Ostkirchen-Experte Reinhard Thöle: Das Konzil ist kein Ausdruck einer Kirchenspaltung
Frankfurt a.M./Heraklion (epd). Zum Abschluss des ersten großen orthodoxen Konzils der Neuzeit hat der Ostkirchenexperte Reinhard Thöle eine insgesamt positive Bilanz des Kirchengipfels auf Kreta gezogen. "Die Absage einiger Kirchen, am Konzil teilzunehmen, ist mitnichten Ausdruck einer Kirchenspaltung", erklärte der Professor an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Kolymbari auf Kreta. Auch seien von dem seit mehr als 50 Jahren geplanten Treffen positive Signale für die Ökumene ausgegangen. Thöle nahm als Beobachter an der Versammlung teil.
epd: Trägt das am Sonntag zu Ende gegangene Konzil auf Kreta in seiner jetzigen Form – nach der Absage von mehreren Kirchen – eher zur Spaltung oder zur Einheit der orthodoxen Weltkirche bei?
Reinhard Thöle: Die Absage einiger Kirchen, am Konzil teilzunehmen, ist mitnichten Ausdruck einer Kirchenspaltung, da die teilnehmenden Kirchen für die Abwesenden gebetet haben und das Moskauer Patriarchat ausdrücklich in einem Schreiben an die Synode betonte, dass es seinerseits für die Synode betet.
Kann man überhaupt noch von einem panorthodoxen, also allorthodoxen Konzil sprechen?
Thöle: Es gibt allerdings nun zwei Lesarten der Wertigkeit der Synode. Die Teilnehmenden betrachten die Zusammenkunft als die ordnungsgemäß einberufene und durchgeführte Große und Heilige Synode. Sie haben sich an die vorgesehene Geschäftsordnung gehalten und die in der Vorbereitungsphase unter Beteiligung aller erarbeiteten Textvorlagen mit geringen Änderungen komplett verabschiedet und unterzeichnet. Die nicht Teilnehmenden betrachten die Große und Heilige Synode als nicht zustande gekommen und die Ergebnisse der Synode von Kreta als nicht als panorthodox beschlossen. Zugleich muss bei jeder Bewertung aber beachtet werden, dass die Dokumente noch nicht veröffentlicht sind, so dass noch keine verlässlichen Referenztexte zur Verfügung stehen.
Wird das Konzil das Verhältnis der Orthodoxen zu nicht-orthodoxen Kirchen verändern?
Thöle: Unter den verabschiedeten Dokumenten befindet sich auch der Text zum "Verhältnis der Orthodoxen Kirche zur übrigen christlichen Welt", der die Bedeutung der zwischenkirchlichen Beziehungen für das Selbstverständnis der Orthodoxen Kirche herausarbeitet. Hervorzuheben ist, dass der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, auf der Abschlusssitzung der Synode vom Ökumenischen Patriarchen an hervorgehobener Stelle begrüßt wurde und der Wert der Ökumene für das theologische Lernen unterstrichen wurde. In seiner vor dem Abflug nach Kreta veröffentlichten Stellungnahme hatte der Ratsvorsitzende bereits betont: "Ich weiß, dass sich alle orthodoxen Kirchen – sowohl die, die auf Kreta versammelt sind wie auch die, die nicht kommen konnten – der pfingstlichen Einheitsvision verpflichtet wissen". Dieses gilt insbesondere auch für das Moskauer Patriarchat, das in den vergangenen Monaten durch das Treffen mit Papst Franziskus und das mit der EKD begangene Gedenken zum Ende des Zweiten Weltkrieges starke zwischenkirchliche Akzente gesetzt hat. Die im Vorfeld der Synode insbesondere von der bulgarischen Kirche geäußerte Ökumene-Kritik zielte primär auf die Bearbeitung innerkirchlicher Konflikte und ist von Erfahrungen dieser Kirche aus der Zeit vor der politischen Wende 1989 nicht zu trennen.
Interview: Stephan Cezanne (epd)
27. Juni 2016