Heinrich: „Weihnachten ist Trost, Hoffnung und Provokation“
Weihnachten feiern trotz aller Kriege und Krisen - davon ist die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Anna-Nicole Heinrich, überzeugt.
Frankfurt a.M. (epd). Weihnachten feiern trotz aller Kriege und Krisen - davon ist die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Anna-Nicole Heinrich, überzeugt. Warum es an Heiligabend Würstchen mit Kartoffelsalat gibt und woher ihre Freude am Schenken kommt, verrät sie im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).
epd: Frau Heinrich, als jüngste Führungsperson in der evangelischen Kirche überraschen Sie immer wieder mit unkonventionellen Ideen oder Vorhaben. Wie feiern Sie Weihnachten?
Anna-Nicola Heinrich: Ich feiere wohl wie viele andere, die in einer Patchwork-Familie aufgewachsen sind: Ich bin viel unterwegs, um möglichst bei allen einmal gewesen zu sein. Am zweiten Weihnachtsfeiertag gibt es dann ein Fernseh-Ritual mit engen Freund:innen. Ich hoffe, dass wir das nach zwei Jahren coronabedingter Pause dieses Jahr wieder aufnehmen.
Was ist das klassische Essen am Heiligabend?
Heinrich: Es kommt darauf an, wo gefeiert wird: Bei meiner Mutter gibt es Würstchen mit Kartoffelsalat. Bei der Familie meines Partners gibt es Gans. Das finde ich immer fast ein bisschen viel.
Damit liegen Sie im Trend. Warum ist es wichtig, dass es einfache Gerichte am Heiligabend gibt?
Heinrich: Hat, glaube ich, eigentlich etwas damit zu tun, dass da früher noch Fastenzeit war. Natürlich kann man auch gleich ein Festessen veranstalten, aber ganz pragmatisch gesehen hat man halt an dem Tag auch nicht so viel Zeit, etwas Aufwendiges vorzubereiten. Das Essen steht bei mir zwischen Gottesdienst und gemeinsam Zeit verbringen ehrlich gesagt nicht so im Mittelpunkt.
Kann es denn statt Bratwürsten zum Kartoffelsalat auch vegetarische Würstchen geben?
Heinrich: Die gibt es bei uns sicher. Ansonsten gilt bei uns: Wer eine Extra-Wurst will, muss in der Küche helfen. Obwohl das an Heiligabend eigentlich sowieso alle tun.
Wie halten Sie es mit Geschenken?
Heinrich: Ich schenke gern, weil ich es mag, wenn sich Menschen freuen. Für meine jüngere Schwester habe ich schon im Sommer auf dem Flohmarkt etwas gekauft und ich freue mich schon jetzt drauf, wenn sie es auspackt. Manchmal denke ich mir, wir könnten das auch abschaffen - würde doch so manchen Stress ersparen - aber irgendwie hänge ich auch dran.
Haben Sie Tipps für klimafreundliche Weihnachten?
Heinrich: Ich würde am ehesten bei den Geschenken ansetzen. Ich habe mich bemüht, nichts bei großen Online-Versandhändlern zu bestellen. Habe viele Weihnachtsgeschenke auf dem Flohmarkt und in kleinen regionalen Läden gekauft. Macht Spaß und eröffnet neue Welten. Ein nachhaltiger Spieleladen eröffnet zum Beispiel auch eine ganz andere Kinderspielzeugwelt.
Was ist Ihre Lieblingsstelle aus der biblischen Weihnachtsgeschichte?
Heinrich: Für mich ist es der Satz: „Fürchtet euch nicht, euch ist heute der Heiland geboren.“ Dieser Satz kommt häufiger vor und hat unterschiedliche Ebenen. Es heißt zum einen „Fürchtet euch nicht vor dem, was passiert ist“. Es kann aber auch heißen: „Erschreckt nicht, was in Zukunft kommt, ich bin bei euch, was auch kommen mag.“ Der Heiland, der verkündet wird, ist kein Herrscher, der furchteinflößend mit großem Hofstaat einzieht, sondern ein kleines verletzliches Baby, das alle Machtansprüche und -konstrukte zu jener Zeit infrage stellt.
