Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive
Eine Denkschrift des Rates der EKD, Hrsg. Gütersloher Verlagshaus, 2008, ISBN 978-3-579-05905-1
4. Unternehmer und Arbeitnehmer
Zwischen Unternehmern und Arbeitnehmern besteht eine ungleichgewichtige Beziehung, aus der Unternehmern eine besondere Verantwortung erwächst.
4.1 Schaffung, Erhalt und Abbau von Arbeitsplätzen
Unternehmen sind dynamisch und mit ihnen auch die Arbeitsplatzentwicklung. Unternehmer müssen diesen Prozess in fairer Partnerschaft mit al en Betroffenen verantwortlich gestalten.
- Durch den erhöhten Wettbewerbsdruck müssen sich Unternehmen auch intern immer schneller an neue Situationen anpassen. Geschäftsziele müssen erreicht und gleichzeitig Veränderungsprozesse mitgestaltet werden. Daraus erwächst eine permanente Herausforderung für die Organisation und ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Die Unternehmensleitung wählt die Mitarbeiter aus, führt sie, entscheidet, wie sie zusammenarbeiten und mit welchen Prozessen die Geschäftsziele erreicht werden. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen als Kompetenz-, Wissens- und Leistungsträger im Unternehmen sind für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen von entscheidender Bedeutung. Ihre Kompetenz und ihr Einsatz entscheiden über Erfolg und Misserfolg. Deshalb sehen Unternehmer eine weitgehend deckungsgleiche Verantwortung gegenüber dem Unternehmen und den dort Beschäftigten. Im Blick auf diese Verantwortung für die Menschen im Unternehmen werden spezifische moralische Anforderungen an Unternehmer und Führungskräfte gestellt. Unternehmenskultur und Personalführung sind von entscheidender Bedeutung. Unternehmerische Führung gibt Ziele vor, muss Vertrauen schaffen und Wertmaßstäbe setzen.
- Mitarbeiterengagement und damit die Leistungsfähigkeit des Unternehmens lassen sich über das Vorleben von Werten und über das Verhalten von Führungskräften beeinflussen. Der Eigentümer-Unternehmer trägt die Hauptverantwortung und das Risiko für den Erfolg des Unternehmens, Manager sind von den Aufsichtsräten mit der Führung beauftragt worden. Führen bedeutet deshalb in erster Linie, auch den Führungskräften und Mitarbeitern Verantwortung vorzuleben. Sie müssen ebenfalls bereit sein, Verantwortung zu übernehmen und eine ganzheitliche Sicht zu entwickeln, Risiken abzuwägen und einzugrenzen. Abrupte, begründungslose, allein durchsetzungsorientierte Veränderungen zerstören das "Vertrauenskapital" unter den Beschäftigten, das jedes Unternehmen braucht. Besondere Bedeutung kommt dabei einer umsichtigen und transparenten Personalentwicklung zu. Kreativität und Leistungsbereitschaft der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen können auf Dauer nur dadurch erhalten werden, dass sie sich im Unternehmen wertgeschätzt und gefördert erfahren. Insbesondere werden Instrumente der Talentförderung und des lebenslangen Lernens gebraucht. Kurzfristig orientierten Unternehmen erscheint dies oft als zu kostenaufwändig.
- Die notwendigen Veränderungsprozesse in einem Unternehmen können nicht gegen die Mitarbeitenden erfolgreich bewältigt werden. Unter ständig wechselnden Rahmenbedingungen kommt einer flexibilitätsfördernden und zugleich stabilitätsstiftenden Unternehmenskultur eine wachsende Bedeutung zu. Entscheidende Elemente einer zukunftsfähigen Unternehmenskultur sind Veränderungsbereitschaft und Lernfähigkeit. Sie tragen dazu bei, Anpassungsprozesse zu unterstützen, die Bewahrung von Unternehmens- und Verhaltenswerten zu erleichtern und das Miteinander aller Unternehmensebenen zu fördern. Werte stehen Veränderungsprozessen nicht im Weg. Im Gegenteil: Wenn ein Unternehmer notwendige Veränderungen ehrlich kommuniziert und die Mitarbeiter sich auf seine Unterstützung verlassen können, wenn auch ihre Bedürfnisse Eingang in die Unternehmenskultur finden, werden sie bereit sein, solche Prozesse konstruktiv zu unterstützen und damit im Ergebnis effizienter zu gestalten.
