Nachrichten für die Hoffnung
Das Journalistenprojekt „Amal, Berlin!“ produziert Nachrichten von Flüchtlingen für Flüchtlinge
Die Website „Amal, Berlin!“ ist Ergebnis eines Projektes, das im Sommer 2016 in der Evangelischen Journalistenschule begann. Zehn Journalisten und Journalistinnen, die als Flüchtlinge gekommen sind, produzieren hier täglich Nachrichten für ihre Community.
Berlin, hinter dem Bahnhof Zoo, Jebensstraße 3, Mitte Dezember, Redaktionskonferenz des Teams von „Amal, Berlin! – Hoffnung, Berlin": Acht Journalisten und Journalistinnen aus fünf Ländern kommen zusammen, um an ihrem Projekt weiterzuarbeiten. Das Ziel: Eine tagesaktuelle Website mit Nachrichten aus Berlin, geschrieben auf Farsi und Arabisch für Flüchtlinge, die in der Stadt leben. Jeden Tag um elf sollen die Nachrichten online sein, nicht nur zur Flüchtlingspolitik, der Bundesregierung oder des Landes Berlin, auch Stadtgeschehen, Sport oder Kultur sollen vorkommen. Recherchiert und geschrieben werden die Nachrichten von Medienprofis aus Syrien, Iran, Afghanistan und Ägypten, die selber aus ihrer Heimat geflohen sind und nun in Deutschland journalistisch arbeiten wollen. Redaktionssprache ist Englisch mit gelegentlichen Ausflügen ins Arabische. Heute soll das Layout der Website besprochen werden, der Webdesigner, ein Franzose, wirft mit einem Beamer seine Entwürfe an die Wand. „Kann man die Farben noch ändern?“ „Wie bekomme ich einen Artikel auf die Website?“ „Wo baue ich einen Link zu YouTube ein?“ Noch läuft nicht alles rund, aber es sind auch noch einige Wochen Zeit, bis die Website online geht. In diesen Wochen soll es soweit sein.
Umfassende Aus- und Weiterbildung
Geleitet wird das Projekt von zwei deutschen Journalistinnen, den Schwestern Cornelia und Julia Gerlach. Sie hatten im November 2015 die Idee, ein Projekt mit und für Journalisten auf die Beine zu stellen, die in Berlin als Flüchtlinge leben. „Das Kriterium war, dass die Teilnehmer vor ihrer Flucht mit journalistischer Arbeit Geld verdient haben“, sagt Cornelia Gerlach, die als langjährige Dozentin an der Evangelischen Journalistenschule auf der Suche nach einem Träger für das Projekt eben dort die Idee vortrug und auf positive Resonanz stieß. Doch es ging nicht nur um Büroräume und Logistik, „Amal“ musste auch finanziert werden. Dabei arbeiten die Teilnehmer ohne Honorar, bekamen allerdings in den ersten zwei Monaten eine umfassende Aus- und Weiterbildung, lernten das deutsche Presserecht kennen und die Art und Weise, wie hierzulande Journalismus gemacht wird. Dazu brauchte man Dozenten, ein wenig Equipment und Know-how. Die EKD übernahm die Anschubfinanzierung, 87 000 Euro für ein Jahr.
Größere Freiheit
Vierzig Bewerbungen gingen ein, nachdem das Projekt auf verschiedenen Websites ausgeschrieben war, zehn Journalisten und Journalistinnen wurden ausgewählt, sechs aus Syrien, zwei aus Afghanistan und jeweils eine(r) aus Ägypten und aus dem Iran. Einer von ihnen ist Abdol Rahman Omaren. Der 37-jährige Syrier lebt seit knapp zwei Jahren in Deutschland. Er hat vor seiner Flucht in Damaskus und in Dubai als Produzent von TV-Beiträgen gearbeitet und über einen Freund von dem Projekt erfahren. „Mir war wichtig, die Möglichkeit zu haben, als Journalist zu arbeiten", beschreibt er seine Motivation. Ihm ist es wie allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern wichtig, nicht immer nur über seinen Status als Flüchtling, sondern gerade auch über seine Arbeit definiert zu werden. Deshalb ist er stolz darauf, dass der Berliner Tagesspiegel im vergangenen Jahr eine ganzseitige Geschichte von ihm abgedruckt hat, die nicht von seiner Flucht und seinem Leben in Deutschland handelt. Stattdessen: Die Unterschiede im Verhältnis von Hunden und Menschen in Syrien und in Deutschland. Aber er hat auch gemeinsam mit anderen Kollegen von Amal auf Zeit-Online darüber berichtet, was das Attentat auf dem nahe gelegenen Berliner Breitscheidplatz in ihm angerichtet hat. „Der LKW, der Unschuldige auf dem Weihnachtsmarkt von Berlin tötete, hat auch mein Herz und das Herz vieler anderer in Deutschland überfahren", ist dort zu lesen.
