Digitaler Religionsunterricht
Einfach ausprobieren – Tipps und Hilfen für die Unterrichtsgestaltung
Über die Digitalisierung in Schulen wird viel diskutiert. Einfach ausprobieren und machen ist dagegen Friederike Wenischs Ansatz. Die Religions- und Deutschlehrerin vom Gymnasium Altona in Hamburg verbindet in ihrem Unterricht schon lange analoge und digitale Techniken, um spielerisch den Lernstoff zu vermitteln. Transparenz, Sicherheit, Spaß und Individualisierbarkeit sind für sie die klaren Vorteile dieser Arbeit.
Montagmorgen am Gymnasium Altona in Hamburg. Als Erstes steht eine Doppelstunde Religion auf dem Stundenplan der Zehntklässler – die letzte Wiederholung vor der anstehenden Klausur. Entspannt unterhalten sich die Schülerinnen und Schüler miteinander, auf ihren Tischen liegen Blöcke, Arbeitsblätter, Stifte – und ihr Smartphone. Denn im Religions- und Deutschunterricht von Friederike Wenisch sind Smartphones nicht nur erlaubt, sondern Arbeitsgeräte wie jedes andere auch.
Auf dem Arbeitsblatt, das Wenisch ihren Schülerinnen und Schülern ausgeteilt hat, sind zahlreiche Symbole zu sehen: Sie alle haben etwas mit „Gott und Göttlichkeit“ zu tun. Einige gehören zu den Weltreligionen, andere zu den humanistischen Schöpfungstheorien. Um vom Start zum Ziel zu kommen, müssen die Schülerinnen und Schüler von einem passenden Symbol zum nächsten springen.
Schnell scannen die Zehntklässler den QR-Code vom Arbeitsblatt mit ihrem Smartphone ein, um auf die digitale Version des Spiels zu kommen. „Wie verleiben sich Christen symbolisch das ewige Leben ein?“, wird da als Erstes gefragt. Die drei Antwortmöglichkeiten – durch Glauben an den Davidstern, durch das Pilgern zur Kaaba oder durch das Essen von Brot und Wein – beinhalten jeweils ein Symbol des Arbeitsblattes. Digital beantworten die Schülerinnen und Schüler die Fragen, analog malen sie in verschiedenen Farben die Wege aus und benennen die Religion oder Theorie, zu der die Symbole gehören. „Der spielerische Charakter bringt Spaß und jeder kann individuell in seinem eigenen Tempo arbeiten“, erklärt Friederike Wenisch.
Die Zeit, in der sich die Schülerinnen und Schüler durch die Symbolwelt der Religionen arbeiten, nutzt sie, um Fragen im direkten Gespräch zu erläutern. So wie mit Flori und Milena. Die beiden mögen Friederike Wenischs Religionsunterricht, weil er mehr ist als nur der klassische Frontalunterricht. „Ich bin selbst gläubig und sehr an Religion interessiert“, erzählt Milena, „und durch diese spielerische Herangehensweise von Frau Wenisch kann ich mir viele Dinge wirklich besser merken.“ Staunende Freude schwingt in ihrer Stimme mit und auch ihre Sitznachbarin Flori wirkt positiv überrascht. „Na ja, ich weiß nicht, ob ich damit effektiver lerne, aber auf jeden Fall ist der Unterricht so viel spannender“, gibt sie zu.
Eigenverantwortlicher Umgang mit der Technik statt Verbote
Die Schülerinnen und Schüler arbeiten konzentriert, nur hin- und wieder blitzen auf den Smartphones die Seiten von Instagram oder WhatsApp auf. Dass das fast unvermeidlich ist, weiß auch Friederike Wenisch. „Ich vertraue meinen Schülern“, sagt sie und plädiert für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Technik statt für Verbote. Im späteren Berufsleben seien Handys auch immer am Start, da sollte man den Kindern lieber jetzt schon einen gesunden Umgang damit vermitteln und ihnen beibringen, sich auf das konzentrieren zu können, was sie gerade tun. Es sind viele kleine Hilfestellungen für einen eigenverantwortlichen Umgang mit der modernen Technik, die sie ihren Schülerinnen und Schülern mitgeben will.
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Der Blog sorgt für Transparenz
Friederike Wenischs Unterricht verwebt digitale und analoge Lehrmittel und Lernmethoden miteinander. Über das konfessionsübergreifende Internetportal rpi-virtuell, das für die religionspädagogische Arbeit Dienste und Werkzeuge zur Verfügung stellt, hostet sie zum Beispiel ihren Blog „Digitaltranszendent – Digital Arbeiten mit religiösen Inhalten“, der sowohl in ihren Deutsch- als auch in ihren Religionsstunden zum Einsatz kommt. Die Stundenprotokolle, die die Schülerinnen und Schüler anfertigen, werden dort genauso hochgeladen wie besonders gelungene Hausaufgaben oder die von Wenisch selbst konzipierten Spiele. „So können die Schüler den Unterrichtsverlauf nachvollziehen und sich dann auch effizient auf Klassenarbeiten vorbereiten“, erläutert sie.
