Kirche und Jugend. Lebenslagen, Begegnungsfelder, Perspektiven

Eine Handreichung des Rates der EKD, 2010, Hrsg. Gütersloher Verlagshaus, ISBN 978-3-579-05961-7

4. Perspektiven für eine jugendsensible Kirche

Die Entwicklung von Perspektiven für eine jugendsensible Kirche in einer Zeit, in der die kirchliche Sozialisation von Jugendlichen alles andere als selbstverständlich ist, ist eine besondere und an Bedeutung nicht zu unterschätzende Aufgabe. In diesem Kontext wollen die nachfolgenden Überlegungen zu entschlossenem Handeln ermutigen, bei dem jede Gemeinde, jeder Kirchenkreis, jede Landeskirche ihre eigenen Prioritäten setzen. Allgemeine Rezepte kann es nicht geben. Jeder und jede wird sich aber befragen lassen müssen, in welchem Maße die beschriebenen Herauforderungen angegangen werden und ob das Handeln hinreichend und klar begründet ist.

4.1 Kulturen der Kommunikation Jugendlicher achten und sich von der Theologie Jugendlicher inspirieren lassen

Sprach- und Ausdrucksfähigkeit in Glaubensfragen zu ermöglichen, stellt eine der Aufgaben der kirchlichen Arbeit mit Jugendlichen dar. Daraus erwächst eine besondere Verpflichtung der Wahrnehmung der Kulturen der Kommunikation Jugendlicher. Angesichts dieser unterschiedlichen Kulturen könnte sich das Angebot der kirchlichen Arbeit mit Jugendlichen deutlich stärker von dem inspirieren lassen, was als "Theologie Jugendlicher" als Theologie von Jugendlichen und als Theologie der Jugend verstanden werden kann. Dazu sind Räume zu eröffnen, in denen Jugendliche sich mit ihren eigenen Erfahrungen und Gefühlslagen deshalb gern aufhalten, weil ihnen dort verständnisvoll und verstehbar begegnet wird. Im Verhältnis zu Jugendlichen zeigt sich in besonderer Form die Gegenwart der Kirche.

Diese Überlegungen bedeuten konkret:

  • Zur Theologie der Jugendlichen gehört die Auseinandersetzung in der Gleichaltrigengruppe. Kirchengemeinden stehen in der Verantwortung, entsprechende Räume und Freiräume für Jugendgruppen anzubieten.
  • Eine Theologie der Jugend richtet notwendigerweise auch den Blick auf die Frage, ob Jugendliche in kirchlichen Strukturen auf allen Ebenen Möglichkeiten der Partizipation und der Übernahme von Verantwortung erhalten haben.
  • Jugendlichen sind Räume zu eröffnen, sich religiös zu artikulieren und mit Erwachsenen über Fragen des Glaubens ins Gespräch zu kommen. Die bisherigen Mittel wie Jugend- und Schulgottesdienste und Jugendkirchen sollten um mediale Räume erweitert werden: z. B. Blogs, Foren, Portale etc.
  • Religiöse Ausdrucksformen Jugendlicher sind deutlicher als bisher wahrzunehmen. Eine "Theologie der Jugendlichen" ist bisher weniger ausgearbeitet als beispielsweise die "Kindertheologie", es gibt mehr wissenschaftliche Arbeiten zu Kinderbibeln als zu Jugendbibeln; es wird wenig über religionspädagogische Konzepte für die Arbeit mit Hauptschülern, in Maßnahmen der Jugendhilfe oder über religiöse Vorstellungen von Jugendlichen berichtet. Hier sind die Praktische Theologie, die Religionspädagogik sowie die Gemeindepädagogik herausgefordert.
  • Die Auseinandersetzung mit Glaubensfragen Jugendlicher bedarf der Sprachfähigkeit und eigenen Klarheit bei ehren- wie hauptamtlichen Mitarbeitenden. In diesem Bereich sollten Anstellungsträger, sei es in der Jugendarbeit, sei es in Schulen, sei es in der Diakonie, sei es in den Gemeinden, größere und gemeinsam vernetzte Anstrengungen, zum Beispiel im Hinblick auf die Fortbildung der Mitarbeitenden, unternehmen. Anstellungsträger sollten sich des Bedürfnisses von Jugendlichen nach authentischen Personen bewusst sein und entsprechende Personalpolitik betreiben.
  • Das Bedürfnis von Jugendlichen nach einer Ästhetisierung des Alltags könnte Kirchengemeinden dazu inspirieren, sich kritisch mit der eigenen Ästhetik zu beschäftigen. Schlecht gepflegte Kirchen, unaufgeräumte Ecken, Häkeldeckchen in Gemeindesälen und zusammengesuchtes Geschirr strahlen eine Alltagsästhetik aus, die (nicht nur) auf Jugendliche wenig anziehend wirkt. Eine Fotorallye von Jugendlichen dazu, welche Teile der Kirchengemeinden ihnen nicht gefallen und wie sie sich eine Gemeinde der Zukunft vorstellen können, kann wertvolle Impulse geben.
  • Formen der Arbeit mit Jugendlichen könnten in andere Bereiche der kirchlichen Arbeit einstrahlen: SMS-Adventskalender für Führungskräfte, Videoarbeit für Senioren, ein Wettbewerb "Gemeinderaum in Form", sprachlich und persönlich ansprechende Predig ten, thematisch gestaltete Kirchen: Hier ergeben sich vielfältige Anknüpfungsmöglichkeiten, von denen die gesamte Kirche profitieren kann (vgl. z. B. die Videopodcasts unter http://www.e-wie-evangelisch.de/).
  • Im gesellschaftlichen Dialog und in der kirchlichen Bildungsarbeit ist stärker als bisher das Recht auf Religion zu betonen und neben der negativen Religionsfreiheit (Freiheit von Religion bzw. religiöser Bevormundung, die vor allem in Ostdeutschland zur Abwesenheit von Religion im Alltag und im öffentlichen Leben geführt hat) die aktive Religionsfreiheit (Freiheit zur Religion bzw. zur eigenen Wahl der Religion) hervorzuheben.

4.2 Die Bedeutung der Jugendlichen für die Kirche erkennen

Die Begegnung und Beziehung mit Jugendlichen im Licht des Evangeliums ist von substanzieller Bedeutung; denn die Weitergabe des Evangeliums an die kommenden Generationen ist für Jugendliche eine hilfreiche Orientierungsgröße für die eigene Lebensführung und für die Kirche sichtbarer Ausdruck ihres Auftrags. Der demographische Wandel wie der Traditionsabbruch in den östlichen Gliedkirchen, aber auch in manchen Gebieten der westlichen Bundesländer stellen hier ebenso eine Herausforderung dar wie die Konkurrenzsituation kirchlicher Angebote auf dem Markt religiöser wie weltanschaulicher Angebote. Der christliche Glaube ist auf Tradierung angewiesen. Zudem nimmt die Kirche durch ihre Tradierung auch öffentliche Verantwortung wahr, denn eine konsequente Jugendpolitik, die auf Demokratieerziehung und Urteilsfähigkeit - und dieses schließt religiöse Urteilsfähigkeit explizit mit ein - setzt, ist unabdingbar.

Diese Überlegungen bedeuten konkret:

  • Es ist notwendig, Möglichkeiten zur Partizipation Jugendlicher und konsequente Angebote zur Demokratie- wie religiösen Urteilsfähigkeit auf allen Ebenen und in allen Bereichen kirchlichen Handelns mit Jugendlichen sichtbar zu verankern.
  • Auf allen Ebenen kirchlichen Handelns sollte geprüft werden, ob Jugendlichen hinreichende Räume zur Entfaltung geboten werden. Dieses ist auch im Hinblick auf die räumlichen wie finanziellen Ressourcen sowie die Versorgung mit hauptberuflich Mitarbeitenden sowie im Hinblick auf die Mechanismen der Zuweisung von Finanz mitteln zu betrachten.
  • In der Vorbereitung des Reformationsjubiläums im Jahre 2017 ist es wichtig, dass die Arbeit mit Jugendlichen auch in internationaler Dimension einen besonderen und deutlich sichtbaren eigenen Stellenwert erhält. Jugendliche und Jugendverbände sollten entsprechend die Möglichkeit bekommen und ergreifen, sich zu beteiligen.
  • Die Kirchenleitungen sollten sich in Wahrnehmung ihrer gesellschaftspolitischen Verantwortung für eine konsequente bundesdeutsche und europäische Jugendpolitik und innerkirchliche europäische Netzwerke einsetzen.

