Kirchen und der Zweite Weltkrieg
Fragen und Antworten
Der zweite Weltkrieg und seine Auswirkungen
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Was geschah in der Evangelischen Kirche nach dem Ende der Nazi-Herrschaft?
Die evangelische Kirche war am Ende des Krieges gespalten: Die hitlertreuen „Deutschen Christen“ hatten Führungspositionen in den meisten Landeskirchen besetzt. Die der „Bekennenden Kirche“ Zugehörigen waren der Nazi-Herrschaft gegenüber kritisch geblieben, der „Bruderrat“ vertrat ihre Anliegen. Als dritte Kraft gab es die sogenannten intakten Kirchen: Landeskirchen, die ihre Eigenständigkeit so weit wie möglich gewahrt hatten.
Auf den Trümmern des zerstörten Deutschlands sollte nun eine verfasste evangelische Kirche neu gebaut werden, die Lehren aus dem Geschehenen zieht. Im August 1945 trafen sich im hessischen Treysa 120 Kirchenvertreter, die nicht mit den Nazis zusammengearbeitet hatten. Sie wählten den ersten „Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland“ (EKD). Dies gilt als Geburtsstunde der EKD, die 1948 offiziell gegründet wurde – bewusst nicht als zentrale Nationalkirche, sondern als „Bund eigenständiger und konfessionsverschiedener Kirchen“.
In den folgenden Jahren wurde um den künftigen Weg der EKD gerungen – auch in Hinblick auf den Umgang mit der während der Nazi-Herrschaft aufgeladenen Schuld.
Im Stuttgarter Schuldbekenntnis hieß es vonseiten des Rates der EKD am 19. Oktober 1945: „Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden [...] wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.“
Der „Bruderrat“ wurde noch deutlicher und bekannte 1947 im „Darmstädter Wort“ konkrete Irrwege:
„Wir sind in die Irre gegangen, als wir begannen, den Traum einer besonderen deutschen Sendung zu träumen, als ob am deutschen Wesen die Welt genesen könne.“
Laut ihrer Grundordnung weiß sich die EKD „verpflichtet, als bekennende Kirche die Erkenntnisse des Kirchenkampfes über Wesen, Auftrag und Ordnung der Kirche zur Auswirkung zu bringen“. Dazu gehört bis heute auch, die eigene Schuldgeschichte zu erforschen.
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Wie hat die evangelische Kirche auf den Holocaust reagiert?
Seitens des neu gegründeten Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) wurde im Oktober 1945 in Stuttgart ein Schuldbekenntnis abgelegt: „Wohl haben wir lange Jahre hindurch im Namen Jesu Christi gegen den Geist gekämpft, der im nationalsozialistischen Gewaltregiment seinen furchtbaren Ausdruck gefunden hat; aber wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.“ (Stuttgarter Schuldbekenntnis), Dies war ein erstes Schuldeingeständnis auch in Blick auf den Massenmord an sechs Millionen Menschen. Damit begann ein Lernprozess der Kirche bezüglich ihres schuldhaften Versagens gegenüber dem Judentum. Nach und nach wurden die Verwicklungen in Judenverfolgung und „Euthanasie“ erkannt und aufgearbeitet. Zum Beispiel zeigte die Erforschung des 1939 von elf Landeskirchen gegründeten „Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ erschreckend, wie sehr der Antisemitismus auch innerhalb der evangelischen Kirche Fuß gefasst hatte. Seit 2019 erinnert in Eisenach ein Mahnmal an das „Entjudungsinstitut“.
Die Erfahrung des Holocaust führte auch in der Theologie zu einem neuen Nachdenken. Sie geht seitdem verstärkt der Frage nach, inwieweit das Neue Testament und die christliche Theologie antijudaistisch sind. Das eröffnete die Möglichkeit des christlich-jüdischen Dialogs. Auch Luthers judenfeindliche Schriften wurden neu bewertet; 2015 erklärte die EKD-Synode, dass „das weitreichende Versagen der Evangelischen Kirche gegenüber dem jüdischen Volk“ sie „mit Trauer und Scham“ erfülle. Im Vorfeld des 500-jährigen Reformationsjubiläums bedauerte die Synode, dass Luthers judenfeindliche Theologie auch für „politischen Antisemitismus in Anspruch genommen werden“ konnte. Aus dem „Erschrecken“ über „das weitreichende Versagen der Evangelischen Kirchen gegenüber dem jüdischen Volk“ erwachse „heute die besondere Verantwortung, jeder Form von Judenfeindschaft und -verachtung zu widerstehen und ihr entgegenzutreten“.
