichkeiten der nachkommenden Generation im Hinblick auf die natürlichen Ressourcen des Planeten oder auf eine nachhaltige Finanzwirtschaft eingeräumt werden. Im Engagement um Nachhaltigkeit, Umweltschutz und Klimawandel tritt die Kirche für die Lebensbedingungen nachkommender Generationen ein, um die Zukunftslasten für heranwachsende Generationen so gering wie möglich zu halten. Also auch dort, wo Jugendliche nicht direkt im Mittelpunkt stehen wie etwa in Fragen der Bewahrung der Schöpfung und der weltweiten Ökumene ­, kann sich kirchliches Engagement für Jugendliche konkretisieren.

Ein theologisch bedeutsames Thema des Generationenverhältnisses ist die Weitergabe der überlieferten Traditionen. Denn Teilhabe an der Tradition wird nur durch vielfältige Formen ihrer Weitergabe ermöglicht: Begegnung, Miterleben, Einbindung in die Erzähltradition, Beteiligung und Vorbilder. Demographischer und gesellschaftlicher Wandel erschweren diese Aufgabe offenbar zunehmend. Das mitgängige Lernen über Religion und die Einübung in rituelle Formen von Religionsausübung, wie beispielsweise Kasualien, Feiertage oder der sonntägliche Gottesdienst, können dort, wo dieses nicht mehr in Familien lebendig ist, ebenfalls kaum noch selbstverständlich von Jugendlichen gelernt werden. Die Kirche ist dafür verantwortlich, dass Jugendliche auch mit vertrauten Formen der Überlieferung bekannt gemacht werden. Das entbindet jedoch nicht von der Einsicht, dass der Zugang zu Jugendlichen in ihrer Lebenswelt nicht allein über gelehrte Vermittlung von Glaubensinhalten gelingen kann. Jugendliche brauchen Entfaltungs- und Selbstgestaltungsräume, um sich mit Traditionen auseinandersetzen und Traditionen selbsttätig aneignen zu können. Sie sind ferner darauf angewiesen, dass sich die traditionelle "Komm-Struktur" kirchlicher Angebote zur "Geh-Struktur" wandelt; das heißt, man wird aktiv auf Jugendliche zugehen müssen, um diese erreichen zu können. Kommunikation des Evangeliums ereignet sich potenziell dort, wo Kirche Jugendlichen Erfahrungsräume eröffnet, sich mit Traditionen aktiv auseinanderzusetzen.

Projekt Basis B

Die Deutsche Bibelgesellschaft hat mit dem Projekt "Basis B" und der zugrunde liegenden Basisbibel-Übersetzung des Neuen Testaments eine neue Form gewählt: Eine Multimedia-CD-Rom mit Bibeltext und Hintergrundinformationen sowie ein Internet-Portal sind die zentralen Elemente. Das Taschen buch ergänzt dieses Angebot und stellt nur noch einen zusätzlichen Nutzen dar. "Basis B" wendet sich an Jugendliche, für die der Computer und das Internet die primären Medien geworden sind. Worttreue, Verständlichkeit und Interaktivität auf diesen drei Prinzipien basiert die neue Übersetzung. Sie zeichnet sich aus durch kurze Sätze und eine prägnante Sprache. Nutzerinnen und Nutzer von "Basis B" finden im Text Links zu Begriffserklärungen, Bildern, Landkarten und Videodateien. Man entscheidet selbst, wie viele Zusatzinformationen an welcher Stelle nötig sind, um den Text zu verstehen. Partner im Projekt "Basis B", dessen Motto "Grund genug zu leben" lautet, sind die aej und das Christliche Jugenddorf werk Deutschlands.

2.4 Risikolebenslagen und der kirchliche Einsatz für Gerechtigkeit

Die Ausdifferenzierung der Gesellschaft und die sich größer öffnende soziale Schere führen dazu, dass sich die soziale Lage eines Teils der Jugendlichen verschärft. Immer mehr Jugendliche in Deutschland leben in Haushalten, die Sozialleistungen beziehen. Die Denkschrift des Rates der EKD zur Armut in Deutschland "Gerechte Teilhabe - Befähigung zu Eigenverantwortung und Solidarität" (2006) und die Stellungnahme "Perspektiven für Jugendliche mit schlechteren Startchancen" (2003) haben bereits ausführlich auf diese Problematik hingewiesen. Die Jugendarbeitslosigkeit bleibt - auch wenn die Zahlen in den letzten Jahren etwas zurückgingen - ein Skandal. Daraus ergibt sich für zu viele Jugendliche ein Verlust materieller Sicherheit und zukünftiger Lebensperspektiven, der eine Integration in die Gesellschaft deutlich erschwert. Die in Deutschland charakteristische straffe Koppelung zwischen sozialer Herkunft und erreichtem Bildungsniveau macht deutlich, dass es bisher kaum gesellschaftliche Möglichkeiten gibt, aus dieser unterprivilegierten Situation herauszukommen. Gesellschaftlich ist es offensichtlich bisher nicht gelungen, diese Form der Exklusion und Diskriminierung zu überwinden.