Was ist Ihre liebste Kindheitserinnerung an das Weihnachtsfest?
Heinrich: Da gibt es zwei: Ich habe als Weihnachtsengel immer die Geschenke verteilt - im selbstgebastelten Engelskostüm von Oma. Daher kommt vielleicht meine Freude, wenn ich anderen etwas schenke. Außerdem erinnere ich mich gerne daran, wie ich meine ersten Skier geschenkt bekam. Damals ist mein Opa mit mir zum nächsten Hügel gegangen, damit ich die Skier testen konnte. Der so ritualisierte Heiligabend kam dadurch durcheinander. Das ist manchmal auch ganz schön.
Weihnachten ist das Fest von Licht, Freude und Hoffnung. Wie kann man das feiern im Schatten des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine?
Heinrich: Wir können es feiern und wir sollten es auch feiern. Denn Weihnachten ist Trost, Hoffnung und Provokation zugleich: Der Trost, dass der Heiland gekommen ist, die Hoffnung, dass er Frieden in die Welt bringt und die Provokation in unserer momentanen Situation, dass gegen allen Augenschein Friede auf Erden das letzte Wort haben wird.
Ich habe in den vergangenen Tagen mit humanitären Helfern in der Ukraine gesprochen. Dabei ist mir eines klar geworden: Der ganze Krieg kommt häufig nüchtern und emotionslos bei uns an. Wir sehen die Fakten, wir sehen, welche Städte umkämpft sind. Ich kann recherchieren, wo gerade die Frontlinie verläuft. Die Geschichten, die die Helfer erzählen, wenn sie mobilitätseingeschränkte Personen, die oft wochenlang in einem Keller gehockt haben, traumatisiert sind, aus umkämpften Gebieten evakuieren, sollte man auch an Weihnachten erzählen und sie mit ins Gebet einschließen. Diese Menschen sitzen da auch zu Weihnachten. Gottes Weihnachtssegen gilt auch für sie.
Der Beschluss der Synode für ein Tempolimit 100 auf Autobahnen im kirchlichen Kontext sorgt für Diskussionen und Kritik. War der Beschluss so sinnvoll und richtig?
Heinrich: Ich sehe in dem Beschluss ganz viele Chancen. Zunächst einmal ist er ein Aufruf zu einer Selbstverpflichtung, der sich an kirchliche Mitarbeitende richtet. Der Grundtenor lautet: Bitte nur noch so viel wie nötig und nicht mehr so viel wie möglich. Das ist eine wichtige Botschaft. Auch wenn wir wissen, dass wir mit unserem individuellen Verhalten nicht die Welt retten werden, ist dieser Haltungswechsel extrem wichtig. Und neben der starken Symbolkraft, die dieser Schritt hat, schafft er Bewusstsein und vermindert klimaschädliche Emissionen.
Überrascht Sie die öffentliche Kritik?
Heinrich: Nein, dass so ein Schritt Resonanz hat, ist zu erwarten. Aber mich hat schon überrascht, wie schnell draus gemacht wurde „Die Kirche verbietet…“. Darum geht es - wie gesagt - nicht. Beim Autofahren wird das sehr gut sichtbar: Ganz oft fahren wir so schnell wie möglich, selten nur so schnell wie nötig.
Glauben Sie, dass die Bischöfinnen und Bischöfe sich daran halten?
Heinrich: Ich fahre fast ausschließlich Zug, doch manchmal auch bei leitenden Geistlichen mit. Auf den Mitfahrten in den letzten Wochen wurde sich bislang daran gehalten. Das wird schon ernst genommen. Die Bewahrung der Schöpfung ist ein gemeinsames Anliegen.
epd-Gespräch: Corinna Buschow und Franziska Hein