Kundgebung "Martin Luther und die Juden – Notwendige Erinnerung zum Reformationsjubiläum", 2. Tagung der 12. Synode der EKD, 8. bis 11. November 2015 Bremen
Jeder Mensch ist Gottes Ebenbild. Unabhängig von jedweder Leistung oder Eigenschaften kommt ihm bzw. ihr daher eine unveräußerliche und unverlierbare Würde zu. Dies ist der grundlegende und unhintergehbare Maßstab evangelischer Ethik und Theologie. Daran hält die EKD aufgrund der Schuld und des Versagens gegenüber verfolgten Menschengruppen in besonderer Weise fest.
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Wie half die evangelische Kirche den aus den Ostgebieten des ehemaligen Deutschen Reichs Vertriebenen?
Weit über zehn Millionen Menschen, die Mehrheit evangelisch, waren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten in den westlichen Teil geströmt. Die Menschen litten teils große Not, hatten vor und während ihrer Flucht bitteres Leid erfahren; nun hofften sie am Ende ihrer „erzwungenen Wanderschaft“ (Richard von Weizsäcker) auf eine neue Heimat. Hier wurden sie allerdings mit vielen Vorbehalten willkommen geheißen. Für die gesamte westliche Gesellschaft, auch für die Kirchen, entstanden neue Aufgaben. Einerseits mussten die Menschen mit dem Nötigsten an Lebensmitteln und Kleidung versorgt werden. Andererseits mussten sie in die Gesellschaft integriert werden.
Die im August 1945 in Treysa beratenden Kirchenführer sicherten den Betroffenen Hilfe zu und beteuerten: „In unseren Beratungen stand immer wieder Eure große Not vor unseren Augen und wir haben Mittel und Wege gesucht, wie wir Euch am besten helfen können!“ Das neugegründete „Evangelische Hilfswerk“ verteilte Lebensmittel und Kleidung an Vertriebene und Flüchtlinge, errichtete „Notkirchen“ und kümmerte sich um Jugendliche. Das Evangelische Siedlungswerk ermöglichte Flüchtlingsfamilien bezahlbaren Wohnraum.
Die kirchlichen Arbeitszweige handelten nach der Einsicht, dass es nicht nur um Verteilung von Spenden an die Geflohenen gehe, sondern um Gerechtigkeit und Teilen – schließlich habe „ganz Deutschland den Krieg verloren, nicht nur die Schlesier und Ostpreußen!“ (Hilfswerk-Leiter Eugen Gerstenmaier).
Im Zuge der Fluchtbewegung integrierte die EKD auch 2.500 Pfarrer aus den Ostgebieten – „eine der großen Leistungen der EKD“ (Dorothea Wendebourg). 1965 beschrieb die EKD „Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn“ in einer grundlegenden Denkschrift.
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Der 8. Mai 1945 war ein „Tag der Befreiung“, sagte Richard von Weizsäcker 1985. Warum empfanden das viele Deutsche als hilfreich?
Am 8. Mai trat die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht in Kraft. Damit war der Weg frei für eine Friedensordnung Europas, die bis heute Bestand hat. Deutschland hatte den angezettelten Angriffskrieg verloren; mit der Befreiung der Opfer in den Konzentrationslagern kam das ganze Maß des Schreckens, den das Nazi-Regime verbreitet hatte, ans Licht. Die Rede des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker anlässlich des 40. Jahrestags des Kriegsendes formulierte klar: Der 8. Mai 1945 sei „kein Tag der Niederlage“ gewesen, sondern ein „Tag der Befreiung vom menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“. Weizsäcker eröffnete den Deutschen damit einen neuen Blick auf das Kriegsende, frei von erdrückender Schuld, jedoch ohne die besondere Verantwortung Deutschlands zu schmälern. Wegen ihrer Klarheit wurde die Rede gelobt und eröffnete neue politische Möglichkeiten etwa im Verhältnis zwischen Israel und Deutschland.
