Mit Herzblut für Nachhaltigkeit
Evangelische Tagungsstätte Bad Boll setzt Maßstäbe für nachhaltiges Wirtschaften
Seit 2003 ist Bad Boll Bio-zertifiziert und arbeitet daran, die Zertifizierung zu verbessern und wo immer möglich auf Bio- und Fairtrade-Produkte zurückzugreifen.
Bad Boll. „Es gehört viel Herzblut dazu“, sagt Marianne Becker. Sie leitet den Bereich Verpflegung der Evangelischen Tagungsstätte Bad Boll und schultert damit einen wichtigen Anteil bei der Umstellung auf Nachhaltigkeit. Denn ihre Küche ist größtenteils Bio. Mehr als 60 Prozent der Lebensmittel und Getränke, die hier für den Tagungsbetrieb verkauft werden, stammen entweder aus biologischem oder aus regionalem Anbau. Insgesamt geht es um ein Einkaufsvolumen von annähernd 150.000 Euro im Jahr.
Der Umgang mit diesen Bio-Lebensmitteln müsse lückenlos dokumentiert werden, erklärt die 61-Jährige, die für den Einkauf zuständig ist, aber auch die Speisepläne für die Tagungsstätte erstellt. „Rechts lagert bio, links konventionell“, sagt Becker. Alle Zutaten einer Bio-Suppe müssten verfolgbar sein, die Lieferscheine und Rechnungen bei der entsprechenden Rezeptur abgeheftet werden. So verlange es die Zertifizierung der Küche bei einer Überprüfung, erklärt sie. „Das ist ein enormer organisatorischer Aufwand, den nur wenige Gastronomen leisten können.“
Beckers Beschreibung lässt den täglichen Mehraufwand erahnen. Das große Ziel nennt Christoph Grosdidier. Er ist der Geschäftsführer der Tagungsstätte, die allein im vergangenen Jahr 20.000 Gäste zählte und zur Landeskirche Württemberg gehört. „Wir wollen alle Bereiche der Tagungsstätte nachhaltig bewirtschaften.“ Die Umstellung reiche von der Bettwäsche mit Öko- und Soziallabel über die Desinfektion der Zimmerschlüssel mit ultraviolettem Licht bis zum Bio-zertifizierten Fleischersatzproduzenten.
Grosdidier holt tief Luft und beginnt, die vielen erfolgreichen Beispiele aufzuzählen, vermeintliche Kleinigkeiten, aber auch große Projekte: Für saubere Wäsche brauche zum Beispiel niemand mehr in der Gegend herumzufahren. Denn Bad Boll wasche in der eigenen Wäscherei und mit Ökowaschmitteln. Erdgas betreibe die Trockner. Energie gewinne die Tagungsstätte aus einem eigenen Blockheizkraftwerk und einer Pelletsheizung, Strom aus Solaranlagen.
Die Aufzählung nimmt gar kein Ende, so weit ist die Tagungsstätte mittlerweile. Da sind zum Beispiel die rund 40 Toiletten, die aus Regenwasser gespeist würden, erzählt Grosdidier. Oder der NABU-Naturgarten, der schon im kommenden Jahr Insekten und heimische Reptilien beheimaten soll. Aber nachhaltig heiße in Bad Boll auch, dass sechs körperlich und geistig eingeschränkte Menschen in Küche und Garten mitarbeiten würden. 60 Mitarbeiter hat die Tagungsstätte insgesamt. Es gehe neben der Umwelt auch um soziale Verantwortung, betont Grosdidier.
Besonders stolz ist Grosdidier auf die neue Live-Übertragungstechnik, die mehr als 200 Gäste in verschiedenen Tagungsräumen vor Ort verbindet. Noch dazu könnten bis zu 1000 weitere Personen teilnehmen und Referenten von weither dazugeschaltet werden. So werde Kohlendioxid vermieden, auch eins der Ziele des Hauses. „Wir sind ein Leuchtturmprojekt. Es gibt in Baden-Württemberg höchstens zehn Betriebe, die auf diesem technischen Stand arbeiten.“
Vor etwa 20 Jahren begann auch in Bad Boll die Diskussion um Müllvermeidung, lange Lieferwege und faire Produkte, erinnert sich Marianne Becker. Seitdem gab es viele Workshops, viele Gespräche und Diskussionen. „So waren alle Mitarbeitenden eingebunden“, erzählt Becker. „Wir waren uns alle einig, dass wir eine lebenswerte und enkeltaugliche Welt hinterlassen wollen." Als kirchliches Haus müsse man Vorbild sein, sagt sie. Auch wenn dazu sehr viel mehr Aufwand gehöre.
In den Jahren seien viele Dinge umgestellt worden, das Haus habe ein klares Profil gewonnen, sagt Grosdidier stolz. „Und wir haben noch viel vor. Bis Oktober sollen die Behälter für Reinigungsmittel vergrößert und damit PVC-Verpackungsmüll eingespart werden. Im kommenden Jahr soll der Check-In und die Gästemappe digital werden. Die Schöpfung zu bewahren, ist anstrengend“, sagt Grosdidier. „Und dennoch befriedigend und erfüllend.“
Sven Kriszio