4.3 Vielfältigen Lebenslagen durch vielfältige Angebote begegnen

Kirchliche Arbeit mit Jugendlichen steht vor der Herausforderung, dass die Bedürfnisse von Jugendlichen je nach Lebenssituation sehr verschieden sind. Allen Jugendlichen gemeinsam ist der Wunsch nach Anerkennung und Selbstwirksamkeit. Insbesondere Jugendliche mit prekärem sozialem Hintergrund in schwierigen Lebenssituationen bedürfen der Unterstützung, da sie sich Anerkennung und Selbstwirksamkeit nicht (oder nur destruktiv) selbst erarbeiten können. Jugendarbeit sollte - an welchen Orten auch immer, unabhängig davon, ob es sich um die Arbeit in einem Jugendwohnheim, einer Schule oder einer Jugendgruppe handelt - das Einüben in die Gestaltung von Gesellschaft, in kritische Zeitgenossenschaft ermöglichen und zur Inklusion in unsere Gesellschaft beitragen. Die Aufgabe kirchlicher Arbeit mit Jugendlichen kann darin gesehen werden, die vorhandenen Intuitionen und Sensibilitäten Jugendlicher in das Licht kommunikativer Praxis zu rücken und Jugendliche dazu zu ermutigen, sich ihrer Orientierungsmuster, Handlungsmotive und Lebensentwürfe bewusst zu werden. Dazu ist es notwendig, ihnen Raum zur Selbstdeutung zu eröffnen und sie zugleich zur aktiven Mitgestaltung ihres Umfeldes zu motivieren.

Diese Überlegungen bedeuten konkret:

  • Gliedkirchen, Kirchenkreise und Gemeinden sollten sich um ein vielfältiges und vielgestaltiges Angebot für Jugendliche bemühen. Ein solches Angebot müsste unterschiedliche Arbeitsformen (feste Gruppen, offene Arbeit, Internetarbeit, wöchentliche Treffen, Freizeiten, KonfiCamps, Homepages, Handy-Arbeit etc.) umfassen. Angesichts der Entwicklung zur Ganztagsschule liegt es nahe, neue Formen der Kooperation zwischen Jugendarbeit und Schule zu erproben und auszubauen (vgl. "Ganztagsschule ­in guter Form!", EKD 2004).
  • Angesichts der Strukturentwicklungen in vielen Regionen (demographische Entwicklung, weniger werdende Schulstandorte, Abwanderung etc.) sollten neue Modelle kirchlicher Arbeit mit Jugendlichen, die über die traditionelle Kirchengemeinde hinausgehen, entwickelt werden. Landeskirchen und Kirchen kreise können sich dabei gegenseitig unterstützen und voneinander lernen. Dabei darf der Religionsunterricht nicht fehlen. Ebenso ist es wichtig, Jugendliche an der Entwicklung solcher Konzepte zu beteiligen.
  • Der Traditionsabbruch in Ostdeutschland hat dazu geführt, dass überwiegend Jugendliche aus einem kirchennahen Milieu zur Kirche finden. Um auch Jugendliche außerhalb der Kirche mit Religion und Glaube in Kontakt zu bringen, ist es von Bedeutung, niedrigschwellige Angebote sowie Angebote der schulkooperativen Arbeit zu stärken.
  • Angebote für Jugendliche in Risikolebenslagen sollten hohe Aufmerksamkeit erfahren. Da diese Bevölkerungsgruppen beispielsweise selten in Gemeinde vorständen oder unter ehrenamtlichen Jugendgruppenleitern vertreten sind, befinden sie sich weniger im Blick. Deshalb ist es angebracht, auf Angebote für diese Gruppe ein besonderes Augenmerk zu richten.
  • Auf Angebote für Jugendliche mit Migrationshintergrund sollte in besonderer Form geachtet werden, da sie in kirchlich-gemeindlichen Zusammenhängen außer in gezielten Projekten für und mit Migrantinnen und Migranten eher am Rand vorkommen. Durch Angebote evangelischer Jugendarbeit und Jugendsozial arbeit können sie unterstützt werden, damit sich ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten, ihre sozialen Kompetenzen und damit auch ihre Ausbildungschancen verbessern.
  • Dieser Vielgestaltigkeit des Angebots sollte bei der Weiterentwicklung des Gemeindebegriffs Rechnung getragen werden. Eine christliche Gemeinde kann als hervorragender Ort verstanden werden, an dem sich Menschen um ihrer selbst und um der anderen willen versammeln. Ein solch weiter Gemeindebegriff geht über die Ortsgemeinde hinaus. Für diesen Gemeindebegriff gilt es Kriterien zu entwickeln.