- Unternehmerisches Handeln zielt auf die Bereitstellung von Produkten und Dienstleistungen. Dazu ist eine Dynamik in der Wirtschaft notwendig, die ständig zu Umstrukturierungen auch in den Unternehmen führt. Das kann den Verlust von Arbeitsplätzen an der einen Stelle zugunsten neuer Arbeitsplätze an einer anderen Stelle bedeuten, im Einzelfall aber auch, dass ein Unternehmer Entlassungen vornehmen muss, um die Zukunft des Unternehmens zu sichern. Denn die Märkte sind letztlich auf die Bedürfnisse der Konsumenten, nicht auf die der Produzenten ausgerichtet. Hohe Gewinne sind noch kein hinreichendes Signal dafür, dass Unternehmen Arbeitsplätze schaff en könnten. Sie zeigen lediglich an, dass in der Vergangenheit die Wünsche der Verbraucher besonders gut befriedigt wurden. Mehr Arbeitsplätze vorzuhalten, als zur Erstellung der Güter benötigt werden, führt auf Dauer in eine unverantwortliche Kostenspirale. Dennoch haben Unternehmer und Führungskräfte die Verantwortung, alles in ihrer Macht Stehende für den Erhalt von Arbeitsplätzen zu tun. Dem kommt ein besonders hoher ethischer Wert zu. Denn anders als beim effizienten Umgang mit anderen Ressourcen handelt es sich bei den Mitarbeitenden um dem Unternehmer anvertraute Menschen. Über sie kann nicht wie über Sachen verfügt werden sie sind keine Mittel zum Zweck, sondern bringen in das Unternehmer ihre eigene unverrechenbare Würde ein.
- Entlassungen sind für die Betroffenen nicht nur mit Gefühlen der Entwertung verbunden, sondern oft auch mit existenziellen Problemen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verdienen Anerkennung, Respekt und rechtzeitige persönliche Information bei Veränderungsprozessen. Entscheidungen, die sie und ihre Familien existenziell betreffen, sollten immer so vollzogen werden, dass sich Führungskräfte und Beschäftigte dabei im wahrsten Sinne des Wortes in die Augen sehen. Darüber hinaus sollten, wo immer möglich, Qualifikationen vermittelt werden, die den Übergang in ein anderes Arbeitsverhältnis erleichtern. Daran ist zu erinnern, wenn insbesondere Großunternehmen so genannte "Restrukturierungen" vornehmen und es nicht einmal für nötig befinden, die betroffenen, oft langjährigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über die Gründe persönlich aufzuklären. Freiheit und Verantwortung sind hier auch deshalb nicht zu trennen, weil eine Verrohung der Sitten unmittelbar auf die Motivation der verbleibenden Arbeitskräfte durchschlägt und auch den wirtschaftlichen Fortbestand des Unternehmens gefährden kann.
- In mancher Hinsicht können familiengeführte Unternehmen auch für große Kapitalgesellschaften Vorbilder für den verantwortungsvollen Umgang mit Krisen in der Arbeitsplatzsicherheit sein. In einigen Bereichen von Handwerk, Handel und Dienstleistung führen die persönlichen Bindungen zwischen Betriebsinhabern, ihren Familien und den Arbeitnehmern in der "Betriebsfamilie" in der Regel zu dauerhafteren Beschäftigungsverhältnissen. Diese Beziehungen und die persönliche Kenntnis und Verantwortung um die sozialen und familiären Folgen eines Arbeitsplatzverlustes für die Mitarbeiter gehen zum Teil sehr weit bis hin zur persönlichen Verschuldung des Unternehmers, ehe betriebsbedingt Kündigungen ausgesprochen werden. Auch bei größeren, familiengeführten Unternehmen können problematische Entscheidungen nicht auf einen anonymen Kapitalmarkt geschoben werden. In der Regel verantworten die Inhaber diese Entscheidungen persönlich, was auch zu einer höheren Verantwortung gegenüber ihren Beschäftigten führt.
