„Deeskalation und Versöhnung sind das Ziel“
EKD-Friedensbeauftragter und Bischof für die Evangelische Seelsorge in der Bundeswehr zum Krieg in der Ukraine
In einer gemeinsamen Stellungnahme zum Krieg in der Ukraine äußern sich der Friedensbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Friedrich Kramer, und der Bischof für die Evangelische Seelsorge in der Bundeswehr, Bischof Bernhard Felmberg, wie folgt:
- Mitten im Herzen von Europa erleben wir Krieg. Die russische Regierung hat einen Angriffskrieg gegen einen souveränen Staat begonnen. Demokratie und Freiheit sind bedroht. Es gibt zahlreiche Tote. Die Zivilbevölkerung ist betroffen. Hunderttausende bangen um ihr Leben oder ergreifen die Flucht. Wir verurteilen auf schärfste die kriegerischen Handlungen. In unseren Gedanken und Gebeten sind wir bei den Menschen in der Ukraine. Wir sind dankbar für alle Bemühungen, den Kriegsflüchtlingen Hilfe, Unterstützung und Unterkunft zukommen zu lassen.
- Der militärische Angriff russischer Streitkräfte auf die Ukraine stellt einen eklatanten Völkerrechtsbruch dar. Die Argumentation der russischen Regierung mit Art. 51 UN-Charta greift nicht. Im Gegenteil: die Invasion verstößt gleich gegen mehrere internationale Abkommen. Dies beginnt mit der KSZE-Schlussakte von 1975. In ihr verpflichten sich die Unterzeichner, gewaltsame Grenzänderungen zu unterlassen und die territoriale Integrität aller beteiligten Staaten zu achten. In ähnlicher Weise sagt Russland in der Charta von Paris von 1990, im Budapester Memorandum von 1994 sowie zuletzt in der NATO-Russland-Grundakte von 1997 die Achtung der Souveränität, Unabhängigkeit und territorialen Unversehrtheit anderer Staaten sowie den Verzicht auf Androhung oder Anwendung von Gewalt zu.
- Durch diesen Angriff wird die gesamte Sicherheitsarchitektur nicht nur nach dem Ende des Kalten Kriegs in Frage gestellt, sondern auch alle Bemühungen des Aufbaus einer internationalen Friedensordnung unter Herrschaft des Rechts nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Das Recht des Stärkeren darf nicht die Herrschaft des Rechts ersetzen. Wir brauchen eine Friedensordnung, in der man sich auf das Recht verlassen kann. Dorthin müssen wir wieder kommen. Wir brauchen Wege zum ehrlichen Dialog, der zum Schweigen der Waffen führt.
- Es muss verhindert werden, dass dieser Konflikt weiter eskaliert und sich ausweitet. Dies betrifft z. B. die Alarmierung der nuklearen Einheiten auf russischer Seite wie auch die Nachrichten, dass sich auch belarussische Streitkräfte an dem Konflikt beteiligen könnten.
- Auf diesem Hintergrund sind alle Bemühungen zu unterstützen, die sich um Verhandlungen zwischen den Parteien bemühen. Ziel muss es sein, die Waffengewalt so schnell wie möglich zu beenden. Die Souveränität und die Freiheit der Ukraine sind wiederherzustellen. Besonnenes Reden und Handeln gegenüber Russland ist auch weiterhin gefragt, um den Konflikt nicht noch weiter zu verschärfen. Ziel muss es sein, gegenseitiges Vertrauen wieder aufzubauen.
- Viele Menschen gehen weltweit für die Beendigung des Kriegs und für den Frieden in der Ukraine auf die Straße. Dafür sind wir dankbar. Auch in Russland haben Menschen zum Ausdruck gebracht, dass sie diesen Krieg nicht wollen. Dazu gehören auch Friedensaktivistinnen und -aktivisten, die durch ihr öffentliches Eintreten gegen jedwede Waffengewalt um ihre Freiheit fürchten müssen. Viele Zivilisten in der Ukraine fordern russische Soldaten auf, nicht auf ihre Geschwister zu schießen. Viele sagen: dieser Brudermord muss beendet werden.
- Eine Deeskalation der Sprache auf allen Seiten tut not. Angesichts von mancher Kriegsrhetorik sagen wir klar: Die Menschen in Russland sind nicht unsere Feinde. Wir erinnern an die vielen Friedens- und Versöhnungsinitiativen zwischen Menschen in Deutschland und Russland, der Ukraine und anderen osteuropäischen Ländern. Diese Möglichkeiten, Brücken zu schlagen, geraten jetzt unter Druck. Umso mehr gilt es, sie zu pflegen, zu bewahren und zu stärken. Wir tun dies im gemeinsamen Verständnis, dass Krieg nach Gottes Willen nicht sein soll, und wir als Christenmenschen die Pflicht haben, für Versöhnung und Frieden einzutreten.
- Als Kirchen haben wir die Seelsorge für die Menschen auch bei uns in Deutschland im Blick. Wir denken besonders an die Menschen, die direkt oder indirekt von dem Konflikt betroffen sind. Wir denken an Soldatinnen und Soldaten, an Menschen, die Freundinnen und Freunde sowie Verwandte in der Ukraine haben, an die, die im zivilen Friedensdienst in dem jetzigen Kriegsgebiet engagiert waren. Für sie und für alle, die in Sorge um den Frieden sind, öffnen wir die Türen und unsere Ohren und Herzen für das Gespräch.
- Unsere erste Aufgabe ist es aber, für den Frieden zu beten. Wir beten für die Verantwortlichen auf allen Seiten, dass sie Wege aus der Eskalation herausfinden. Wir beten für die Menschen in der Ukraine, in Belarus und Russland, die von Leid und Tod bedroht sind. Wir beten aber auch für die Menschen in Russland, die guten Willens sind und sich für Versöhnung und Frieden einsetzen. Dabei wissen wir aus den Erfahrungen in Deutschland: die Kraft des Gebets ist nicht zu unterschätzen. Wir haben an diese Tradition der Friedensgebete am Montag wieder angeknüpft. Wir laden ein, jeden Montag ein Friedensgebet zu sprechen, in den Kirchen, in den Kasernen, auf den Straßen oder auch zu Hause.
Weitere Stellungnahmen aus der EKD sowie Informationen zur Situation in der Ukraine sowie Spendenmöglichkeiten finden Sie unter www.ekd.de/ukraine.
Hannover, 2. März 2022
Pressestelle der EKD
Carsten Splitt