4.4 Sich für Gerechtigkeit einsetzen

Jugendliche sind in besonderer Weise von den Problemen mangelnder Beteiligungs-, Verteilungs- und Befähigungsgerechtigkeit betroffen. Jugendliche in schwierigen Lebenslagen bedürfen der vielfältigen Unterstützung. Viele Jugendliche machen sich Sorgen um die Zukunft und sind in besonderer Weise von einer nicht nachhaltigen Wirtschaftsweise betroffen. Gerechtigkeitsfragen sind damit nicht nur in der Gegenwart, sondern auch auf der Zeitachse zwischen den Generationen ein Thema. Kirchliches Handeln gegenüber Jugendlichen sollte an diesen Stellen parteiisch sein und sich für Gerechtigkeit sowohl in der Gegenwart als auch im Verhältnis zur Zukunft einsetzen.

Diese Überlegungen bedeuten konkret:

  • Die Träger der kirchlichen Arbeit mit Jugendlichen müssen sich kritisch daraufhin befragen lassen, ob sie für Jugendliche in schwierigen Lebenslagen hinreichende Angebote, auch außerhalb der Jugendhilfe, zum Beispiel im Bereich der Konfirmandenarbeit, bereithalten. Hauptamtlich Mitarbeitenden sind dafür Unterstützungssysteme anzubieten, zum Beispiel durch Formen der Vernetzung von Angeboten zwischen Jugendhilfe und Konfirmandenarbeit.
  • Nach wie vor haben kirchliche Räume, Symbole, Rituale, aber auch Angebote wie Telefon- und Notfallseelsorge in individuellen und gesellschaftlichen Krisensituationen eine hohe Bedeutung und starke Integrationskraft, besonders auch für Jugendliche in Risiko- und Konfliktsituationen (bei Sucht, Essstörungen, körpergefährdenden Praktiken, sexueller Gewalt, Risikosport, Mutproben, Drogenkonsum etc.). Diese Angebote sollten unbedingt beibehalten werden.
  • Die Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit ist für die Kirche eine Aufgabe, der sie sich mit eigenen Programmen zur Beschäftigung von Jugendlichen, mit Unterstützungsmaßnahmen zur Qualifizierung Jugendlicher, mit Lobbyarbeit und mit qualitativ hochwertigen beruflichen Bildungsangeboten zu stellen hat.
  • Die Begleitung von Jugendlichen in schwierigen Lebenssituationen erfordert eine besondere Professionalität. Die Kirche sollte diese Mitarbeitenden ausbilden, sie einstellen, weiterbilden und professionell wie seelsorgerlich bei ihrer schwierigen Aufgabe unterstützen.
  • Die Kirche könnte ihr eigenes Potenzial stärker nutzen, indem erfolgreiche Persönlichkeiten mit Jugendlichen in Verbindung gebracht werden. Beruflich erfolgreiche Mentorinnen und Mentoren können für Jugendliche in schwierigen Lagen einen eindrucksvollen Kontrast zu ihren bisher erlebten Kontexten darstellen und neue Horizonte eröffnen; gleichzeitig kann diese Erfahrung auch für beteiligte Mentorinnen und Mentoren wertvoll sein. Derartige Programme bedürfen allerdings zur Vermeidung von Frustrationen einer professionellen Begleitung und Unterstützung. Hier sind in Gemeinden noch viele ungenutzte Möglichkeiten zu vermuten.
  • Nötig ist auch die fortwährende Sensibilisierung für Fragen der Gerechtigkeit. Dies gilt auch in der Arbeit mit Jugendlichen. Kirchliche Bildungspraxis sollte weniger von einer mangeln den Sensibilität für Werte- und Verantwortungsfragen unter Jugendlichen ausgehen, sondern zur Begründung von Gerechtigkeit beitragen und Jugendlichen in diesen Fragen zu Sprachfähigkeit verhelfen. Hierin liegt eine konzeptionelle Herausforderung für die ethische Bildung von Jugendlichen.
  • Die Aktivitäten der evangelischen Entwicklungszusammenarbeit sind konzeptionell besser mit der Arbeit für Jugendliche zu verknüpfen. In diesem Bereich liegt ein Potenzial für das Engagement von Jugendlichen, das über die Arbeit der Evangelischen Jugend hinaus noch in anderen Bereichen fruchtbar gemacht werden könnte, zum Beispiel durch die Vernetzung der Solidaritätsarbeit von Jugendlichen in weltweiter Perspektive.
  • Auch das eigene kirchliche Handeln ist daraufhin zu befragen, inwieweit es Jugendlichen eine Zukunftsperspektive eröffnet. Dies gilt vor allem im Hinblick auf eine nachhaltige Finanzpolitik kirchlicher Einrichtungen.

