Die „Arbeitskreise Leben“ helfen Suizidgefährdeten und Angehörigen

Die ökumenische „Woche für das Leben 2019“ stellt Suizidprävention in den Mittelpunkt

Junge Frau sitzt mit gesenktem Kopf auf Steinstufen

Die „Woche für das Leben“ stellt dieses Jahr die Suizidprävention in den Mittelpunkt. Die Aktionswoche soll deutlich machen: Es gibt Hoffnung, Krisen können überwunden werden. (Symbolbild)

Suizidgefährdete Menschen brauchen oft neben einem Telefongespräch auch direkte Begegnung. Das erkannten im Jahr 1976 Mitglieder der Tübinger Telefonseelsorge. Sie gründeten den Arbeitskreis Leben (AKL) Reutlingen/Tübingen. AKLs gibt es nur in Baden-Württemberg. Jetzt, in der „Woche für das Leben 2019“, rücken sie neben der Telefonseelsorge in den Blick.

Derzeit sind zehn Krisenberatungsstellen in der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) zusammengeschlossen. Über 330 speziell ausgebildete Personen begleiten Menschen in Krisen. Daneben gibt es von Jugendlichen für Jugendliche die E-Mail-Beratungen www.u25-freiburg.de und www.youth-life-line.de. Eine Chat-Beratung, „Stepp out“ unter www.youth-life-line.de, ist in Gründung.

„Überleben-Wollen liegt in der DNA“

Wolfgang Stich, einer der Sprecher der LAG, ist froh, dass die AKLs seit den 1970er-Jahren einen neuen Blick auf das Thema Suizid gefunden haben: „Wir haben die Perspektive eines Krisenkonzepts und nicht eines Krankheitskonzepts.“ Denn: „Überleben-Wollen liegt dem Menschen in der DNA, daher ist darüber reden eine Hilfe, Leben zu retten.“

Diplompädagogin Bettina Guhlmann vom AKL Reutlingen/Tübingen begrüßt auch deshalb, dass die diesjährige „Woche für das Leben“ das Thema „Leben schützen. Menschen begleiten. Suizide verhindern“ in der Öffentlichkeit anspricht. Suizid dürfe nicht tabuisiert werden, wenn wirkungsvoll Prävention geleistet werden soll. Sie betont aber auch, dass das Thema öffentlich sensibel behandelt werden müsse, um nicht Nachfolgesuizide herauszufordern. „So ist es sinnvoll, einen Hinweis auf Beratungsstellen oder die Telefonseelsorge anzufügen, wenn über Suizide berichtet wird,“ rät sie.

Kostenlos, für alle offen, unabhängig von Religionszugehörigkeit

Auch Diplompädagogin Ellen Wittke vom AKL Stuttgart hält den Schritt in die Öffentlichkeit für wichtig. Doch das Thema sollte nicht auf diese eine Woche begrenzt bleiben. Deshalb sei in Stuttgart schon für das kommende Jahr eine Veranstaltung gemeinsam mit den Krisendiensten geplant.

Der AKL Heilbronn ist 1984 entstanden. Birgit Bronner, Leiterin dieser Fachberatungsstelle, zählt auf, wer sich beim AKL alles melden kann: „Das sind Menschen in Lebenskrisen mit Selbstötungsgedanken, Menschen nach einem Suizidversuch, Angehörige von suizidgefährdeten Menschen, Hinterbliebene, die einen Angehörigen durch Suizid verloren haben, Schulen, Betriebe und öffentliche Einrichtungen und Betroffene aus dem Umfeld von Menschen in einer Krise.“ Das Angebot ist grundsätzlich kostenlos und steht allen offen, unabhängig von Religionszugehörigkeit oder Weltanschauung.

Frühjahr und Frühsommer sind oft Krisenzeit

Bronner weiß aus Erfahrung, dass gerade im Frühjahr und Frühsommer für viele Menschen eine Krisenzeit ist. Stark gefragt seien die AKL-Gesprächspartner auch in Zeiten, in denen viele andere Dienste und Therapeuten Urlaub haben – wie Weihnachtszeit und Ferien.

Es gebe für Jedermann einsichtige Situationen im Leben eines Menschen, in denen Suizidgedanken überhandnehmen können. Das ist beispielsweise der Verlust eines geliebten Menschen oder die Diagnose einer schweren Krankheit. Doch Warnsignale seien auch, wenn sich jemand plötzlich und unerwartet zurückzieht, sich aus allen sozialen Kontakten und Zusammenhängen herausnimmt, erklärt Birgit Bronner. Nachhaken, wie es ihnen geht, sollte man zudem bei Menschen, die in eigentlich schwierigen Situationen keine Gefühle von Trauer, Wut oder Schmerz zulassen.

„Es kann fast jeden treffen!“

„Wichtig ist, dass aus jeder schweren Krise eine suizidale Krise entstehen kann und nicht nur psychisch kranke Menschen ‚suizidgefährdet‘ sind“, betont die Fachfrau. „Es kann fast jeden treffen!“ Wolfgang Stich, Leiter des LAK Freiburg, verweist darauf, dass sogar scheinbar freudige Ereignisse wie eine bevorstehende Hochzeit Suizidversuche auslösen können.

Es wäre wünschenswert, dass sich die Gesellschaft und auch die Politik dem Thema Suizidprävention mehr stellt, wünschen sich die Experten. So müsste das Thema in die Ausbildungen von Pflege- und Sozialberufen einfließen und an Schulen thematisiert werden.

Sprechen kann Leben retten

Stich erläutert: „Wenn wir davon sprechen, dass das Thema enttabuisiert werden muss, dann müssen wir zwischen Sprach- und Handlungstabus unterscheiden. Enttabuisierung meint natürlich das Sprachtabu. Es gilt der Grundsatz: Darüber sprechen kann Leben retten.“ Das müsse auch den Kirchen, die sich mit dem Thema lange schwer getan hätten, immer wieder gesagt werden. 

Margit Wagner, Vorsitzende des AKL Böblingen findet, die beste Suizidprävention geschehe, „wenn man offen sprechen und sich damit auch zu den eigenen Nöten bekennen kann“. Die Aktionswoche soll deutlich machen: „Es gibt Hoffnung. Krisen können überwunden, Depressionen gebessert oder geheilt werden, man muss sich nur öffnen, darüber sprechen, Hilfen annehmen – und sich etwas Zeit geben.“

Susanne Müller (epd)

 

Cover des Themenheftes 'Woche für das Leben 2019'

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