Grußwort Josef Schuster

Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland

Logo Synode 2018 ©Foto: EKD / www.gobasil.com in Zusammenarbeit mit www.typoxphoto.com

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5. Tagung der 12. Synode der EKD 11. bis 14. November 2018 in Würzburg

Es gilt das gesprochene Wort.

(unredigierte Fassung)
 

Sehr geehrte Frau Präses, sehr geehrter Herr Ratsvorsitzender, liebe Synodale, meine sehr geehrten Damen und Herren, sehr geehrte Frau Präses!

Sie haben es gerade angesprochen: Vor drei Jahren hatte ich schon einmal die Ehre, bei Ihnen zu Gast auf der Synodentagung in Bremen zu sein. Ich freue mich sehr, dass Sie mich erneut eingeladen haben, und ich möchte ehrlich zugeben, dass ich vermutlich von allen hier im Raum den kürzesten Weg hatte. Im wahren Leben bin ich Mediziner, und meine Praxis ist ungefähr 400 Meter entfernt.

Ich danke Ihnen aber deshalb für Ihre Einladung, weil ich darin ein Zeichen des guten Verhältnisses sehe, das die EKD und der Zentralrat der Juden in Deutschland miteinander pflegen. Noch mehr freue ich mich, dass ich Sie in diesem Jahr in meiner Heimatstadt Würzburg begrüßen darf. Ich wäre auch gerne zur Eröffnung gekommen, war aber zu diesem Zeitpunkt noch in Berlin.

Ich könnte Ihnen jetzt ausführlich von unseren Sehenswürdigkeiten vorschwärmen und gute Weinstuben empfehlen, doch auf Ausführungen zur Schönheit möchte ich lieber verzichten. Sonst denken Sie vielleicht, dass dieses Grußwort vom Tourismusmanager der Stadt ge­schrieben wurde. Nein, ich möchte Sie im jüdischen Würzburg willkommen heißen. Würzburg hat für unsere Verhältnisse eine mittelgroße jüdische Gemeinde mit knapp 1.000 Mitgliedern und einer sehr langen Geschichte. Wir können die Geschichte bis 1147 zurückverfolgen – ich weiß, ein echter Kölner kann darüber nur müde lächeln –, und auch meine familiären Wurzeln reichen im hessisch-fränkischen Grenzgebiet bis ins 16. Jahrhundert zurück.

Mit den Hochs und Tiefs der wechselvollen jüdischen Geschichte Würzburgs möchte ich Sie nicht langweilen, aber auf eine Würzburger Persönlichkeit möchte ich Sie aufmerksam machen: auf den berühmten „Würzburger Raw“, Seligmann Bär Bamberger. Er lehrte hier im 19. Jahrhundert und war in den damaligen großen Auseinandersetzungen zwischen Ortho­doxie und Reformjudentum ganz deutlich auf der Seite des traditionellen Judentums. Doch Rabbiner Bär Bamberger fand einen Weg, den ich bis heute als vorbildlich betrachte und in dessen Sinne übrigens auch die jüdische Gemeinde hier in Würzburg geführt wird: modern, weltoffen, aber der Tradition verpflichtet.

Rabbiner Bär Bamberger zeigte sich offen für Neuerungen, weigerte sich aber, alte Traditionen dem Zeitgeist zu opfern. Diese Haltung vermittelte er vor allem jungen Menschen. Die Er­ziehung der Juden im jüdischen Glauben lag ihm besonders am Herzen, und da Sie sich bei der diesjährigen Synode auch schwerpunktmäßig mit dem Glauben junger Menschen beschäf­tigen, wollte ich auf diesen Rabbiner aufmerksam machen, zu dem Studenten aus ganz Deutschland kamen.

Was die Identitätsbildung junger Menschen angeht, stehen wir wahrscheinlich nicht vor anderen Fragen als der „Würzburger Raw“ vor 150 Jahren: Wie können wir junge Menschen, die in einer Umgebung mit einer anderen Mehrheitsreligion aufwachsen, in ihrem Glauben festigen? Diese Frage ist aus jüdischer Sicht heute genauso aktuell wie damals.