4.5 Familien unterstützen

In belasteten Kontexten zeigen sich Familien nicht selten mit der Begleitung von heranwachsenden Jugendlichen überfordert. Die Unterstützung von Familien bei dieser Aufgabe sollte deshalb als eine vordringliche Aufgabe gesehen werden.

Diese Überlegungen bedeuten konkret:

  • In allen Bereichen des kirchlichen Handelns mit Jugendlichen sollte die Sensibilität gegenüber der Aufgabe der Familie wachsen. Die immer noch in kirchlichen Kontexten anzutreffende Klage über mangelnde Erziehungsleistungen der Familie ist kontraproduktiv und verhindert, dass Familien den Kontakt zur Kirche suchen. Vielmehr sollten die Kräfte darauf konzentriert werden, Familien bei ihrer Erziehungsarbeit zu unterstützen.
  • ­Es ist wichtig, die Bezüge der kirchlichen Arbeit mit Jugendlichen zur Familie zu stärken. Hier sind spezielle Unterstützungsformen und Kommunikationsformen mit Eltern zu entwickeln.
  • Angebote der Familienbildung sollten sich stärker als bisher mit den Bedürfnissen von Jugendlichen vertraut machen.
  • Bei Formen der generationenübergreifenden Arbeit mit Jugendlichen ist besonders auf die Bedürfnisse der Jugendlichen zu achten, da diese geringere Möglichkeiten haben, ihren Bedürfnissen selber Gehör zu verschaffen.

4.6 Jugendangebote vernetzen

Eine weitere Herausforderung für die Arbeit der Kirche mit Jugendlichen besteht darin, die Vielfalt der Angebote stärker aufeinander zu beziehen. Jugendliche erleben das Angebot der Kirche manchmal als unabgestimmt und disparat bzw. können das einigende Band der Vielfalt der Angebote nicht erkennen. Von daher sollte eine bessere Planung und Abstimmung zu größerer Kohärenz führen.