- Menschliche Arbeit ist weit mehr als nur ein technisches Geschehen. Sie ist eine Gelegenheit, Freiheit und Kreativität zum Ausdruck zu bringen, und sollte deswegen entsprechend organisiert sein. Durch die Arbeit schaff en wir nicht einfach mehr, sondern wir werden zu mehr. Auch die Härten der Arbeit können in dieser Hinsicht befreiende Bedeutung haben. Allerdings ist kreative Arbeit nicht nur befreiend, sondern kann auch an die Substanz gehen. Diejenigen, deren Aufgabe darin besteht, die Arbeit anderer zu steuern, sollten deswegen darauf achten, dass sie in einer Weise geordnet wird, die diesen Grundgedanken entspricht. Den Arbeitnehmern muss ein möglichst großes Maß an Handlungs- und Entscheidungsspielräumen eingeräumt werden, damit sie den Sinn ihrer Arbeit erkennen und deswegen in fairer Weise mit anderen kooperieren können. Das Ziel ist erreicht, wenn sie ein Gefühl von Verantwortung für ihr Tun entwickeln können und in dieser Hinsicht Eigentümern und Managern auf Augenhöhe begegnen. Eine gut ausgebildete und durch vielfältige Beteiligung motivierte Belegschaft bildet betriebswirtschaftlich das für den Erfolg des Unternehmens entscheidende Kapital in Form der vielfältigen Arbeitsvermögen der Arbeitnehmer. Die Freisetzung der kreativen Energie einer solchen Mitarbeiterschaft vermag deren Effektivität tief greifend zu verändern. Das Ergebnis ist Wachstum auf stabiler Grundlage. Das Blockieren kreativer Energien hingegen führt zu Frustration, Apathie und Unmut.
- Die Arbeitswelt unterliegt einem enormen Wandel. Wesentliche Einflussfaktoren sind die fortschreitende internationale Arbeitsteilung und der beschleunigte technische Fortschritt. Auch der demografische Wandel verändert die Arbeitswelt tief greifend und umfassend. Dies führt auch dazu, dass die bisherige Abfolge von Lernen, Arbeiten und Ruhestand an Bedeutung verliert. Vielmehr wechseln sich Phasen der Bildung, des privaten und des beruflichen Engagements ab. Qualifikation, Erfahrung und Lernbereitschaft erhöhen die Beschäftigungsfähigkeit des Einzelnen und damit die Chance auf ein erfülltes berufliches Leben. Auf einem zunehmend flexiblen Arbeitsmarkt werden Beschäftigte immer mehr zu Unternehmern ihrer eigenen Fähigkeiten und Kenntnisse.
Mehr Flexibilität im Berufsleben stellt nicht nur eine Herausforderung für Arbeitnehmer dar, sondern eröffnet auch neue Freiräume und Perspektiven. Für Unternehmer bedeuten Flexibilisierung und Individualisierung von Arbeit neue Anforderungen im verantwortungsvollen Umgang mit den Mitarbeitern. Flexibilität, die sowohl die Interessen der Unternehmen als auch der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, z. B. im Blick auf eine familienfreundliche Arbeitskultur, fördert, ist für beide Seiten ein Gewinn. Auch die Reform der Sozialsysteme in Deutschland muss diesen vielfältigen Veränderungen Rechnung tragen. Notwendig sind nachhaltige Strukturreformen insbesondere auch bei der Finanzierung der Sozialversicherungen, um unangemessene Belastungen der Arbeitsverhältnisse abzubauen und Spielräume für die private Vorsorge zu erweitern. - Der sich bereits jetzt abzeichnende Mangel an qualifizierten Fach- und Führungskräften wird sich aufgrund der demografischen Situation in den nächsten Jahren verstärken. In diesem Zusammenhang müssen auch alle Ressourcen ausgeschöpft werden, die mit der Einstellung und Förderung hoch qualifizierter Frauen verbunden sind. Bereits die Hälfte der Hochschul-Absolventen ist heute weiblich. Frauen sind beruflich so gut qualifiziert wie nie zuvor und hoch motiviert. Erwerbsarbeit ist auch für Frauen mit Kindern selbstverständlicher Teil ihrer Lebensplanung. Aus diesem Grunde ist in diesem Kapitel in der Regel ausdrücklich von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen die Rede.