2015, anlässlich des 70. Gedenktages des Kriegsendes, nannten der Ratsvorsitzende der EKD Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm und der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Kardinal Reinhard Marx den 8. Mai einen „geschenkten und unverdienten Neubeginn“.
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Welche Auswirkung hat die Erfahrung des Zweiten Weltkriegs auf die heutige Friedensethik der Evangelischen Kirche?
Die evangelische Kirche musste 1945 nicht nur Verantwortung dafür übernehmen, den Nazi-Terror unterstützt zu haben und für ihr Versagen, die Opfer zu schützen. Gerne und mit theologischem Pathos hatte sie auch den Krieg Deutschlands gegen viele Länder unkritisch gerechtfertigt. Unter dem Eindruck des Geschehenen besann sie sich und hinterfragte die Legitimation eines „gerechten Krieges“. Zunehmend orientierte sich die kirchliche Friedensethik an der Bergpredigt und stellte das Friedenstiften und die Feindesliebe in den Mittelpunkt. Sie lehnt militärische Gewalt nicht prinzipiell ab - hier spielt für viele u.a. die Erfahrung eine Rolle, dass letztlich die militärische Gewalt der alliierten Staaten den Schrecken des Zweiten Weltkriegs und der Nazi-Diktatur ein Ende bereitet hatte. Aber am Vorrang des Zivilen und der Gewaltfreiheit hält sie fest (so schon 2007 in der Denkschrift „Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen, wie auch in der Kundgebung der EKD-Synode 2019, Seit 1957 führt die EKD Seelsorge für die Bundeswehr durch. Unter dem Dach der Evangelischen Friedensarbeit arbeiten viele christliche Friedensgruppen zusammen. Heute versteht sich die EKD als auf dem Weg zu einer „Kirche der Gerechtigkeit und des Friedens“.
Das Verhalten der evangelischen Kirche während des zweiten Weltkriegs
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Hat die evangelische Kirche den Beginn des Zweiten Weltkriegs genauso euphorisch begrüßt wie den des Ersten Weltkriegs?
Die Kriegsbegeisterung war nicht ganz so ausgeprägt wie 1914. Das ist an den Predigten vom Sonntag nach Kriegsbeginn, dem 3. September 1939, abzulesen. Es herrschten große Loyalität und ein großer Patriotismus, unter Nazi-Anhängern wie unter Kritikern – aber nicht so eine große Euphorie und kritiklose Unterstützung des Staates wie 1914. Adolf Hitler hatte verfügt, angesichts des Krieges eine Art „Burgfrieden“ mit den Kirchen zu schließen; das Verhältnis von Staat und Kirche sollte nicht weiter belastet werden. Der „Geistliche Vertrauensrat“ der evangelischen Kirche sicherte Hitler die Unterstützung im Krieg zu, ebenfalls die Innere Mission. Bischöfe riefen die Christen zum „opferwilligen Einsatz für Führer und Vaterland“ auf.
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In welchem Verhältnis standen die Kirchen 1939 zum Staat?
Seit 1933 versuchten die Nationalsozialisten, sich die Kirchen gefügig zu machen und ihrer Ideologie gleichzuschalten. Erklärtes Ziel war es, kirchliche Strukturen zu zerschlagen und eine folgsame Reichskirche zu installieren. Die Mehrheit der evangelischen Kirchenverantwortlichen fügte sich oder ging leidenschaftlich mit. Über Kirchenwahlen erlangten die Nationalsozialisten Einfluss auch in Kirchengemeinden. Ein Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten war nun staatlicherseits für die Kirchen zuständig. Von den sogenannten „Deutschen Christen“, die die nationalsozialistische Politik unterstützen, grenzten sich aber auch Gruppen ab. Sie fanden sich in der „Bekennenden Kirche“ zusammen und protestierten gegen die totalitäre, quasi-religiöse Anmaßung des Staates. In der „Barmer Theologischen Erklärung“ – während einer „Bekenntnissynode“ maßgeblich von dem Theologen Karl Barth verfasst – brachten sie ihre Kritik zum Ausdruck. Wer sich hier engagierte, musste mit Verfolgung und Todesstrafe rechnen. Führende Persönlichkeiten der Bekennenden Kirche wurden festgenommen und hingerichtet.
Martin Engels: Wider die Gleichschaltung, in: EKD-Magazin Reformation und Politik, S. 84 f.