Diese Überlegungen bedeuten konkret:

  • Runde Tische haben die Funktion, alle an der Arbeit mit Jugendlichen beteiligten Akteure über die jeweilige Arbeit zu informieren sowie gemeinsame Schwerpunkte, zum Beispiel in der Entwicklung neuer jugendgemäßer Arbeitsformen, zu thematisieren. Solche Abstimmungen sind auf regionaler Ebene, aber auch in den überregionalen Arbeitszusammenhängen der Gliedkirchen sinnvoll. Hier gilt es bestehende Vertretungsstrukturen (z. B. Jugend - und Schulausschüsse) miteinander zu vernetzen, sodass beispielsweise Mitglieder des Jugendausschusses auf Ebene des Kirchenkreises bzw. des Dekanates regelmäßig (jährlich, halbjährlich) gemeinsam mit denen des Schulausschusses tagen.
  • Die Studie zur Konfirmandenarbeit in Deutschland 2009 zeigt, dass die Konfirmanden arbeit mit der Jugendarbeit, der Gemeindearbeit und der Schule zu wenig vernetzt ist. 13- und 14-Jährige begreifen sich selbst als Jugendliche; damit ist die Konfirmandenarbeit eine Form kirchlicher Arbeit mit Jugendlichen. Dies ist im Selbstverständnis, in Arbeitsformen und Inhalten zu berücksichtigen.
  • Das Fortbildungsangebot für die Mitarbeitenden in der Jugendarbeit und in der Konfirmandenarbeit sowie an Schulen sollte aus den unterschiedlichen Bereichen genauer koordiniert und abgestimmt werden. Ggf. könnte ein gemeinsamer Katalog von Fortbildungsangeboten, zum Beispiel durch die Akademie für Kirche und Diakonie, pädagogisch-theologische Institute und evangelische Fachhochschulen erarbeitet werden.
  • Die Entwicklung der Ganztagsschule stellt für die Kirche eine Chance und Möglichkeit dar, die in ihrer Bedeutung noch nicht klar genug gesehen wird. Durch die Ganztags schule wird das Zeitbudget von Jugendlichen nachhaltig verändert; kirchliche Angebote müssen sich darauf einstellen. Zudem nehmen die Möglichkeiten des Engagements innerhalb der Schule auch für Jugendgruppen und Verbände zu. Die in dieser Veränderung liegende Chance kann von den verschiedenen Akteuren der Arbeit mit Jugendlichen noch deutlicher als bisher ergriffen werden. Um diese Chance zu nutzen, sind eine regionale Vernetzung der einzelnen Träger sowie die Kooperation mit Schulen (z. B. zur koordinierten Festlegung von schulfreien Zeiten) unerlässlich.

4.7 Qualifikation und Unterstützung von

Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ermöglichen Kirchliche Arbeit mit Jugendlichen wird in hohem Maße ehrenamtlich getragen. Gleichzeitig stellen hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein wichtiges Potenzial für dieses Arbeitsgebiet dar. Beide Gruppen, Ehrenamtliche wie Haupt amtliche, sollten für die Arbeit mit Jugendlichen qualifiziert und unterstützt werden.

Diese Überlegungen bedeuten konkret:

  • Angesichts des hohen Ausmaßes ehrenamtlichen Engagements in der Arbeit mit Jugendlichen verblasst in der kircheninternen Öffentlichkeit zuweilen das Profil der hauptamtlichen Mitarbeitenden. Manchmal wird sogar gefragt, ob man bei der hauptberuflichen Jugendarbeit überhaupt von einem Beruf sprechen kann. Es fehle so wird behauptet das Berufstypische, das nicht ebenso von "Laien" getan werden könne. An diesem etwas diffusen Berufs bild könnte es liegen, dass Kirchengemeinden mit der Reduzierung von Personalkosten häufig ausgerechnet bei der Jugendarbeit beginnen. Dabei wird verkannt, dass ehren amtliche Jugendarbeit sowie die Arbeit mit Jugendlichen in anderen Feldern hauptamtliche Unterstützung und Koordination braucht. Sie kann auf das höhere zeitliche Potenzial ebenso wenig wie auf die theologisch-pädagogische Professionalität verzichten. Die gute Vernetzung und Verzahnung von ehren- und hauptamtlicher Arbeit hat eine wachsende Bedeutung.
  • Für die Aus- und Weiterbildung von Haupt- wie Ehrenamtlichen in der Arbeit mit Jugendlichen ist hinreichend Sorge zu tragen. Lange Zeit reichte es in der Jugendarbeit aus, ein moderner und engagierter Christenmensch zu sein. Heute ist darüber hinaus eine "reflexive Professionalität" nötig, die die reflektierte und kritische Auseinandersetzung mit kultureller Vielfalt und religiöser Pluralität sowie Handlungsfähigkeit auch in schwierigen und unübersichtlichen Situationen ermöglicht. Es braucht ehren- wie hauptamtliche Mitarbeitende, die die Spannung zwischen Offenheit und Profilbildung der kirchlichen Arbeit mit Jugendlichen, die vagabundierende Religiosität als lockeres Netzwerk, den schnellen Wechsel zwischen Jugendkulturen und religiösen Überzeugungen, das Experimentieren mit ungewöhnlichen Glaubensformen bei gleichzeitiger Kirchenzugehörigkeit gemeinsam mit den Jugendlichen wahrnehmen, verstehen und reflektieren können. Ehren- wie hauptamtliche Jugendmitarbeitende können von geeigneten Fortbildungsangeboten profitieren. Darin liegt auch eine wichtige Möglichkeit, die Wertschätzung ihrer Arbeit deutlicher zum Ausdruck zu bringen.
  • Viele Mitarbeitende im Raum der Kirche sei es in der Jugendarbeit oder in der Schule brauchen Unterstützung in ihrem Bemühen, eine Sprachfähigkeit im Glauben zu erlangen, die an Formen, in denen Jugendliche kommunizieren, anschlussfähig ist. Viele Mitarbeitende kennen den beschriebenen Markt der religiösen Deutungen (vgl. 2.2) zu wenig, sie sind mit neuen Medien nicht vertraut und im Umgang mit unterschiedlichen Formen der Inszenierung unbeholfen. Hier ist ein deutlicher Fortbildungsbedarf erkennbar.
  • Das Ausbildungsangebot von Universitäten und Fachhochschulen wie von Ausbildungsstätten für Diakone und Fachschulen für die schulische und außerschulische Arbeit mit Jugendlichen sollte besser koordiniert sowie das Angebot für unter schiedliche Zielgruppen klarer ausgewiesen und deutlicher profiliert werden. Unentbehrlich ist angesichts der heutigen Anforderungen an Konzeptions- und Organisationsarbeit vielfach zusätzlich eine Managementkompetenz, für die sich im Blick auf Jugendarbeit noch zu wenige Anteile in den einschlägigen Studien- und Ausbildungsgängen finden.
  • Die Stellenprofile von Hauptamtlichen unterscheiden sich in den wesentlichen Bereichen der Arbeit mit Jugendlichen (Schule, Jugendverbandsarbeit, Jugendbildungsarbeit, Offene Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit) erheblich. Eine gerechte finanzielle Entlohnung stellt nach wie vor eine Herausforderung dar.
  • Das Älterwerden in der Jugendarbeit wird im Laufe der Berufstätigkeit für die größere Anzahl von Hauptamtlichen zu einer zentralen und bedrängenden Frage. Hier sind sorgfältige Formen des Personalmanagements und der Personalentwicklung gefordert, die Übergänge in andere berufliche Felder ermöglichen.
  • Kirchliche Leitungsstrukturen auf allen Ebenen sollten sich um die gegenseitige Wertschätzung von Haupt- und Ehrenamtlichen als gleichrangige Mitarbeitende Gottes bemühen. Ehrenamtliche sind nicht die Helfenden von Hauptamtlichen und Hauptamtliche nicht die Befehlsempfangenden ehrenamtlicher Leitungsgremien. Das Bild vom Leib Christi kann für die Neubestimmung des Verhältnisses von Haupt- und Ehrenamtlichen leitend sein. In diesem Zusammen hang bedarf die hauptamtliche Jugendarbeit ebenso wie die Tätigkeit auf anderen gemeindepädagogischen Feldern auch dringend der Statusklärung gegen über dem Pfarramt.

