Fasten in der Alten Kirche

Hilfe zur Konzentration auf das Wesentliche – Besinnung auf uns selbst und auf Gott

Tafel mit der Aufschrift „Fasten“ in einem leeren Kühlschrank

Fasten als radikaler Nahrungsverzicht? Schon in der Alten Kirche bedeutete Fasten ein Verbot bestimmter Nahrungsmittel wie Fleisch und im christlichen Osten auch Fisch.

Seit mehr als 30 Jahren gibt es im evangelischen Christentum die Aktion „7 Wochen Ohne“. In einer Zeit, in der Menschen des uneingeschränkten Konsumierens müde wurden, entschlossen sie sich, die altkirchliche Tradition des vorösterlichen Fastens wieder aufzunehmen. Um was für eine Tradition handelt es sich dabei aber? Und entspricht sie überhaupt der evangelischen Freiheit?

In der Alten Kirche dienten die vierzig Tage vor Ostern der Vorbereitung von Katechumenen auf die Taufe. Sie wurden nicht nur im Glauben unterrichtet, sie bereiteten sich vielmehr auch ganz individuell auf das große Ereignis vor. Dazu gehörte auch das Fasten, das sogenannte Quadragesimal­fasten. Damit knüpften die Christen an Jesus selbst als Vorbild an. Dieser hatte sich vor seinem öffentlichen Auftreten schließlich vierzig Tage fastend in die Wüste zurückgezogen (Mt 4,1–11 par.). Auch zahlreiche andere biblische Personen von Moses (Ex 34,28) bis hin zu Johannes dem Täufer (Mt 11,18f.) dienten den frühen Christen als Vorbild in der Fastenpraxis. 

Das Fasten vor Ostern ist erstmals durch das Ökumenische Konzil von Nizäa 325 n.Chr. festgelegt worden (can. 5). Ähnlich wie die ebenfalls entstehende Fastenzeit vor Weihnachten dient das Fasten auch der Vorbereitung auf das bevorstehende Fest. Dementsprechend bleibt vor Ostern das Fasten nicht auf die Taufbewerberinnen und -bewerber beschränkt. Fasten bedeutete dabei schon in der Alten Kirche keinen radikalen Nahrungsverzicht, sondern insbesondere ein Verbot bestimmter Nahrungsmittel wie Fleisch und im christlichen Osten auch Fisch. Lediglich in den zwei Tagen vor ihrer Taufe fasteten die Taufanwärter – wohl in Anlehnung an das Initiationsfasten in den antiken Mysterienkulten – gemeinsam mit einigen Gemeindegliedern noch einmal besonders radikal.

Neben dem Fasten vor Ostern bürgerte sich auch früh die wöchentliche Fastenpraxis in Anlehnung an und zugleich in Abgrenzung von den jüdischen Bräuchen (Lk 18,12) ein. Bereits in der ältesten erhaltenen Kirchenordnung aus dem frühen zweiten Jahrhundert, der Didache, wird das Fasten am Mittwoch und am Freitag vorgeschrieben (Did 8,1). Die Tage sind mit dem Verrat und dem Tod Christi verbunden, an die man mit dem Fasten auch im Sinne der Buße gedenkt.

Besonders im altkirchlichen Mönchtum wurde das Fasten immer weiter ausgebaut. Mönche und Nonnen sahen darin eine Möglichkeit der Konzentration auf das Wesentliche und somit auch einer körperlichen Vorbereitung auf die Begegnung mit Gott zum Beispiel in Form der mystischen Vereinigung. Die körperliche Anstrengung beim Fasten sollte eine Begegnung mit Gott keineswegs erzwingen, wohl aber der Vorbereitung auf eine solche, der Steigerung von Wachsamkeit und der Konzentration auf Wesentliches dienen. Radikal hat dementsprechend der Mönchsvater Johannes Sinaites im sechsten Jahrhundert formuliert: „So wie wohlbeleibte Vögel nicht fähig sind, zum Himmel zu fliegen, so auch derjenige nicht, der sein Fleisch nährt und pflegt“ (Klimax 26/3,7). Vor Leistungsdruck beim Fasten wurde allerdings strikt gewarnt. Im Zentrum der mönchischen Fastenpraxis stand vielmehr die innere Freiheit und die Möglichkeit zur Konzentration, die mit ihr gegeben sind.

Die Reformatoren brachen strikt mit der Praxis des Fastens, weil sie in ihr ein menschliches Werk sahen, mit dem man Gott näherkommen wollte. Besonders anschaulich wurde die Ablehnung in dem Zürcher Wurstessen beim Buchdrucker Froschauer im Jahr 1522, das Huldrych Zwingli initiiert hatte. Zwölf Teilnehmer verspeisten dabei mitten in der Fastenzeit zwei Würste. Damit wurde evangelische Freiheit gegenüber religiöser Gesetzlichkeit demonstrativ in die Öffentlichkeit getragen. Zwingli rechtfertigte kurz darauf mit seiner Schrift „Von Erkiesen und Freiheit der Speisen“ die Aktion. Unter Rückgriff auf die Paulusbriefe betont er, dass Speisen an sich weder gut noch schlecht seien und nur ihr Missbrauch dem Menschen schaden würde. Zwingli lehnte dabei das Fasten nicht generell ab, wohl aber den Fastenzwang. Dementsprechend ist für Zwingli – ganz ähnlich wie für Martin Luther – das Fasten kein religiöses Werk mehr, das – wie zum Beispiel von Thomas von Aquin behauptet – Nachlass der Sünde erwirkt.

Wenn man Fasten nicht als gutes Werk versteht, sondern als Hilfe zur Konzentration auf das Wesentliche, zur Besinnung auf uns selbst und auf Gott, so ist Fasten durchaus auch im evangelischen Christentum des 21. Jahrhunderts in aller Freiheit sinnvoll.

Prof. Dr. Andreas Müller


Der Text stammt aus dem Magazin „Grüße aus dem Kirchenjahr. Kirchliche Feiertage als kultureller Reichtum“ der EKD.