Und ich denke, es ist bei Ihnen als evangelische Christen nicht so viel anders. Denn auch Ihre Kinder wachsen selbst in Norddeutschland nicht mehr in einer durch und durch evangelischen Umgebung auf. Sie wachsen vor allem in einer säkularen Umwelt mit einer Fülle von Kon­kurrenzangeboten auf.

Und auch unter Pädagogen wird zunehmend die Frage diskutiert, statt konfessions­gebundenen Religionsunterricht einen Ethik- oder Lebenskundeunterricht oder interreligiösen Unterricht anzubieten, in dem alle großen Weltreligionen quasi neutral dargeboten werden. Die Schüler können es sich dann aussuchen – oder sie lassen es eben. Meine Damen und Herren, das hat für mich nichts, aber auch gar nichts mit Toleranz zu tun, sondern mit Beliebigkeit.

Diese Beliebigkeit führt ganz schnell zu einer vollkommenen Gleichgültigkeit gegenüber Reli­gion. Ebenso wie die Prägung durch das Elternhaus halte ich auch den konfessions­gebundenen Religionsunterricht für extrem wichtig für die religiöse Identitätsbildung unserer Kinder. Im Judentum ist es noch etwas anders als bei Ihnen, weil jeder mit jüdischer Mutter auch jüdisch ist. Doch zunächst ist das ja nur eine äußerliche Zugehörigkeit. Diese muss mit Leben gefüllt werden.

Gerade wenn man sich in einer Minderheitenposition befindet, muss das Fundament umso fester sein; denn sonst können wir der Umgebung, die uns infrage stellt, die uns als fremdartig ausgrenzt oder gar anfeindet, nicht standhalten.

Leider, sehr geehrte Damen und Herren, erleben Juden in Deutschland, egal welchen Alters, regelmäßig Ausgrenzung und Anfeindung. Dass ich dies 80 Jahre nach der sogenannten Reichspogromnacht so sagen muss, tut mir weh. Erst vor wenigen Tagen haben wir an den 9. November 1938 erinnert. Hier in Würzburg nahmen in diesem Jahr an der traditionellen Gedenkfeier der Stadt Würzburg und der Jüdischen Gemeinde auch Landesbischof Bedford-Strohm und Kardinal Marx teil. In Berlin versammelte sich zur zentralen Gedenkfeier des Zentralrats der Juden die gesamte Staatsspitze. An vielen weiteren Orten in der Republik wurde der Opfer der NS-Verbrechen gedacht.

Dieses Erinnern schulden wir nicht nur den Opfern, es ist auch wichtig für unsere eigene Standortbestimmung heute. Es mahnt uns, wach auf gesellschaftliche Entwicklungen zu reagieren, in denen wieder Stimmung gegen Minderheiten gemacht wird und der Antisemitis­mus wächst. Die Ereignisse von damals führen uns drastisch vor Augen, warum es so wichtig ist, unsere demokratischen Errungenschaften zu verteidigen und zu pflegen.

Liebe Synodale, diese aktuellen Fragen spielen bei Ihrem diesjährigen Schwerpunktthema sicherlich auch eine Rolle. Die momentane Stimmung in unserem Land macht die religiöse Erziehung unserer Kinder nicht einfacher. Doch ich bin mir sicher: Wenn unsere Kinder in ihrer jeweiligen Religion wirklich zu Hause sind, wenn sie sich zugehörig fühlen, wenn sie genügend Sicherheit haben, um anderen Religionen respektvoll zu begegnen, dann ist dies ein Schlüs­sel, wenn auch nicht der entscheidende, für eine friedliche Zukunft. Daher wünsche ich Ihnen weiterhin gute Beratungen und anregende Diskussionen.

Noch ein ganz kleiner Tipp zum Schluss, zumindest für heute Abend: Manch Geistesblitz kommt bei einem guten Würzburger Silvaner, es können auch zwei sein.

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