4.8 Jugendliche fördern

Ebenso wie die Arbeit mit Jugendlichen in riskanten Lebenslagen von Bedeutung ist, so ist der Aufbau evangelischer Leistungsträgerinnen und Leistungsträger primär für die Beteiligten selbst von Bedeutung, aber auch für die Kirche. Es ist wichtig, dass Jugendliche für besonderen Einsatz und besondere Fähigkeiten Unterstützung und Anerkennung erfahren. Für eine Gesellschaft ist es von Bedeutung, dass es Leistungsträger bzw. zukünftige Leistungsträger mit einer wertorientierten religiösen Orientierung gibt. Die evangelische Jugendarbeit stellte in der Vergangenheit auch immer wieder ein Reservoir für die Erneuerung der Kirche selber dar. In der Unterstützung von Jugendlichen ist gleichzeitig darauf zu achten, dass Menschen aus ganz unterschiedlichen Arbeits- und Bevölkerungskreisen in der Kirche ihren Platz finden.

Diese Überlegungen bedeuten konkret:

  • Stärker als bisher sollte in der kirchlichen Arbeit mit Jugendlichen auf die individuelle Förderung von Jugendlichen geachtet werden. In der Jugendarbeit erworbene Qualifikationen können testiert (Portfolios), besondere Aktivitäten und Leistungen herausgestellt werden.
  • Die Kirche könnte ihr eigenes Potenzial der mit ihr verbundenen Persönlichkeiten stärker mit der Arbeit mit Jugendlichen in Verbindung bringen und nutzen. Beruflich erfolgreiche Mentorinnen und Mentoren können für exponierte Jugendliche in der Jugendarbeit eine hilfreiche Unterstützung und bereichernde Erfahrung darstellen. Hier könnte es in Gemeinden noch ungenutzte Möglichkeiten der Unterstützung Jugendlicher geben.
  • In der Arbeit mit Jugendlichen können besondere Aktivitäten entwickelt oder jugendlichen Leistungsträgern die Teilnahme an besonderen kirchlichen Aktivitäten er möglicht werden (Praktika, Austausch- und Stipendienprogramme etc.).

    Es gehört wesensmäßig zur evangelischen Kirche, in ihren Formen der Verkündigung in Bewegung zu sein und in Bewegung zu bleiben. Der entscheidende Impuls dafür ist die Botschaft von der Rechtfertigung durch Gottes Gnade. Für eine reformatorische Kirche bedeutet Reformation die immer wieder neue Hinwendung zum Evangelium. Darin gründet die Formel: Ecclesia reformata semper reformanda. Die Suche nach neuen Formen in der Entfaltung der Gewissheit der Botschaft Gottes zeigt sich in besonderer Weise im kirchlichen Handeln mit und gegenüber Jugendlichen.

Die Weiterentwicklung der Arbeit mit Jugendlichen ist eine Aufgabe, die Kreativität, Freude und einen langen Atem benötigt. Sie muss sich tragen und inspirieren lassen von der Ausdruckskraft und Poesie Jugendlicher, von ihren Bedürfnissen und Fragen. Sie schöpft ihre Kraft und Gewissheit aus dem Wissen um die Lebendigkeit und die Anziehungskraft des Evangeliums und braucht deshalb nicht verzagt ans Werk zu gehen. Die hier aufgezeigten Visionen können sich auf dem Weg verändern, konkretisieren und vielfältige interessante Formen annehmen.

Die Weiterentwicklung der Arbeit mit Jugendlichen bedarf dazu der klaren Unterstützung auf allen Ebenen kirchlichen Handelns: bei kirchenleitenden Gremien, in Landeskirchen, Kirchen kreisen und Gemeinden, in Gruppen und Familien. Sie bedarf finanzieller Unterstützung und sie braucht die Ermöglichung von Freiräumen und Teilhabe. Schließlich: In ihr zeigt sich die Gegenwart und die Zukunft der Kirche. Denn in der Arbeit mit Jugendlichen zeigt sich, was Kirche gegenwärtig und zukünftig bedeutet.

Kirche und Jugend. Lebenslagen, Begegnungsfelder, Perspektiven

Nächstes Kapitel