„Ja, manchmal ist es mir zu langsam gegangen“
Interview mit Nancy Janz und Detlev Zander
Nancy Janz und Detlev Zander sprechen für die Betroffenen im Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt (BeFo). Im Interview blicken sie zurück auf die letzten zwölf Monate – und nach vorn auf das, was nun passieren muss.
Wie sieht Ihr persönlicher Rückblick auf das vergangene Jahr aus?
Janz: Wir hatten unglaublich viel Arbeit im BeFo, um die Empfehlungen der ForuM-Studie zu über-setzen in einen Maßnahmenplan. Welche Maßnahmen passen zu welcher Empfehlung, wie passt alles zusammen? Wo können sie in bestehende Strukturen eingebaut werden und wo muss etwas Neues installiert oder bedacht werden?
Zander: Ich habe mich erst mal persönlich intensiv mit der Studie auseinandergesetzt. Da entstanden viele Fragen, die ich für mich beantworten musste. Und dann haben wir natürlich im BeFo unheimlich viel geleistet. Dabei ging es nicht nur um den Maßnahmenkatalog, auch um die Aner-kennungsrichtlinie, um die Disziplinarverfahren und um den Start der Vernetzungsplattform BeNe. Diese intensive Arbeit hat uns sehr gestärkt im BeFo. Wir sind noch handlungsfähiger und stabiler geworden. Rückblickend war es nicht immer einfach, aber das muss es ja auch nicht sein.
Haben Sie denn den Eindruck, dass auch die Akzeptanz des BeFo in den kirchlichen Gremien im letzten Jahr zugenommen hat?
Janz: Ich glaube da muss man Unterschiede machen. Wir erleben die Zusammenarbeit mit Rat, Kirchenkonferenz, mit Fachstellen, auch mit der Synode deutlich mehr auf Augenhöhe als früher. Wir werden anerkannt, auch gerade als Betroffenenvertretung mit Expertise. Wir werden viel mehr von Landessynoden oder Tagungen angefragt. Man profitiert gerne von unserem vielfältigen Wissen, was wir mittlerweile mitbringen. Wir haben beispielsweise die Gemeinsame Erklärung der EKD, Diakonie und UBSKM von vornherein mitgedacht und strukturiert und tragen sie jetzt in die Breite, wo sie gerade mit dem Aufbau der Unabhängigen Regionalen Aufarbeitungskommissionen (URAK) in der Umsetzung ist. Da entstehen Nachfragen. Auch von anderen Betroffenen auch noch mal angefragt werden, wie habt ihr es euch denn eigentlich gedacht? Wie können wir uns da eigentlich auch stärker machen? Das ist so ein Teil, wo wir natürlich eine gute Resonanz bekommen, und auch akzeptiert werden im Beteiligungsforum.
Es gibt aber auch andere Stimmen, die sagen, dass wir eben nur einen kleinen Teil von betroffenen Personen vertreten und nicht für alle sprechen können. Von denen wird unsere Arbeit angezweifelt, das ist völlig legitim. Es braucht einfach unterschiedliche Zugangswege – und wir haben uns eben für das Beteiligungsforum entschieden, das mittlerweile eine hohe Akzeptanz hat. Unsere Meinung zählt. Manchmal müssen wir einfach immer noch mal hartnäckig sein und kämpfen.
Herr Zander, Sie hatten auch vor der Synode schon angedeutet, dass Sie sich bei der Anerkennungsrichtlinie ein schnelleres Verfahren gewünscht hätten. Kann man sagen, dass dieser Prozess sich schwieriger gestaltet hat als vorher gedacht?
Zander: Also ich muss ganz ehrlich sagen, das ist für mich immer noch das dickste Brett. Zu Recht gibt es da eine hohe Erwartungshaltung von vielen Betroffenen. Ich muss für mich sagen, ja, manchmal ist mir es zu langsam gegangen. Aber wenn man dann in der AG so tief in den Details und Strukturen ist, dann muss ich anerkennen: Die Kritik ist zu relativieren. Gut, man hätte vielleicht die Personen, die in den Stellungnahmeverfahren mitreden, früher einbeziehen können. Aber rückblickend ist es dennoch ein Meilenstein. Wir haben da noch zu bohren, aber ich bin hundertprozentig sicher, dass wir da auf dem richtigen Weg sind.
Wir müssen auch anschauen, wo wir eigentlich hergekommen sind. Dass wir jetzt in solchen Gremien sitzen und da mitentscheiden und mitgestalten, das hätte ich mir vor zweieinhalb Jahren so überhaupt nicht vorstellen können. Das ist auch eine Riesenverantwortung. Womit ich persönlich immer wieder zu kämpfen habe, ist der schärfer werdende Ton der Kritik. Aber so ist es momentan. Man kritisiert schnell über soziale Medien – auch deshalb, weil die Erwartungshaltung sehr groß ist und weil die meisten Betroffenen jetzt auch einen Punkt sehen wollen. Das verstehe ich.