Wenn Gewinnung und Erhalt von qualifiziertem und leistungsfähigen Personal von zentraler Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen ist, dann muss es darum gehen, gut qualifizierten Frauen berufliche Karrieren zu ermöglichen und sie durch familienfreundliche Arbeitsbedingungen in den Unternehmen zu halten, wenn sie Kinder zu betreuen haben. Die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit setzt ein bedarfsgerechtes Angebot an Kinderbildungs- und -betreuungseinrichtungen voraus. Neben der öffentlichen Hand sind auch Unternehmen gefragt, sich am Abbau der Defizite vor allem in den alten Bundesländern zu beteiligen. Damit ist es jedoch nicht getan. Mütter und Väter gleichermaßen benötigen auch eine familienfreundliche Arbeitskultur, die es ihnen erlaubt, Familien- und Erwerbsarbeit in Übereinstimmung zu bringen und beide Lebensbereiche partnerschaftlich miteinander zu teilen. Die mittlerweile vorhandenen Erfahrungen und Studien sowohl zur Umsetzung von Chancengleichheit in Unternehmen als auch zu familienfreundlichen Arbeitsbedingungen weisen positive Effekte für Unternehmen wie für die Beschäftigten nach. - Generell bedeutet das Schrumpfen der Erwerbsbevölkerung ein unmittelbares Risiko für die zukünftige Wirtschaftsentwicklung. Die Folge wird ein gravierender Fachkräftemangel sein, wenn ältere Arbeitnehmer in den Ruhestand gehen. Abgesehen davon, dass Tätigsein auch für ältere Menschen im Sinne ihrer Teilhabe an der Gesellschaft ohnehin von großer sozialer Bedeutung ist, kommt der Beschäftigung älterer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen angesichts des demographischen Wandels immer höhere Bedeutung zu. Dies macht es um so zwingender, bei der Beschäftigung Konzepte zu verfolgen, die auf die unterschiedlichen Lebensphasen Rücksicht nehmen, und ein Umfeld zu schaff en, das generell höhere Beschäftigungsquoten von Männern und Frauen begünstigt, älteren Arbeitnehmern ernst zu nehmende und wirkungsvolle Möglichkeiten für einen späteren Ruhestand anbietet und Strategien zur Verbesserung der Arbeitsproduktivität unterstützt. Die vorhandenen Instrumente, älteren Menschen einen frühen Ausstieg aus der Arbeitswelt zu erleichtern (Altersteilzeit, Vorruhestand), sollten abgeschafft werden.