Außerdem sorgt dieses System laut Wenisch für Sicherheit und Transparenz der Unterrichtsinhalte bei den Schülerinnen und Schülern – und deren Eltern. Ein Bedürfnis, das nicht zu unterschätzen ist, wie sie im Alltag erfahren hat: „Ich habe es den Eltern meiner Deutsch-Schüler sogar versprechen müssen, dass wir das machen.“ Das liege auch daran, dass mittlerweile nur noch wenig buchbasierter Unterricht gemacht werde und Lehrer sich die meisten Inhalte aus verschiedenen Quellen zusammensuchen, sodass die Eltern kaum mehr die Möglichkeit hätten, den Unterricht ihrer Kinder zu verfolgen. Auch für Vertretungsstunden sei der Blog unheimlich nützlich, so Wenisch. „Wenn ich krank bin, dann kommen meistens Vertretungsmaterialien nicht an. Aber die Kinder wissen automatisch: ah, wir finden das da, wir kriegen da die Materialien her.“ Gleiches gilt, wenn Schülerinnen und Schüler krank waren oder sich nicht so gut konzentrieren konnten – auf dem Blog finden sie alle Informationen aus der Stunde sinnvoll aufbereitet.
Zusätzlich habe der Blog den Rückmeldungen von Schülerinnen und Schülern sowie deren Eltern zufolge auch noch einen Belohnungs- und Ansporneffekt: „Schüler und Eltern freuen sich riesig, wenn ich frage, ob ich eine besonders gelungene Hausaufgabe für alle anderen sichtbar auf dem Blog veröffentlichen darf. Das ist hoch motivierend.“ Einige Schülerinnen und Schüler entwickeln sogar einen extremen Ehrgeiz, um jedes Feedback einzubauen. Das ist wiederum eine Entwicklung, die Wenisch als „schwierig“ bezeichnet – die Kinder sollen durch diese Methode nicht zusätzlich unter Druck geraten, sondern einfach nur Wertschätzung für ihre Arbeit empfinden.
Vielfältige Open-Source-Angebote werden eingesetzt
Friederike Wenischs digitaler „Werkzeugkasten“ beschränkt sich aber nicht nur auf ihren rpi-virtuell-Blog. Der datensparsam und datenschutzfreundlich arbeitende, von Deutschland aus betriebene URL-Shortener „t1p“ gehört genauso dazu wie ein QR-Code-Generator. „Generell eignet sich alles, was barrierefrei ist, wo man also keinen Login braucht. Außerdem sollte es einfach und effizient erreichbar sein“, rät Wenisch. Da die parallele Vorbereitung von digitalem und analogem Unterricht gerade in der Anfangsphase mehr Zeit in Anspruch nimmt, setzt Wenisch überwiegend auf OpenSource-Angebote. Deren Inhalte sind dann dauerhaft einsetz- und einbindbar, sodass man sich die Arbeit nur einmal machen muss und danach aus einem großen Arsenal auswählen kann. „Wenn man dann allerdings irgendwelche Tools benutzt, von denen man nicht weiß, wie lange sie online bleiben, die womöglich kostenpflichtig werden könnten oder Schwierigkeiten machen, weil sie Daten abfischen, dann machen sie für mich keinen Sinn“, erklärt Wenisch. Die Gefahr, sich viel Arbeit für nichts zu machen, sei einfach zu groß.
Unter anderem über die in Deutschland gehostete Plattform „Learning Apps“ oder die freie Software „H5P“ programmiert Wenisch Spiele und andere multimediale Inhalte passend zu ihren Unterrichtseinheiten. „Ich nutze sehr gerne Multi-Player-Games, weil die sehr motivierend sind. Und zum Abrufen von Wissen ist Kahoot!, eine spielebasierte Lernplattform, ganz gut geeignet“, so Wenisch.
Die Spiele, der Blog und das Programmierte haben bei ihr immer einen konkreten Zweck im Unterricht, sie mache das nie zum Selbstzweck. „Meine Motivation ist, wenn Schüler wirklich sagen: 'Ah, das ist ja voll gut, das hilft ja richtig.' Und das haben die kurz vor Arbeiten immer, wenn sie merken: 'Oh, ich muss ja nicht lange suchen, ich habe hier eine Anlaufstelle und da finde ich das'“, sagt Wenisch. Auch wenn sie Freude daran hat, sich selbst immer wieder neue Dinge anzueignen und beizubringen, hinterfragt sie ständig deren tatsächlichen Nutzen für den Unterricht. Das zeigt sich auch daran, dass sie für den gut gemachten Frontalunterricht eine Lanze bricht. Der helfe besonders den schwächeren Schülerinnen und Schülern, die Inhalte besser zu verstehen und aufzunehmen. „Es muss zur Phase passen, es muss zu den Schülern passen und es muss auch zu mir passen“, erklärt sie.