Bei einer wachsenden Zahl von Jugendlichen ist eine Zunahme riskanter Konsumgewohnheiten und Verhaltensweisen zu beobachten. Manche Jugendliche agieren die Risikolebenslagen mit erhöhtem Risikoverhalten aus, zum Beispiel gegen den eigenen Körper durch das bewusste Eingehen von Gesundheitsrisiken, durch Alkohol- und Drogenkonsum, durch rauschhaftes und gefahrvolles Autofahren oder durch andere bewusst in Kauf genommene Risiken. Essstörungen und Selbstverletzungen sind keine Randerscheinungen, ebenso wenig wie die Faszination durch den Rechts- oder Linksextremismus. Gewalttätiges Handeln wird nicht selten zu einer akzeptierten Option. Gleichzeitig sind mit diesem Problembündel die mangelhafte Integration der betroffenen jungen Menschen in das gesellschaftliche Leben und Fragen des sozialen Zusammenhalts der Gesellschaft und der Demokratie verknüpft. Die Skepsis gegenüber traditionellen Werten, politischer Partizipation und demokratischen Prozessen wird auf unheilvolle Weise verstärkt. So zeigt sich insbesondere unter wenig qualifizierten Jugendlichen eine signifikant niedrige Bereitschaft zur Übernahme öffentlichen Engagements bis hin zu den institutionellen Angeboten etwa des Freiwilligen Sozialen Jahres (BMFSFJ 2006).

Es ist Ausdruck der Botschaft des Evangeliums, wenn sich Kirche als Institution für Jugendliche einsetzt, sei es allgemein in ihrer Arbeit im Bereich der öffentlichen Verantwortung, sei es ganz konkret in der Unterstützung von Jugendlichen in ihren individuellen Risikolagen, sei es in der Eröffnung von Räumen, die solche Jugendliche integrieren und ihnen aktive Teilhabe ermöglichen. Die "Option für die Armen" ist eine zentrale Aussage christlichen Glaubens (vgl. zur theologischen Begründung die Ausführungen in der EKD-Armutsdenkschrift Abs. 59 bis 74). Deshalb ist es von besonderer Bedeutung, Jugendlichen eine Stimme zu geben und ihnen gemäße Möglichkeiten der Teilhabe zu eröffnen. Darüber hinaus kann jede Form, Jugendlichen Unterstützung zu gewähren, sei es in der Hausaufgabenhilfe, in diakonischen Einrichtungen der Hilfen zur Erziehung außerhalb der Familie oder in Ferienfreizeiten etc., aus dieser Perspektive als Ausdruck des christlichen Glaubens wahrgenommen werden. Dies gilt auch dort, wo sich Engagement für Jugendliche in ökumenischer Perspektive, zum Beispiel in der Arbeit von "Brot für die Welt" oder des Evangelischen Entwicklungsdienstes, zeigt. Und es gilt ebenso dort, wo Jugendliche sich in kirchlichen Angeboten für Benachteiligte einsetzen, zum Beispiel in Projekten des diakonischen Lernens oder des Freiwilligen Sozialen Jahres.