- Dem Engagement für betriebliche Ausbildung kommt in allen Unternehmen besondere Bedeutung zu. Zurzeit bilden nur etwa drei Viertel der ausbildungsberechtigten Unternehmen tatsächlich aus. Ausbildung ist aber eine Investition in die Zukunft der Unternehmen. Schon fehlen Fachkräfte in einigen Bereichen der Wirtschaft. An der Schnittstelle zwischen Schule und Arbeitsmarkt kann es eine besondere Herausforderung sein, junge Leute in die Arbeitswelt "hinein zu sozialisieren", ihre beruflichen Kompetenzen zu entwickeln und mögliche Defizite aus Schule und Elternhaus zu kompensieren. Es ist aber zugleich eine große Chance, junge Leute für eine Aufgabe zu begeistern, sie zu qualifizieren und sie erfahren zu lassen, wie anspornend Teamarbeit sein kann und was es bedeutet, sich mit seinem Betrieb zu identifizieren. Darüber hinaus haben viele Betriebe Arbeitsgemeinschaften "Schule und Wirtschaft" gegründet oder ihnen neue Impulse gegeben. Hier verdient das Handwerk besonders erwähnt zu werden. Mit knapp einer halben Million Auszubildenden und einer durchschnittlichen Ausbildungsquote von zehn Prozent (Anteil der Auszubildenden an der Gesamtzahl der Beschäftigten) bildet das Handwerk eineinhalb mal so viel aus wie alle anderen Wirtschaftsbereiche. Mit den Ausbildungsabschlüssen des Handwerks bieten sich Beschäftigungsmöglichkeiten innerhalb und außerhalb des Handwerks, so dass auch Industriebetriebe und weitere Dienstleistungsunternehmen davon profitieren. Für gute Ausbildungsperspektiven ist der besondere Einsatz der Wirtschaft nötig, der insbesondere im Rahmen des Ausbildungspaktes zugesagt und geleistet worden ist; ebenso nötig ist aber auch das Engagement von Bund und Ländern, von Sozialpartnern, von Eltern und von den Jugendlichen selbst.
4.2 Mitbestimmung und Mitverantwortung
Die Beteiligung von Arbeitnehmern am Wertschöpfungsprozess berechtigt in der Tradition der Sozialpartnerschaft zur Mitbestimmung und erfordert Mitverantwortung für die Dynamik der Unternehmensexistenz. Mitbestimmung kann das notwendige Vertrauenskapital schaffen.
- Die Unternehmenskultur muss sich auch im Verhältnis zwischen Arbeitnehmervertretung und Unternehmensführung beweisen. Dafür gilt es, den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit in den Mittelpunkt zu stellen. Gesetzliche Einzelregelungen stellen einen belastbaren Rahmen dar, in dem sich eine auf Vertrauen und nicht auf Paragrafen basierende Kultur der Arbeitsbeziehungen entfalten kann. Die Rolle der Arbeitnehmervertretungen in den Betrieben nimmt in der modernen Wirtschaftswelt eine immer größere Bedeutung bei der Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen ein. Auf der Grundlage einer wertegegründeten Unternehmenskultur muss Beteiligung flexibel, schnell und zuverlässig für alle Seiten erfolgen können. Nur so lässt sich eine umfassende Arbeitnehmerbeteiligung veränderten Bedürfnissen anpassen, ohne die Mitbestimmung selbst in Frage zu stellen.
- In diesem Zusammenhang muss die Mitbestimmung diskutiert werden. Sie dient der Partizipation der Arbeitnehmer an Entscheidungen und Vorgängen in den Betrieben und Unternehmen. Mitbestimmung kann dazu helfen, Vertrauen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen auf der einen Seite und den Führungskräften in den Unternehmen auf der anderen Seite auf- und auszubauen. Und Vertrauen ist in unserer komplexen, arbeitsteiligen Wirtschaft im wahrsten Sinne des Wortes Geld wert. Die Mitbestimmung hat sich in Deutschland im Grundsatz bewährt. Sie kann dazu beitragen, Mitarbeiter zu motivieren und sich mit ihrem Betrieb und Unternehmen zu identifizieren, aber auch dazu, notwendige Umstrukturierungsprozesse zu unterstützen.