Mittlerweile hat er genug Erfahrungen in Deutschland gesammelt, um auch die Unterschiede im journalistischen Arbeiten hierzulande und in seiner Heimat zu benennen. „Die Hierarchien innerhalb der Redaktion sind flacher, die Freiheiten sind größer. Man kann seine Meinung sagen, ohne Angst haben zu müssen.“ Gleichzeitig war es schon befremdlich für ihn, dass die Journalisten des Projekts selber morgens ihren Kaffee selber kochen. „Das würde in Dubai immer ein Bürojunge übernehmen.“ Doch auch die eigentliche journalistische Arbeit unterscheidet sich von der in Syrien und Dubai. So haben Journalisten in Deutschland neben der grundgesetzlich geschützten Pressefreiheit besondere Rechte, etwa das auf Informationen von einer Behörde. Doch dem stehen Pflichten gegenüber und strengere handwerkliche Regeln. Der Faktencheck im Rahmen von Interviews und das Überprüfen der Quellen sind Teil der Arbeit, das sei in Syrien nicht immer der Fall. „Man kann eigentlich schreiben was man will, nur nicht über den Präsidenten.“ Die presserechtlichen Grundlagen in Deutschland im Rahmen des Workshops zu lernen, sei eine der Herausforderungen gewesen.
Über Persönliches wird wenig geredet
Eine andere war der Umgang der Teilnehmerinnen und Teilnehmer miteinander. Christen, Muslime und Atheisten sitzen hier an einem Tisch und auch die unterschiedlichen Nationalitäten würden in anderen Zusammenhängen ein friedliches und konstruktives gemeinsames Arbeiten kaum ermöglichen. Dass es bei Amal dennoch funktioniert, liegt an einigen Regeln, die aufgestellt wurden. „Wir diskutieren über unsere Arbeit, aber wir streiten nicht über Religion oder Politik in Syrien oder Iran. Aggressionen untereinander wollen wir vermeiden."
Das gelinge in der Regel, sagt Cornelia Gerlach, auch wenn Konflikte und Reibungen immer wieder zu spüren seien. Dies habe sie öfter „ausgelaugt“, aber die Konzentration auf das journalistische Projekt helfe auch den beiden Leiterinnen, ihre Grenzen zu definieren. „Wir reden wenig über Biographien, die persönliche Geschichte nimmt in der Redaktionsarbeit keinen großen Raum ein.“ Denn klar ist, das „Amal“ nicht der Ort ist, um die zahlreichen Verletzungen und Traumata der Teilnehmer aufzuarbeiten. „Das würde uns überfordern. Aber es ist ein bisschen wie bei den Trümmerfrauen, wir bieten einen verlässlichen Rahmen für diejenigen, die trotz schlimmer Erfahrungen etwas Neues auf die Beine stellen wollen.“ Das entspricht offenbar der Haltung der Teilnehmer. Keiner sei abgesprungen, und die Motivation sei hoch. So hätten an einem Übungstag, als eigentlich nur das Filmen mit dem Handy auf dem Programm stand, einige Teilnehmer die Gelegenheit genutzt, mit Polizisten gesprochen und das Thema Taschendiebe am Bahnhof Zoo recherchiert.
Mittlerweile ist es Anfang Januar, die Redaktion produziert tägliche Nachrichten für die Website, die noch im Offline-Modus läuft. In der Konferenz wird jede Meldung diskutiert, einzelne Formulierungen besprochen und zum Teil korrigiert. Julia Gerlach, die sieben Jahre lang als Korrespondentin in Kairo für verschiedene Print-Medien arbeitete, wechselt vom Englischen ins Arabische und zurück, denn noch immer tun sich einige Teilnehmer mit der Redaktionssprache schwer. „Das Arbeiten in drei Sprachen ist komplizierter als gedacht“, sagt auch Cornelia Gerlach. Dennoch ist sie zuversichtlich, dass „Amal“ ab Februar wie geplant online gehen kann. Wenn das Projekt gut läuft, wollen sich die beiden deutschen Journalistinnen nach und nach zurückziehen und den Teilnehmern die Leitung übergeben.
Dass es für eine solche Website genug Interessenten gibt, glaubt auch Abdol Rahman Omaren. Er habe mit vielen Menschen aus seiner Community gesprochen und sei dort auf positive Resonanz gestoßen. Allerdings hätten sie ihm eine wichtige Botschaft mit auf den Weg gegeben, damit „Amal“ Erfolg hat: „Versucht nicht über uns zu reden, sondern vor allem mit uns.“
Stephan Kosch (aus: zeitzeichen 2/2017)