"st.ar.k." Netzwerk für Ausbildung

Seit 1998 kümmert sich "st.ar.k.", ein Netzwerk für Ausbildung des "Starkenburger Arbeitskreises Kirche und Wirtschaft", um Ausbildung in Südhessen. In Zusammenarbeit mit Schulen und Firmen in der Region hilft das Netzwerk Jugendlichen bei der Suche nach Ausbildungsplätzen: Berufstätige mit Lebenserfahrung und christlichem Engagement unterstützen die jungen Leute bereits in der Schule, begleiten sie als persönliche Paten und gewinnen für sie zusätzliche Ausbildungsplätze im regionalen Arbeitsmarkt. Dies geschieht durch unterschiedliche Maßnahmen: zum Beispiel durch direkte Ansprache von Betrieben, Organisation von Job-Börsen, Fachtagungen zur Zukunft der Arbeit, Fortbildungen für Lehrer oder Bewerbungstrainings für Schüler. Gemeinsam ist den beteiligten Projektgemeinden die Mischung von fachkundiger Koordination und persönlicher Beratung. Ergänzt wird die "st.ar.k."-Initiative durch "Ausbildung +" ein Förderprogramm zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze des Zentrums Gesellschaftliche Verantwortung der Evangelischen Kirche Hessen-Nassau. Betriebe werden mit einem monatlichen Zuschuss unterstützt, wenn sie zusätzliche Ausbildungsplätze für junge Männer mit einem schlechten oder ohne Hauptschulabschluss bereitstellen.

2.5 Die mediale Ästhetisierung des Alltags und die Schönheit der Religion

Angesichts der Vielfalt der Möglichkeiten gewinnen Fragen der Ästhetik und der Inszenierung für Jugendliche an Bedeutung. Diese Ästhetisierung ist für Jugendliche eng mit der Medienwelt als Transportmittel und Ausdrucksform ästhetischen Erlebens verbunden. Die (Selbst-)Inszenierung mit Hilfe von Medien, das heißt die mediale Ästhetisierung ist für die Frage, wie auf dem Markt der Möglichkeiten Aufmerksamkeit verteilt wird, ein entscheidendes Signal. Internetportale wie YouTube, Facebook, Myspace oder Twitter und die Gestaltung individueller Homepages sind Ausdruck dieses Interesses.

Gleichzeitig erzeugen Medien bei Jugendlichen eine hohe Faszination. Bereits in der Kindheit sind die Jugendlichen gezielt als potenzielle Kunden und Nutzer angesprochen worden. Damit erschließen sich ihnen zwar neue Handlungs- und Erfahrungsräume, aber sie werden auch zunehmend für eine kommerzielle Freizeitwelt und für Konsumgewohnheiten instrumentalisiert. Manche Jugendliche haben Schwierigkeiten, ihren Medienkonsum im Hinblick auf den Umfang und die Art der Nutzung angemessen zu kontrollieren. Die Auflösung spezifischer Zeit- und Raumbedingungen für Mediennutzung sowie abgrenzbarer Medienfunktionen führt zu Veränderungen im individuellen Umgang mit Medien und in der Regelung des Zugangs zu Medien. Der Zugang zu aller Art von Medieninhalten über Computer und Internet ist nur noch durch den Jugendlichen selbst zu kontrollieren; ein verantwortungsvoller Medienumgang stellt damit eine wichtige Herausforderung in der Sozialisation von Jugendlichen dar. Diese Situation polarisiert die öffentliche Debatte: Die einen fokussieren sich in kulturpessimistischer Tradition auf Medienwirkungen und Gefahren der Verwahrlosung Jugendlicher; andere beziehen eine medienkulturelle Position, die offen ist für Momente der Sinnstiftung und Entwicklungsförderung, die den Medien zubilligt, Selbstsozialisationsprozesse zu ermöglichen und eine Schlüssel rolle bei der Strukturierung zeitgenössischer Identität einzunehmen. Weitgehender Konsens in der Medienwirkungsforschung ist, dass sich vielfach erst im subjektiven Medienhandeln von Jugendlichen entscheidet, ob Risiken oder positive Potenziale medialer Angebote zum Tragen kommen. Ausschlaggebend dafür sind persönliche und soziale Kontextbedingungen sowie die Ziele, die mit dem Medienhandeln verfolgt werden.

Daher verweist der wachsende Markt der Medien auf die oben beschriebene Notwendigkeit der Unterstützung von Jugendlichen mit Risikokarrieren und die aus der Jugendarbeit schon lange bekannte Bedeutung der authentischen Begegnung. Der Kontakt mit virtuellen Welten führt zu einer Aufwertung der Bedeutung authentischer Kommunikation. Zudem entstehen damit ganz neue Formen der medialen Ästhetisierung des Alltags. Kirchliches Handeln kann Jugendlichen die Möglichkeiten bieten, an der Faszination religiöser Ästhetik in Kirchenräumen, sakraler bildender Kunst oder Musik teilzuhaben. Jugendliche können sich einerseits in diese Faszination hineinbegeben, andererseits aber auch eigene Gestaltungsmöglichkeiten erfahren. Die Kirchenmusik - sei sie in der Tradition der ernsten Musik in Chören und Ensembles, sei sie in der Tradition moderner Musikrichtungen wie Sakro-Pop oder Gospel - entfaltet in der Doppelperspektive des sich Hineinstellens in eine Tradition und der eigenen Gestaltung eine besondere Anziehungskraft. Jugendkirchen leben teilweise von der Faszination und Schönheit des alten Gebäudes, die neue Erfahrungen ermöglicht. Die Schönheit der Religion als ästhetisches Erlebnis zeigt sich einerseits in der Tradition des kulturellen Ausdrucks, andererseits aber auch dort, wo Glauben neue Formen der Ästhetik sucht. Diese Möglichkeiten sind gerade im Hinblick auf die Kommunikation des Evangeliums mit Jugendlichen zu suchen.