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Haben Pfarrer auch am Krieg teilgenommen?
Ja. Die meisten empfanden es als Pflicht dem Vaterland gegenüber − da gab es keinen Unterschied zwischen Anhängern der „Deutschen Christen“ und der „Bekennenden Kirche“. Die meisten dienten als Sanitätssoldaten. Etwa 680 wurden „Kriegspfarrer“. Sie nahmen im Heer den Offiziersrang ein und waren in der „Evangelischen Wehrmachtseelsorge“ organisiert. Sie hielten Feldgottesdienste und standen den Soldaten seelsorgerlich und mit Amtshandlungen zur Seite. Verpflichtend war in den Gottesdiensten das „Gebet für Führer, Volk und Wehrmacht“, in dem es u. a. hieß: „Lass uns ein heldenhaftes Geschlecht sein und unserer Ahnen würdig werden [...] Segne die deutsche Wehrmacht, welche dazu berufen ist, den Frieden zu wahren und den heimischen Herd zu beschützen, und gib ihren Angehörigen die Kraft zum höchsten Opfer für Führer, Volk und Vaterland. Segne besonders unseren Führer und Obersten Befehlshaber in allen Aufgaben, die ihm gestellt sind.“
Ein Kriegspfarrer, so war die Meinung, müsse „auch in seiner Predigt kämpferisch sein“. Außerdem hieß es: „Er muss die soldatischen Tugenden des Mutes, der Tapferkeit und der Einsatzbereitschaft als von der göttlichen Weltordnung gewollt predigen. Er muss diesen Krieg um den deutschen Lebensraum als einen vor Gott gerechten und zu belohnenden Kampf und den Führer als einen von Gott begnadeten Menschen hinstellen.“ Mit besonderer Leidenschaft begleiteten die Kriegspfarrer das Heer auf dem Russlandfeldzug ab 1940. Hier kam der in christlichen Kreisen verbreitete Anti-Bolschewismus, der die Menschen Russlands zu seelenlosen Wesen erklärte, mit der nationalsozialistischen Kriegspolitik zusammen.
Bei Kriegsbeginn hoffte das NS-Regime, die Kriegspfarrer würden den Kampfgeist der Soldaten stärken, indem sie auf das Leben nach dem Tode verwiesen. „Gläubige Soldaten sind die wertvollsten“, meinte Adolf Hitler, „Sie setzen alles ein!“ Diese Einstellung wich im Kriegsverlauf der Erkenntnis, dass der Glaube die Kampflust der Soldaten nicht stärkte.
Dagmar Pöpping: Kriegspfarrer an der Ostfront. Evangelische und katholische Wehrmachtseelsorge im Vernichtungskrieg 1941–1945, Göttingen 2016
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Gab es in der evangelischen Kirche Wehrdienstverweigerer?
Für nahezu alle Christen war es selbstverständlich, den Wehrdienst zu leisten. Aus der Bibel oder aus Jesu Verkündigung eine christlich-pazifistische Haltung abzuleiten, war den meisten fremd. Wehrdienstverweigerung gehörte deshalb zur absoluten Ausnahme.
Der Widerstandskämpfer Hermann Stöhr war einer derjenigen, der den Dienst verweigerte: Er arbeitete im Internationalen Versöhnungsbund und hatte sich der „Bekennenden Kirche“ angeschlossen. 1939 wurde er zur Kriegsmarine einberufen und verweigerte aus Gewissensgründen den Kriegsdienst. Wegen Fahnenflucht, Wehrkraftzersetzung und außerdem wegen Eidesverweigerung wurde er 1940 verurteilt und hingerichtet.Quelle: evangelisch.de
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Gab es Widerständler in der evangelischen Kirche?
Ja, und die Forschung fördert immer mehr Details über die Lebensgeschichten dieser Menschen zutage. Hervorzuheben sind hier zwei Persönlichkeiten:
• Der Theologe Dietrich Bonhoeffer, der 1942 wegen „Wehrkraftzersetzung“ inhaftiert und am 9. April 1945 hingerichtet wurde. Bonhoeffer reflektierte während seiner Haft seinen Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime theologisch; seine „Ethik“ und seine unter dem Titel „Widerstand und Ergebung“ veröffentlichten Texte sind bis heute Wegweiser für Christen, die über Krieg und Frieden nachdenken. Bonhoeffer hatte schon 1934 auf einer Konferenz in Fanö/Dänemark alle Kirchen dazu aufgerufen, auf einem Ökumenischen Konzil den Krieg zu ächten.