Die betriebliche Mitbestimmung gewinnt zunehmend an Bedeutung. Durch tarifvertragliche Öffnungsklauseln und gesetzliche Regelungen erhalten die Betriebspartner größere Gestaltungsmöglichkeiten für Vereinbarungen auf betrieblicher Ebene. Die hohe Zahl erfolgreicher betrieblicher Bündnisse für Arbeit wäre ohne eine kontinuierliche, vertrauensvolle Betriebspartnerschaft nicht möglich. - In den international tätigen Unternehmen steht die Mitbestimmung auf Unternehmensebene allerdings stärker denn je unter dem Einfluss europäischer und internationaler Entwicklungen. Internationale Kapitalmärkte, die Globalisierung von Investitionsentscheidungen und der europäische Binnenmarkt haben Einfluss auf gesellschaftsrechtliche Strukturen international tätiger Unternehmen. In der Europäischen Union bestehen unterschiedliche Formen der Mitbestimmung auf Betriebs- und Unternehmensebene. Die deutsche Unternehmensmitbestimmung nach den gesetzlichen Regelungen von 1976 für Kapitalgesellschaften mit mehr als 2.000 Arbeitnehmern ist mit der paritätischen Besetzung des Aufsichtsrates ein weltweit einmaliges Modell. Die Unternehmensmitbestimmung soll die Unternehmenskontrolle nicht lediglich den Eigentümern bzw. Gesellschaftern überlassen, sondern hieran auch die Arbeitnehmer beteiligen. Neben der betrieblichen Mitbestimmung werden damit auch auf Unternehmensebene Arbeitnehmervertreter bei grundlegenden Entscheidungen mit in die Verantwortung einbezogen. Vonseiten der Kirchen wurden die entsprechenden Regelungen deswegen begrüßt.
- Im Hinblick auf internationale Entwicklungen ergibt sich die Notwendigkeit, die deutsche Unternehmensmitbestimmung fortzuentwickeln. Aufgrund der europäischen Rechtssetzung ergeben sich Einflüsse, z.B. durch die Bildung europäischer Unternehmensrechtsformen. Die aus deutscher Sicht begründbaren Besonderheiten der deutschen Unternehmensmitbestimmung werfen im Rahmen internationalisierter und globalisierter Kapitalmärkte und Standortentscheidungen Fragen auf. Es müssen z.B. Regelungen gefunden werden, um bei einem Konzern, der in vielen Ländern Arbeitnehmer beschäftigt, die Legitimation der Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat zu ermöglichen. Wenn nur eine Minderheit der Arbeitnehmerschaft des Unternehmens in Deutschland beschäftigt wird, stellt sich die Frage, wie bei der Wahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat auch die bisher nicht wahlberechtigten Arbeitnehmer im Ausland berücksichtigt werden können. Diese Legitimationsfrage wird möglicherweise in Anlehnung an entsprechende Modelle auf europäischer Ebene durch Vereinbarung zwischen Arbeitnehmern und Unternehmen gelöst werden können.
- Die Mitbestimmung in Deutschland muss sich auf Betriebs- und Unternehmensebene gerade unter den internationalen Einflüssen bewähren. Auch wenn in anderen Ländern wenig Bemühungen erkennbar sind, das deutsche Unternehmensmitbestimmungssystem zu übernehmen und vereinzelter Missbrauch und Fehlentwicklungen in Deutschland sichtbar geworden sind, wird auch in Zukunft eine intensive Beteiligung der Arbeitnehmer an den Entscheidungen in den Betrieben und Unternehmen erforderlich sein. Das gilt erst recht vor dem Hintergrund der mit der Globalisierung verbundenen Sorgen und Verunsicherungen der Beschäftigten.
4.3 Mitarbeiterbeteiligung
Die Beteiligung der Arbeitnehmer am Kapital und vor allem am Ertrag kann Vorteile auch für die Unternehmen bieten und ist eine Chance, eine gerechtere Vermögensverteilung herbeizuführen. Insbesondere die Kapitalbeteiligung birgt allerdings auch beachtliche Risiken für die Beschäftigten.