Die den Medien eigene Möglichkeit, über bestimmte, auch religionshaltige Themen Jugendliche zu erreichen, birgt auch für die Kirche als Anbieterin etwa im Internet Möglichkeiten. Spezifische Internetseiten für Jugendliche sind erfolgreich etabliert worden. In Kirchengemeinden als potenziell generationsübergreifenden Orten können Jugendliche im Umgang mit neuen Medien selbstständig Verantwortung übernehmen. Empfehlungen zum Umgang mit Online-Spielen in der gemeindepädagogischen Arbeit unterstützen Gemeinden beispielsweise dabei, sich an der Lebenswelt von Jugendlichen zu orientieren und im Jugendraum der Kirche das Spielen von Computerspielen zu ermöglichen. Thematische Blogs ermöglichen neue Formen der Gemeinde.

Beispiele für Internetangebote

Das Kinder- und Jugendportal "Global Gang" von "Brot für die Welt" ist seit 2005 online. Kinder und Jugendliche bis zu 14 Jahren können sich zum einen spielerisch über die evangelische Hilfsaktion und ihre Projekte informieren; darüber hinaus gibt es Online-Spiele, Comic-Fortsetzungsgeschichten sowie Anregungen zu aktiver Hilfe (http://www.global-gang.de/).

Ende 2006 ist das Jugendportal "youngspiriX" (www.young-spirix.de) der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend (aej) unter dem Motto "Und was glaubst du?" online gegangen. Willkommen sind alle, die beim Reden über die Welt Gott nicht vergessen wollen. Als Mitglieder können Jugendliche Blogs, Chats, Foren nutzen, sie können eigene Webseiten einrichten, Audiodateien herunterladen etc. Eine Chat- und E-Mail-Seelsorge bieten professionelle Hilfe und Beratung. In einem virtuellen Andachtsraum und mit dem Bibelportal "Basis B" sind spiritueller Ausdruck und die Beschäftigung mit Glaubensthemen möglich. Auf der Platt form gestalten Jugendliche die Inhalte in allen Bereichen mit und sie können sich selbst ausprobieren.

Medienkompetente Mitarbeitende in der kirchlichen Arbeit mit Jugendlichen können als authentische Ansprechpersonen für Jugendliche zur Verfügung stehen. Kommunikation des Evangeliums kann sich also auch in diesen neuen ästhetischen Räumen entfalten, die ihre ganz eigene und für viele sicherlich ungewohnte Perspektive auf die Schönheit der Religion eröffnen.

2.6 Das Interesse an Selbstwirksamkeit und die Mitarbeit mit allen Gaben

Jugendliche möchten, dass sie etwas tun können und sie Resonanz erhalten. Selbstwirksamkeitserfahrungen, die Erfahrung, wichtig zu sein und etwas ausrichten zu können, sind ein wichtiger Motor für das Handeln von Menschen aller Altersstufen, aber gerade auch von Jugendlichen. Die Motive für das ehrenamtliche Engagement haben sich im Zuge des gesellschaftlichen Wertewandels von traditionellen Pflichtwerten hin zu Selbstentfaltungswerten gewandelt. Mitarbeit soll auch das eigene Leben durch Lernerfahrungen und Gemeinschaft bereichern sowie das Umfeld und die Organisation, in der man mitarbeitet, verändern. Die Motive, anderen zu helfen und Werte gesellschaftlich relevant zu leben, sind damit nicht verdrängt, haben aber einen anderen Stellenwert erhalten.