App für interreligiösen Religionsunterricht
Ein passendes Angebot für Schülerinnen und Schüler schaffen, die sich sowohl inhaltlich als auch vom Lerntempo her auf ganz unterschiedlichen Stufen befinden, das sie trotzdem alle zum gleichen Ziel führt – daran versucht sich Friederike Wenisch gerade durch die Programmierung einer App für den interreligiösen Religionsunterricht. Wenischs Idealvorstellung: In einer App werden die Handreichungen zu den verschiedenen Religionen ordentlich und inhaltlich sauber aufbereitet, sodass man an verschiedenen Wissensständen starten kann. Und dann bietet die parallel aufgebaute App binnendifferenziert mehrere Wege mit unterschiedlich vielen Hilfestellungen an. So können Schülerinnen und Schüler ausprobieren, von welchem Wissensstand aus sie loslegen können und sie merken selbst, ob sie mehr oder weniger Hilfestellung benötigen. „Gerade diese Erfolgserlebnisse sind ganz massiv wichtig für den Lernerfolg des Einzelnen. Und ich glaube auch, dass dieses Sich-selber-ausprobieren etwas ganz Gutes und Sinnvolles für Kinder ist“, sagt Wenisch.
Auf die speziellen Herausforderungen von Schülerinnen und Schülern mit einer Lernbeeinträchtigung kann in solchen Apps zum Beispiel durch die besondere Kenntlichmachung von Jahreszahlen und Schlüsselwörtern ein gegangen werden. Fett gedruckte Worte helfen manchen Schülerinnen und Schülern, in längeren Texten den Überblick zu behalten und lenken die Aufmerksamkeit auf die wichtigen Informationen. Gleichzeitg kann mit so einer App aber auch auf die Bedürfnisse von besonders schnellen Schülerinnen und Schülern eingegangen werden, die man durch Zusatzaufgaben inhaltlich sinnvoll beschäftigt. „Es ist unser Ziel, dass wir am Ende jedem Schüler die Möglichkeit gegeben haben, sich das gleiche Wissen angeeignet zu haben, aber auf verschiedenen Wegen, sich selbst entsprechend“, so Friederike Wenisch.
Spielerisches Lernen
Das spielerische Element zieht sich auch an diesem Tag durch die komplette Doppelstunde. Nachdem die Schülerinnen und Schüler mit dem Arbeitsblatt fertig sind, melden sich alle bei einem Multi-Player-Game an. „Ich kann denen auch tausend Mal sagen: Diese Seite ist in Amerika, bitte aus Datenschutzgründen nicht die Klarnamen nehmen. Wenn die wissen, dass es ein Wettbewerb ist, dann nehmen sie ihre Klarnamen. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche“, erzählt Wenisch und tatsächlich: Auf dem Whiteboard tauchen nacheinander die Namen der Schülerinnen und Schüler auf – viele mit Klarnamen, andere mit mal besseren, mal schlechteren Pseudonymen. Wer sich dahinter verbirgt, bleibt jedoch nicht lange geheim: Schon ruft der erste seinen Nickname durch den Raum. Friederike Wenisch muss schmunzeln: „Das ist immer so. Damit sie auch ja wahrgenommen werden, wenn sie richtig gut sind. Die geben richtig damit an.“
Kaum hat das Spiel begonnen, bei dem es eine Frage und vier Antwortmöglichkeiten gibt, geht es schon wild durcheinander und hoch her. Der Kampfgeist und Ehrgeiz der Schülerinnen und Schüler ist geweckt. Die Rangliste nach jeder Frage wird kommentiert, im Klassenraum herrscht viel Gelächter. Und auch Friederike Wenisch mischt mit, als bei der Frage danach, welche Religion auf einer Verbalinspiration beruht, fast alle auf das Kreuz als Symbol fürs Christentum klicken. „Och Kinners, wenn Jesus Gottes Sohn ist, dann ist das eine Direktansprache und keine Verbalinspiration.“
Kinder und Jugendliche im Unterricht spielen zu lassen, ist für Friederike Wenisch eine Selbstverständlichkeit – auch in der Oberstufe. Lernen als eine bierernste Angelegenheit liegt ihr nicht. „Ich glaube tatsächlich, dass wir alle durch Spielen lernen. Alles, was man sich spielerisch oder tatsächlich nicht ganz so ernst aneignet, ist dauerhaft und auch längerfristig da“, so Wenisch. Hinter dieser Botschaft steht sie und die möchte sie gerne an anderen Schulen weiterverbreiten – demnächst am liebsten im Raum Tübingen/Reutlingen, wo es sie mit ihrer Familie aus privaten Gründen hinzieht.
Autorin: Lena Christin Ohm (evangelisch.de)