Meinen Sie mit der Kritik, die Sie ansprechen, externe Kritik von anderen Betroffenen, die Ihnen vorwerfen, sie seien gar nicht demokratisch legitimiert, oder meinen Sie auch innerkirchliche Kritik?
Zander: Sowohl als auch. Ja, es gibt es auch in der Kirche Stimmen, die sagen: Ja, was wollt ihr eigentlich im Beteiligungsforum? Das wird nicht so offen kommuniziert, sondern man kriegt es dann ab, wenn man intensiver ins Gespräch geht. Die externe Kritik, die Sie gerade angesprochen haben, die hätte ich früher auch so geäußert. Ich musste dann aber lernen, und das sage ich auch vielen Betroffenen immer wieder, dass wir tatsächlich ein politisches Gremium sind. Politik heißt Kompromisse zu schließen und eben nicht auf meinen Gesprächspartner „einzuschlagen“. Dann macht der nämlich irgendwann zu. Jeder sollte mal sich selbst befragen: An welcher Bushaltestelle stehe ich eigentlich? Immer noch an der gleichen? Und warum sind die anderen fünf Haltestellen weiter?
Frau Janz, sie haben ja auch Kritik abbekommen, besonders beim Start des digitalen Betroffenennetzwerks BeNe, in das Sie viel Herzblut gesteckt haben. War das nicht auch sehr verletzend?
Janz: Na ja, ich glaub da geht es darum, die Rollen klar zu haben. Also das eine ist unser persönliches Engagement, das viel Zeit und Energie einnimmt und auch immer wieder eine Konfrontation mit unseren eigenen Erlebnissen ist. Und wenn man dann so persönlich angegriffen wird, dann lässt einen das natürlich nicht kalt. Gleichzeitig sind wir auch in einer Rolle, in der wir eben eine Personengruppe repräsentieren. Und so ist es eben bei BeNe auch gewesen. Wir haben als AG viel Herzblut reingegeben, um BeNe überhaupt ins Leben zu rufen. Im Lauf der Zeit merkt man dann, das passt doch nicht und wir müssen was verändern. Dann ist es schwierig, die beiden Rollen klar zu trennen: einerseits nicht verletzt zu sein, aber gleichzeitig zu wissen, okay, die haben Recht, das ist noch nicht gut. Dann braucht es unsererseits eine große Resilienz und eine Unterstützung.
Wie wird sich die Arbeit im BeFo durch den neuen Gaststatus verändern, über den sechs neue betroffene Personen in die Arbeitsgruppen kommen? Die Sacharbeit ist ja sehr diffizil und voraussetzungsreich.
Janz: Das war genau der Grund, warum wir den Gaststatus in den Arbeitsgruppen und nicht sofort das Einsteigen ins Beteiligungsforum gewählt haben. Weil wir selber erfahren haben, wie schwierig es ist, sich in diese komplex-komplizierte Kirchen- und Diakoniestruktur einzuarbeiten. In den Arbeitsgruppen kann man das in einem umgrenzten Bereich erstmal kennelernen – mit einer Patenschaft, mit der man sich austauschen kann, um sich nach dieser Zeit im Gaststatus entscheiden zu können: Bin ich bereit mehr zu machen oder möchte ich eher in der AG-Struktur bleiben, weil ich mich da doch sicherer fühle? Wir brauchen im BeFo Unterstützung von Leuten, die stabil dabeibleiben und nicht im Laufen feststellen: „Oh, ich pack das eigentlich gar nicht.“
Zander: Das möchte ich noch ergänzen. Wir spüren gerade, dass alles im Wandel ist, unruhig und nervös. Das bin ich auch, muss ich ganz ehrlich sagen, weil wir jetzt zwei Jahre so intensiv und vertrauensvoll zusammenarbeiten. Man weiß genau, wie der andere tickt, und oft wird Vertrauliches besprochen. Ich habe von Grund auf immer ein bisschen Schwierigkeiten mit dem Vertrauen. Deshalb habe ich ein bisschen Angst, dass da etwas passieren könnte. Also ich sage jetzt bewusst »könnte«. Andererseits ist es gut, dass unsere Arbeit jetzt geöffnet wird. Immer nur am Spielrand zu stehen und zu schreien, das bringt ja auch nichts. Deswegen finde ich das gut und ich glaube da liegt es dann auch an uns und auch an mir. Auch an den Pat*innen im BeFo, die dann die Gäste gut führen und bei Problemen beraten.
Wie ist das, wenn jetzt die URAK die Arbeit aufnehmen? Wird das BeFo dann von einigen Aufgaben entlastet oder ist es eher noch schwieriger, weil man die URAK ja irgendwie koordinieren muss?