• Pfarrer Martin Niemöller sympathisierte zunächst mit den Nationalsozialisten, erkannte dann aber die Unvereinbarkeit ihrer Lehre mit dem christlichen Glauben. 1937 wurde er gefangengenommen und verbrachte die Zeit bis zum Ende des Krieges im Konzentrationslager. An Martin Niemöllers Einstellung zum Krieg wird die Ambivalenz, in der viele Christen standen, deutlich: Nach Kriegsbeginn meldete er sich aus der Haft zur Marine – mit der Begründung, dass er zwar theologisch gegen die nationalsozialistische Idee sei, als Lutheraner aber für sein Vaterland kämpfen wolle. Nach dem Krieg prägte er den Aufbau der „Evangelischen Kirche in Deutschland“ (EKD) und engagierte sich in der Friedensbewegung.Forschungsstelle für Kirchliche Zeitgeschichte und Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte: Widerstand!? Evangelische Christinnen und Christen im Nationalsozialismus.
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Wie entwickelte sich während des Krieges das Verhältnis der Kirche zum Staat?
Mit Dankgottesdiensten feierten evangelische Kirchen auch Siege oder Gebietseroberungen. Die Pfälzische Kirche gliederte die evangelischen Christen der eroberten Gebiete in Elsaß-Lothringen wieder ein. Die evangelischen Kirchen im besetzten Polen protestierten gegen eine Abtrennung ihrer deutschen Mutterkirche. An ihnen wollten die Nationalsozialisten ein Exempel statuieren: Staatlich kontrollierbare kirchliche Vereine sollten eine verfasste Kirche ersetzen. Die deutsche evangelische Kirche protestierte gegen diesen Eingriff in die kirchliche Selbstbestimmung.
Von 1940 an agierte der Staat wieder offen gegen die Kirchen, unter anderem durch die Schließung kirchlicher Bildungseinrichtungen und Konfiszierung kirchlicher Gebäude. Ab 1941 wurden kirchliche Kindergärten geschlossen. Auch die evangelische Presse wurde massiv behindert; Kirchenzeitungen und Gemeindeblätter durften nicht mehr veröffentlicht werden. -
Hätte die Kirche mehr Widerstand leisten müssen?
Ja. Wobei geklärt werden müsste, was Widerstand bedeutet. Denn das wird in der neueren Geschichtswissenschaft sehr differenziert gesehen. Der Kirchenhistoriker Christoph Strohm etwa unterscheidet sechs „Grade“ des Widerstands: von der Verweigerung, sich der allgemeinen nationalsozialistischen Indoktrination zu fügen über kleine konkrete Akte des Ungehorsams bis zum aktiv widerständigen Handeln, wie etwa der Unterstützung politischer Verschwörer.
Christoph Strohm, Die Kirchen im Dritten Reich, München ²2017
Vor allem gegen die sogenannte „Euthanasie“ (Tötung „unwerten Lebens“, also zum Beispiel geistig behinderter Menschen) und gegen Verfolgung und millionenfache Ermordung von Juden war wenig Protest von Seiten der evangelischen Kirchen zu hören. Worte wie die Dietrich Bonhoeffers verhallten; er mahnte 1940, die Kirche „hätte schreien müssen, weil das Blut der Unschuldigen zum Himmel schrie“, zwei Jahre später klagte er, die Kirche habe „als weltgestaltende Macht“ versagt. Im Oktober 1945 bekannte die evangelische Kirche in der sogenannten „Stuttgarter Schulderklärung“ selbstkritisch: „Wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.“ Noch deutlicher formuliert das „Darmstädter Wort“, das der Bruderrat der EKD 1947 veröffentlichte: „Wir sind in die Irre gegangen, als wir begannen, den Traum einer besonderen deutschen Sendung zu träumen, als ob am deutschen Wesen die Welt genesen könne. Dadurch haben wir dem schrankenlosen Gebrauch der politischen Macht den Weg bereitet und unsere Nation auf den Thron Gottes gesetzt.“
Wolfgang Benz: Im Widerstand. Größe und Scheitern der Opposition gegen Hitler, München 2019