Das "Brot Christi" kommt aus dem Kaiserstuhl
Endingen/Weinheim (epd). Ob Krusten-, Radler- oder Jubiläumsbrot - jedes Brot von Matthias Schwehr hat eine Geschichte. Der Bäckermeister und Brotsommelier aus Endingen im südbadischen Kaiserstuhl erzählt mit Leidenschaft: „Ich hätte mir nie träumen lassen, was man als kleiner Bäcker vom Land mit Brot alles erreichen kann“, sagt er dem Evangelischen Pressedienst (epd) beim Besuch der 1898 gegründeten Bäckerei vor dem Internationalen Tag des Brotes am 16. Oktober. Weit über den 9.000-Einwohner-Ort bekannt wurde er durch sein „Brot Christi“: ein Fladenbrot aus Wasser, Mehl und Salz, wie es wohl zu Zeiten Jesu gegessen wurde.
Im Rahmen einer Projektarbeit für die Akademie des Deutschen Bäckerhandwerks in Weinheim machte sich Schwehr auf die Suche nach dem Rezept: „Es hat mich gereizt, herauszufinden, wie Brot damals geschmeckt hat, wie es gebacken wurde.“ Fündig wurde er beim Historischen Institut der Universität Mannheim, dem Museum für Brot und Kunst in Ulm, dem Liturgischen Institut in Trier, der Erzdiözese Freiburg sowie dem Zentralrat der Juden in Berlin.
Die Bibel mit rund 270 Fundstellen für „Brot“ lieferte wichtige Informationen. Brot als das grundlegende Nahrungsmittel im Vorderen Orient bedeutet in der Heiligen Schrift sowohl schlicht „Nahrung“ als auch „Verbindung mit Christus“. Es war Lebensgrundlage und Opfergabe. Die Speisungsgeschichten, bei denen Jesus Brot vermehrt, mahnen zu teilen.
Heute liegt zum Erntedankfest (6. Oktober) in vielen Kirchen sinnbildlich ein - oft kunstvoll verzierter - Brotlaib auf dem Altar. An diesem Tag danken Christen Gott für die Gaben der Schöpfung, es geht um das Teilen und den verantwortungsvollen Umgang mit der Natur und mit Lebensmitteln.
Besondere Bedeutung erhalte das gebrochene Brot beim letzten Abendmahl, wenn Jesus in der Bibel spreche: „Das ist mein Leib“ (Lukas 22, 19), sagt Oberkirchenrat, Matthias Kreplin von der Evangelischen Landeskirche in Baden in Karlsruhe. „Aus der Abendmahltradition wird Jesus selbst das Brot, mithin das 'Brot des Lebens'“, erklärt der Theologe.
Doch wie sieht es denn nun aus, das „Brot Christi“ von Matthias Schwehr? Der Bäckermeister zeigt einen runden, 250 bis 300 Gramm schweren Fladen, in der Mitte ein kleines Loch, Einkerbungen wie für Tortenstücke. In Pompeij sei in einem alten Ofen ein verkohltes Exemplar gefunden worden, sagt Schwehr: „Die Einkerbungen waren dazu da, es leichter brechen zu können.“
Das Loch entstehe durch Teig, der entfernt wurde, um den Fladen dem Priester im Tempel als Dankesgabe - jüdisch: „Challa“ - zu überreichen. Die Geschichte des „Brotes Christi“ erzählt der Bäcker auf Vorträgen und bei Verkostungen. Kirchengemeinden bestellten es vor allem zur Osterzeit.
Insgesamt backen Innungsbäcker in Deutschland mehr als 3.000 verschiedene Brotsorten. Besondere Wertschätzung erfuhr die Vielfalt deutscher Brotsorten mit der Aufnahme in das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes der nationalen UNESCO-Kommission 2014.
„Eine Brezel schmeckt in Schwaben anders als in Bayern“, beschreibt Bernd Kütscher diese Vielfalt. Er ist Direktor der Akademie Deutsches Bäckerhandwerk in Weinheim und hat 2015 die Weiterbildung von Bäckermeistern zu Brotsommeliers ins Leben gerufen: „Nach Abschluss des ersten englischsprachigen Kurses haben wir 258 Brotsommeliers in 13 Ländern.“ In der Fortbildung werde neben Wissen, Kultur und Historie von Brot auch Sensorik vermittelt.
„Bei der Prüfung mussten wir fünf Bestandteile herausschmecken, ohne zu wissen, welche“, erzählt Schwehr. Auch Fehler im fertigen Produkt galt es herauszuschmecken. Dazu allerdings musste zunächst einmal eine eigene „Brotsprache“ her. „Es gab keine sensorisch soliden Wörter, um den Geschmack und die Konsistenz von Brot zu beschreiben“, so Kütscher. Auf der Homepage der Akademie gibt es eine freundliche „Nachhilfe“ zur Beschreibung des Brotgenusses mit Worten - vom „Duft der Krume“ über „Akzent der Oberfläche“ bis zu „Mundgefühl“.
Der Titel „Brotsommelier“ soll dazu beitragen, Brot wieder zu dem Stellenwert zu verhelfen, den es einmal hatte. Schließlich spielte Brot, insbesondere der Brotpreis bei der Bekämpfung von Hungersnöten, in der europäischen Geschichte von jeher eine Schlüsselrolle. „Es bringt Menschen zusammen und hat sogar die Gesellschaft verändert“, sagt Kütscher. „Brot war schon immer mehr als Lebensmittel.“