Evangelisch über den Stacheldraht hinweg

Die Evangelischen hielten zusammen

Eigentlich waren sie Thüringer. Dann kam die innerdeutsche Grenze. Ostheim vor der Rhön wurde halboffiziell bayerisch - doch die Evangelischen blieben erst einmal Teil der Landeskirche in Thüringen. Daran änderte auch der Mauerbau 1961 nichts.

Blick auf Ostheim v. d. Rhön

 

Blick auf die Kirchenburg in Ostheim vor der Rhoen (Foto vom 02.08.2021). In der nördlichsten Region Bayerns, hoch oben im heutigen hoch oben im heutigen Landkreis Rhoen-Grabfeld, waren sie schon immer ein wenig anders. Vielleicht auch deshalb, weil einige gar keine Bayern waren. Die Gemeinden Ostheim, Sondheim, Stetten und Urspringen waren bis nach dem Zweiten Weltkrieg eine thüringische Exklave - und wurden 1945 als Teil der US-Besatzungszone den Bayern zugeschlagen. Bis 1972 aber blieben Ostheim & Co. Teil der Thueringer Landeskirche. 

Ostheim v.d. Rhön (epd). In der nördlichsten Region Bayerns, hoch oben im heutigen Landkreis Rhön-Grabfeld, waren sie schon immer ein wenig anders. Vielleicht auch deshalb, weil einige gar keine Bayern waren. Die Gemeinden Ostheim, Sondheim, Stetten und Urspringen waren bis nach dem Zweiten Weltkrieg eine thüringische Exklave - und wurden 1945 als Teil der US-Besatzungszone den Bayern zugeschlagen. Bis 1972 aber blieben Ostheim & Co. Teil der Thüringer Landeskirche.

Kurz nach Beginn der Reformation bildeten Ostheim und einige wenige andere Dörfer und Weiler eine evangelische Insel im ansonsten tiefkatholisch geprägten Norden Bayerns. „Dadurch entwickelte sich eine gewisse Selbstständigkeit“, heißt es in einer lokalhistorischen Abhandlung. Gleichzeitig war man „weit weg“ vom Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach. Die Evangelischen hielten zusammen, es gab ein großes Traditionsbewusstsein - und geheiratet wurde nur innerhalb der eigenen Konfession.

Dass die plötzliche „Zwangszugehörigkeit“ zu Bayern nicht ganz reibungslos ablief, versteht sich von selbst. „Als ich Anfang der 1960er Jahre nach Ostheim kam, wunderte ich mich schon sehr“, erinnert sich Gerhard Schätzlein. Während rings um Ostheim die Verbindungsstraßen bereits geteert waren, führte in die Kleinstadt mit ihren 2.500 Einwohnern nur ein mäßig befestigter Schotterweg. „Natürlich hat das keiner offiziell sagen wollen: Aber Ostheim wurde damals vom Freistaat nicht gut behandelt.“

Auch kirchlich war es in der Nachkriegszeit schwierig - zumindest für die Evangelischen. Ostheim war ganz offiziell als eigener Kirchenkreis Teil der Thüringer Landeskirche. Das heißt: Die Landeskirche im Gebiet der DDR war für die nun bundesrepublikanische Gemeinde mit ihrer imposanten Kirchenburg verantwortlich, also auch für die Entsendung von Gemeindepfarrern. „Aber im Prinzip war die Grenze ab den 1950er Jahren zu“, erläutert Schätzlein, der lange im Ostheimer Kirchenvorstand aktiv war.

In den ersten Jahren der deutsch-deutschen Teilung behalf sich die Thüringer Landeskirche damit, dass sie thüringische Pfarrer, die durch die Kriegswirren irgendwie im Westen gelandet waren, nach Ostheim schickte. Doch irgendwann gab es niemanden mehr, und auch die Bezahlung der Pfarrer in D-Mark fiel der klammen Thüringer Kirche zunehmend schwer, sagt Schätzlein: 1967 kam der erste bayerische Pfarrer nach Ostheim, erst 1972 kam die Gemeinde offiziell zur bayerischen Landeskirche.

Als am 13. August 1961 der Bau der Berliner Mauer begonnen hatte, war die „Grüne Grenze“ zwischen DDR und BRD schon weitgehend „dicht“, berichtet Schätzlein. Viel verändert habe sich dadurch für die Ostheimer Evangelischen nicht. Die kirchlichen und familiären Kontakte waren bis auf die Briefpost - und abgesehen von wenigen genehmigten Besuchen - unterbunden. Als Zeichen der Verbundenheit zwischen West und Ost traf man sich in Sichtweite entlang der Grenze und schwenkte Bettlaken.

Für die Ostheimer war die faktische Eingliederung in die bayerische Landeskirche Ende der 1960er und die offizielle kurze Zeit später durchaus ein Kulturschock. „Die Thüringer Pfarrer in Ostheim waren irgendwie weltlicher“, erinnert sich Schätzlein. Sie waren „nicht so fromm“ und theologisch weniger konservativ als die bayerischen Pfarrer. Trotz solche „Anfangsschwierigkeiten“ rüttelte sich schnell alles zurecht. Zurück zur Thüringer Landeskirche wollte Ostheim nach der Wende jedenfalls nicht.

Die Spuren der Zugehörigkeit zu Thüringen sind aber bis heute allgegenwärtig in Ostheim und den anderen einst thüringischen Ortschaften. In Sondheim heißt die Gaststätte bis heute „Weimarischer Hof“ und in der Stadtkirche St. Michael inmitten der Ostheimer Kirchenburg erinnern Grabdenkmäler an Adelige und Bürgerliche aus dem Thüringischen. Übrigens: Bis heute wurde die landesrechtliche Zugehörigkeit der vier Ortschaften zu Bayern nicht offiziell geklärt.

Von Daniel Staffen-Quandt (epd)