- Die Kapitalbeteiligung der Mitarbeiter ist in verschiedenen Betrieben versucht worden, hat sich oft auch bewährt und bietet für Arbeitnehmer und Arbeitgeber eine Reihe von Vorteilen: Die Unternehmen können ihre Eigenkapitalausstattung verbessern und die Identifikation der Mitarbeiter mit der Firma steigern; die Arbeitnehmer sind im Gegenzug am Erfolg des Unternehmens beteiligt. Heute sind über zwei Millionen Beschäftigte durch Belegschaftsaktien, stille Beteiligungen, Genussrechte und andere Formen der Beteiligung mit ihrem Unternehmen verbunden.
Nicht alle Unternehmen sind für diese Form der Mitarbeiterbeteiligung geeignet. Eine echte Kapitalbeteiligung ist nur bei Kapitalgesellschaften möglich, die jedoch in Deutschland eine sehr kleine Minderheit ausmachen. Bei Einzelpersonenunternehmen, die mehr als zwei Drittel der Unternehmen in Deutschland darstellen, kommt eine Mitarbeiterkapitalbeteiligung hingegen kaum in Frage. Für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen birgt die Mitarbeiterkapitalbeteiligung zudem beachtliche Risiken, da sie im Insolvenzfall ein doppeltes Risiko tragen sie verlieren neben dem Arbeitsplatz auch die erworbene Beteiligung am Unternehmen. Eine Insolvenzsicherung, die dieses Risiko absicherte, widerspräche dem Grundgedanken der Mitarbeiterbeteiligung; weder würden die Unternehmen zusätzliches Risikokapital erhalten noch würden die Beschäftigten zu echten Anteilseignern, die sowohl an den Gewinnchancen als auch an den Verlustrisiken teilnehmen. Die Entscheidung für eine Kapitalbeteiligung sollte daher von Unternehmens- und von Arbeitnehmerseite freiwillig getroffen werden. Eigentümer eines Unternehmens dürfen nicht gezwungen werden, Teile ihres Eigentums an andere zu veräußern. Genauso wenig dürfen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen verpflichtet werden, einen Teil ihres Geldes in eine bestimmte, eventuell mit Verlustrisiken behaftete Kapitalanlage zu investieren. - Unabhängig davon ist eine Ausweitung der Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sinnvoll. Hier konnten in den letzten Jahren Fortschritte erzielt werden: Mittlerweile enthalten viele Tarifverträge Regelungen, die auf der Grundlage von freiwilligen Betriebsvereinbarungen ergebnisabhängige Entgeltbestandteile ermöglichen. Dies gibt den Unternehmen Handlungsspielräume, da die Personalkosten sich ein Stück weit an die Ertragslage anpassen. In guten Zeiten zahlt der Arbeitgeber mehr; wenn es schlecht läuft, entfällt die zusätzliche Ertragsbeteiligung. Dies kann Beschäftigung sichern, da die Unternehmen bei schlechter Ertragslage weniger unter dem Druck stehen, Personal abzubauen. Probleme könnten theoretisch im Verhältnis von Ertragsbeteiligung und Tariflohn entstehen, wenn eine solche Ertragsbeteiligung bei gleichzeitiger Kürzung bzw. Minderung des Tariflohns eingeführt würde. In der Praxis stellt sich jedoch dieses Problem nicht, weil Ertrags- bzw. Erfolgsbeteiligungen immer nur als Teil einer Tariferhöhung vereinbart werden.
Die Vermögensbildung breiter Schichten der Bevölkerung ist ein wichtiges gesellschaftspolitisches Anliegen. Grundsätzlich sollte die Priorität hierbei auf der privaten Altersvorsorge liegen. Der demografische Wandel und das damit unweigerlich sinkende Leistungsniveau der gesetzlichen Rentenversicherung verlangen deutlich mehr Kapital gedeckte Altersvorsorge. Die betriebliche Altersvorsorge bietet ebenso wie die Mitarbeiterkapitalbeteiligung die Chance, an der Entwicklung der Unternehmens- und Kapitaleinkünfte teilzunehmen und dies mit deutlich geringerem Risiko und vor allem gegen Insolvenz gesichert.