Fälschlicher weise wird diese Motivlage von Erwachsenen manchmal als Spaßorientierung abgewertet und die im Vergleich zu früheren Generationen aus oben bereits dargestellten Gründen geringere Politisierung und Abgrenzung von vorhergehenden Generationen als Ausdruck mangelnden Engagements interpretiert. "Spaß" kann auch eine zentrale Erwartung und ein Motor für das ehrenamtliche Engagement von Jugendlichen sein. Spaß ist nicht einfach als "Unterhaltung" oder "Fun" zu verstehen, sondern als Selbstwirksamkeit, Lebensfreude, Humor, Lockerheit und das spielerische Einüben von Fertigkeiten, die das eigene Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl heben. Es geht um Erfolgserlebnisse und befriedigende Lernerfahrungen.

Jugendliche haben aufgrund der steigenden gesellschaftlichen Komplexität in ihrem Alltag häufig immer weniger Möglichkeiten an Selbstwirksamkeitserfahrungen. Dies gilt besonders für Jugendliche mit Migrationshintergrund, für Jugendliche in fragilen Familiensituationen oder mit sozial und finanziell schwachem Hintergrund, die sich entsprechende Freiräume und Gestaltungsmöglichkeiten nicht aus eigener Kraft schaffen können.

Wo Jugendliche die Freiheit und die Zumutung des eigenen Engagements erhalten, können sie Erfahrungen auch der individuellen Selbstwirksamkeit machen. Das biblische Bild vom Leib Christi, in den jeder seine Gaben einbringt und keiner ohne die Gaben der anderen auskommt, definiert jedes Glied am Leib als mitarbeitend. Alle sind berufen, "jeder mit den Gaben, die er empfangen hat" (1 Petr 4,10). Mitarbeit in welcher Form und Intensität auch immer ist dem Neuen Testament zufolge selbstverständlicher christlicher Lebensstil und für das evangelische Verständnis des Priestertums aller Glaubenden konstitutiv.

Die Kirche kann Jugendlichen Räume Begegnungsräume, Freiräume und Aneignungsräume zur eigenen Entwicklung zur Verfügung stellen. So können sie neue Orte, interessante Geschichten und andere Menschen entdecken. Als geschlechtersensible Jugendarbeit bietet die Kirche jungen Männern und jungen Frauen die Möglichkeit, ihre sexuelle Identität zu erproben und Sensibilität für unterschiedliche Formen von Sexualität zu entwickeln.

Diese Arbeit lebt von einer engagierten ehrenamtlichen Beteiligung. Dieses Engagement ist auch für die Gewinnung kirchlicher Mitarbeiter von großer Bedeutung; schließlich haben viele hauptamtlich in der Kirche Beschäftigte ihre Berufsentscheidung über die ehrenamtliche Arbeit als Jugendliche oder junge Erwachsene in der verbandlichen oder kirchlichen Jugendarbeit getroffen. Die Beteiligung von jugendlichen Ehrenamtlichen an der Konfirmandenarbeit hat in den letzten 15 Jahren kontinuierlich zugenommen. Methodisch und organisatorisch differenzierte Programme der Konfirmandenarbeit ermöglichen häufig die Integration jugendlicher Ehren amtlicher. Für die Kommunikation des Evangeliums in der Jugendarbeit ist daher die Begleitung von Ehrenamtlichen eine wichtige Grundanforderung. Die Unterstützung jugendlicher Ehrenamtlicher in ihrer Sprachfähigkeit im Glauben und in ihren didaktisch-methodischen Kenntnissen ist von ebenso großer Bedeutung wie persönliche Wertschätzung und gottesdienstliche Gemeinschaft.

Jugendleiterinnen- und Jugendleiterausbildung (Juleica)

Ehrenamtliches Engagement braucht Qualifizierung. Als anerkannter Träger der freien Jugendhilfe bieten die evangelischen Jugendverbände in allen Gliedkirchen der EKD eine Grundausbildung zum/zur Jugendgruppenleiter/-in an. Die Ausbildung ist ein wesentliches Element, um Ehrenamtliche zu fördern und zu qualifizieren. Im Anschluss daran werden thematische Aufbau- w. Auffrischungskurse angeboten. In den Kursen werden rechtliche, organisatorische und pädagogische Kenntnisse vermittelt, die junge Menschen befähigen, Gruppen zu leiten oder eine Freizeit durchzuführen. Ebenso ist ein Erste-Hilfe-Kurs Bestandteil. Die Ausbildung bietet Chancen, sich auszuprobieren, eigene Kompetenzen zu entdecken und zu entwickeln. Voraussetzung für die Ausbildung der Ehrenamtlichen ist ein Mindestalter von 16 Jahren.

Kirche und Jugend. Lebenslagen, Begegnungsfelder, Perspektiven

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