Von guten Mächten wunderbar geborgen
Von Dietrich Bonhoeffer (1906 - 1945)
Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar,
so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr.
Noch will das alte unsre Herzen quälen,
noch drückt uns böser Tage schwere Last.
Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen
das Heil, für das du uns geschaffen hast.
Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern
des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern
aus deiner guten und geliebten Hand.
Doch willst du uns noch einmal Freude schenken
an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz,
dann wolln wir des Vergangenen gedenken,
und dann gehört dir unser Leben ganz.
Lass warm und hell die Kerzen heute flammen,
die du in unsre Dunkelheit gebracht,
führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen.
Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht.
Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet,
so lass uns hören jenen vollen Klang
der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet,
all deiner Kinder hohen Lobgesang.
Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.
Dietrich Bonhoeffer, Von guten Mächten, in seinem Brief an Maria von Wedemeyer aus dem Kellergefängnis des Reichssicherheitshauptamts in Berlin, Prinz-Albrecht-Straße, 19. Dezember 1944. Erstmals veröffentlicht 1951 in: Eberhard Bethge (Hrsg.), Dietrich Bonhoeffer. Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft.
Der evangelische Theologe und NS-Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer verfasste den Liedtext im Dezember 1944, als er bereits in der Gestapo-Haft im Reichssicherheitshauptamt in Berlin saß. Ursprünglich als „Weihnachtsgruß für Dich [seine Braut] und die Eltern und Geschwister“ geschrieben, stellt das Gedicht den letzten erhaltenen theologischen Text vor seiner Hinrichtung am 09.04.1945 dar.
Nach Bonhoeffers Tod wurde das Gedicht wegen seiner Entstehungsgeschichte und dennoch gleichzeitig hoffnungsfrohen Botschaft so populär, dass es gleich von mehreren Komponisten in unterschiedlichsten Sprachen vertont wurde. In der evangelischen Kirchenmusik haben sich vor allem zwei Versionen durchgesetzt, die beide gemeinsam den #Top1 -Platz der #schickunsdeinlied-Umfrage belegt haben. Die Version von Siegfried Fietz ist heute in zahlreichen Liederheften und auch in manchen Regionalteilen des derzeitigen Evangelischen Gesangbuchs zu finden. Die Version von Otto Abel steht im EG unter der Nummer 65. In der ersten Veröffentlichung von 1959 vertonte Abel nur die letzte Strophe des Gedichts als Chorsatz, da sich der persönliche Anfang der ersten Strophen nicht für den Gemeindegesang eignen würde. Aufgrund der wachsenden Popularität wurden in den 90er-Jahren aber auch die ersten sechs Strophen mit der Abel-Melodie in das derzeitige EG mit aufgenommen. Wegen seines Textes wird das Lied heutzutage besonders häufig zur Jahreswende gesungen – insbesondere als eines der Wochenlieder für den Altjahresabend am 31. Dezember.
Von guten Mächten wunderbar geborgen
Gesang: Siegfried Fietz
Unplugged 2021
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