Janz: Die URAK sollen dann selbstständig laufen. Wir als BeFo, als AG Aufarbeitung, haben diesen ganzen Werdegang mitbegleitet, der in der Verantwortung der jeweiligen Landeskirchen und der diakonischen Verbände liegt. Sobald die Geschäftsleitungen der URAK eingesetzt sind, entscheiden sie selber, wie ihre Arbeitsweise ist. Wir sind da nicht mehr koordinierend dabei, bleiben aber weiter ansprechbar, falls es Fragen zur Gemeinsamen Erklärung oder ihrer Veränderung gibt. Aber die URAK sind auch keine Entlastung, weil nun wieder Platz geschaffen ist für den nächsten Arbeitsauftrag.
Sie beide hatten im letzten Jahr ein unglaubliches Programm. Sie waren neben der intensiven – und ehrenamtlichen – Mitarbeit im BeFo auf Tagungen vertreten, auf Synoden, Sie haben sich um Medienanfragen gekümmert und Sie, Herr Zander, haben dazu einen sehr beeindruckenden Kinofilm praktisch in ganz Deutschland vorgestellt. Das muss doch eine enorme Belastung gewesen sein oder hat Ihnen das durch den Erfolg auch Energie gegeben?
Zander: Also für mich persönlich ist das tatsächlich keine Belastung, denn wenn Sie wirklich was mit Herzblut machen, dann sind Sie dabei und dann haben Sie ein Ziel. Mein Ziel ist, dass kein Kind mehr aus einer Institution entlassen wird mit so einer Hypothek, wie ich sie zu tragen habe. Dafür will ich sensibilisieren, immer und immer wieder. Von daher ist mir die Arbeit überhaupt nicht zu viel. Im Gegenteil, ich mache es wirklich gern. Das bin ich mir schuldig, das bin ich der nächsten Generation schuldig und das bin ich aber auch den jungen Theologen und Theologinnen schuldig, die ja das Ganze letztendlich umsetzen müssen.
Janz: Also es war schon ein ziemlich anstrengendes Jahr. Ich habe einen Job, ich habe Familie und wenn meine Familie mich dann nicht immer wieder so unterstützen und mir den Rücken freihalten und mir immer wieder Mut zu sprechen würde, dann wäre das gar nicht möglich. Für mich ist es wichtig zu spüren: Ich kann hier im höchsten Maße wirksam sein. Mit der Gefahr der Frustration, dass ich es nicht richtig machen kann. Das ist was, was ich im letzten Jahr sehr deutlich gelernt habe und als Credo vor mir hertrage. Ich kann das Beste versuchen, aber ich kann es nicht allen recht machen und ich kann nie alles richtig gut machen. Und das hat mich ein Stück weit entlastet im letzten Jahr. Es kostet viel Energie, die Dinge bestmöglich zu bewirken, die für Betroffene wichtig sind. Aber wir merken, wie wirksam wir sein können. So wie letztes Jahr auf der Synode wahrgenommen zu werden, angesprochen, immer wieder angefragt zu werden, das wäre vor drei Jahren noch nicht möglich gewesen. Vielleicht sind wir auch schon einen Schritt in Richtung Kulturwandel unterwegs, vielleicht ein bisschen. Wir sind ein Stück weit mit den ersten Pionier*innen unterwegs. Im letzten Jahr hat sich ziemlich viel bewegt und vielleicht haben wir eine Revolution in der EKD angestoßen.
Was sind Ihre Ziele für die nächsten zwölf Monate?
Janz: Ich hoffe und erwarte, dass wir im Frühjahr mit allen URAK starten können, dass die in eine stabile Arbeit reinkommen und dass wir die Chance haben, das Thema Aufarbeitung breiter aufzustellen. Und ein ganz großer Stein, der zu bewegen ist, sind die Anerkennungsleistungen. Ich hoffe, dass wir mit der neuen Richtlinie eine gute Form finden, die überall umgesetzt wird, damit baldmöglichst bei Betroffenen einfach das ankommt, was schon so lange und so bitter nötig ist.
Zander: Also mein das erstes Ziel ist, dass das Beteiligungsforum so stabil bleibt, wie es ist. Dann ist es für mich wichtig, dass wir die Anerkennungsleistungen so hinbekommen, dass es für alle tragbar ist, für alle Landeskirchen, für alle diakonische Landesverbände, insbesondere für die Einrichtungen, und dass wir das Machbare rausholen. Und dann glaube ich, dass sich auch in den Gemeinden etwas tun muss. Da habe ich immer noch das Gefühl – nicht bei allen, aber doch bei einigen –, dass das Thema noch nicht so richtig angekommen ist. Ich glaube, da braucht es noch viel Aufklärungsarbeit. Das werden die Herausforderungen sein. Und dann glaube ich, dass wir die Synode noch anders, besser planen müssen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Dieser Text erschien zuerst im ForuM-Bulletin, das regelmäßig über den aktuellen Stand der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche und der Diakonie informiert. Der Newsletter erscheint etwa alle sechs Wochen und kann hier abonniert werden.